Wieso Zitate auch ohne Geistiges Eigentum wichtig sind

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Da hat der Verteidigungsminister also einen guten Teil seiner Doktorarbeit einfach per Copy & Paste aus anderen Veröffentlichungen übernommen. Aus den Hausarbeiten von Erstsemestern, Zeitungsartikeln und wo man halt so fündig wird, wenn man eine Googlesuche bedient. Und er hat nicht angegeben, von wo er die Textstellen zusammengesucht hat. Und dementsprechend groß ist jetzt das Geschrei über den (Ex-)Doktor, zumindest bei manchen. Denn auf der einen Seite stehen jene, die ja überhaupt nichts dabei finden können. Immerhin hat ja jeder mal in der Schule oder bei einer Hausarbeit an der Uni abgeschrieben. Gleichzeitig schäumt die andere Seite vor Wut, weil es ja um den Diebstahl geistigem Eigentums geht.


Mich überzeugen die beiden Extreme nicht, besonders die Ideologie des geistigen Eigentums halte ich, gelinde gesagt, für ganz groben Unfug. Deshalb mal ein Blick mit der Augenklappe: Die Vorstellung, dass jemand alleine im stillen Kämmerchen sitzt und ganz lange nachdenkt bis er eine perfekte, neue Idee hat mag kontinental-europäische Romantik sein. Mit der Realität hat sie allerdings nichts zu tun. Jeder der etwas erschafft greift dabei auf einen riesigen Fundus an bereits Geschaffenem zurück. Deshalb ist es auch kein Wunder, wenn dieser Tage das Sprichwort „standing on shoulders of giants“ wieder durch die Blogs und traditionellen Medien geistert. Auch wenn das Zitat schon viel älter ist, so mag ich die Fassung die Isaac Newton zugeschrieben wird am liebsten: „Wenn ich weiter sehen konnte, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Giganten stand“.

Während dieser Griff zurück zu bereits vorhandenem bei der Kunst von ganz offensichtlich bis zu subtiler Beeinflussung und Inspiration reichen kann ist der Einfluss von bereits Vorhandenem in den Wissenschaften in der Regel um einiges direkter. Bei jedem Schritt der heute in einem Labor durchgeführt wird greift man auf das Wissen von Generationen von Wissenschaftlern und Erfindern vor sich zurück. Nicht nur, weil die Labore in der Regel beheizt und mit Elektrizität ausgestattet sind, sondern auch weil die in den Experimenten verwendeten Methoden nicht nur selbst ausgedacht sind, sondern auf bereits bekanntem aufbauen.

In der Biologie wurde DNA über Jahre hinweg (und auch heute noch oft genug) mit Hilfe der Sanger-Methode sequenziert. Ohne die Entdeckung der Struktur der DNA durch Watson und Crick wäre dieser Fortschritt nicht möglich geworden. Und ich behaupte, dass auch die neugeschaffenen Next Generation Sequencing-Methoden ohne Sanger und ohne Watson, Crick & Co nicht machbar gewesen wären. Da sieht man wieso die strikte Anwendung des Konzepts „Geistiges Eigentum“ in den Wissenschaften nicht zielführend und vor allem nicht fortschrittsdienlich ist (und das ist auch ein Grund wieso Philipp und ich hier die Creative Commons-Lizenzen nutzen: Um anderen das Aufbauen auf unseren Inhalten zu vereinfachen).

Und auch sonst ist der Gesellschaft nicht damit gedient, dass man strikte Patent- und Lizenzgebahren einführt: Krankheiten die nicht mehr erforscht werden können, weil die Tiermodelle aus Lizenzgründen nicht verfügbar sind oder auch das in Afrika weiterhin 1,3 Millionen Menschen jährlich durch HIV sterben, da die notwendigen Medikamente vor Ort, aufgrund der Patente, zu teuer sind, sind nur 2 Beispiele für die Auswüchse des geistigen Eigentums. Wer sich noch mehr für das Thema interessiert sollte sich durch das Werk „Access to Knowledge in the Age of Intellectual Property“ wühlen.

Wenn aber geistiges Eigentum also kein Argument für das setzen von korrekten Zitaten sein kann, wieso ist es dann trotzdem wichtig? Gehen wir dafür zurück zum Bild des Zwergs der auf den Schultern des Riesens steht. Vorausgesetzt, dass jeder, der zum Aufbau des Riesens beigetragen hat, in seinen Arbeiten und Veröffentlichungen seine Quellen angegeben hat, dann wird es auf einmal möglich den Körper des Riesens, Stück für Stück und Publikation für Publikation herunterzuklettern und so im Bauch des Riesens zu enden. Eine solche durchgehende Kette von Zitaten hat nich nur historischen Wert, da sie selbst ein unmittelbares Dokument der Wissenschaftsgeschichte ist. Gleichzeitig erleichtert sie die Arbeit, immerhin muss man nicht jede Quelle von der Mathematik der Antike an bis heute angeben. Stattdessen beschränkt man sich auf eine maximale Tiefe bei den eigenen Zitaten. Die wenigsten die heute mit Sangers Sequenziermethoden angeben zitieren seine Arbeiten dazu, stattdessen nimmt man die letzten Arbeiten die den entscheidenen Fortschritt auf dem Gebiet gebracht haben.

So weit sind das allerdings mehr Dinge die wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig für den wissenschaftlichen Betrieb sind. Viel zentraler und wichtiger ist es, dass Zitate vor allem eins sicherstellen: Das wissenschaftliche Arbeiten selbst. Erst durch die Veröffentlichung von Ergebnissen, inklusive der Methoden die man verwendet hat und der Quellen aus denen man seine Theorien, Methoden & Co abgeleitet hat wird es überhaupt möglich, dass die Ergebnisse nachvollziehbar, reproduzierbar und damit auch überprüfbar werden. Ohne diese Eigenschaften sind wissenschaftliche Publikationen das Papier und die Bytes in denen sie veröffentlicht werden nicht wert.

Der Vergleich mit Schülern die in Klassenarbeiten spicken ist deshalb auch nicht wirklich zutreffend und wer im wissenschaftlichen Betrieb mitspielen möchte, der muss sich daher auch mit an die Spielregeln halten. Ein Doktortitel soll der Nachweis dafür sein, dass man eigenständig und verantwortungsvoll Wissenschaft betreiben kann. Wer ausgerechnet bei der Doktorarbeit schummelt hat daher nicht nur die Grundlagen des Wissenschaftsbetriebs nicht verstanden. Er will auch nicht anerkennen, dass er nur ein Zwerg ist. Stattdessen versucht er sich selbst zum Riesen zu machen.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Bloggewitters Ehrlichkeit in der Wissenschaft“ erschienen. Auch viele andere SciLogger haben Artikel geschrieben die ihr auf der Übersichtsseite findet.
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Veröffentlicht von

Bastian hat seinen Bachelor in Biologie in nur 8 statt 6 Semestern abgeschlossen. Nach einem kurzen Informatik-Studiums-Intermezzo an der TU Dortmund hat es ihn eigentlich nur für ein Stipendium nach Frankfurt am Main verschlagen. Dort gestrandet studiert er dort nun im Master-Programm Ökologie und Evolution. Zumindest wenn er nicht gerade in die Lebensweise der Hessen eingeführt wird. Neben seinen Studiengebieten bloggt er über die Themen, die gerade in Paperform hochgespült werden und spannend klingen.

5 Kommentare

  1. Darum geht’s gar nicht

    Guttenbergs Problem ist nicht in erster Linie, dass er nicht anerkennen wollte, wessen Ideen er übernommen hatte – auf geisteswissenschaftlichem Gebiet ist die Frage von Originalität und Ursprung einer Idee viel unschärfer als auf dem naturwissenschaftlichen Sektor. Man kann gar nicht jedes eigene Argument in allen Formulierungen nachspüren in wer weiß wie schlecht zugänglicher Literatur. Peinlich für Guttenberg ist vielmehr, dass er Ideen anderer, deren Nachweis man möglicherweise mal vergessen kann, als komplette Gedanken derjenigen in der Originalformulierung oder in bewusst (in nur der Vertuschung dienender Eigenleistung) leicht abgewandelter Formulierung abgepinnt hat. Er hat sich also nicht allein die abstrakte Idee zu eigen gemacht, sondern gleich die konkrete Formulierung, also die “geistige Handarbeit” anderer!

  2. @Manfred

    Ich stimme dir in so weit zu, dass es bei dem guttenbergschen Plagiat das größte Manko ist, dass er eben keine erkennbare eigene Arbeit geleistet hat.

    Wer sowohl in der Einleitung als auch in der abschliessenden Diskussion „seiner“ Arbeit nur wörtliche, nicht-gekennzeichnete Zitate von Dritten verwendet, dem kann man meines erachtens vorwerfen sich nicht mit seinem Thema beschäftigt zu haben. Allerdings würde die korrekte Kennzeichnung der Zitate und Quellen in dem Fall auch nicht mehr helfen. 😉

    Ich wollte mit meinem Artikel aber darauf hinaus, dass man dieses Konstrukt des „Geistigen Eigentums“ schlicht nicht bemühen muss, um Guttenbergs Arbeit die Wissenschaftlichkeit abzuerkennen und das es auch ohne dieses Konstrukt relevant ist zu zitieren.

  3. “Darum geht’s gar nicht” – genau!

    Zitieren ist wichtig – Textcollagen sind falsch! Sehr wahr ist, dass man den Nachweis, dass man selbständig wissenschaftlich arbeiten kann, nur erbringen kann, indem man es praktisch tut: Man muss eine wissenschaftliche Arbeit selbstständig erbringen.

    Das heißt natürlich nicht, dass man sich in ein stilles Kämmerlein zurückzieht und von der Erfindung des Rades alles (nochmal) allein macht – das wäre zwar im Sinne von Jean Piagets Theorie der menschlichen Entwicklung der richtige Weg, aber es würde den zeitlichen Rahmen einer Doktorarbeit sprengen.

    Vielmehr heißt es, dass man sich anschaut, was der aktuelle Stand der Forschung und/ oder Lehre ist auf dem Gebiet, das man bearbeiten möchte. Das Resümee dessen ist typischerweise die Einleitung zur eigenen Arbeit.
    Im Hauptteil aber pickt man sich daraus die Lücken, Nischen oder Unzulänglichkeiten heraus und füllt sie durch eigene Beiträge (Teilwidersprüche, Diskussion kritisch erachteter Punkte, Detailfragestellung, Definition der Herangehensweise/ Methode: je nach Fach, nachweisende Experimente, Feldstudien, Sammlungen, Formulierungen, mathematische Formeln …) und im Schluss resümiert man die eigenen Ergebnisse bzw zeigt hierin wiederum Lücken in Form weiterführender Fragen auf.
    Seltenst kann man etwas abschließend beantworten, denn das ist ja nicht die Aufgabe – sondern der Nachweis der eigenen wissenschaftlichen Arbeit. ALso, dass man eine Fragestellung klar definiert, (teil)beantwortet und die eigene Antwort ebenso kritisch bewerten kann.

    Wenn allerdings der Hauptteil der Arbeit per se wiederum eine Textcollage ist, also ein Zusammenschnitt von Textfragmenten anderer, die dann noch nichtmal als Fremdarbeiten gekennzeichnet sind, dann ist dies ein “Kunstwerk” (Collage), aber eben keine eigene wissenschaftliche Arbeit. Ich kenne nicht die Regeln der Kunst, ob man bei einer Collage angeben muss, woher die Schnipsel kommen – ich kenne aber die Regeln der drei von mir studierten Wissenschaften (Physik, Geschichte, Philosophie) und so unterschiedlich diese im Ansatz, in der Methodik oder der Fragestellung aus der Laienperspektive erscheinen mögen, so haben sie doch eine gemeinsame Ethik und sind letztlich eben doch so gleich wie Menschen verschiedener Rassen – eben nur auf den ersten Blick unterschiedlich, aber (zumindest sollten sie es) in letzter Konsequenz eben doch so ähnlich, dass es fast schon wieder gleich ist.

    Viel Wahres in dem obigen Beitrag – vielen Dank! 🙂

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