Warum Frauen alt werden – neues zur Großmutter-Hypothese

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Warum leben Frauen lange weiter, auch wenn sie keine Kinder mehr bekommen können? Direkt betrachtet sollten sie das ja eigentlich nicht tun – beim Erreichen der Menopause sind die eigenen Kinder schon erwachsen und um die Großenkel kümmern sich schon die Eltern. Genau an der Stelle setzt aber die Großmutter-Hypothese an.

Die Großmutter-Hypothese ist eine Möglichkeit, die evolutionäre Adaption hin zur Menopause zu erklären; da menschlicher Nachwuchs sehr lange bis zur Selbstständigkeit braucht, ist es von Vorteil, wenn die Reproduktion an einem bestimmten Punkt eingestellt wird so dass die verbleibende Energie der Pflege des Nachwuchses und deren Nachwuchses gewidmet werden kann.

Heute (in wenigen Minuten wirds gestern sein) erschien dazu ein Artikel in Proceedings of the Royal Society B namens "Grandma plays favourites: X-chromosome relatedness and sex-specific childhood mortality" (ist sogar freier Zugriff). Darin postulierte das Forscherteam, dass sich Großmütter stärker um ihre Enkel kümmern, wenn sie mit den Kindern einen höheren Verwandheitsgrad teilen. Enkeltöchter und -söhne unterscheiden sich von ihren maternalen und paternalen Großmüttern in der Anzahl der geerbten X-Chromosomen untereinander (Noch kurz zur Erinnerung: Männer XY, Frauen XX!)

  • Die paternale Großmutter hat zwei X-Chromosomen und gibt davon eins ihrem Sohn (dem zukünftigen Vater). Der hat nur eins, weshalb seine Tocher das gleiche X-Chromosom wie die paternale Großmutter trägt, also ist die X-Chromosom-Verwandschaft von pat. Großmutter zu Enkelin 50% (50%*100%  Übertragungswahrscheinlichkeit). In diesem Fall hat die Großmutter also die gleiche X-Chromosom-Verwandschaft zu ihrer Enkelin wie eine Mutter zu ihrer Tochter!
  • Nochmals paternale Großmutter, diesmal zu einem Enkel: Hier ist der x-Verwandschaftsgrad 0%, da der Sohn von seinem Vater nur das Y-Chromosom bekommt.
  • Maternale Großmutter zu Enkel und Enkelin: Wie schon beschrieben, gibt die mat. Großmutter 50% ihrer X-Chromosomen an ihre Tochter ab. Diese wiederum gibt auch nur 50% ihrer X-Chromosomen an Enkel und Enkelin ab: Der X-chromosomale Verwandschaftsgrad beträgt damit 25%. In schönerer Rechnung: 0.5 * 0.5 = 0.25.

Ausgehend von diesen Überlegungen untersuchte das Forscherteam Volksdaten aus 7 Populationen verteilt über die ganze Welt, angelegt zu verschiedenen Zeiten. So waren Daten aus Japan zwischen 1671 und 1871 vorhanden, aber auch Daten aus Malawi von 1994 bis 1997. Voraussetzung war nur, dass in den Populationen traditionell die Großmütter mit im selben Haus oder im selben Dorf leben wie ihre Enkelkinder.

Bis auf ein paar Rausreißer passen die Ergebnisse zur obigen Überlegung: In allen 7 Populationen überlebten mehr Jungen bei ihrer maternalen Großmutter als bei ihrer paternalen (seh ich hier Übereinstimmungen zu mir?). Zur Erinnerung: Paternal – Enkel 0%, Mat. – Enkel 25%.

In 4 von 7 Populationen überlebten mehr Mädchen bei ihrer paternalen Großmutter als bei ihrer maternalen – nochmals: Pat. – Enkelin 50%, Mat. – Enkelin 25%. Und in 6 von 7 untersuchten Populationen überleben mehr Mädchen als Jungen bei ihrer paternalen Großmutter; Pat. Enkelin 50%, Mat. – Enkel 25%.

Passt also alles gut! Fraglich ist nur noch die biologische Komponente im ganzen. Was sind die zellulären Grundlagen, welche Botenstoffe werden eventuell freigesetzt? Ich denke kaum, dass sich eine Großmutter väterlicherseits bewusst von einer Großmutter mütterlicherseits unterscheiden oder in der Aufzucht ihrer Enkelkinder wählen möchte. Schwierig stell ich mir die Untersuchung des Phänomens vor; Geruchsproben bei Enkelkindern und Großmüttern über mehrere Jahre? Das wird teuer, und find erstmal Großfamilien die da mitmachen.

Veröffentlicht von

Philipp hat einen Bachelor in Biologie, ein Graduate Certificate in IT und studiert momentan für seinen Master in IT in einem übertrieben großen Land voller Spinnen und Schafe. Für die Bierologie schreibt er zumeist über Biologie, Evolution und allem was an den Rändern der Gebiete noch so angeschwemmt wird.

8 Kommentare

  1. Auf welche Altersgruppen…

    … beziehen sich denn die Überlebensraten der Kinder? Gerade im ersten Jahr ist die Sterblichkeit ja ohnehin besonders hoch; bei Jungen höher als bei Mädchen. Interessant fände ich daher die Statistiken der ersten 5 oder gar 10 Jahre.

  2. Eines Tages werd ich verstehen, wie man bei lifetype als Admin Kommentare schreiben kann, solang musses auch so gehen.

    Wenn man sich durch das Supplementary Material-pdf wühlt bekommt man mehr Details zum genauen Auswahlprozess der Daten.

    In allen Populationen (bis auf die japanische) wurden Kinder im Alter 0-3 untersucht (für die japanische Population im Alter 0-16 ???). Meistens wurde noch der erste Lebensmonat vernachlässigt, damit neonatale Sterblichkeit nicht in die Rechnung pfuscht, damit hat die Großmutter wahrscheinlich nichts zu tun.

    Mithilfe diverser statistischer Methoden (je nach Population, Populationsgröße, evtl. Hungersnöte, Alter des Familienoberhauptes, ob die Mutter die ersten 5 Lebensjahre des Kindes überlebt hat etc. etc.) wurde dann die Überlebenswahrscheinlichkeit der einzelnen Populationen errechnet und miteinander verglichen.

    Warum die Forscher Japan mit der 0-16 Altersgruppe überhaupt in der Veröffentlichung drinbehalten haben kann ich mir nicht erklären. Meiner Meinung nach lässt sich eine Altersgruppe mit 0-16 schlecht mit 6 anderen 0-3/4 vergleichen, auch wenn man nur die Überlebenswahrscheinlichkeit haben möchte. Vielleicht waren die Forscher nur faul? Schließlich kommen die Daten zu jeder Population jeweils aus einer anderen Studie…

  3. Zahl der Chromosomen

    Nun haben wir 46 Chromosomen, oder? Und nur eines davon ist von diesem unterschiedlichen Verwandschaftsgrad betroffen. Der Unterschied von 25% bei einem Chromosom sollte also nur ein Unterschied von 0,5% im Verwandschaftsgrad des ganzen Chromosomensatzes ausmachen, oder verstehe ich etwas falsch? Ist es da nicht unwahrscheinlich, dass das einen großen Effekt haben kann?

  4. Hallo Stefan!
    Auf den ersten Blick hab ich das auch gedacht – wie du schon richtig sagst, machen die X-Chromosomen nur einen relativ kleinen Teil des ganzen Genoms aus. William Hamilton selber postulierte 1972, dass ZZ-Brüder bei Vögeln sich aufgrund der erhöhten Verwandschaft im Vergleich zu ihren ZW-Schwestern stärker mehr untereinander helfen würden aufgrund der erhöhten Verwandschaft, verwarf die Idee aber, da auch er der Meinung war, dass die Geschlechtschromosomen im Wechselspiel mit allen anderen Chromosomen wohl untergehen würden. (Artikel hier)
    Es gibt allerdings inwzischen viele Beispiele dafür, dass die Geschlechtschromosomen doch stärkere Auswirkungen auf Verhalten haben, vor allem beim Menschen. Hier n nettes Review dazu.

  5. @Stephan Rahmstorf

    Vom Standpunkt des Geasmtorganismus ist Ihr Einwand natürlich richtig. Dann teilen wir sogar 99% unserer Gene mit Schimpansen und könnten nicht einmal verstärkte Zuwendung gegenüber Artgenossen durch Genverwandschaft erklären.

    Vom Standpunkt des Gens stellt sich das anders dar. Ein Gen, das nur auf einem Y-Chromosom vorkommt, gelangt nur über männliche Nachkommen in die nächste Generation und wenn sein Repliktionerfolg durch Selektion maximiert wurde, könnte es das Verhalten gegenüber Verwandten beeinflussen.

    Diese Hypothese ist die einzige mir bekannte Lösung für das Problem, das sich für die Evolutionstheorie ergibt, wenn man sie auf sterile Arbeiter bei staatenbildenden Insekten anwenden möchte.

    Sie wurde von Richard Dawkins in ‘The selfish gene’ und besser noch in ‘The extended phenotype’ brilliant dargestellt und ergänzt die organismus- oder gruppenzentrierte Sichtweise der Evolution in für mich überzeugender Weise.

  6. Da fällt mir nochn schönes Paper zu ein: Selfish Genetic Elements Promote Polyandry in a Fly in dem die Autoren untersuchen wie eine einzelne Genvariante in den Männchen Polyandrie bei Weibchen auslöst.

    Normalerweise gibt Polyandrie (also Vielmännerei) Rätsel auf, da Fortplanzung für Weibchen mehr kostet als für Männchen – einzelne Eier sind von den Ressourcen her teurer als Spermien (dazu kommen noch andere Faktoren wie z.B. Brutpflege, aber nicht bei Fliegen).
    Manche Männchen der Art Drosophila pseudoobscura tragen eine schädliche Genvariante die ihre Fortplanzungs-Fitness herabsenkt, wodurch die Weibchen sich mit mehreren Männchen paaren müssen um den Fortplanzungserfolg zu gewährleisten. Also wieder eine Verhaltensveränderung ausgelöst durch (wahrscheinlich) eine einzige Genvariante.

  7. Ich bin ja Laie, aber…

    … für mich klingt das alles doch noch sehr theoretisch und auf Wahrscheinlichkeiten basierend. Vom Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen ganz zu schweigen. Das hätte ich doch gerne irgendwann mal genauer analysiert.

  8. Was meinst du mit genauer analysiert?

    Natürlich bekommt man in einer Untersuchung wie dieser nur prozentuale Werte raus. Aber ein solch vorhandener (signifikanter) Unterschied zwischen Enkeln und Enkelinnen im Bezug auf ihre Großmütter rechtfertigt weitere Forschung zu den biologischen Grundlagen.
    Mögliche Geldgeber sind nach einer statistischen Untersuchung des Großmuttereffektes gewillt, die darauf aufbauende Erforschung der biologischen Grundlagen zu bezahlen.

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