Die Gesetze der Evolution und die Religion II

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Im letzten Beitrag habe ich mir angeschaut wieso die Evolution eben nicht nur diejenigen genetischen Varianten fixiert, welche ihrem Träger einen Fitness-Vorteil verschaffen. Der Grund dafür ist genetischer Drift, ein Zufallsprozess der endlich großen Populationen auftritt. Daher kann man nicht daraus schliessen das eine Eigenschaft automatisch einen Selektionsvorteil verschafft hat, nur weil man sie über eine lange Zeit findet. In dem Kommentaren zu dem Artikel hat Michael Blume dann weiter ausgeführt welche Belege es dafür gibt das Religiosität adaptiv ist bzw. war. Warum diese Belege aber keineswegs so eindeutig für einen adaptiven Nutzen von Religiosität sprechen soll heute mal dargestellt werden. Kurz gesagt geht es immer noch um die Tatsache das eine Korrelation keinen Kausalzusammenhang abbilden muss. Genauer geht es um das Phänomen des Linkage Disequilibrium, welches dem einen oder anderem aus meinen Artikeln zu Assoziationsstudien bekannt sein dürfte.

Aber erstmal eine kurze Zusammenfassung des Arguments: Durch Zwillingsstudien hat man zeigen können das Religiosität nicht nur von der Umwelt abhängig ist sondern auch eine genetische Komponente hat. Wie so oft ist es das Zusammenspiel von Nature und Nurture die zu einer Merkmalsausprägung führen. Wie groß der genetische Einfluss auf Religiosität genau ist schwankt von Studie zu Studie und hängt unter anderem auch davon ab wie man Religiosität misst. Michael argumentiert darauf hin damit das nach Studien religiöse Menschen im Schnitt mehr Nachkommen hätten als Nicht-Religiöse. Schon bei dieser vermeintlich einfachen Feststellung muss man allerdings aufpassen.

Wie viele Nachkommen man so hat korreliert nämlich nicht nur mit der Religiosität sondern auch mit dem Bildungsabschluss, dem Einkommen, dem IQ und vermutlich noch mit einer ganzen Reihe anderer Faktoren. Und genauso gibt es Studien die zeigen das je höher der IQ ist, desto weniger religiös sind Menschen. Wenn der IQ genauso negativ mit der Anzahl an Kindern korreliert, dann könnte es sein das die Ursache warum religiöse Menschen mehr Kinder haben allein darin liegt und die Religiosität damit gar nichts zu tun hat. Generell ist hier wegen der ganzen Korrelationen der verschiedenen Dinge untereinander Vorsicht geboten. Laut Michael gibt es aber Studien die für genau solche Co-Faktoren korrigiert haben und auch danach noch den von ihm benannten Zusammenhang von Religiosität und Anzahl an Kindern (Leider habe ich auf die Studien die er benennt zum Großteil keinen Volltext-Zugriff, vor allem nicht auf Buchkapitel).

Ist das nun der Beweis dafür das Religiosität einen Fitness-Vorteil (mehr Kinder in der nächsten Generation) verspricht? Nein, denn wie schon erwähnt: Auch dies ist nur eine Korrelation und gerade die Genetik kennt mit dem Linkage Disequilibrium (zu deutsch in etwa Kopplungs-Ungleichgewicht) einen Mechanismus der solche Korrelationen leicht erklären kann. Der Grund dafür liegt auf molekularer Ebene: Erst einmal sind wir alle ja genetische Archen und tragen von jeder Art (Chromosom) zwei Stück an Bord, das was der Biologe gemeinhin als diploid bezeichnet. Gene die sich auf einem Chromosom befinden sind werden nicht wirklich unabhängig voneinander vererbt, weil sie gemeinsam als eine Einheit in die nächste Generation gebracht werden. Sie sind also miteinander gekoppelt bzw. statistisch voneinander abhängig.

Ganz abhängig voneinander sind sie allerdings nicht, denn wir dürfen Sex nicht außer acht lassen. Damit unsere Nachkommen auch wieder nur 2 Kopien von jedem Chromosom tragen, findet zur Produktion von Spermien und Eizellen eine Reduktionsteilung, die Meiose, statt. Dabei lagern sich die beiden Kopien der Chromosomen zusammen an um dann ordentlich getrennt zu werden, so das später beide entstehenden Zellen jeweils genau eine Kopie eines Chromosoms haben. Dabei kann es zum Crossing Over kommen. Dabei überlappen die Chromosomen teilweise und tauschen so einen Teil miteinander aus.

Das bedeutet das Gene auf einem Chromosom nicht mehr zwingend voneinander abhängig sind: Denn je näher 2 Gene auf einem Chromosom zusammenliegen desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit das ein Crossing Over genau an dieser Stelle stattfindet. Die Austauschwahrscheinlichkeit für ein Crossing Over ist also eine Funktion der Distanz die zwischen beiden Genorten liegt. Je näher die beiden Gene zusammenliegen desto größer wird in der Regel auch das Linkage Disequilibrium sein, da eine Trennung der beiden Genorte sehr unwahrscheinlich ist.

Genau diese Mechanismen macht man sich zum Beispiel bei genetischen Assoziationsstudien zu nutze: Die dort untersuchten Marker liegen oft nicht in Genen oder Kontrollregionen selbst und haben damit keinen eigenen Nutzen, sondern liegen oft nur in der Nähe von Genen die einen interessieren. Da sie so nah beieinander liegen sind sie miteinander gekoppelt und können so z.B. relativ einfach Aufschluss darüber geben wie die Regionen in näheren Umgebung aussehen. Ein bekanntes und schönes Beispiel dafür ist das Genom von James Watson. Bei der Veröffentlichung seines Genoms hatte er Bereiche, die sein Risiko an Alzheimer zu erkranken vorhersagen, schwärzen lassen. Trotzdem: Durch die Kenntnis der umliegenden Bereiche, welche nicht geschwärzt wurden, konnte man dank des Linkage Disequilibrium vorhersagen wie Watsons Alzheimer-Risiko ist.

So weit zu den genetischen Grundlagen, aber was hat das mit der eventuell adaptiven Rolle der Religiosität zu tun: Nun, in keinem Fall muss Religiosität selbst für eine erhöhte Anzahl an Nachkommen verantwortlich sein. Genauso gut kann das “Religiositäts-Gen”, bzw. wahrscheinlicher, können die verschiedenen Genorte die für Religiosität verantwortlich sind, in der Umgebung von Genen liegen die im Zusammenhang mit Fertilität stehen. Aber wie kommt es dann dazu das Religiosität so weit verbreitet ist und eventuell sogar sehr zuverlässig mit Fertilität verknüpft ist? Auch dafür kennt die Evolutionsbiologie einen Mechanismus, die sogenannten Selective Sweeps. Als Beispiel gehen wir – weil ich zeichenfaul bin – von einer Population von fünf Individuen, nummeriert von eins bis fünf, aus. Die Grafik zeigt jeweils einen DNA-Abschnitt, und zu Beginn tragen die Individuen 4 und 5 “das Gen für Religiosität”, welches für das Beispiel hier als neutral – also ohne Einfluss auf die Fitness – angesehen werden kann.

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Nehmen wir an in der Nähe dieses Genortes für Religiosität entsteht eine zufällige Mutation, welche einen Fitness-Vorteil erbringt. Für das Beispiel hier benutzen wir mal ganz platt “Fertilität” als neue Mutation, aber im Endeffekt könnte das alles sein was dafür sorgt mehr Nachkommen zu zeugen als die anderen Mitglieder der Population, der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt.
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Da die neue Mutation einen Fitness-Vorteil bringt verbreitet sie sich durch die Population und wird fixiert. Und da der Gen-Ort für die Religiosität so nah an dem fitnessbringenden Genort liegt wird sie nicht durch Crossing Over getrennt, sondern wird komplett mit fixiert. Natürlich gelten hier die gleichen Einwände zum Drift: Die Fixierungswahrscheinlichkeit unseres Gen-Paares hängt also von der Größe des Fitness-Vorteils und von der Populationsgröße ab. Ein Selective Sweep kann aber auch in größeren Populationen passieren.
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Das HapMap-Consortium hat vor einigen Jahren das menschliche Genom auf Selective Sweeps untersucht und dabei 6 verschiedenen Chromosomen Regionen gefunden die Anzeichen eines solchen Sweeps zeigen. Für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen biologischer Fitness und Religiosität bedeutet dies vor allem eins: Selbst wenn wir unsere statistischen Untersuchungen von Religiosität und Nachkommenzahl für alle Co-Faktoren bereinigen haben bleibt ein Problem. Wir können nicht unterscheiden ob dieser Zusammenhang kausal auf der Religiosität basiert oder ob unsere evolutionäre Geschichte die entsprechenden genetischen Faktoren der Religiosität schlicht mit anderen, fitness-bestimmenden Genorten gekoppelt hat. Ohne eine Untersuchung auf genetischer Ebene wird man dem Problem dementsprechend vermutlich auch nicht beikommen können.
Hinweis: Da es beim letzten Artikel schon von einigen falsch verstanden wurde: Es geht nicht darum ob Religiosität jetzt evolutionär adaptiv ist oder nicht. Es geht schlicht um Methodik und woran die Studien bislang kranken.

Literatur:
The International HapMap Consortium, . (2005). A haplotype map of the human genome Nature, 437 (7063), 1299-1320 DOI: 10.1038/nature04226
Nyholt, D., Yu, C., & Visscher, P. (2008). On Jim Watson’s APOE status: genetic information is hard to hide European Journal of Human Genetics, 17 (2), 147-149 DOI: 10.1038/ejhg.2008.198

Veröffentlicht von

Bastian hat seinen Bachelor in Biologie in nur 8 statt 6 Semestern abgeschlossen. Nach einem kurzen Informatik-Studiums-Intermezzo an der TU Dortmund hat es ihn eigentlich nur für ein Stipendium nach Frankfurt am Main verschlagen. Dort gestrandet studiert er dort nun im Master-Programm Ökologie und Evolution. Zumindest wenn er nicht gerade in die Lebensweise der Hessen eingeführt wird. Neben seinen Studiengebieten bloggt er über die Themen, die gerade in Paperform hochgespült werden und spannend klingen.

44 Kommentare

  1. kranke Studien

    Studien und Untersuchungen, welche davon ausgehen, dass Religiosität genetisch verankert sei, sind fragwürdig – wenn Religiosität durch soziale Kommunikation entsteht.
    Die Überlegungen über Mutationen sind deshalb nur dann sinnvoll, wenn die genetische Veranlagung für Religiosität eindeutig sicher dokumentiert ist. Und dies ist bisher noch nie geschehen.
    Bloß weil man weiß, wie Mutationen erfolgen, kann man daraus keine Rückschlüsse über Religiosität ableiten.
    Zumindest mit wissenschaftlicher Denkweise hat dies nichts zu tun.

  2. Interessant, zu biologisch argumentiert

    Religiosität hat eine genetische Komponente und ist empirisch mit hoher Nachommenzahl korreliert.

    Dem obigen werden die meisten zustimmen. Was in diesem Artikel aber sonst noch aufgetischt wird an genetischen Mechanismen hat mit grosser Wahrscheinichkeit nichts mit den oben genannten Phänomen zu tun, sondern ist nur ein Versuch, Wissen über genetische Mechanismen auf etwas was man kennt anzuwenden.

    Zuerst müsste man aber einmal fragen, was Religiosität ist und vor allem welche Art von Religiosität zu grösserem Kindersegen führt. Es gibt nämlich verschiedene Formen von Religiosität. Ich vermute, diejenige, die zu hohem Kindersegen führt, beruht auf der Bildung von Gemeinschaften von Menschen, die nach aussen als Einheit auftreten und die die Kraft dieser Einheit gerade über ihren reichen Nachwuchs beweisen wollen. Also ein kollektives Phänomen, vielleicht das Analogon zur Bildung von Ameisenstaaten. Weil diese Art von Religiosität aber ein soziales Phänomen ist, ist anzunehmen, dass viele Gene daran beteiligt sind und dass es viel komplizierter ist als oben beschrieben. Der Autor Bastian Gershake stellt hier sowieso nur Gedankenexperimente an und zeigt, dass Faktoren wie zufällig gleiche Chromosomenlokalisation erklären warum etwas zusammen geschieht obwohl es keine kausale Verknüpfung gibt.

    Es gibt für mich jedoch mit Sicherheit eine kausale Beziehung zwischen der durchschnittlichen Anzahl der Nachkommen und der sozialen Situation der Eltern. Und zwar nicht nur für Religiöse, schlichtweg für fast alle Menschen. Dass in Italien und Deutschland so wenig Kinder geboren werden ist nicht genetisch bedingt, weder durch Korrelation noch durch Kausalität, sondern es ist sozial bedingt. Und religiöse Gemeinschaften – so sie denn wirken – schaffen ein anderes soziales Umfeld in dem der Kinderwunsch von der Umgebung – gegen die sich solche Gemeinschaften oft abgrenzen – abweichen kann.

  3. Interessant

    Hallo Bastian,

    das ist ja ein interessanter Blogpost. Ich finde es auch beeindruckend, wie sehr Du und andere mit den Befunden ringen und allerhand Ausweichnarrative ersinnen. Wo ist nur Ockhams Rasiermesser geblieben? 😉

    Fairerweise möchte ich darauf hinweisen, dass wir in “Gott, Gene und Gehirn” ein ganzes Genetik-Kapitel hatten, an dessen Aussagen sich zum Beispiel Prof. Zankl (Humangenetik) nicht gestört hat:
    https://scilogs.spektrum.de/…l-zu-gott-gene-und-gehirn

    Aber gegen weitere Hypothesenbildung spricht ja m.E. gar nichts, wenn sich mir die Logik auch noch nicht ganz erschließt: Wenn Du doch zum Beispiel die Befunde der Zwillingsstudien und die Entstehung bzw. Verbreitung von religiösem Verhalten nicht mehr abweisen kannst, wie passt das dann zu den Selective Sweeps? Warum die bemühten Versuche, doch irgendwie um das Offensichtliche drum herum zu kommen?

    Naja, wie geschrieben: Ich finde es klasse, wenn sich auch noch mehr Genetiker in die Evolutionsforschung zur Religion einbringen, gerne auch mit immer neuen Hypothesen. Vielleicht interessiert Dich auch folgender Beitrag von Razib Khan von GenExpression?
    http://blogs.discovermagazine.com/…ish-machines/

    Zur Frage Religion – IQ – Bildung hier Daten der Auswertung der Schweizer Volkszählung, die z.B. aufzeigen, dass sowohl Schweizer Juden wie auch einige christliche Gruppen höhere Akademikeranteile als die Konfessionslosen und doch fast doppelt soviele Kinder aufweisen:
    http://www.blume-religionswissenschaft.de/…9.pdf

    Auch in den IQ-Studien (denen ich skeptisch gegenüberstehe, von denen Du aber viel zu halten scheinst) schneiden die aschkenasischen Juden jeweils an der Spitze ab – und weisen zugleich sehr hohe Geburtenraten auf, wenn sie fromm sind.

    Auch hier nochmal eine Volkszählungs-Auswertung nach Bildungsabschlüssen “und” die qualitative Beschreibung der hohen Amish-Geburtenrate. Es stimmt einfach nicht, dass wir den Reproduktionseffekt nur über Korrelationen beschreiben, sondern längst auch über Fallstudien:
    http://www.blume-religionswissenschaft.de/…y.pdf

    (Die Demografie kennt keine Hypothesen, die die hohen Geburtenraten der Old Order Amish, Haredim, Mormonen etc. ohne den Einbezug der religiösen Lehren erklären könnte. Umgekehrt gibt es keine dauerhaft kinderreichen, nichtreligiösen Populationen. Von “nur Korrelationen” kann nun empirisch wirklich keine Rede mehr sein…)

    Naja, Dir alles Gute und viel Freude beim Weiter- und Mitforschen – auch wenn ich verstehe, dass es vielen nicht leicht fällt, sich dem Thema ohne Ressentiments zu nähern! Wie Du siehst, ist es ein wirklich spannendes Forschungsfeld, an dem sich viel entdecken lässt. Würde mich freuen, wenn Du dran bleibst.

  4. Ockham’s Razor

    … heißt nicht, die erste blöde, simplifizierte und völlig unscharfe Hypothese, die man gerade noch selbst verstehen kann, als korrekt anzuerkennen.

    Wer schon Probleme hat, die einfachsten Grundlagen wissenschaftlicher Arbeit anzuerkennen, sollte sich zumindest aus Fachgebieten heraushalten, die ein wenig technischer sind als Kultur’wissenschaft’. Da wirft ein Herr Doktor Blume unzählige Begriffe fröhlich durcheinander, tut so, als wäre er der große Biologe und scheißt dann die Fachleute an, wenn sie ihm Fehler nachweisen und alternative Erklärungsmodelle auf dem Tablett servieren. Das ganze dann noch garniert mit großväterlichem Kopftätscheln. Bah!

    Verdammt noch eins, reißen Sie sich endlich zusammen und versuchen Sie Wissenschaft zu treiben. Schauen Sie Alternativen an, bewerten Sie diese anständig, wägen Sie ab, anstatt sich immer nur darauf zurückzuziehen, dass alle anderen dumme Atheisten wären!

  5. Hallo Michael,

    Ich finde es auch beeindruckend, wie sehr Du und andere mit den Befunden ringen und allerhand Ausweichnarrative ersinnen. Wo ist nur Ockhams Rasiermesser geblieben? 😉

    So schön Ockham und sein Rasiermesser auch sein mögen, es ersetzt keinen Hypothesen-Test. Davon abgesehen ist das einfachste Modell nicht immer das richtige, die Evolution verläuft nun einmal nicht immer entlang des sparsamsten Weges. Die Taxonomie ist voll von Beispielen in denen die vermeintlich einfachste Erklärung die falsche ist.

    Aber gegen weitere Hypothesenbildung spricht ja m.E. gar nichts, wenn sich mir die Logik auch noch nicht ganz erschließt: Wenn Du doch zum Beispiel die Befunde der Zwillingsstudien und die Entstehung bzw. Verbreitung von religiösem Verhalten nicht mehr abweisen kannst, wie passt das dann zu den Selective Sweeps? Warum die bemühten Versuche, doch irgendwie um das Offensichtliche drum herum zu kommen?

    Du wirfst hier 2 Dinge in einen Topf: 1. Das Religiosität eine genetische Basis hat und 2. die Frage ob Religiosität evolutionär adaptiv ist. Dieser (und auch der letzte Beitrag) waren Beispiele dafür das etwas nur weil es eine genetische Ursache hat nicht zwingend adaptiv ist. Stephan Schleim hatte in den Kommentaren zum letzten Artikel ja ein paar Beispiele genannt: Genetisch (mit-)bedingte Krankheiten die zum Teil in erstaunlich großen Anteilen der Bevölkerung vorkommen. Als Beispiel sei der Prostatakrebs genannt über den ich vor kurzem gebloggt habe.

    Bislang fehlt schlicht ein Nachweis dafür die genetische Basis der Religiosität in irgendeiner Weise aus sich selbst heraus einen Selektionsvorteil erbringt.

    Deshalb ganz generell: Wenn man sich darauf verständigt das Religiosität genetische Ursachen hat, dann reicht es nicht anzunehmen das die Religiosität einen adaptiven Vorteil erbringt. Stattdessen muss man diesen Sachverhalt auch mit den Methoden der (Populations-) Genetik in der Tiefe erforschen. Gerade weil es Phänomene wie Drift, Linkage Disequilibrium und Selective Sweeps gibt reicht es nicht einfach nur mit der Parsimonie zu argumentieren.

    Die Evolutionsbiologie und (Populations-) Genetik hat mittlerweile einen ganzen Werkzeugkoffer voll von Methoden mit denen man entsprechende Kandidatengene finden und auf LD untersuchen sowie auf Anzeichen für positive Selektion testen könnte (über ein Beispiel dafür habe ich hier gebloggt: https://scilogs.spektrum.de/…seegr-ser-zur-ck-ins-meer).

  6. @Dierk

    Es würde Dir nicht schaden, Dir eine angemessenere Sprache anzugewöhnen – wir sind hier nicht mehr auf dem Schulhof und Du brauchst hier auch keinen Gorilla markieren.

    Und zur Zusammenarbeit mit der Biologie nur mal soviel: Ich habe u.a. “Gott, Gene und Gehirn” gemeinsam mit einem Biologen geschrieben, wurde u.a. als Vortragender zum Jahreskongress der European Society for Evolutionary Biology eingeladen und von David Sloan Wilson gebeten, den Religionsbereich bei “Evolution – This View of Life” zu übernehmen. Hier unser Gespräch (Du kannst doch Englisch, oder?)
    https://scilogs.spektrum.de/…ch-mit-david-sloan-wilson

    Und in Sachen “Doktor Blume”: Ich bin nicht Schuld daran, dass es bei Dir mit der Promotion nicht geklappt hat. Also hör doch einfach auf, mich und andere Scilogger und Kommentatoren in unangemessenen Ton anzupampen. Muss nicht sein und wirkt nur peinlich, Dierk.

  7. @Bastian: Adaptivität

    Lieber Bastian,

    also, ich verwende die Fitness-Definition nach Graws “Genetik”:
    “Fitness ist ein Maß für den relativen Fortpflanzungserfolg eines bestimmten Genotyps in einer bestimmten Umwelt.”
    https://scilogs.spektrum.de/…-fitness-und-religiosit-t

    Adaptiv seien Merkmale, die die Fitness zu erhöhen vermögen. Und ich habe auf dieser Basis bislang wunderbar mit allerhand Biologinnen und Biologen zusammen arbeiten können. Prof. Zankl hatte ich ja schon erwähnt, auch Prof. Wuketits hatte im Bezug auf “Gott, Gene und Gehirn” Lob:
    https://scilogs.spektrum.de/…s-zu-gott-gene-und-gehirn

    Darf ich nachfragen: Wie genau definierst Du “Fitness” und “adaptiv”?

  8. Ähem

    Mag sein, daß Sie “Gott, Gene & Gehirn” gemeinsam mit einem studierten Biologen geschrieben haben. Nur, was man doch der Vollständigkeit halber erwähnen sollte: dieser Biologe (Rüdiger vaas) distanziert sich ganz unmißverständlich von Ihren Thesen. Man schaue in seine Kommentare zu diesem Artikel. Jener Diskussions-Thread ist überhaupt ziemlich aufschlußreich 🙂

  9. Guten Morgen Michael,
    an den Definitionen habe ich nichts auszusetzen. Aber sie enthalten sogar das Problem welches die Studien die du zitierst alle haben

    Fitness ist ein Maß für den relativen Fortpflanzungserfolg eines bestimmten Genotyps in einer bestimmten Umwelt

    Das Problem ist das sich noch niemand den Genotypen angeschaut hat. Stattdessen schaut man sich immer einen Phänotypen, Religiosität, an und korreliert diesen mit der Fitness. Damit hat man aber eben noch keinen kausalen Zusammenhang ob der/die Genotyp(en) für Religiosität tatsächlich aus sich selbst Fitnesssteigernd sind.

  10. Lobhudelei

    Darf ich einfach mal anmerken, wie genial ich diesen Artikel finde? Er beginnt mit einer Kritk an einer unzureichend belegten These von Michael Blume, bleibt aber dort nicht stehen, sondern nimmt das zum Aufhänger für eine ausführlichere Erläuterung genetischer Zusammenhänge.

    Einer der besten Blogbeiträge, die ich seit langem gelesen habe.

  11. Das Hauptproblem liegt wohl darin, dass Herr Blume niemals zwischen den biologischen vererbbaren Fähigkeiten, wie z. B. der Imagination, und ihrer kulturellen Ausprägung, der Religiosität, unterscheidet. Dadurch entsteht ein theologisches Verwirrspiel.

    Auch Atheisten können sich Götter, Osterhasen und über-empirische Weihnachtsmänner vorstellen, oder sich von Fantasiewelten, wie Harry Potter und Avatar einnehmen lassen. Der Unterschied liegt nicht in der genetischen oder neuronalen Grundausstattung, sondern in der Verwendung der Gefühle und imaginierten Helfer.
    Atheisten können solche Fantasien auch zeitlich begrenzt genießen. Sie lehnen die Produkte unserer Fantasie aber als Argumentations- und Lebensgrundlage ab. Götter und andere Fantasien sind für sie kein Argument für Landraub, Diebstahl und Scheiterhaufen.

    Religiosität und reproduktiver Erfolg können auch gemeinsame biologische Ursachen haben. Es sind eventuell die Illusionen und die damit verbundenen ausgelebten Egoismen, die den reproduktiven Erfolg von imaginierenden Menschen ausmachen.

    Nur das hat dann mit Religionswissenschaft nichts mehr zu tun. Daher darf diese Verwirrspiel wohl nicht enden;-)

  12. @Bastian: wirklich gut

    “Wir können nicht unterscheiden ob dieser Zusammenhang kausal auf der Religiosität basiert oder ob unsere evolutionäre Geschichte die entsprechenden genetischen Faktoren der Religiosität schlicht mit anderen, fitness-bestimmenden Genorten gekoppelt hat. Ohne eine Untersuchung auf genetischer Ebene wird man dem Problem dementsprechend vermutlich auch nicht beikommen können.”

    Ich schließe mich Joachims Einschätzung an: Deine beiden posts sind ein echter Fortschritt.

    Danke.

  13. @ Bastian

    …linkage schön und gut – aber es gibt doch unter Garantie tausende von Genen auf verschiedensten Chromosomen, die für “Fertilität” oder “Relgiosität” relevant sind. Und deren stete Kopplung ist nun eher unwahrscheinlich.

    Eher doch kommt Pleiotropie in Frage: das nämliche genetische Netzwerk, das uns fortpflanzungsfreudig macht, könnte uns ja auch sozial so “justieren”, dass wir uns in Glaubensgemeinschaften Gleichgesinnter wohlfühlen.

  14. @Elmar & Joachim: Danke!

    @Helmut: Sicherlich eine Möglichkeit. Ich will auch LD gar nicht als das die alleinig seligmachende Alternative hinstellen. Ich will nur darauf aufmerksam machen das die Zusammenhänge eben nicht so simpel sind wie sie manchmal hingestellt werden und Korrelationen nicht als alleinige Beweisführung taugen. LD ist ein solcher Grund. 

  15. »Selbst wenn wir unsere statistischen Untersuchungen von Religiosität und Nachkommenzahl für alle Co-Faktoren bereinigen haben bleibt ein Problem. Wir können nicht unterscheiden ob dieser Zusammenhang kausal auf der Religiosität basiert oder ob unsere evolutionäre Geschichte die entsprechenden genetischen Faktoren der Religiosität schlicht mit anderen, fitness-bestimmenden Genorten gekoppelt hat.«

    An Michael Blumes Stelle hätte ich mich über diesen Beitragrichtig gefreut. Denn hier hätten wir einen biologischen Mechanismus, der erklären könnte, wie Religiosität und erhöhter Reproduktionserfolg zusammenhängen.

    Vorausgesetzt natürlich, dass Religiosität tatsächlich genetisch derart basiert ist, dass so etwas überhasupt funktionieren kann.

    Aber nach Ansicht der evolutionären Religionswissenschaft wirkt die Religiosität ohnehin über das Sozialverhalten (religiöse Vergemeinschaftungen, kulturelle Wertvorstellungen) fertilitätsfördernd. Da braucht es also nichts weiter als die genetisch basierte Religiosität, die zudem mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vererbbar sein muss, um eine evolutionäre Ausbreitung der Religiosität zu ermöglichen.

    Und nach allem was wir wissen, ist eine genetische Basierung recht wahrscheinlich, in welcher Form auch immer (auch der Erwerb der Religiosität im Laufe der Entwicklung kann ja nur funktionieren, wenn entsprechende physische Strukturen vorab vorhanden sind).

  16. Korreliertes

    “Kurz gesagt geht es immer noch um die Tatsache das eine Korrelation keinen Kausalzusammenhang abbilden muss.”

    Wird hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet?

    Spätestens seit David Hume wissen wir, dass Kausalität selbst sich nie streng beweisen lässt. In der Praxis unterstellen wir einen kausalen Zusammenhang aber schon wenn wir

    A) ein plausibles Modell haben (oder eine entsprechende Theorie) und
    B) eine für hinreichend befundene Anzahl empirischer Belege für das Modell ( bzw. die Theorie).

    Dass ein (jedes) Modell fallibel ist, hält uns in vielen Fällen nicht davon ab von Kausalzusammenhängen zu sprechen, obwohl wir streng genommen dies eigentlich niemals dürften!

    In dem zur Diskussion stehenden Fall, genetische Bedingtheit von Religiosität, sollten wir daher fairerweise auch nur den üblichen Maßstab verwenden, keinen strengeren und schon gar nicht auf eine (nie gänzlich zu erbringende) Verifikation der Theorie bestehen. Die Frage ist demnach, sind die von Michael Blume herangezogenen Belege so stichhaltig, wie die Belege, die wir in anderen Fällen bereit sind zu akzeptieren, um von genetischer Bedingtheit von phänotypischen Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu sprechen.

    Zunächst scheint Michael Blume ja sowohl A) als auch B) erfüllen zu können. Er berücksichtigt durchaus, dass “Korrelationen nicht als alleinige Beweisführung taugen”.

    Wir könnten seine Theorie zur Religiosität vergleichen mit evolutionären Theorien zur Entstehung von Sprachkompetenz, Altruismus, Intelligenz oder zu bestimmten Charaktereigenschaften, wie der Neigung zu aggressivem Verhalten. Wo genau sind seine Belege weniger überzeugend?

    Die in vielen Beiträgen geäußerte Ansicht, dass seine Theorie wenig überzeugend sei, scheint mir einer gewissen inneren Abneigung der Kommentatoren gegen deren Konsequenzen zu entspringen und ist für sich alleine gesehen, ohne aufschlussreichere Vergleiche, auch wieder wenig überzeugend.

    Da noch nicht beantwortet, wiederhole ich hier noch mal eine meiner Fragen aus dem letzten Blog:

    Wie schnell kann sich ein vermeintlich genetisch fixiertes Merkmal in einer Population ändern – die heutigen Atheisten, sind das alles Mutanten?

  17. @ Joker

    Genauso gut könnte man fragen, ob die Reformation auf Mutationen zurückzuführen ist. Oder die Ausbreitung des Christentums in der Spätantike. Oder die des Islams im Mittelalter. Oder …
    Nur um mal die offensichtliche Absurdität der Argumentation zu veranschaulichen.

  18. @Joker

    “Wie schnell kann sich ein vermeintlich genetisch fixiertes Merkmal in einer Population ändern – die heutigen Atheisten, sind das alles Mutanten?”
    Verhaltensmerkmale wie die Fluchtdistanz von Tieren können in wenigen Generationen selektiver Zucht drastisch verändert werden.
    (http://www.wdr.de/…raege/2006/0606/004_hunde.jsp)
    Ob ein Mensch vor einer Erfahrung flieht, oder nach Erklärungen sucht, ob er leichtgläubig ist oder Angst hat, von anderen übervorteilt zu werden, all dies hat eine komplexe genetische Komponente. Ist es sinnvoll, aus der Fülle geistiger Merkmale die “Religiosität” herauszulösen und separat zu betrachten?

  19. @Joker: Ich lege keine strengeren Massstäbe an Michaels These an als an andere, durchaus vergleichbare Thesen (glaube ich zumindest, falls du irgendwo im Blog hier Postings findest wo ich weniger kritisch war dann bitte darauf hinweisen, den Umstand fände ich spannend).

    Wie schnell kann sich ein vermeintlich genetisch fixiertes Merkmal in einer Population ändern – die heutigen Atheisten, sind das alles Mutanten?

    Sorry das die Frage im letzten Kommentarthread offensichtlich untergegangen ist. Die Antwort: Das genetische Merkmal muss sich dafür ja nicht einmal ändern, die genetische Komponente von Religiosität macht nur einen Teil aus, ein großer Teil ist auch einfach auf die Umwelt zurückzuführen. Ich sehe zumindest kein praktisches Problem warum man trotz entsprechender Veranlagung zur Religiosität nicht Atheist sein könnte.

    Menschen die eine genetische Prädisposition für Typ-2-Diabetes haben können bei passender Verhaltensweise (richtige Ernährung, Sport, allgemein: Übergewicht vermeiden) trotzdem verhindern das die Krankheit ausbricht.

  20. @ HF Züchtig

    Eine Zucht zum a-religiösen hat meines Wissens nicht stattgefunden. Mir ist keine Gesellschaft bekannt, in der nur Atheisten Kinder zeugen durften. Das kann also nicht die gesuchte Erklärung sein, warum der Anteil der Nicht-religiösen an der Gesamtpopulation heute so groß ist.

    “Ist es sinnvoll, aus der Fülle geistiger Merkmale die “Religiosität” herauszulösen und separat zu betrachten?”

    Ich nehme an, dass du hier keine Antwort von mir, sondern eine von Michael Blume erwartest.

  21. @tk Ungläubig

    “Genauso gut könnte man fragen, ob die Reformation auf Mutationen zurückzuführen ist. Oder die Ausbreitung des Christentums in der Spätantike. Oder die des Islams im Mittelalter. Oder …”

    Die Frage nach Sprachfähigkeit wird auch sehr allgemein gestellt, und nicht dahingehend unterschieden ob man genetisch für Chinesisch, Russisch oder Latein disponiert ist.

    So wie du die Frage stellst, könnte man meinen du würdest den Atheismus auch nur für eine bestimmte Ausprägung von Religiosität halten, den Glauben an Nichts. Ist dem so?

  22. @ Bastian Theorienvergleich

    “Das genetische Merkmal muss sich dafür ja nicht einmal ändern, die genetische Komponente von Religiosität macht nur einen Teil aus, ein großer Teil ist auch einfach auf die Umwelt zurückzuführen.”

    Dies ist deine Theorie. Wenn ich Michael Blume richtig verstehe, dann meint er aber gerade nicht, dass die Umwelt einen entscheidenden Einfluss hat. Mit den von ihm zitierten Zwillingsstudien belegt er doch eine starke genetische Komponente.

    Er behauptet darüber hinaus eine höhere Fertilität nachweisen zu können bei Leuten mit Religiositäts-Gen und eine niedrigere bei Atheisten. Er spricht von bis zu 8 Nachkommen pro Frau in religiösen Gemeinschaften wie den Aimish und nur von 1,6 bei Atheisten. Damit müsste sich die genetische Grundlage, so es eine gibt, doch in der Population stark angereichert haben, wenn sie nicht sogar im Genpool bereits fixiert sein müsste. Vorausgesetzt natürlich auch, dass die aus relativ aktuellen Untersuchungen bezogenen Daten sich auf die mindestens 100.000-jährige Menschheitsgeschichte verallgemeinern lassen.

    Was mich also wundert ist, wie er in seiner Theorie verbleibend das massenhafte Auftreten von Atheisten erklären kann.

    Bei anderen vermutlich genetisch bedingten Eigenschaften – meine ich zumindest – könnte so etwas die Theorie der genetischen Verankerung ins Wanken bringen. Man stelle sich vor 30% der Deutschen hätten in zwei oder drei Generationen keine Fähigkeit mehr zu sprechen (auch kein Englisch); oder 40% aller Fußballfans zeigten in der nächsten Generation keinerlei Aggressionspotential mehr. Wenn der erste Fall eintreten würde, müsste man vermutlich doch wieder an (göttliche, strafende?) Wunder glauben. Auch im zweiten Fall würde man sicher sehr schnell von Gen-Theorien abkehren und behavioristische Theorien zu aggressivem Verhalten bekämen wieder mehr Zulauf, oder?

  23. @ Joker

    Das war eigentlich nicht mein Punkt. Es ging schlicht darum, daß sich die Kategorien der Evolutionsbiologie wohl kaum auf solche historischen Prozesse anwenden lassen. (Oder allenfalls als Metapher, jedenfalls nicht als wissenschaftliches Erklärungsmuster.) Wer (wie Michael Blume) den Niedergang des Stalinismus mit dessen (angeblich) niedrigerer Fertilitätsrate erklären will, der hat (mit Verlaub) einen an der Waffel.

  24. Dies ist deine Theorie. Wenn ich Michael Blume richtig verstehe, dann meint er aber gerade nicht, dass die Umwelt einen entscheidenden Einfluss hat. Mit den von ihm zitierten Zwillingsstudien belegt er doch eine starke genetische Komponente.

    Die Zwillingsstudien auf die ich Zugriff hatte kamen im Schnitt auf ~50 % genetischen Hintergrund und 50 % Umweltfaktoren. Vielleicht kann Michael als Experted dafür aber noch ausführen was da der aktuelle Stand für die verschiedenen Metriken von Religiosität ist.

    Er behauptet darüber hinaus eine höhere Fertilität nachweisen zu können bei Leuten mit Religiositäts-Gen und eine niedrigere bei Atheisten

    So weit ich das sehe weist Michael nirgendwo ein Religiositäts-Gen nach. Da niemand bislang die genetischen Ursachen (nicht das Vorhandensein einer genetischen Komponente) für Religiosität nachgewiesen hat wird das auch schwierig. 😉

    Und genau das ist ja der Punkt der ich kritisiere: Solange man die zugrundeliegenden Genorte nicht kennt kann man keine Abschätzung dazu machen ob es ursächlich adaptiv ist oder nicht.

  25. @ Bastian Adaptiv oder nicht

    “Solange man die zugrundeliegenden Genorte nicht kennt kann man keine Abschätzung dazu machen ob es ursächlich adaptiv ist oder nicht.”

    Und genau das ist ja der Punkt den ich kritisiere, an deiner Kritik zu Michael Blumes Religiositäts-Theorie. Kennen wir die zugrundeliegenden Genorte für Sprachfähigkeit oder Intelligenz? Nein, und trotzdem halten wir sie – vielleicht sogar aus gutem Grund – für ursächlich adaptiv, oder täusche ich mich?

    Wo müssten denn die Gene überhaupt liegen, oder wo dürften sie nicht sein, um ihre Adaptivität sicherstellen oder zumindest besser erforschen zu können? Wenn sie nah bei anderen Genen lägen, die ebenfalls Kandidaten für höhere Fertilität sind, wie könnten wir da differenzieren? Da wartet auf den Forscher am Tag der Arbeit wohl noch viel Arbeit. Ein Hoch auf den Theorienpluralismus.

    Abgesehen davon habe ich wieder einiges gelernt über Gendrift und wie heißt das nochmal – ach ja, Linkage Disequilibrium. Danke dafür.

  26. Und genau das ist ja der Punkt den ich kritisiere, an deiner Kritik zu Michael Blumes Religiositäts-Theorie. Kennen wir die zugrundeliegenden Genorte für Sprachfähigkeit oder Intelligenz? Nein, und trotzdem halten wir sie – vielleicht sogar aus gutem Grund – für ursächlich adaptiv, oder täusche ich mich?

    Wenn man das Intelligenz-Argument analog zu Michaels Argumentation aufbaut dann müsste Intelligenz sogar negativ für die Fitness sein, immerhin gibt es doch Studien die Zeigen das ein geringer IQ mit höherer Anzahl an Nachkommen korreliert (Ja, IQ != Intelligenz und IQ als Metrik ist doof. Vermutlich sind die Metriken zur Religiositätsbestimmung auch nicht das gelbe vom Ei, als Beispiel taugt es trotzdem). 😉

    Aber ernsthaft: Über die Vorteile die Sprache/Intelligenz gebracht haben wird genauso noch gestritten, siehe:
    http://en.wikipedia.org/wiki/Origin_of_language
    http://en.wikipedia.org/…n_of_human_intelligence

    Und zumindest bei der Intelligenz weiss ich das es auch Ansichten gibt das unser heute Intelligenz nicht zwingend adaptiv ist.

  27. Weiterdenken, statt Infragestellen

    Die neue Disziplin der Religionsdemographie treibt also immer noch viele wahnsinnig um. Wohl selten wurde eine These so vielen Falsifikationsversuchen unterworfen wie die religionsdemograpische.

    Ist nicht alles gar zu simpel, als daß Grund zur Aufregung bestünde? Wenn ich eine rigide nach dem Third-Party-Punishment-Prinzip funktionierende Gruppenmoral aufstelle nach dem Motto “Seid fruchtbar und mehret euch!”, mit Hilfe von kruden “10 Geboten” etc. pp., wenn ich mit Hölle und Verdammnis drohe, alttestamentarische “Feindvernichtsgebete” bete und ein enges Bündnis zwischen Thron und Altar schließe und wenn ich mit all dem meine Gruppe totalitär dazu bringe, dieser einen Moral zu folgen – warum sollte man sich wundern, daß diese Gruppe mehr Kinder hat als andere?

    Dazu müssen doch nicht Gene benachbart auf demselben Chromosom liegen!!!!

    Religion ist ein Gruppenphänomen, deshalb wies Stephan Schleim in seinem Kommentar zum ersten Beitrag auch so richtig auf die Gruppenselektion hin, die sowohl auf kultureller wie genetischer Ebene wirksam ist, bzw. wirksam sein kann. Ein großer Teil der Phänomene kann aber doch schon allein durch kulturelle Gruppenselektion erklärt werden:

    Die Gruppe, die die *falsche* (demographisch ungünstige) Moral zuläßt, die zu viel Freiheit zuläßt, die zu viele “Ausnahmen” zuläßt, verliert, auch rein demographisch.

    Die bigott-christlichen Hutterer in Nordamerika sind die Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Geburtenrate heute weltweit. Die verdoppeln sich alle 25 Jahre (knapp 12 Kinder pro Frau). Exponentielles Wachstum pur. Solche demographischen Szenarien muß man oft in der Geschichte der Menschheit unterstellen, um die beobachtbaren Phänomene erklären zu können (etwa die schnelle Ausbreitung der ersten Bauernkultur Europas um 5.500 v. Ztr. vom Plattensee bis zur Kanalküste innerhalb weniger hundert Jahre).

    Und das ist zunächst einmal im wesentlichen kulturelle Gruppenselektion: Menschen müssen kulturelle Techniken erwerben oder sich auf diese einigen, um dann demographisch so erfolgreich zu sein, daß sie alle anderen Gruppen um sich herum sehr schnell demographisch überflügeln. Mehr ist nicht gefordert. Das geschieht in der Regel allein schon durch größere Siedlungsdichte etwa von seßhaften Gesellschaften gegenüber nomadischen Gesellschaften (etc. pp.).

    Daß man heute als Angehöriger der Gruppe “Atheisten” oder “Namenschristen” NICHT mehr zu einer solch erfolgreichen evolutionären Gruppierung gehört – tja, Pech gehabt. Da sollte man sich mal überlegen, woran das liegt, warum man immer noch als Großstadtnomade umherzieht, statt endlich im übertragenen Sinne “seßhaft” zu werden und Kinder auf die Welt zu bringen.

    Und nicht stattdessen den Zusammenhang zwischen Gruppenmoral und Demographie selbst infrage zu stellen oder ihn gar noch im Wesentlichen mit Genetik in Zusammenhang zu bringen.

    Beispielsweise haben sich intelligentere Völker in anderen Umwelten und im Zusammenspiel mit anderen Gesellschaftsformen als demograpisch erfolgreich erwiesen – in der Regel auf der Nordhalbkugel – als weniger intelligente. Auch dieser Zusammenhang erscheint ist doch mehr als simpel.

    Im frontalen Bestreiten der religionsdemographischen These kommt man nicht weiter, sondern im Weiterdenken und im Ausdifferenzieren derselben. So habe ich anhand der Anthroposophen versucht aufzuzeigen, daß nicht nur monotheistische Religiosität demographisch positive Gruppenmoral fördert, sondern auch nicht-monotheistische Religiosität. Dieser Beweis ist noch nicht recht überzeugend, daß der Kern der Anthroposophen (was nach außen gar nicht so in Erscheinung tritt) ebenfalls monotheistischer, sprich autoritärer Moral folgt.

    Aber ich denke, im Weiterdenken dieser These, gerne auch auf säkularem Gebiet, kommt man ihren Schwächen eher auf die Schliche als im frontalen Bestreiten.

  28. Infragestellen und Weiterdenken

    “Die bigott-christlichen Hutterer in Nordamerika sind die Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Geburtenrate heute weltweit. Die verdoppeln sich alle 25 Jahre (knapp 12 Kinder pro Frau).”

    Zu einer Populations-Verdopplung in 25 Jahren (ca. eine Generation) passt ganz gut eine Kinderzahl von 4 pro Frau.

    “The very high birth rate among the Hutterites has decreased since 1950. Hutterite fertility rates remain high, though they have dropped from around ten children per family in 1954 to under five today (2010)”

    http://en.wikipedia.org/wiki/Hutterite

    Lässt man so unangenehme Dinge wie Unfruchtbarkeit und Kindstod unbeachtet, so ist jede Kinderzahl größer 2 “Exponentielles Wachstum pur.”

  29. @ Joker

    oh, daß die Geburtenrate der Hutterer derzeit so stark zurückgeht, ist mir neu und wäre sehr interessant, wenn das stimmen sollte.

    Dafür müßten sich aber viele Verschiebungen in den Gemeinden ergeben haben. Es würde ohne Zweifel auf Änderung der Gruppenmoral beruhen. Ist bei ihnen denn jetzt doch Empfängnisverhütung oder ähnliches erlaubt?

    Der wesentliche Punkt ist wohl, daß es nicht auf Zahlen HINTER dem Komma ankommt (1,3 oder 1,4 Kinder pro Frau) (wie heute in UNSEREN gruppenmoralischen Diskussionen erörtert), sondern auf die Zahlen VOR dem Komma: Wir sind alle die Nachkommen kinderreicher Familien. Und eine evolutionsstabile Familienpolitik müßte den Schwerpunkt auf die Förderung und Vermehrung kinderreicher Familien legen. Dazu sehe ich keine Alternative.

    (Ich glaube, ich habe des verwechselt. Die ebenfalls kinderreichen Amischen teilten sich traditionell alle 25 Jahre, die Hutterer sogar alle 15 Jahre. Das war die Faustregel, von der u.a. der Journalist Michael Holzach berichtete, weil ein Bruderhof alle 15 Jahre genug erwirtschaftet haben mußte, um einen neuen Bruderhof gründen zu können.)

    Vielleicht hängt das auch mit den Landpreisen zusammen, heißt es doch auf dem Wikipedia-Artikel auch:

    “A major driving force for Hutterite leadership today is associated with recognizing that land prices have risen dramatically (in Alberta and Saskatchewan specifically) … which creates the need to have a greater amount of cash available to buy land when it comes time for a colony to split.”

  30. Gerhard Mackenroth

    … was übrigens einmal erneut darauf hinweist, wie wesentlich die Gerhard Mackenroth-These ist, daß die Demographie JEDER Gruppe, jedes Volkes an eine ganz individuelle, spezifisch zu erforschende “Bevölkerungsweise” geknüpft ist:

    Die Demographie einer Gruppe wird bestimmt durch die GESAMTHEIT ihrer individuellen Lebensform. Natürlich spielt dabei eine totalitär gelebte Religiosität eine Rolle, aber auch viele andere Rahmenbedingungen und “Gruppengesetze”.

  31. Erst denken, dann schreiben

    “Lässt man so unangenehme Dinge wie Unfruchtbarkeit und Kindstod unbeachtet, so ist jede Kinderzahl größer 2 Exponentielles Wachstum pur.”

    Tatsächlich erzeugt jede Kinderzahl größer 2 exponentielles Bevölkerungswachstum!

    Unfruchtbarkeit und Kindstod spielen keine Rolle bei dieser Art der Berechnung, es wird ja nur ein Durchschnitt über alle Geborenen gebildet. Wegen der erwähnten unangenehmen Dinge müssen dann allerdings die gebärfähigen Frauen im Schnitt mehr als 2 Kinder bekommen, um Wachstum zu generieren.

    Noch nicht erwähnt wurde, aber tatsächlich relevant ist, dass jedes zweite Kind auch wirklich ein Mädchen ist.

  32. @ Ingo Bading: Demographie

    Von Michael Holzach kenne ich nur sein “Deutschland umsonst”. “Das vergessene Volk”, auf dass du dich wohl beziehst, basiert auf seinen Erfahrungen mit den Hutterern aus dem Jahr 1978, wie ich der Wikipedia entnehme. Da kann sich natürlich in der Zwischenzeit einiges verändert haben, bei deren sozialen Praktiken (weniger in deren Genpool).

    Was du schreibst ist interessant und die Schlussfolgerungen sind für mich plausibel. Ich kann aber noch nicht ganz erkennen wie sich daraus ein Argument für oder gegen die Vererblichkeitshypothese von Religiosität – dem Thema dieses Blogs – gewinnen ließe.

    Die demographische These dient Michael Blume ja nur, um sein Modell dahingehend abzurunden, wie sich die behauptete genetische Grundlage ausgebreitet haben könnte. Und ja, so könnte sie sich im Genpool ausgebreitet haben. Dabei spielt es keine Rolle ob sich da Polytheisten, Monotheisten a la Christen oder Monotheisten a la Anthroposophen überdurchschnittlich vermehren, Hauptsache es sind keine Aufgeklärten.

  33. @Bastian @Joker

    “Und genau das ist ja der Punkt den ich kritisiere, an deiner Kritik zu Michael Blumes Religiositäts-Theorie. Kennen wir die zugrundeliegenden Genorte für Sprachfähigkeit oder Intelligenz? Nein, und trotzdem halten wir sie – vielleicht sogar aus gutem Grund – für ursächlich adaptiv, oder täusche ich mich?”

    Aber ernsthaft: Über die Vorteile die Sprache/Intelligenz gebracht haben wird genauso noch gestritten, […]

    Und zumindest bei der Intelligenz weiss ich das es auch Ansichten gibt das unser heute Intelligenz nicht zwingend adaptiv ist.

    Welche Merkmale “adaptiv” sind, hängt natürlich von der gegebenen Umwelt ab. Für die Evolution der Intelligenz (als Metapher für sämtliche höhere Hirnfunktionen) des Menschen kommt wohl kaum die Gen-Drift als wesentlicher Mechanismus in Frage. Und Linkage Disequilibrium wohl auch nicht, weil zu viele Gene an der Hirnentwicklung beteiligt sein dürften.

    Wenn also Zufallsprozesse ausscheiden, bleibt doch nur die Selektion, ergo der Fitness-Unterschied.

    Bleibt also die von Joker gestellte Frage, wieso die Gene oder Genorte für ein phänotypisches Merkmal bekannt sein müssen, wenn es um den Einfluss dieses Merkmals auf die biologische Fitness geht.

    Nur wenn man davon ausgeht, dass die individuelle Entwicklung der Religiosität überhaupt nichts mit der Gen-Ausstattung eines Menschen zu tun hat, werden Überlegungen zur Evolution der Religiosität sinnlos.

    Ob allerdings, wie Michael Blume wohl meint, der Mensch sich derzeit in einem Prozess des evolutionären Wandels befindet, nämlich hin zum Homo religiosus, und ob die aktuellen Kinderzahlen hierfür relevant sind, ist eine ganz andere Frage.

  34. Erblichkeit von Religiosität

    Die Religionsdemographie entstand aus der Erkenntnis, daß in den letzten Jahrhunderten in Gesellschaften europäischer Herkunft es eine gute Korrelation gibt zwischen äußeren Formen von Religiosität (wie Kirchenbesuch, Bethäufigkeit etc.) und Kinderzahlen, plump: um so strenger bibelgläubig, buchstabengläubig, fundamentalistisch, um so mehr Kinder.

    Eine weitere Erkenntnis war die von Richard Sosis über die Stabilität (neu gegründeter) Gemeinschaften in den letzten 200 Jahren: Auch hier: um so religiöser, um so stabiler, um so weniger religiös, um so geringere Lebensdauer.

    Das heißt also: In Gesellschaften, die die aristotelische/wissenschaftliche Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch kennen und sich nicht mehr nur mit mythologischen Vermutungen begnügen, sind demographische Regime erfolgreich, die sich mit der mosaischen Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch legitimieren, die für einen übernatürlichen Bereich mit ähnlicher Sicherheit etwas behauptet, was die Wissenschaft für den natürlichen Bereich behauptet.

    Dean Hamer war es dann, der glaubte, einen Genort gefunden zu haben, der mit spezifischen Formen von Religiosität (u.a. auch “Gefühl der Verbundenheit mit allem” und ähnlichem) korreliert. Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo gelesen zu haben, daß das Vorkommen dieser Gensequenz mit Kinderhäufigkeit korrelieren würde. Vielleicht kann ja Michael das noch mal nachtragen, falls es so etwas geben sollte. Aber ich denke, das wäre eine zu aufssehenerregendes Forschungsergebnis, als daß das an mir oder anderen hätte vorbei gehen können.

    DASS also die Stabilität und Demographie von Gruppen auf der unterschiedlichen Häufigkeitsverteilung INDIVIDUELL unterschiedlicher GENETISCHER Anlagen was Religiosität betrifft, beruht, ist meines Wissens nach noch die bestenfalls am schwächsten empirisch belegte These (wenn überhaupt).

    Was beim gegenwärtigen Stand gesagt werden kann (ich weiß nicht, ob Michael da immer zurückhaltend genug ist), das ist, daß autoritäre Gesellschaften, die religiös legitimiert werden, im abendländischen Kontext größere Evolutionsstabilität aufweisen, als autoritäre Gesellschaften ohne religiöse Legitimierung oder säkulare Gesellschaften/Gemeinschaften.

    Einen solchen “allgemeinen Faktor Religiosität” zu postulieren wie die IQ-Forschung schon seit hundert Jahren einen allgemeinen Faktor Intelligenz postuliert, ist eine von vielen Möglichkeiten, die derzeit vorliegenden religionsdemographischen Befunde zu interpretieren.

    Aber mit all dem kann die sehr konkret forschende Humangenetik doch beim derzeitigen Stand noch wirklich nicht besonders viel anfangen. All das kann beim derzeitigen Stand der Kenntnis höchstens im Rahmen theoretischer Modelle zur kulturellen Gruppenselektion erforscht werden.

    Wobei natürlich die bohrende Frage bleibt, welche ultimativen Ursachen die hohe Kinderhäufigkeit Bibelgläubiger hat. Dazu haben viele Leute viele Theorien vorgeschlagen. Michael ist nur einer unter vielen.

  35. @Bastian

    Nochmal vielen Dank für Deine Gedanken. @Joker und andere haben ja die Problematik schon angesprochen: Die Genetik selbst hat ja bislang zu kaum einem komplexen Merkmal des Menschen die genauen Genorte zu benennen vermocht. Das ist aber doch m.E. ein Problem, dass Ihr (Molekular-)Biologen lösen müsst, nicht wir Religionswissenschaftler (zumal man über die Erklärungsreichweite des genzentrierten Neodarwinismus auch innerhalb der Evolutionsforschung in der Tat unterschiedlicher Meinung sein kann (und Darwin selbst von Genen noch gar nichts wusste). Ich gehöre in meinem Fach ja zu den (noch) wenigen, die sich dafür aussprechen, auch die immer vorläufigen Erkenntnisse von Biologen überhaupt wahrzunehmen und aktiv aufzugreifen…)

    Und so von mir her auch eine klare Zusage: Wenn Du oder Deine Kollegen empirische Erkenntnisse, Vererbungswege etc. von Religiosität oder verwandten Merkmalen aufzeigen, die über die bisherigen Modelle z.B. von Rowthorn hinaus gehen, bin ich der erste, der sich dafür interessiert – ganz unabhängig von ihrem Ausgang. Gedankenspiele finde ich auch interessant, aber ohne empirische Unterfütterung bleiben sie halt – Gedankenspiele.

    Bislang scheint mir die (in diesem Fall tatsächlich) darwinsche These, dass ein Merkmal, das laut Zwillingsstudien partiell heritabel und in Menschenpopulationen universell ist, auch archäologisch eine im Befund aufsteigende Evolutionsgeschichte aufweist und nachweisbar mit höheren, reproduktiven Potentialen einhergeht, adaptiv ist, nach wie vor die mit Abstand überzeugendste Hypothese zu sein. Ich sehe zumindest keine Befunde, die Darwins Grundannahmen da widerlegen würden, aber sehr viele, die ihn stützen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr vertrete ich.

    Dass es in der Evolutionstheorie ohnehin nie abschließende Beweise gibt, z.B. nie völlig lückenlose Fossilketten vorliegen und die Befundlage irgendwann und irgendwie immer auch noch anders kommen “könnte”, lassen wir ja auch ID-Vertretern nicht als Argument gegen empirische Evolutionsforschung durchgehen. Den Kommentar von @Balanus aufgreifend würde ich sogar noch etwas weiter zuspitzen: Solange wir empirisch-evolutionär forschen wird es immer “offene Fragen” geben, nicht nur bei der Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen.

    Und interessanterweise ist ja auch just gestern ein spektrum.de-Artikel zu Evolution & generationenübergreifenden Reproduktionsunterschieden auf Basis von Kirchenbüchern in Nordeuropa erschienen, hier:
    http://www.spektrum.de/…keln-sich-weiter/1150147

    So, leider bin ich jetzt ein paar Tage auf einer anspruchsvolleren Dienstreise, lese aber gerne hin und wieder rein und bin danach durchaus weiter interessiert und bereit, das Gespräch ggf. fortzusetzen.

    Beste Grüße!

  36. @Michael Blume

    Moin Michael,

    die Genetik vermag durchaus Genorte für komplexe Erkrankungen zu benennen, Beispiel Diabetes, Asthma oder auch Krebs. Besonders bei letzterem ist das Auffinden von Genorten, die einen Tumor fördern können, der wichtigste Gegenstand aktueller Forschung auf dem Gebiet. Das Problem an der ganzen Sache ist, auch wirklich alle relevanten Genorte aufzudecken. Dafür braucht man Zeit und Geld. Das steht auch alles so im Genetikbuch von Graw im Unterkapitel “Komplexe Erkrankungen”, was du ja u.a. für deine Arbeit benutzt. An “complex traits” ist man also schon längst dran.

    Aus diesem Grund finde ich es auch ein bisschen zu einfach gedacht, die Beweispflicht für genetische Grundlagen von Religiosität auf Biologen abzuschieben, wie du es ja in deinem letzten Kommentar getan hast. Vielmehr ist es die Pflicht von Religionswissenschaftlern, die diese These vertreten, Kooperationen aufzubauen. Nicht Biologen sind hier also in der Beweispflicht, sondern diejenigen, die die Hypothesen aufstellen. In diesem Fall also du.

    Wenn du dies machen würdest, wärst du sicherlich der erste Religionswissenschaftler, der mit Molekularbiologen zusammenarbeitet oder irre ich da? Es wäre wohl ein gewaltiger Fortschritt Religionswissenschaft mit harten Fakten auszustatten. Wieso macht dies also niemand?

    Dieses Problem der nicht vorhandenen Zusammenarbeit spiegelt sich auch massiv in der Studie von Rowthorn wieder. Dort wird m.E. viel gelabert ohne tatsächliche Fakten vorzulegen. Ein Haufen Annahmen und ein Modell, wo ein bisschen gerechnet wird, überzeugt zumindest mich als faktenorientierten Menschen nicht. Schon Razib Khan vom Discover-Blog “Gene Expression”, den du gerne zitierst, hat diese Problem in seinem Blogpost zur Studie deutlich gemacht.

  37. Addendum @Micheal Blume

    Ich wollte in meinem letzten Kommentar natürlich nicht “complex traits” und “complex diseases” gleichstellen, schließlich sind es 2 verschiedene Sachen, deren Genetik aber durchaus zu vergleichen ist. Der Unterschied liegt darin, dass genetisch bedingte Ursachen von “complex traits” schwieriger zu untersuchen sind. Selbst dort ist man aber dran (siehe das Graw-Kapitel Neurogenetik und Genetik des Verhaltens)

  38. @Joker:

    »Wie schnell kann sich ein vermeintlich genetisch fixiertes Merkmal in einer Population ändern – die heutigen Atheisten, sind das alles Mutanten?«

    Das ist für die Vertreter der These, wahre Religiosität sei primär genetisch bedingt, eine spannende Frage: Welche Genotyp-Variante ist die “normale” (also ursprüngliche), die religiöse oder die nicht-religiöse?

    Unsere tierischen Vorfahren waren sicherlich nicht religiös. Wenn nun mit dem beginnenden Hirnwachstum (und den damit verbundenen strukturellen Veränderungen) gleichzeitig die Religiosität Einzug gehalten hat, dann wäre für den Menschen die religiöse Variante die ursprüngliche. Wahrscheinlicher scheint mir aber, dass sich zunächst die Fähigkeit zu einer (nicht-religiösen) Spiritualität entwickelt hat (bei allen!), und dass sich erst später bei einem Teil der Menschen besondere Ausprägungen entwickelt haben, die wir als “religiös” bezeichnen können. Seither gibt es von Natur aus religiöse und nicht-religiöse Menschen, mit sämtlichen Zwischenformen.

    Säkularisierungswellen betreffen wohl immer nur diese “Zwischenformen”, also die oberflächlich Religiösen, jene, die nicht das Vollbild der Religiosität entwickelt haben. Denn logischerweise kann sich das genetische Profil einer großen Population nicht innerhalb weniger Generationen dramatisch ändern. Das heißt, wenn es heute in Nordeuropa 15% Religiöse (im wirklich strengen Sinne) geben sollte, dann war das auch in der Zeit vor der Aufklärung nicht viel anders.

    Auch solche Phänomene, wie sie in der von @Mona genannten Studie, beschrieben werden, dürften nur bei den oberflächlich Religiösen zu beobachten sein. (“Einer Studie kanadischer Forscher zufolge verringert faktenorientiertes Denken den Glauben religiöser Menschen.”).

    Der Zusammenhang von Gene und Religion ist natürlich ziemlich komplex. Es wird ja wohl kaum so sein, dass die genetischen Instruktionen unter allen Bedingungen zu jenen Hirnstrukturen führen, die mit der Religiosität assoziiert sind. In den zwanzig Jahren, die das Hirn für seine Reifung braucht, kann eine Menge passieren.

  39. Genetik und Definition von Religiosität

    Man muß keine Genorte kennen, um die Erblichkeit einer Eigenschaft zu erforschen. Das können wohl die letzten 100 Jahre IQ-Forschung gut aufzeigen (und vieles andere mehr).

    Es dürfte nicht so schwer sein, angeborene Neigung zu Religiosität daraufhin zu überprüfen, ob sie mit Kinderzahlen korreliert. Und wenn ja, wann und wo – und wann und wo nicht. Wenn Michael dazu nichts weiß, sollte das wirklich zügig aufgearbeitet werden.

    Da Frauen heute durchschnittlich auf einer großen Bandbreite von Denk- und Verhaltensweisen religiöser sind als Männer, wäre eine von vielen schlußfolgernden Fragestellungen sicherlich:

    Kriegen Frauen mehr Kinder als Männer?

    (- Scherz!)

    Religionen zeigen die verschiedensten Ausformungen auf und ich denke, man sollte berücksichtigen, daß jene genetisch mit beeinflußten Neigungen, die Menschen dazu veranlassen, bei einer Religionsgemeinschaft zu bleiben oder eine andere Religionsgemeinschaft zu wählen oder eine Umformung (Reform) der Denk- und Verhaltensweisen einer Religionsgemeinschaft mitzubewirken oder aber gleichgültig zu bleiben oder zu werden gegenüber der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft, bzw. die dazu veranlassen, innerhalb dieser Religionsgemeinschaft viel oder wenig Kinder zu kriegen,

    daß alle diese genetisch mitbeeinflußten Neigungen nicht nur einem oder wenigen psychischen “Modulen” entspringen (wenn es solche Module überhaupt gibt), sondern wohl so ziemlich mit der ganzen Bandbreite der menschlichen Verhaltens- und Intelligenzgenetik überhaupt zusammenhängen.

    Gesellschaften, in denen es eine größere Häufigkeit von genetischen Anlagen zu Depression gibt, werden andere Religionen bevorzugen (vielleicht Konfuzius oder Budda?), als Gesellschaften, in denen es eine größere Häufigkeit von genetischen Anlagen für ADHS gibt (vielleicht die alttestamentarisch-fanatischen Handlungsanweisungen und die daraus letztlich dann auch abgeleitete protestantische Ethik?)

    Mit monokausalem Denken jedenfalls kommt man doch bezüglich all dieser Dinge nicht weiter.

    Traditionell (genetisch mitbeeinflußte) polygame Gesellschaften wird man schwieriger von bestimmten religiösen Konzepten überzeugen können, als traditionell (genetisch mitbeeinflußte) monogame Gesellschaften. Es könnte auch sein, daß die jeweiligen Gesellschaften die jeweils übernommenen Konzepte nach und nach umformen. Im Christentum beispielsweise gibt es haufenweise Dinge, von denen sein romanhafter Gründer noch gar nix wußte.

    Denn schließlich sprechen religiöse Konzepte doch eine große Fülle von menschlichen Denk- und Verhaltensweisen an, sie sind also sozusagen “ganzheitlich” auf viele gesellschaftliche und familiäre Lebensbereiche zugleich bezogen.

    Deshalb gibt es ja so viele Diskussionen darüber, wie man die BREITE der Möglichkeiten reduziert, abstrahiert, auf einen gemeinsamen Nenner bringt.

    Michael verficht “Glaube an übernatürliche Wesen” als den Kern aller Religiosität. Na, DIESEN Kern oder gemeinsamen Nenner suche man mal im Genom oder in der Verhaltens- und Intelligenzgenetik!!!

    Vielleicht könnte man es auch so formulieren: Gesellschaften, in denen ein gewisser meinungsbestimmender Anteil von Menschen nach SINN in ihrem Leben fragt – und um so vehementer, um so mehr – solche Gesellschaften kann man (zumindest in alternativlosen Zeiten und Gegenden) mit monotheistischer Religion zu großer Opferbereitschaft, zu großem Altruismus und zu hohen Kinderzahlen veranlassen.

    (Man könnte die antiken Griechen vor Augen haben oder auch die “Bekenntnisse” des Augustinus.)

    In dem Augenblick aber, wo hedonistische Lustbefriedigung und Leidmeidung als alleiniger Lebenssinn im Vordergrund stehen, wo Gleichgültigkeit gegenüber weiteren Sinnfragen in den Vordergrund tritt, besteht natürlich kein Anlaß, die eigene, weitgehend sinnlose Existenz auch noch in Form einer nächsten Generation fortzusetzen. Wozu auch? Schon gar, wenn das mit so viel Anstrengung und Einschränkung verbunden ist?

    Manchmal steht das (große) menschliche Gehirn der menschlichen Fortpflanzung auch im Weg …

    Es wird also die nur dem Menschen mögliche Frage nach dem Sinn von allem (und dem Sinn von vielem Einzelnen) gewesen sein, die erstmals seine demographischen Regime, Bevölkerungsweisen destablisiert haben, und die weltgeschichtlich jeweils neuen, erfolgreichen Antworten auf diese Sinnfragen konnten diese demographischen Regime dann jeweils wieder stabiliseren.

    Hoher IQ könnte heute bei der gesellschaftlich konsensstiftenden Lösung von Sinnfragen helfen. Aber die Mehrheit würde wohl zustimmen, daß hoher IQ nicht ausreichen würde, sondern überzeugende, gelebte Bandbreiten von Emotionen und – sozusagen – gelebten “Tugenden” hinzutreten müßten.

    Ein regierungsseitiger Versuch zur gesellschaftlichen Konsensstiftung diesbezüglich war die Ernennung der “Powerfrau” und “Supermutter” Ursula von der Leyen zur Familienministerin. Ein Versuch war es. Überzeugt hat er wenige. Aber an dem Versuch ist erkennbar, daß mitunter noch immer geglaubt wird, man könne und müsse vorbildlich sein, wenn man die Gesellschaft aufrütteln und demographisch stabilisieren wolle. – Was auch sonst?

  40. Ergänzung

    Man sollte vielleicht hinzufügen, dass es sich bei den Religiösen, über die wir hier sprechen, in der Regel um Anhänger der abrahamitischen Religionen handelt. Auf andere Religionen trifft die übermäßig hohe Kinderzahl häufig gar nicht zu. Auch ist es in vielen Kulturen egal, wer welche Götter verehrt oder nicht verehrt. Ich will damit sagen, und dazu gibt es auch Studien, dass der Hang zur Spiritualität teilweise angeboren zu sein scheint. Der Fanatismus, der sich oft in den oben erwähnten Religionen findet, vielleicht auch, aber den findet man beispielsweise auch bei Hooligans. M.E. ist da in der Forschung das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht.
    Hochsensible Menschen (und vielleicht auch Hochbegabte) haben häufig auch eine Affinität zur Spiritualität ohne religiös im Sinne von gläubig zu sein. Es geht da eher um intensives Empfinden und Erleben. Insofern sollte man zwischen Spiritualität und Religiosität trennen, was in Studien häufig nicht gemacht wird.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Hochsensibilit%C3%A4t

  41. wüst

    Michael verficht “Glaube an übernatürliche Wesen” als den Kern aller Religiosität. Na, DIESEN Kern oder gemeinsamen Nenner suche man mal im Genom oder in der Verhaltens- und Intelligenzgenetik!!!

    In der Tat eine wüste Annahme. – Ließe sich denn vielleicht die Fähigkeit zur Überzeugung genetisch nachweisen? Nein, gell?, man wird hier voraussichtlich noch lange stochern und das In-Zusammenhang-Bringen von Biologie und Religion scheint so spektakulär, dass man sogar eher Sarrazin gewillt ist zu glauben, wenn er Intelligenz (was immer auch genau gemeint sein mag, man meint oft die Fähigkeit zu mathematischem Denken oder eine vergleichbare Kultureigenschaft) als erblich einstuft. – Was nicht soo falsch sein muss, Dr. Webbaer würde hier aber eher mit dem sehr weichen Konzept der Mentalität arbeiten wollen. Aber i.p. Nachweisbarkeit dürfte es auch hier mau aussehen.

    MFG
    Dr. Webbaer

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