Meme – Das Internet als Krankheitsvektor?

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Das Vorurteil, dass das Internet, dank Wikipedia und Co, zu mehr Hypochondern führt ist ja mittlerweile nicht so neu. Und aus Anekdoten oder dem Bekanntenkreis kennt wohl jeder jemanden, der sich in seiner Freizeit beim geringsten Anzeichen für eine Krankheit stundenlang durch die Wikipedia wühlt. Und sich am Ende dann mit der fatalsten Möglichkeit selbst-diagnostiziert: „Ich hab ein bisschen Bauweh. Oh Gott, ich habe Magenkrebs, in der Wikipedia stand, dass Magenkrebs immer mit Bauweh einhergeht!!” Ist natürlich Blödsinn, denn ein Symptom alleine kann auf viele, lustige Krankheiten zutreffen. Aber die Frage ist natürlich: Gibt es so Fälle wirklich? Und wie verbreitet ist das?

Beim Neuroskeptic bin ich über eine ganz spannende Krankheit gestossen die nicht nur durch genau solches Krankheits-Suchverhalten bestärkt wird, sondern vermutlich dadurch überhaupt erst in der Form entstanden ist: Morgellons Disease. Diese Krankheit wurde im Jahr 2002 von einer Frau, die übrigens wohl keine Ärztin oder Artverwandtes ist, an ihrem 2 Jahre alten Sohn entdeckt. Die typischen Symptome sind Hautverletzungen aus denen Fasern kommen, das Gefühl Parasiten oder Insekten unter der Haut zu haben. Dazu kommen Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten.

Seit der Entdeckung 2002 gab es mehrere Medien-Berichte über die Krankheit, eine gemeinnützige Organisation zur Untersuchung der Krankheit wurde eingerichtet, immer mehr Webseiten beschäftigen sich mit dem Thema und auch die Anzahl der Fälle mit Morgellons schiesst nach oben. Allerdings berichten die meisten Ärzte, dass es weder Parasiten noch Insekten sind, die für die Symptome verantwortlich sind: Die Hautverletzungen werden sich nach ihren Berichten von den Patienten selbst zugefügt und die Fasern die aus den Wunden ragen, werden von den Patienten dort unterbewusst platziert.

Das klingt erstmal ziemlich abgefahren, aber diese Art von Krankheit nennt sich Delusional parasitosis (oder im deutschen Dermatozoenwahn) und trifft vom Bild her auch auf Morgellons zu: Die Patienten leiden unter Wahrnehmungsstörungen und glauben, dass unter ihrer Haut Würmer oder Insekten leben. Die beiden Namen könnten also gut Spiegelbilder der gleichen Krankheit sein. In einer Veröffentlichung aus dem letzten Jahr wird auf ein Fallbeispiel eingegangen was auf jeden Fall in die Richtung deutet.

Ein 43-jähriger Mann glaubte daran, dass er an Morgellons erkrankt sei und Parasiten unter seiner Haut sitzen würden. Nach einer Odyssee durch Krankenhäuser, in denen erfolglos versucht wurde die Parasiten zu lokalisieren, überwies der Hausarzt den Mann an einen Psychiater. Der Psychiater war vorgewarnt, dass der Patient sich selbst mit Morgellons diagnostiziert hatte. Da der Patient selbst allerdings eingestand, dass er vielleicht an Wahnvorstellungen und nicht an Morgellons erkrankt sei lies er sich auf einen Versuch mit einem Antipsychotika ein.

Erfreulicherweise hat diese Art von Therapie bei dem Patienten geholfen: Seine Haut hörte auf zu jucken und er stoppte die Versuche die Insekten unter seiner Haut zu fangen, auch wenn er nach wie vor nicht zu 100 % davon überzeugt war, dass er nicht an Morgellon erkrankt sei. In der Veröffentlichung hat man dann auch versucht einen Mechanismus zu finden, wie es überhaupt zu dem Krankheitsbild kommt.

Es fängt natürlich damit an, dass Menschen etwas wahrnehmen, dass sie als nicht normal einsortieren. Daraus können sich dann Symptome ableiten, wie hier das jucken der Haut und der Eindruck, dass Insekten unter der Haut leben. Mit diesen Symptomen kann man dann entweder gleich zum Arzt gehen, oder sich erstmal selbst im Internet diagnostizieren. Dabei hilft in diesem Fall der Gang zum Arzt nicht zwingend weiter, vor allem wenn dieser Versucht zu erklären, dass man ja nur verrückt sei. Wenn sich die Menschen mit ihren Symptomen dann dem Internet zuwenden, dann stossen sie dort auf eine Community die an den gleichen Symptomen leidet, der Krankheit einen Namen gegeben hat. Und wie das „Fringe” in der Grafik schon zeigt muss es sich dabei eben nicht um faktenbasierte Medizin handeln.

In der Veröffentlichung benennen die Autoren die Idee der Parasiten unter der Haut als das eigentliche Pathogen, während das Internet als Vektor bei der Verbreitung der Idee beiträgt. Als Wirt für die Idee fungieren die Menschen, die auf der Suche nach einer Erklärung für ihre Symptome sind. In einer Umgebung in der Ärzte und die Medizin es nicht schaffen den Patienten eine Erklärung zu liefern wenden sich die Patienten dann alternativen Ideen aus dem Internet zu. Und da scheint die Erklärung Morgellons ein ziemlich starkes Meme zu sein.

Um den an Morgellons Disease (bzw. den an Dermatzoenwahn) Erkrankten zu helfen schlagen die Autoren vor, dass die Ärzte es vermeiden sollten ihre Patienten davon überzeugen zu wollen, dass sie an Wahnvorstellungen leiden. Stattdessen sollten sie auf ihre Patienten eingehen und vorschlagen, dass man es zumindest mit einer Antipsychotika versuchen sollte. Oder wie der Neuroskeptic zu schön formuliert:

Rather, they say, doctors should just suggest that maybe there’s something else going on, and should prescribe a treatment on that basis. Not rejecting the patient’s beliefs but saying, maybe you’re right, but in my experience this treatment makes people with your condition feel better, and that’s why you’re here, right?

Bild: Aus der Publikation

Freudenreich O, Kontos N, Tranulis C, & Cather C (2010). Morgellons disease, or antipsychotic-responsive delusional parasitosis, in an hiv patient: beliefs in the age of the internet. Psychosomatics, 51 (6), 453-7 PMID: 21051675
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Veröffentlicht von

Bastian hat seinen Bachelor in Biologie in nur 8 statt 6 Semestern abgeschlossen. Nach einem kurzen Informatik-Studiums-Intermezzo an der TU Dortmund hat es ihn eigentlich nur für ein Stipendium nach Frankfurt am Main verschlagen. Dort gestrandet studiert er dort nun im Master-Programm Ökologie und Evolution. Zumindest wenn er nicht gerade in die Lebensweise der Hessen eingeführt wird. Neben seinen Studiengebieten bloggt er über die Themen, die gerade in Paperform hochgespült werden und spannend klingen.

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