Ein Herz für Blattläuse!

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researchblogging Philipp sagt Philipp sagt:
Denn sie sind cool.

Vor diesem Paper dachte ich, Blattläuse wären nur die Milchkühe von Ameisen – jetzt seh ich das aber ganz anders. Zum Beispiel wusste ich gar nicht, dass es staatenbildende Blattläuse gibt – wie z.B. Tuberaphis styraci (die so heißen, weil sie auf dem Baum Styrax obassia leben).
Blattläuse pflanzen sich über Parthogenese fort, das heißt es gibt nur „Mütter“, die unbefruchtete Eier legen, aus denen dann Klone der Mutter schlüpfen, die dann auswachsen und sich wiederum klonen.
Bei Tuberaphis dagegen bleiben manche Jungtiere in ihrer Entwicklung stehen – diese werden zu Soldaten, die die anderen, für die Reproduktion wichtigen Jungtiere beschützen; und dass, obwohl sie ja die gleichen Gene wie die Arbeiter haben!

Laus
Soldaten in Action (Quelle)

Genetischer Hintergrund dieser Entwicklung ist eine spezifische Protease, Cathepsin B, welche von den Soldaten bei einem Angriff in Fressfeinde injiziert wird und diese von innen verdaut (ähnlich läufts bei Spinnen auch – allerdings ernähren sich die Soldaten nicht von der fertig verdauten Masse).
In der genetischen Entwicklung von Soldaten wird das Gen, welches für die Protease kodiert bis zu 2000 mal höher angeschaltet als bei normalen Arbeitern. Die Arbeiter benötigen dieses Enzym nicht für ihre Nahrung, da Pflanzensaft wenig bis gar keine Proteine enthält, sondern eher verschiedene Zucker wie Glucose.

In der Veröffentlichung wird der evolutionäre Hintergrund dieser Entwicklung beleuchtet, Tuberaphis wird mit anderen sozial-ausgerichteten Blattlaus-Gattungen wie Astegopteryx und Cerataphis verglichen und mögliche grundlegende Mechanismen werden aufgezeigt.
Astegopteryx sowie Cerataphis haben das Gen nämlich auch – bei ihnen gibt es jedoch keine erhöhte Genexpression, was die Forscher darauf schließen lässt, dass sich der Mechanismus erst entwickelt hat, als die Gattung Tuberaphis entstand.
Als grundlegendes Modell für die Evolution nennen sie Ohnos Modell der Genduplikation:
Auf bestimmten Genen liegen bestimmte Selektionsdrücke – es hat für mich wesentlich fatalere Folgen, wenn mein Hämoglobin für den Sauerstofftransport nicht mehr funktioniert, als wenn ich Verdauungsproteine für Milchzucker nicht mehr herstellen kann (letzeres stellt sogar einen gewissen Vorteil dar, sorgt es doch in gewissen Männerrunden immer für Erheiterung).
Kommt es jetzt im Laufe der Evolution zu einer Genduplikation, d.h. ich habe nach einem Ereignis zwei identische Kopien des gleichen Genes, so kann eine Kopie fröhlich und schnell vor sich hin mutieren – die andere Ausgabe wird sich ja um die lebenswichtige Funktion kümmern. Unsere mutierende Kopie kann so wesentliche neue Funktionen erhalten, wie es wahrscheinlich bei unserer Protease passiert ist – wo kommt die Protease allerdings her?
Die Forscher argumentieren, dass sie schon uralt sein muss (wohl 80-150 Millionen Jahre), da sie in allen möglichen, auch weiter entfernten nicht-sozial lebenden Gattungen wie Tuberaphis citricida vorkommt (dort allerdings ausgeschaltet), und dass die stark erhöhte Genexpression anscheinend schon vor dem Einsatz als Waffe vorkam. Warum können sie allerdings noch nicht sagen.

Zusammenfassend sieht man hier den genetischen Hintergrund der Evolution von manchen sozialen System – ähnliche Mechanismen wurden z.B. für die Entstehung von Gelée royale bei Honigbienen (hier, ist kostenlos) oder der Entwicklung von Antifungiziden für Pilzkolonien in Termitenstaaten (hier, auch kostenlos) entdeckt.

P.S.: Schön, so kleine Details aus dem Forscheralltag: „Attacks by soldiers of these social aphids to human skin cause unpleasant itch (T. Fukatsu, personal observations)“


M. Kutsukake, N. Nikoh, H. Shibao, C. Rispe, J.-C. Simon, T. Fukatsu (2008). Evolution of Soldier-Specific Venomous Protease in Social Aphids Molecular Biology and Evolution, 25 (12), 2627-2641 DOI: 10.1093/molbev/msn203

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Philipp hat einen Bachelor in Biologie, ein Graduate Certificate in IT und studiert momentan für seinen Master in IT in einem übertrieben großen Land voller Spinnen und Schafe. Für die Bierologie schreibt er zumeist über Biologie, Evolution und allem was an den Rändern der Gebiete noch so angeschwemmt wird.

1 Kommentar

  1. Konsequenzen für die Blattlausbekämpfung

    Vielen Dank für den sehr interessanten Artikel! Bisher wusste ich noch nicht, dass Blattläuse tatsächlich “Soldaten” rekrutieren, die ihre Kollegen vor Feinden beschützen. Trifft dies auch für die üblichen Blattlausarten in Deutschland zu? Das wäre ja besonders bei der Blattlausbekämpfung interessant, wo doch häufig die natürlichen Feinde der Blattläuse gegen die Schädlinge eingesetzt werden, beispielsweise der Marienkäfer. Würden sich die Blattläuse hier entscheidend wehren, wäre diese Form der Bekämpfung sicherlich weniger wirkungsvoll. Allerdings habe ich von so einem Fall hierzulande noch nicht gehört.

    Ebenfalls die angesprochene Mutation, auch dies hätte ja sicherlich Konsequenzen auf die Wirksamkeit einiger Mittel gegen Blattlläuse. Oder handelt es sich hierbei eher um eine seltene Beobachtung nur einer bestimmten Art der Blattlaus?

    Viele Grüße

    Christian

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