Was wir von 2023 erwarten dürfen – Die Fortsetzung der grossen technologischen Trends

BLOG: Beobachtungen der Wissenschaft

Grenzgänge in den heutigen Wissenschaften
Beobachtungen der Wissenschaft

Das Jahr 2023 ist ein ganz besonderes Jahr, und zwar für Mathematiker: Die Primfaktorenzerlegung der Jahreszahl ergibt sich als 7*17*17, was, wenn man die «7» als Glückszahl erkennen will, 2023 zu einem vielversprechendem Jahr macht. Die letzte Jahreszahl mit einer Primfaktorenzerlegung mit drei Mal der 7 (die allerdings weit weniger elegant erscheint), war 1813 (7*7*37). Immerhin befreite sich Europa in diesem Jahr von Napoleon, also kein schlechtes Jahr (auch wenn dafür sehr viele Menschen starben, alleine ca. 100’000 bei der Schlacht um Leipzig). Das nächste vergleichbare Jahr wird dann im Übrigen erst 2401 sein (7*7*7*7).

Doch betrachten wir die Aussichten für 2023 mal etwas nüchterner[1]. Das Beste, langfristig am entscheidendsten, was wir hier betrachten können, sind erstens die Klimaentwicklungen und zweitens die technologischen Entwicklungen. Beim ersten braucht man viel, um weiterhin optimistisch zu sein, beim zweiten entwickelt sich nichts weniger Dramatisches. Und vielleicht lässt das Erste durch das Zweite etwas optimistischer betrachten. Angesichts der dramatischen Veränderungen in der Welt durch die verschiedensten Entwicklungen neuer Technologien in den letzten gerade einmal 30 Jahren, und dass sich die Geschwindigkeit des Wandels in den nächsten 30 Jahren wohl noch einmal erheblich erhöht, wird sich die Zeit von 2023 bis 2053 um die wichtigste Phase in der Geschichte der Menschheit handeln. Und genau in dieser Zeit wird ein immer schneller werdender und die Menschheit prägender Wettlauf stattfinden, in dem genau die beiden oben entscheidenden Punkten aufeinandertreffen. Auf der einen Seite der Klimawandel, der darauf zurückzuführen ist, dass die Menschheit die Zusammensetzung unserer Atmosphäre durch den Ausstoss von CO2 und anderen klimaschädlichen Gasen verändert, auf der anderen neue Energietechnologien mit dem Ziel, ein ausreichendes Angebot an Energien ohne CO2-Emissionen auf der Erde zu haben – und dies bei noch einmal stark steigendem globalen Gesamtenergiebedarf.

Wird über den Klimawandel viel diskutiert, so hört man weniger von den sich anbahnenden ebenso spannenden wie beängstigenden Entwicklungen von Technologien, die aus den Wissenschaften hervorgehen und die Zukunft der Menschheit prägen werden wie nichts anderes.

I. Künstliche Intelligenz – Verbesserung oder Kontrolle unseres Lebens?

Während die starke KI (die Aufgabenstellungen selbstständig erkennen und definieren kann und sich hierfür Wissen der entsprechenden Anwendungsbereiche selbst erarbeitet und aufbaut) noch weit von uns entfernt ist, hat die schwache KI (ohne explizite Fähigkeiten, selbstständig im universellen Sinne zu lernen) heute ein unterdessen hohes Niveau erreicht. Die Lern- und Optimierungsmethoden, die der heutigen KI zugrunde liegen, das so genannte «Deep Learning», ermöglichen eine massive Steigerung der maschinellen Intelligenz in allen Bereichen. Sie ist zuweilen gar nicht mehr auf den spezifischen Zweck beschränkt, für den sie geschaffen wurde, wie z. B. das Schachspielen, die Suche in Datenbanken oder das Erkennen von Gesichtern. Ihre Fähigkeiten betreffen auch immer mehr Bereiche, die die meisten Menschen heute noch als unanfechtbare Domänen menschlicher Fähigkeiten betrachten: Intuition, Kreativität oder das Erkennen von Emotionen anderer Menschen. Werden Maschinen schon bald in der Lage sein, unsere Emotionen noch besser zu erkennen als andere Menschen?

II. Quantencomputer – Millionenfach schnellere Berechnungen oder nur ein Traum der Physiker?

Lange Zeit galten Quantencomputer als Science-Fiction. Allein der Begriff erscheint den meisten Menschen noch heute als ebenso unheimlich bizarr wie aufregend futuristisch, verbindet er doch die technologische Allmacht des digitalen Rechnens mit der ehrfurchtgebietenden Komplexität und Abstraktheit der wichtigsten physikalischen Theorie des 20.Jahrhunderts, der Quantentheorie. In der heutigen Realität schreitet die Entwicklung von Quantencomputern recht schnell voran. Sie verspricht eine neue technologische Revolution, die das 21. Jahrhundert ähnlich prägen könnte wie die Entwicklung digitaler Schaltkreise das 20te. So gab Google im Herbst 2019 bekannt, dass es seinen Ingenieuren gelungen ist, einen Quantencomputer zu bauen, der zum ersten Mal ein Problem lösen kann, an dem sich jeder herkömmliche Computer die Zähne ausbeissen würde.

III. CO2-Neutralität – Können wir in den nächsten Jahren genügend alternative Energien schaffen, um eine Klimakatastrophe zu verhindern?

Wir können feststellen, dass selbst die optimistischsten Prognosen über die Entstehung neuer CO2 neutralen Technologien Jahr für Jahr von den tatsächlichen Entwicklungen eingeholt und oft gar übertroffen werden (auch wenn deren Umsetzung dann nicht immer so schnell erfolgt). An Ideen, technologischen Möglichkeiten und konkreten Initiativen zur Bewältigung und Senkung der CO2-Emissionen herrscht also kein Mangel. Angetrieben von erstaunlichen Fortschritten in den Bereichen Photovoltaik, Windenergie, geothermische Energiegewinnung und Batteriespeicherung (und dem vielleicht erstaunlichsten: Kernfusionsenergie, siehe nächster Punkt), sowie in der Nanotechnologie und der künstlichen Intelligenz zur optimalen Energieverwendung stehen wir an der Schwelle zum schnellsten und tiefgreifendsten Wandel im Energiesektor der letzten 150 Jahre. [2]

IV. Kernfusion – Die Lösung unserer Energieprobleme oder nur ein Thema der Jahrhundertträume?

Ohne grosses öffentliches Aufsehen machen die Wissenschaftler heute bedeutende Fortschritte auf einem Gebiet, das die Probleme der globalen Energieversorgung ein für alle Mal lösen könnte: die friedliche Nutzung der Kernfusion. Es geht um nichts Geringeres als den Traum, unbegrenzte, saubere und sichere Energie aus der thermonuklearen Verschmelzung von Atomkernen zu gewinnen, die gleiche Energie, die auch unsere Sonne und unsere Sterne antreibt.

V. Die Genetik – Sieg über den Krebs oder Manipulation des Menschen?

Der schnelle Erfolg bei der Entwicklung des Impfstoffs gegen den Corona-Virus beruhte auf den immensen Fortschritten der Gentechnik der letzten Jahre. «Gentechnische Impfstoffe» enthalten die genetische Information des Erregers, der nach Verabreichung von körpereigenen Zellen in entsprechende Proteine übersetzt wird, woraufhin wie bei einer echten Virusinfektion eine Abwehrreaktion des Immunsystems ausgelöst wird. Gentechnische Verfahren werden aber nicht nur für Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten entwickelt, sondern auch im Kampf gegen Krebs, für die Optimierung der Ernten und vielen anderen wichtigen Bereichen.

VI. Internet der Dinge – Neue industrielle Technologien und intelligente Fabrikationen oder ein umfassender Eingriff in die Privatsphäre?

Mit steigender Rechenleistung, schnellerer Vernetzung durch ultraschnelles mobiles Internet und immer intelligenterer Datenverarbeitung wird die Entwicklung der «smarten Dinge» rasant weitergehen. Bereits 2019 wurde 5G eingeschaltet und ermöglicht atemberaubende Geschwindigkeiten von bis zu 10 Gigabit pro Sekunde auf unseren Handys. Dieses Netz wird weltweit weiter ausgebaut. Um zu erreichen, was wir wollen, brauchen wir keinen Computer mehr; alltägliche Dinge werden sich ohne unser direktes Eingreifen von selbst erledigen. Doch wollen wie diesen damit verbundenen immensen Einfluss in unsere Privatsphäre wirklich (siehe auch Punkt IX unten)?

VII. Neuro-Erweiterungen – Verbesserung unseres Denkens und Handelns oder Abkehr von der heutigen Realität?
In den letzten zwanzig Jahren hat sich das Wissen über die Struktur und Dynamik unseres Gehirns vervielfacht. Je mehr wir verstehen, wie es funktioniert, desto genauer lassen sich unsere Gefühle, Gedanken und Erfahrungen beeinflussen. Wissenschaftler arbeiten gar an Mikrochips, die ins Gehirn eingepflanzt werden können und unseren Gemütszustand dauerhaft verbessern, unser Wohlbefinden steigern, unsere Intelligenz, unser Gedächtnis und unsere Konzentrationsfähigkeit erhöhen oder sogar für dauerhaftes Glück sorgen. Doch ist diese massive Beeinflussung unseres Geistes wirklich wünschenswert?

VIII. Unseren Geist verstehen – Finden wir unser Ich oder ist es für Wissenschaftler unauffindbar?

Bisher hing unsere Wahrnehmung und die Art und Weise, wie wir uns selbst sehen und erleben (unser «Selbstmodell», wie Philosophen es nennen , oder das «Ich-Bewusstsein»), ausschliesslich von unserer Verbindung mit der Realität um uns herum ab. Was wir von aussen erfahren und wie wir uns selbst dabei erleben, war unmittelbar durch die Reize der Aussenwelt gegeben. Mit neuen Technologien, die sich direkt auf unser Bewusstsein beziehen, gerät unsere Verbindung zu dieser Realität ins Wanken. Indem sie unserem Gehirn neue Realitäten vorspielen, werden unsere Wahrnehmung und unser Selbstmodell fast beliebig verändert. Virtuelle-Realität (VR)-Technologien verwandeln also nicht mehr nur unsere äussere Lebenswelt, sondern zunehmend auch unseren subjektiven «Innenraum».

IX. Digitale Algorithmen und Big Data – Neue Profile für unser Leben oder Kontrolle des menschlichen Denkens und Handelns?

Mit all der Sammlung und Weitergabe von Daten über uns und unseren Besitz im Internet haben wir Informationen weit jenseits unserer Kontakte längst nicht mehr nur in Computern oder Telefonen stehen. Die Gegenstände unseres Alltags regeln ihre Bedürfnisse direkt miteinander im oben bereits beschriebenen Internet der Dinge. Wie einfach dies doch unser Leben macht! Doch es gibt einen Haken. Die Daten, die wir überall hinterlassen, wie Bakterien nach einem Niesanfall, werden gesammelt, mit immer leistungsfähigeren Algorithmen und immer intelligenterer KI verarbeitet und für immer umfassendere Zwecke genutzt. Aus ihnen lassen sich unsere Verhaltensweisen, Vorlieben und Charaktereigenschaften gezielt auslesen und die Muster unseres Lebens berechnen – und dann manipulieren.

X. Nanotechnologie – Erschaffung von Dingen aus dem „Nichts“ oder nur ein Traum?

Es gelingt den Forschern bereits, Strukturen auf atomarer Ebene gezielt zu manipulieren und sogar Grundbausteine für Nanomaschinen herzustellen: Rollende Nano-Räder, Nano-Getriebe, die sich entlang einer gezackten Kante von Atomen drehen, Propeller, Scharniere, Greifer, Schalter und vieles mehr. Schon jetzt können kleine Motoren und Fahrzeuge entwickelt werden – und alle sind etwa ein Zehntausendstel Millimeter gross, also nahe an molekularen Strukturen. Die dahinter stehende «zweite Generation der Quantentechnologien», die auch Quantencomputer enthält, wird also unser Leben mindestens ebenso stark verändern wie die erste Generation mit Computern, Lasern, Atomenergie und bildgebenden Verfahren in der Medizin.

XI. Stammzellen – Zellen, die alles können, auch für unseren gesamten Körper und Geist?

Die nächste Revolution in der Reproduktionsmedizin – nach den ersten In-vitro-Fertilisationen 1978 – steht bereits vor der Tür. In Zukunft können in einer Petrischale Hunderte von Embryonen aus elterlichen Zellen gezeugt werden. Nachdem durch DNA-Analysen die Veranlagungen jedes einzelnen Embryos detailliert bestimmt wurden, können die Eltern ihr Wunschkind auswählen. Dies und vieles mehr wird durch die Verwendung von Stammzellen möglich sein.

XII. Biotechnologie – Medizinischer Traum oder zukünftige Realität?

In der Biotechnologie wird immer mehr mit Nanorobotern gearbeitet. Sie werden bereits eingesetzt, um Medikamente gezielt in krankes Gewebe zu transportieren, so dass Krankheitserreger oder mutierte Zellen direkt mit Wirkstoffen angegriffen werden können. Man spricht in diesem Zusammenhang von «medizinischen Wunderkugeln». Die Zukunftsaussichten für den Einsatz von Nanomaschinen in der Medizin sind jedoch noch viel spannender. Sie reichen von ultrakleinen Nanorobotern (sog. «Nanobots»), die sich permanent auf der Suche nach Krankheitserregern durch unseren Körper bewegen, von automatischen Nano-Checks jeden Morgen beim Zähneputzen über Biomarker, die schwere Krankheiten im Frühstadium anzeigen, bis hin zum Ersatz defekter Körperteile durch Implantate aus entsprechenden Nanopartikeln.

XIII. Neue Lebensmitteltechnologien – Wie wir 10 Milliarden Menschen ernähren werden oder nur eine wissenschaftliche Traumgeschichte?

Das 20. Jahrhundert ist reich an bedeutenden technologischen Errungenschaften und prägenden Technologien. Müsste man jedoch die für die Menschheit bedeutendste technische Erfindung des letzten Jahrhunderts benennen, fiele die Wahl wohl auf das Haber-Bosch-Verfahren von 1908, das die grosstechnische Herstellung von Ammoniak aus Wasserstoff und Luftstickstoff ermöglichte. Ohne das Haber-Bosch-Verfahren wäre es unmöglich, auch nur die Hälfte der heutigen Weltbevölkerung zu ernähren. Doch auch Kunstdünger und moderne Agrartechnik werden die Aufgabe, 10 Milliarden Menschen zu ernähren, nicht bewältigen können. Neben dem (umstrittenen) Einsatz von Gentechnik müssen zwangsläufig mehr Lebensmittel industriell hergestellt werden. Und genau hier könnte es durch den technologischen Fortschritt bald zu massiven Veränderungen kommen, nämlich durch Fleisch, das wie aus dem 3D-Drucker kommt. Solche „Drucker“ verwenden Muskelstammzellen von Rindern, die künstlich gezüchtet und vermehrt und dann mit Nährstoffen, Salzen, pH-Puffern usw. vermischt werden. Das Ergebnis schmeckt höchstwahrscheinlich köstlicher und ist gleichzeitig gesünder als jedes bisherige Tierfleisch, und … das praktisch ohne CO2-Emissionen!

XIV. Synthetisches Leben – Wenn der Mensch Gott spielt: Teil I

Neben der Optimierung von Genen, der Lebensverlängerung durch Krebsbehandlungen, der verbesserten Pflanzenzüchtung und der Stammzelltherapie eröffnet die Gentechnik noch eine weitere aufregende wie nicht weniger unheimliche Möglichkeit des menschlichen technologischen Eingreifens: die Schaffung völlig künstlichen Lebens, das auf bestimmte Zwecke zugeschnitten ist. Leben von Grund auf neu zu schaffen, nennen Genforscher heute «synthetische Biologie». Dieses neue Forschungsgebiet der Biologie zielt darauf ab, Lebensformen zu schaffen, die es auf unserem Planeten noch nie gegeben hat.

XV. Lebensverlängerung – Wenn der Mensch Gott spielt: Teil II

Warum werden wir eigentlich älter – und sterben schliesslich? Die Wissenschaft kann diese Frage immer noch nicht genau beantworten. Keine der verschiedenen Theorien des Alterns ist allgemein anerkannt. Vereinfacht könnte man sagen, dass unsere Zellen und Organe mit der Zeit einfach ihre Funktionsfähigkeit verlieren. Doch die meisten Genforscher gehen heute davon aus, dass dieser Prozess aufgehalten oder sogar rückgängig gemacht werden könnte. Wird damit ein urmenschlicher Traum wahr: der Jungbrunnen des ewigen Lebens?


Doch so aufregend diese technologischen Möglichkeiten auch sind: Sind die meisten von ihnen überhaupt wünschenswert? Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der die Menschen immer älter werden oder sie genau beobachtet werden bei allem, was sie tun? Wollen wir unseren Geist komplett verändern oder künstliche Intelligenz, die uns in allem überlegen ist? Wollen wir die genetische Manipulation von uns oder gar ganz neues Leben erschaffen? Das besonders Unheimliche ist, dass diese Entwicklungen alle auf einmal auftreten, während die technologische Revolutionen in der Vergangenheit immer hintereinander kamen.

[1] Die Liste der zukünftigen Technologien entstammen aus Lars Jaeger, Michel Dacorogna, Präsenz und Vergangenheit von Wissenschaften und Technologien, noch im Draft in Verarbeitung.

[2] Siehe auch: Lars Jaeger, An Old Promise of Physics – Are We Moving Closer Toward Controlled Nuclear Fusion?, atw International Journal for Nuclear Power (December 2020)

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www.larsjaeger.ch

Jahrgang 1969 habe ich in den 1990er Jahren Physik und Philosophie an der Universität Bonn und der École Polytechnique in Paris studiert, bevor ich am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden im Bereich theoretischer Physik promoviert und dort auch im Rahmen von Post-Doc-Studien weiter auf dem Gebiet der nichtlinearen Dynamik geforscht habe. Vorher hatte ich auch auf dem Gebiet der Quantenfeldtheorien und Teilchenphysik gearbeitet. Unterdessen lebe ich seit nahezu 20 Jahren in der Schweiz. Seit zahlreichen Jahren beschäftigte ich mich mit Grenzfragen der modernen (sowie historischen) Wissenschaften. In meinen Büchern, Blogs und Artikeln konzentriere ich mich auf die Themen Naturwissenschaft, Philosophie und Spiritualität, insbesondere auf die Geschichte der Naturwissenschaft, ihrem Verhältnis zu spirituellen Traditionen und ihrem Einfluss auf die moderne Gesellschaft. In der Vergangenheit habe ich zudem zu Investment-Themen (Alternative Investments) geschrieben. Meine beiden Bücher „Naturwissenschaft: Eine Biographie“ und „Wissenschaft und Spiritualität“ erschienen im Springer Spektrum Verlag 2015 und 2016. Meinen Blog führe ich seit 2014 auch unter www.larsjaeger.ch.

6 Kommentare

  1. Die Goldenen 20er Jahre dieses Jahrtausends
    Das Zwischenkriegs-Jahrzehnt 1920-1930 ging in die Geschichte ein als Goldene Zwanziger, Roaring Twenties (englisch), Anni ruggenti (italienisch), années folles (franz.).
    Die 2020er Jahre werden das genauso tun – und sie werden wohl ebenfalls als Zwischenphase in der Erinnerung bleiben, denn der Missbrauch der in den 2020er Jahren geschaffenen Technologien wird erst später kommen.

    Nimmt man einige der wichtigsten Technologien der 2020er Jahre zusammen, nämlich

    – Künstliche Intelligenz als neuen Treiber von Wissenschaft und Technologie, als Grundlage von autonomen Systemen (wie selbstfahrenden Autos oder automatisierten Fabriken) und als Kommunikationsmittel zwischen Technologie und Menschen, kann man doch bald schon mit Computern sprechen
    – Nahrungsmittelproduktion im Labor (Laborfleisch, etc)
    – Wiederverwendbare Raketen, die den billigen Transport grosser Mengen von Material in den niederen Orbit ermöglichen
    – Kernfusion (für den Mars, siehe weiter unten)

    so ist es denkbar, dass bereits in den 2030er Jahren grosse bewohnte Weltraumstationen im niederen Orbit kreisen, die sich teilweise selbst versorgen (z.B. mit Nahrungsmitteln, Strom).
    Und ab 2050 könnte es grosse Marskolonien geben, die zuerst einmal von Robotern und anderen autonomen Maschinen bewohnt werden, die aber auch Astronauten willkommen heissen.

    Diese beiden Beispiele zeigen, dass viele Zukunftsvisionen überhaupt erst mit Technologien aus den 2020er Jahren möglich werden. Denn ohne grossenteils autonom agierende technische Systeme werden Marskolonien für immer viel zu teuer bleiben. Denn Marskolonien müssen wegen den hohen Kosten eines Erde-Mars Transports ab einer bestimmten Grösse selbstversorgend und selbsterhaltend werden. Astronauten allein sind kaum in der Lage, Marskolonien mit einer Kombination von Bergbau, Farming, Wassereis-Beschaffung, .. etc am Laufen zu halten. Für halbwegs intelligente Roboter ist das allerdings kein Problem. Die können sich sogar selber reparieren und von Grund auf neu zusammenbauen.

    Was aber werden die Menschen auf der Erde am meisten schätzen an der Technologie der 2020er Jahre? Nun, alles was die Gesundheit und das tägliche Leben betrifft, also etwa
    – deutlich mächtigere Krebstherapien durch eine personalisierte Medizin, bei der KI-Apps, den 1) optimalen Behandlungsplan erstellen, 2) die auf das bioptisch bestimmte Krebsgenom abgestimmten Therapien einleiten, die etwa CRISPR basiert sind (CAR-T- Therapien etwa)
    – Antiaging-Therapien, die die heute als normal betrachteten Alterserkrankungen wie Arthritis, Übergewicht, Diabetes, Arteriosklerose, Demenz entweder ganz zum Verschwinden bringen oder aber in die ferne Zukunft verschieben
    – Gesprächs- und Lebenspartner, die auf künstlicher Intelligenz beruhen, mit denen man reden und etwas machen kann (sie erzählen dir eine selbst erfundene an die Situation angepasste Geschichte oder unternehmen mit dir virtuelle Reisen.

    Und nun zur Frage, die Lars Jaeger im obigen Artikel aufgeworfen hat: Wie sieht eine „gute“ Welt mit 10 Milliarden Einwohnern aus?
    Wobei man sich bewusst sein sollte, dass es nicht die reine Anzahl von Menschen ist, welche Probleme macht, sondern es ist vielmehr der Wunsch der vielen Menschen, ein gutes Leben zu führen. Ein Leben nicht nur mit Essen und Trinken, sondern auch mit Reisen um die halbe Welt, mit Partys und grossen Häusern und vielem mehr. Diese Menschen sind wir hier im Westen und zusammen mit den Chinesen, die aufgeholt haben auf dem Weg zu uns, stossen wir 85% aller Treibhausgase aus. Ganz Afrika ist im Jahr 2022 nur für 4% der Emissionen verantwortlich – trotz 1.3 Milliarden Einwohnern. Nur will Afrika zu uns aufschliessen.
    Der enorme Ressourcenverbrauch der reichen Welt zusammen mit den monumentalen Abfallbergen (mit CO2 als gasförmiger Abfall) sorgt nicht nur für den Klimawandel, sondern auch für das Artensterben und den Verlust an Biodiversität, weil für die Natur immer weniger übrigbleibt.
    Viele Grüne glauben, das Problem durch ein besseres Zusammenleben von Mensch und Natur lösen zu können und sie werben etwa für organische Agrikultur, die weniger intensiv sei. Nur benötigt organische Agrikultur auch mehr Fläche und zerstört damit natürliche Habitate.
    Für mich sieht die Lösung des grossen Rohstoff-Fressers und Materialvernichters Mensch anders aus. Die Lösung ist eine höhere Rohstoff- und Materialeffizienz. Oder anders formuliert: Mehr mit weniger. Anstatt ganze Landstriche mit Solarpaneln und rohstoffverschlingenden Windturbinen zu überdecken, ein 30 X 30 X 30 Meter grosses Gebäude in dem mittels Nuklearfusion aus ein paar Litern Wasser Strom für eine ganze Stadt produziert wird. Anstatt endlose Prärien, auf denen Rinder wachsen um schliesslich zu Fleisch im Kühlschrank zu werden, ein Labor, das Fleisch auf ganz kleinem Raum mit ganz wenig Ressourcen erzeugt.
    Erschaffung von Dingen aus dem Nichts. Diese Idee ist nicht neu. Als Ideal für eine zukünftige Technologie wurde dafür von Buckminster Fuller der Begriff Ephemeralization erfunden:

    Ephemerisierung ist die Fähigkeit des technologischen Fortschritts, “immer mehr mit immer weniger zu tun, bis man schließlich alles mit nichts tun kann”, d.h. eine beschleunigte Steigerung der Effizienz, die gleiche oder mehr Leistung (Produkte, Dienstleistungen, Informationen usw.) zu erzielen und gleichzeitig weniger Input (an Aufwand, Zeit, Materialien, Ressourcen usw.). Die Anwendung von Materialien und Technologien in modernen Mobiltelefonen im Vergleich zu älteren Computern und Telefonen ist ein Beispiel für die Konzepte der Ephemerisierung, bei denen der technologische Fortschritt die Effizienz steigern kann, indem weniger Materialien verwendet werden, um einen größeren Nutzen zu bieten (mehr Funktionalität bei weniger Ressourcenverbrauch). Fullers Vision war, dass die Ephemerisierung durch technologischen Fortschritt zu einem ständig steigenden Lebensstandard für eine ständig wachsende Bevölkerung führen könnte.

  2. Fleisch, das wie aus dem 3D-Drucker kommt. Solche „Drucker“ verwenden Muskelstammzellen von Rindern, die künstlich gezüchtet und vermehrt und dann mit Nährstoffen, Salzen, pH-Puffern usw. vermischt werden.

    Könnte man da nicht noch einen Schritt weiter gehen, und auch pflanzliche Nahrung drucken? Quasi die endgültige Trennung von Mensch und Natur zu vollenden, eine Trennung die ja schon vor 10 000 Jahren mit der Erfindung der Landwirtschaft begonnen hat (der Urmutter aller Umweltsünden).

    Der Mensch würde nur mehr in Städten wohnen und dort wo heute kostbares Land an Ackerböden verschwendet würde, könnten wieder Urwälder gedeihen. Und das bei einer Weltbevölkerung von über 10 Milliarden!

    • @Julian Apostata(Zitat): „Der Mensch würde nur mehr in Städten wohnen und dort wo heute kostbares Land an Ackerböden verschwendet würde, könnten wieder Urwälder gedeihen. “

      Da sind wir ja auf derselben Wellenlänge.

  3. Alles wird gut!
    Wissenschaftlicher Fortschritt ist schon etwas Faszinierendes. Vielen Dank an Lars Jäger für die aufgezählten 15 Trends.

    Die Auflistung dieser Themen ist eine notwendige Reduktion der zukünftigen Entwicklung. Die Berücksichtigung von Problemen, die den Weg zur Einsatzfähigkeit behindern, würden hier zwangsläufig zu einer Verkomplizierung führen.

    Aber das kann man ja den Kommentatoren überlassen:
    Das Platzproblem gehört dazu, von dem Martin Holzherr spricht, und die Erweiterung der Nahrungsmittelvision von Julian Apostata.
    Ich füge bei Zukunftsfortschreibungen gerne auch die politische und soziale Dimension hinzu und komme oft zu verheerenden Einsichten.

    Ephemerisierung ist die Fähigkeit des technologischen Fortschritts, “immer mehr mit immer weniger zu tun, bis man schließlich alles mit nichts tun kann”

    Wenn mit immer weniger Aufwand Großes bewirkt werden kann, begibt die Menschheit sich mehr und mehr in die Lage, dass einige wenige mit dem Schicksal der Welt spielen können. Ein mahnendes Beispiel seien hier die zunehmend bizarr anmutenden Rüstungsvisionen einzelner Staatenlenker. Die Zündung einer Atombombe oder die Freisetzung tödlicher Keime wären hier nur beispielhaft erwähnte fatale Ereignisse.

    Die Klimaveränderung hingegen ist auf das genaue Gegenteil zurückzuführen. Die bloße Masse der Menschen führt ohne echte zerstörerische Absicht zu katastrophalen Veränderungen durch Verwendung von fossilen Brenn- und Kunststoffen. Ein grundsätzliches Problem von Autokratien.

    Einen möglichen Ausweg würde ein Zusammenschluss der Staaten aufzeigen. Die Welt braucht eine Verfassung, die verbindlich für Regierungen sein sollte. Staatliche Souveränität muss enden, wenn der Rest der Welt gefährdet wird. Dazu gehört selbstverständlich auch eine anwendbare Interventionsmethodik.

    Darüber hinaus ist in den Corona-Jahren deutlich geworden, dass politische Entscheidungen zunehmend von wissenschaftlichen Erkenntnissen beeinflusst werden müssen. Auch das wird in Zukunft wichtiger werden. Aber: Wie geht man mit alternativen (unwissenschaftlichen?) Sichtweisen um?
    Die Menschen wollen immer individueller ihr Glück finden, sollen auf der anderen Seite aber ein gemeinsames Verständnis von Weltmodellen haben? Wie kann das funktionieren?

    • @Andreas Grund (Zitat): “Die Welt braucht eine Verfassung, die verbindlich für Regierungen sein sollte. Staatliche Souveränität muss enden, wenn der Rest der Welt gefährdet wird. Dazu gehört selbstverständlich auch eine anwendbare Interventionsmethodik.“
      Zustimmung, hier mit Präzisierung:
      Das Subsidiaritätsprinzip muss auch für die globale Ebene gültig werden.
      Das bedeutet:
      – Jedes Individuum handelt entsprechend seinen Fähigkeiten und seinem Zuständigkeitsbereich (Eigenes Leben+Familie)
      – Jeder Staat handelt im Sinne seiner Bürger und vertritt die Interessen der Bürger gegenüber anderen Staaten
      – die ermächtigte UNO handelt im Gesamtinteresse der Menschheit und verteidigt das Gesamtinteresse der Menschheit gegenüber den Staaten.

      Mit andern Worten: Was die Theoretiker der Machtteilung/Gewaltenteilung (also Locke, Montesquieu) erkannt haben, nämlich dass Macht immer beschränkt werden muss auf einen bestimmten Zuständigkeitsbereich, das gilt auch für die Welt insgesamt. Für das Wohl und die Integrität des Planeten sollte so etwas wie die UNO zuständig werden und sie sollte das Recht erhalten, gegen Staaten vorzugehen, die dagegen verstossen und sollte eigene Geldmittel erhalten um ihre Aufgabe, nämlich den Schutz des Planeten, wahrnehmen zu können.

  4. Vision eines ressourceneffizienten Lebens in D im Jahr 2050
    Wir befinden uns im Jahre 2053 (eine Primzahl) in Münster, Deutschland in einem 3-Zimmer Appartement eines Mehrfamilienhauses in Passivbauweise. Im Winter müssen Ruth und Mathias nur noch selten heizen, ist es doch in D im Durchschnitt 2 Grad wärmer als noch im Jahr 2000. Seit kurzem sind Ruth und Mathias, beide früher Klimaaktivisten, ruhiger geworden, gibt es doch jetzt begründete Hoffnung, dass die 2.7 Grad-Grenze in diesem Jahrhundert nicht mehr überschritten wird und die Temperaturen dank Fusionskraftwerken, deren Energie dazu genutzt wird, der Atmosphäre CO2 entziehen, im nächsten Jahrhundert wieder sinkt. Deutschland ist auch fast schon klimaneutral, wird doch pro Person nur noch 1 Tonne CO2 pro Jahr emittiert und es werden Jahr für Jahr weniger. Ruth und Mathias besitzen ein extrem effizientes Elektroauto, das mit einer vollgeladenen 50 Kilowattstundenbatterie 1000 Kilometer weit fährt. Oft sind sie aber auch bei Strecken bis 350 Kilometer Distanz (Den Haag, Brüssel, Frankfurt, Berlin) mit einem elektrischen Flugbus unterwegs. Das kostet soviel wie mit der Bahn ist aber doppelt so schnell und gleich umweltfreundlich.
    Mathias 100-jähriger Grossvater, der in Köln lebt und nach einer Antiaging-Therapie wie 60 aussieht (und sich auch so benimmt, nämlich ungestüm), besucht sie am Wochenende oft mit dem elektrischen Flugbus und steht oft schon um 8 Uhr vor der Tür – Köln ist halt nur 30 Flugminuten von Münster entfernt.
    Jedenfalls leben sie, Ruth und Mathias, jetzt so, wie sie es immer wollten: nämlich gut trotz persönlichem Energieverbrauch von weniger als 10 Megawattstunden pro Jahr, also 4 Mal weniger als ein Durchschnittsdeutscher im Jahr 2023 verbrauchte. Das liegt auch an ihrer Nahrung, die vor allem aus einer der jetzt beliebten Mikroalgen (10 Mal weniger Flächenverbrauch als Soja) und anderen protein- und nährstoffreichen Pflanzen besteht.

    Klar mussten sie auch ein paar Kompromisse machen. So sind sie seit 10 Jahren nicht mehr nach Amerika oder Asien geflogen, sondern immer im kleinen, aber heimeligen Europa geblieben.

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