Umfragen als neuer Weg zum annotierten Genom
BLOG: Bierologie
Die in Kalifornien ansässige Firma 23andMe ist einigen Lesern wahrscheinlich bekannt, bietet sie doch seit geraumer Zeit für ca. 500 Dollar eine Untersuchung der eigenen Gene in Hinsicht auf Krankheitsrisiken an. Nun hat die Firma sich auch auf den Pfad der Genom-Annotation begeben. In der Genom-Annotation versucht man, zu Genen oder Genabschnitten eine bestimmte Funktion oder Auswirkung im Organismus zuzuweisen – und dafür hat 23andMe einen neuen Weg aufgezeigt. Letzten Monat veröffentlichte 23andMe in PLoS Genetics ein Paper mit dem recht umständlichen Namen "Web-Based, Participant-Driven Studies Yield Novel Genetic Associations for Common Traits", in der erstmals die web-basierte Befragung der Firmenkunden über gewisse, ererbte Eigenschaften wie z.B. Sommersprossen versucht wurde.
Will man von 23andMe eine Einschätzung der eigenen Krankheitsrisiken haben, so schickt man eine Speichelprobe an die Firma, die daraufhin eine Einschätzung der Krankheitsrisiken basierend auf Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs, einzelnen ausgetauschten Nukleotiden im Genom) erstellt. Welche SNPs mit welchen Krankheiten verbunden sind weiß man aufgrund zahlreicher Studien in diesem Bereich. Für die Erforschung neuer SNPs wurden in diesem Fall Kunden von 23andMe (nach einer Einverständniserklärung) in einen Fragebogen nach verschiedenen physiologischen Attributen befragt. Die Daten wurden dann anonymisiert weitergegeben und auf Zusammenhänge zwischen Antworten und (neu-entdeckte wie schon bekannte) SNPs untersucht.
Interessanterweise hat der Ansatz funktioniert: Nach einem Aussieben der statistisch nicht haltbaren Ergebnisse konnten fünf schon bekannte SNP/Eigenschaft-Kombinationen bestätigt werden, die mit Hautpigmentierung, Augen- und Haarfarben zusammenhingen. Gut dagegen die neu entdeckten SNP/Eigenschaft-Kombinationen:
- Art und Dicke der Haarkräuselung,
- die Fähigkeit, den Uringestank von Spargel zu riechen (die unbeliebteste Superkraft der Welt),
- der Zwang, bei zuviel Lichtkontakt in den Augen zu nießen (im Englischen mit dem schönen Akronym ACHOO-Syndrom bedacht),
- und Sommersprossen-Ausprägung.
Jetzt kann man sich natürlich fragen, was die Studie denn soll – diese vier neuen Eigenschaften stellen schließlich nichts weltbewegendes dar. Das Interesse liegt mir hier viel eher bei der Art, wie die Studie durchgeführt wurde. Web-basierte Anwendungen liegen in der Wissenschaft momentan im Trend (schaut man sich z.B. Bastis Bachelorarbeit an 😉 ), und eine solche Datenerhebung über das Internet zu veranstalten ist meines Wissens nach so noch nicht gemacht worden.
Spannender Forschungsansatz!
Über diese Studie wird im deutschsprachigen Netz erstaunlich wenig berichtet (abgessehen von diesem Blog!). Obwohl sie doch in der Tat sehr wegleitend aussieht. Wie die Autoren schreiben:
Es kostet wenig, zusätzliche Fragen an die Kunden übers Netz zu stellen. Und außerdem schreiben sie:
“Die Teilnahme eröffnet die wundervolle Möglichkeit, die Öffentlichkeit über Genetik, Statistik und Wissenschaft zu bilden und den Teilnehmenden, die bei der genetischen Forschung mithelfen, etwas zurückzugeben.”
Viel spannender wird es ja, wenn man Verhaltensgene mit hinzunimmt: Hat man die lange oder die kurze Version des schon erforschten Serotonin-Transporter-Gens (Depressions-Neigung), des ADHS-Gens, des Monogamie- und Altruismus-Gens ( http://studgendeutsch.blogspot.com/…gen-der.html ), von Genen, die die Gewaltbereitschaft erhöhen etc. pp. pp.:
Es wird dann ein bewußterer Umgang mit dem eigenen Verhalten möglich, zumal wenn man es mit dem Verhalten anderer vergleicht, die ähnliche Gene besitzen. Daraus sollten sich auch mancherlei jeweils neue wissenschaftliche Schlußfolgerungen oder zumindest Hypothesen ableiten lassen.