„Never Ending Stories“ – Von gemeinsamen Strukturen wissenschaftlichen und spirituellen Suchens

Eine der sowohl naturwissenschaftlich wie auch philosophisch spannendsten Fragen überhaupt ist die nach dem Wesen der Zeit. Dabei sehen uns wir mit einer bemerkenswerten Dichotomie konfrontiert: Die uns im Alltag geläufigen Zeitvorstellungen sind nahezu allesamt mit wiederkehrenden kosmischen und irdischen Prozessen verbunden, der tägliche Lauf der Sonne, der monatliche Zyklus des Mondes, die alljährliche Umlaufbewegung der Erde um die Sonne und nicht zuletzt der Zyklus aus Geburt, Altern und Tod, der alles Leben definiert. Die meisten asiatischen wie zahlreiche antik-westlichen[1] philosophische, spirituelle und mystische Denktraditionen beschreiben Zeit daher als zyklisch: alle zeitabhängigen Vorgänge sind wiederkehrend. Fernöstliche hinduistisch, taoistisch oder buddhistisch geprägte Traditionen beschreiben unser Leben als Bestandteil einer unzählige Abfolgen von Werden (Geboren werden), Vergehen (Sterben) und Wiedergeboren werden. Das gesamte Geschehen im Universum entspricht einer Abfolge von periodisch wiederkehrenden Weltzeitaltern. Und auch der abendländischen Moderne sind zyklische Geschichtsvorstellungen keineswegs abhandengekommen –  nicht selten tragen diese apokalyptische Züge, wie etwa bei Oswald Spengler oder, etwas aktueller, im Weltbild des einflussreichen US-Präsidentenberaters Steve Bannon.

Zeit besitzt jedoch auch eine dazu komplementäre Eigenschaft: Sie kennt nur eine Richtung. Vorgänge in unserer Welt können nur vorwärts, niemals rückwärts in der Zeit ablaufen. Eine Tasse, die beim Fall zu Scherben zerspringt, ist eine mögliche Erfahrung, Scherben, die sich wieder zu einer Tasse zusammenfügen, dagegen nicht. Aus der Sicht der theoretischen Physik ist dies zunächst einmal eigenartig, denn die Grundgleichungen der Mechanik, Elektrodynamik, Relativitätstheorie und Quantentheorie sind „zeitumkehrinvariant“: Sie können grundsätzlich  sowohl Prozesse von einer Zeit t1 nach t2  (t1 < t2) beschreiben, als auch die entsprechenden Prozesse in umgekehrter Zeitfolge von t2 nach t1. Mit anderen Worten, die Grundgesetze der Physik beschreiben ausschliesslich „reversible“ Vorgänge. Erst als sie sich am Ende des 19. Jahrhunderts mit Wärmephänomenen beschäftigen und nach den theoretischen Grundlagen von Dampfmaschinen und Verbrennungsmotoren suchten, merkten die Physiker, dass es in der Natur notwendigerweise auch irreversibel Vorgänge gibt. Diese Erkenntnis mündete in den bekannten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, auch „Entropiesatz“ genannt: Ein System vieler Teilchen kann immer nur in eine Richtung laufen, vom Zustand niedrigerer zum Zustand höherer Entropie. Ludwig Boltzmann gab dem (zunächst eher ad hoc eingeführten) Begriff Entropie schliesslich seine physikalische Bedeutung als ein Mass für die Unordnung in einem Vielteilchen-Systems. Damit lässt sich der Entropiesatz auch wie folgt formulieren: In einem (abgeschlossenen) System nimmt die Entropie mit der Zeit niemals ab, sondern immer nur zu oder bleibt gleich (eine Erfahrung, die wir auch im Alltag machen, wenn wir merken, dass unsere Wohnung mit der Zeit immer unordentlicher wird, wenn wir nicht ab und zu aufräumen). Und auch das kosmologische Standardmodell, das „Lambda-CDM-Modell“ des Universums, kennt nur eine Zeitrichtung: Es beschreibt die Evolution des Universums innerhalb der letzten 13.8 Milliarden Jahren aus einer Singularität (dem „Urknall“) bis zu seinen heutigen Strukturen.

Es fällt nicht schwer zu erkennen, welche Zeitvorstellung im modernen Denken dominiert. Als wesentliche Triebkräfte der Moderne waren es die Naturwissenschaften, die in den letzten 400 Jahren einen weitaus dramatischeren Wandel im menschlichen Denken und Leben bewirkt haben als dies je zuvor in einer vergleichbaren Periode der aufgezeichneten menschlichen Geschichte geschehen war. Und mit fortdauernder Entwicklung ist aus dem Wunsch der Naturwissenschaftler, die Welt zu verstehen, längst auch ein Wille zur Gestaltung geworden, der uns auf eine rasante, immer schneller werdende Fahrt in eine durch die Naturwissenschaften und die auf ihnen aufbauenden Technologien geprägte Zukunft führt. Dabei folgen die Menschen einer zentralen Idee: der Idee des Fortschrittes. Im Angesicht zunehmender − und sich in den nächsten Jahren wohl noch weiter beschleunigender − Digitalisierung, Nano- und Quantentechnologisierung, Neurologisierung, Biologisierung und anderer ‚-sierungen‘ erleben wir einen historischen Umbruch, der mit hoher Wahrscheinlichkeit unser Menschenbild, sowie unser Sinn- und Daseinsverständnis massiv verändern wird[2]. Das hat Auswirkungen auf grosse Teile der philosophischen Diskussion: Geht es um die ‚Natur der Dinge‘ und zunehmend auch die ‚Natur unserer selbst‘, kommt die führende interpretative Rolle heute den Naturwissenschaften zu[3].

Bei aller offensichtlichen Linearität des naturwissenschaftlichen Fortschrittes und dessen Ausprägung in unserem modernen Zeitverständnis stellt sich nichtsdestotrotz die Frage, ob sich nicht auch der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn und seine Entwicklung durch Periodizitäten auszeichnen. Wir wollen ihr auf zwei Ebenen nachgehen:

  1. Auf Ebene der Struktur und Dynamik des wissenschaftlichen Fortschrittes selbst
  2. Im Lösungsraum der Behandlung und Beantwortung jahrtausendealter existentieller Fragen

Es war der amerikanische Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn, der in der 1960er Jahren prominent darauf hinwies, dass auch der wissenschaftliche Fortschritt universellen Rhythmen und Gesetzmässigkeiten unterworfen ist[4]. Für Kuhn beschreibt der Betrieb einer wissenschaftlichen Disziplin Zyklen, bestehend aus „normalen Phasen“, dem Auftreten von „Anomalien“ und einer entsprechenden Krise der Disziplin und schliesslich dem Prozess einer paradigmenverändernden Revolution. Kuhns Beschreibung der Dynamik wissenschaftlicher Erkenntnisgenesis ähnelt Musterbildungsprozessen in biologischen oder sozialen Systemen. Die einem jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstadium zugrunde liegende zentrale Beschreibungseinheit nennt Kuhn das „Paradigma“. Es stellt die zu diesem Zeitpunkt allseits akzeptiere grundsätzliche Lehrmeinung dar. Nach einer Phase vorparadigmatischer „Protowissenschaft“, gekennzeichnet durch inkohärentes Suchens und einer Konkurrenz vieler verschiedener Ansätze und Theorien, finden sich eine wissenschaftliche Disziplin zuletzt in einer normalen Phase wieder, in der sich die Wissenschaftler auf ein einziges gemeinsames Paradigma geeinigt haben. Doch erzeugt diese „normale Wissenschaft“ mit der Zeit notwendigerweise Unstimmigkeiten und Anomalien, die, wenn sie eine kritische Masse erreicht haben, zu einer Krise und schliesslich in eine Phase der Degeneration des alten Paradigmas führen. Das nachfolgende Stadium, charakterisiert durch die Suche nach einem neuen Paradigma, nennt Kuhn „ausserordentliche Wissenschaft“. Mit der Einigung auf ein neues Paradigma innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft findet diese Phase zuletzt ihr Ende, womit der Zyklus wieder von vorne beginnt. Den Prozess dieser Einigung nennt Kuhn etwas pathetisch eine „wissenschaftliche Revolution“.

Trotz aller Zyklenhaftigkeit, die Kuhn der wissenschaftlichen Erkenntnisentwicklung zuschreibt, handelt es sich hier allerdings nicht um einen Prozess, der irgendwann wieder an einen Ausgangspunkt zurückkehrt, wie ihn das Bild eines geschlossenen Kreises beschreibt. Kuhns Zyklen sind Kreise im Raum der prozeduralen Strukturen, nicht jedoch im Raum der Erkenntnis. In letzterem liesse sich anstatt eines Kreis vielmehr eine Spirale erkennen, deren vertikale Achse eine (zeitlich) Fortschrittsdimension darstellt. Denn tatsächlich darf die Wissenschaft von sich behaupten, mit der Zeit zu mehr Wissen zu gelangen. Um im Forschungsbetrieb ein wissenschaftshistorisch haltbares Muster von Rückkehr zu immer wiederkehrenden Ausgangspunkten zu finden, sollten wir nicht auf die Dynamik des wissenschaftlichen Betriebs schauen oder auf das (immerfort wachsenden) Spektrum unseres Wissens über das Naturgeschehen, sondern auf die Überlappungen mit existentiellen Fragen, die beide, sowohl wissenschaftliches als auch spirituelles Suchen, beschäftigen:

  • Wie entstand die Welt?
  • Woraus besteht alles?
  • Woher kommt das Leben?
  • Was ist der Mensch?
  • Wie lässt sich unser Geist verstehen?
  • Was ist der Sinn unserer Existenz?
  • Und was bedeutet unser Tod?

Bereits seit Jahrtausenden beschäftigen sich die Menschen mit den diesen Fragen zugrundliegenden existenziellen Geheimnissen. Sie führen uns auf ein weites Feld sowohl wissenschaftlicher als auch spiritueller Perspektiven, wie sie die heutige Physik (Quantenphysik, Relativitätstheorie, Kosmologie) und Biologie (Eigenschaften lebender Systeme, Genetik, Evolutionstheorie) sowie ihre interdisziplinären Grenzgebiete (nicht-lineare Phänomene, Emergenz, Kybernetik, Selbstorganisation), aber auch traditionelle metaphysische Denkansätze von Philosophie, religiösen Glaubenssystemen oder fernöstlicher Spiritualität bieten. Trotz der Dominanz des naturwissenschaftlichen Erkenntnisparadigmas haben sie bis heute weder von ihrem Geheimnis noch von ihrer Faszination, ihrer Kraft oder ihrer Bedeutung verloren. Und haben uns die Naturwissenschaften bereits den einen oder anderen spektakulären Blick auf den Raum möglicher Antworten ermöglicht, so wurden die Wissenschaftler zugleich immer wieder selbst von den spirituellen Dimensionen dieser Fragen eingeholt. Betrachten wir das Schaffen grosser Naturforscher der Vergangenheit von Kepler und Newton über Darwin und Maxwell bis zu Einstein und Bohr, so erkennen wir in ihrem Denken immer auch den Ansporn, Antworten auf sie zu geben – um dabei immer wieder dorthin zurückzukehren, wo die antiken Philosophen bereits waren.

Die Wissenschaftler umkreisen diese existentiellen Fragen wie Planeten, die der Gravitationskraft ihres Zentralgestirns nicht zu entfliehen vermögen. Oder ist es vielleicht eher eine Reise auf einem Möbius-Band? Bei dieser kehrt man zwar wie auf einer Kugel oder einen Kreis immer wieder zur gleichen Stelle zurück, nur halt auf der anderen Seite des Ausgangspunktes (den man daher oft nur schwer wiedererkennt), um die Dinge sozusagen „von der anderen Seite“ zu betrachten (erst eine doppele Umrundung führt uns wieder zum Ausgangspunkt zurück). Oder handelt es sich gar um einen Spaziergang auf einer „Penrose Treppen“, bei der man immer weiter aufsteigt, um dennoch wieder zum Ausgangspunkt zu gelangen (diese unmögliche Treppe ist benannt nach Lionel Penrose und seinem – bekannteren – Sohn Roger Penrose. Berühmt wurde sie durch M.C. Eschen, den sie zu seinem berühmten Bild inspirierten)? Auf diesen Wegen, seien sie Möbius- oder Penrose-artig, erkennen wir etliche Verbindungen zum spirituellen Suchen, Fragen und Denken, begreifen Bezüge zum religiösen Transzendenten und treffen nicht zuletzt auf den tiefen menschlichen Wunsch nach einem Sinn in unserem Dasein.

Doch religiöse und spirituelle Dimensionen unseres Denkens beanspruchen ihren eigenen Raum jenseits der Naturwissenschaften, intuitiv erfassend, dass die naturalistische Perspektive der Wissenschaften vielleicht nicht alles über die Welt und uns aufzuklären vermag. Der Philosoph Jürgen Habermas spricht in diesem Zusammenhang vom „Bewusstsein, dass etwas fehlt“. Dieses Fehlende entspricht – je nach Sichtweise − einem menschlichen Bedürfnis oder der Möglichkeit eines tieferliegenden Zugangs, bei dem unsere Welt- und Daseinserfassung auf Formen des Nicht-Materiellen und Nicht-Nützlichen ausserhalb des naturwissenschaftlichen Methoden- und Erfassungsvermögens zurückgreifen müssen, deren gemeinsamer Nenner seit nahezu 3000 Jahren der Bezug auf geistige, zumeist transzendente Entitäten ist. Wir fragen als Menschen nicht nur nach den weltlichen Wirkungs- und Kausalmechanismen, sind nicht nur an unserem Dasein als solchem interessiert, sondern wir fragen auch, was und wozu wir da sind und was wir in dieser Welt sollen und wollen sollen. Fragen wie diese kann die Wissenschaft nicht nur nicht beantworten, streng genommen kann sie sie schon gar nicht stellen. Sie umfassen das „grosse Ganze“, welches sich durch das Partikuläre nicht erfassen lässt. Und betrachten wir dieses „grosse Ganze“, so brauchen wir eo ipso einen Blickwinkel von ausserhalb davon, eine jenseitige Perspektive, mit anderen Worten: eine transzendente Sichtweise.

So müssen wir auch erkennen, dass obwohl die Naturwissenschaft die wohl prägendste Kraft des modernen Denkens über die Natur und den Menschen darstellt, sie in keiner ihrer Disziplinen bisher an irgendeine Art von Ende gelangt ist. Nirgendwo zeichnet sich ab, dass sie obige Fragen endgültig geklärt und die mit ihnen verbundenen Geheimnisse unserer Welt aufgeklärt hat. Wenn sie nach dem Anfang der Welt, der letzten Grundstruktur der Materie, der Entstehung des Lebens oder dem Wesen unseres Bewusstseins fragen, müssen die Wissenschaftler zuletzt noch immer auf Hypothesen oder gar Spekulationen zurückgreifen, die denen der Vorsokratiker oder buddhistischen Philosophen der Antike durchaus ähneln.  Dies betrifft auch und insbesondere die tiefste der existentiellen Fragen, welche der englische Naturalist Henry Huxley 1863 wie folgt formulierte:

Die Frage aller Fragen – das Problem, welches allen übrigen zugrunde liegt und welches tiefer interessiert als irgend ein anderes, ist die Bestimmung der Stellung, welche der Mensch in der Natur einnimmt, und seiner Beziehung zur der Gesamtheit aller Dinge.

 Die antiken Philosophen Platon und Aristoteles erkannten, dass der Ursprung dieser Fragen in unserem Staunen liegt, einem profunden Staunen über die Schönheit der Natur, die Mächtigkeit ihrer Gewalten, die Vielfalt ihrer Gestalten und die Geheimnisse und Wunder ihrer Phänomene.  Diese „Wunder“ bringen uns „zum wundern“, und dieses „sich wundern“ birgt bis heute einen gemeinsamen Entstehungskeim und anhaltenden (und immer wiederkehrenden) Motivationstreiber sowohl des wissenschaftlichen als auch des spirituellen Erkenntnisstrebens. Denn sowohl Naturwissenschaftler als auch spirituell geprägte Menschen empfinden bis heute tiefe Ehrfurcht und anstachelnde Neugier angesichts des Erhabenen im Naturgeschehen und in der Phänomenologie unseres Geistes. Einstein fasste dieses Gefühl der Ehrfurcht des Naturwissenschaftlers wie folgt zusammen:

Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Wissenschaft und Kunst steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge ist erloschen.

So lassen sich die modernen Naturwissenschaften einerseits als grosse Herausforderung für spirituelle Selbstgerechtigkeit, als einen substantiellen Einbruch in die spekulative Behandlung existentieller Fragen deuten. Womit  die 400-jährige Geschichte des Verhältnisses von religiösen und spirituellen Traditionen zur modernen Wissenschaft auch als Historie eines immer weiteren Verdrängens traditioneller spekulativer Antworten auf sie gesehen werden kann (so wissen wir heute, dass die Welt nicht vor 6000 Jahren geschaffen wurde, die Erde nicht Mittelpunkt des Kosmos ist, das heutige Leben auf der Erde nicht aus einem einzigen göttlichen Schöpfungsakt hervorgegangen ist, und die Wahrnehmung und das Denkens einen materiellen Träger im Gehirn besitzen). Mit anderen Worten, die Wissenschaft hat sich als mächtige Korrektur nicht länger haltbarer metaphysischer Spekulationen religiöser, spiritueller und philosophischer Denkbewegungen bewiesen.

Zugleich konnte sie sich dabei selber nie dem Wundern und Staunen entziehen. Bei eingehender Betrachtung der historischen Entwicklung der Naturwissenschaften erkennen wir sogar, dass spirituelle Fragen in ihr immer wieder eine entscheidende Rolle gespielt haben. So fallen sowohl der Beginn der rationalen Naturerfassung wie auch die „Entdeckung des Transzendenten“ nicht zufällig in die gleiche Periode von ca. 800 bis 200 v.u.Z., die Karl Jaspers  begrifflich als „Achsenzeit“ der Menschheit geprägt hat. In ihr liegen sowohl der bekannte Übergang vom „Mythos zum Logos“ als auch der (weniger bekannte) Ursprung der monotheistischen Religionen im Nahen Osten, die Reinkarnationslehre in Indien und der Zoroastrismus in Persien. Die in dieser Zeit geborene intellektuelle Mischung aus empirisch-rationaler Naturerfassung und transzendenzbezogener Wirklichkeitsauffassung hielt sich bis in die Neuzeit. Sie trieb noch Kepler und Newton zu ihren Naturtheorien und ermöglichte zugleich der modernen Naturphilosophie Descartes und Leibniz die ersehnte Möglichkeit einer letztendlichen Gewissheitsinstanz jeder Naturbeschreibung, wie unten noch weiter ausgeführt werden soll. Und obwohl die Gegensätze zwischen naturwissenschaftlich-empirisch-rationaler Weltbeschreibung und metaphysisch-spekulativem Transzendenzbezug mit der europäischen Aufklärung immer deutlicher zutage traten, riss ihre Verbindung bis in die heutige moderne Naturforschung nie völlig ab.

Werden uns die Naturwissenschaften irgendwann die letzten Einzelheiten darüber erklären können, wie das Universum, unsere Galaxie, unser Planet und das Leben darauf entstanden sind? Werden wir eines Tages wissen, wie aus dem Netzwerk von Neuronen in unserem Gehirn Denken und Bewusstsein hervorgehen, oder wie sich aus unseren Genen unsere physischen und psychischen Eigenschaften erklären lassen? Werden wir wissen, wie die wirklich allerkleinsten Bausteine der Materie aussehen und ob sich die Welt mit einer einzigen Formel beschreiben lässt? Finale wissenschaftliche Antworten auf diese Fragen würden nichts weniger bedeuten als der endgültige Ausbruch aus dem bereits 3000 Jahren währenden Zyklus unseres Suchens nach Antworten auf die existentiellen Geheimnisse. Was würde dies für uns, unser Selbstbild und unser menschliches Zusammenleben bedeuten? Und was würde dies zuletzt für unsere Frage nach dem „Sinn des Ganzen“ heissen, die sich doch der direkten naturwissenschaftlichen Behandlung entzieht? Oder hat sich die Naturwissenschaft des 21. Jahrhunderts bereits in die Grenzgebiete ihrer eigenen Methodik begeben? Agiert sie bereits in Bereichen, die selbst hartgesottenen Verfechtern des naturwissenschaftlichen Erkenntnisparadigmas ihre methodischen und intellektuellen Grenzen aufzeigen? Wo genau beginnen dann andere Bereiche wie Kunst, Spiritualität oder Religion ihre eigenen Antworten mit einem ebenso eigenen Wahrheitsanspruch zu geben. Und können wir diese verschiedenen Ansprüche überhaupt irgendwie miteinander in Einklang bringen?

An dieser Stelle sei betont, dass die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts, der Urknall unseres modernen Denkens über die Natur, von religiösen und absoluten Wahrheitsbestimmungen noch derart durchdrungen war, dass man diesen bei der Entstehung des naturwissenschaftlichen Denkens gar eine wesenskonstituierende Rolle zusprechen muss. Erst in den letzten 100 Jahren lässt sich ein radikaler Wechsel in ihrem Erklärungsanspruch erkennen, welcher letzthin auch für die gesellschaftliche Diskussion um das Wirken der Naturwissenschaften eine tiefe Bedeutung gewinnt. Es lohnt sich dies genauer anzuschauen: Die historischen Anfänge der Naturwissenschaften liegen in der philosophischen Sehnsucht und Suche nach einer absoluten und letzten Wahrheit. Bereits bei den Vorsokratikern und spätestens mit Platon und Aristoteles entstanden die Grundlagen einer Metaphysik, die nach letzten Gründen und Zusammenhängen suchte, die sich hinter den Phänomenen der Natur verbergen müssen. Für dieses Letzte, Unbedingte, von nichts anderem mehr Abhängende haben die Philosophen einen eigenen Begriff entwickelt: „Substanz“ (griech. οὐσία, lat. substantia). In der antiken Naturphilosophie ging es bei der Frage nach Wahrheit also letzthin um die „erste und letzte Substanz“. Ungeachtet der philosophischen Schwierigkeiten, die mit dem Gedanken einer absoluten und finalen substantiellen Entität oder eines entsprechendes all-begründenden Prinzips allen Naturdaseins verbunden sind, hielt sich der damit verbundene intellektuelle Antrieb bis in die Neuzeit. Er motivierte Kepler in seiner Planetenlehre, galt Newton als Grundlage für sein mathematisches System der Mechanik und liess die Physiker noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einer allumfassenden Einheit der Natur träumen. Auch die mit Descartes und Leibniz beginnende moderne Naturphilosophie leitete der Wunsch und der Glaube an die Möglichkeit absoluter Gewissheit – welche, wie die beiden Philosophen, Mathematiker und Naturforscher erkannten, ihre Begründungsprinzipien zuletzt nur jenseits des sinnlich Erfahrbaren im Transzendenten finden kann. In diesem philosophischen Denkrahmen galt fortwährend der immer gleiche absolute Massstab, nach dem sich die Mannigfaltigkeit der Einzeldinge immer auf die Einheitlichkeit eines all-begründenden Prinzips reduzieren lassen soll. Es ist dies der Punkt, an dem sich die Kontinuität (oder Zirkularität?) des Denkens vom frühen ersten vorchristlichen Jahrtausend bis zur Moderne deutlich erkennen lässt. Erst mit der Entstehung der modernen Physik im 20. Jahrhundert beschleunigte sich ein Prozess, im Verlaufe dessen die Idee des Absoluten in den Naturwissenschaften systematisch zugunsten einer empiristisch-positivistischen Ausrichtung (mit Bayesianisch geprägtem Methodenrahmen) zurückgedrängt wurde. In der Loslösung von einer absoluten Bestimmtheit, wie sie Quantenphysik und Relativitätstheorie betrieben, lässt sich daher ohne weiteres auch eine der grössten philosophischen Einsichten des letzten Jahrhunderts erkennen.

Tatsächlich erkennen wir heute, dass der Erfolg der Wissenschaften in den letzten 100 Jahren sein zentrales Entwicklungsmoment erst durch die konsequente Eliminierung des metaphysischen Traums von einer universellen Substanz bzw. einem absolut Wahren und den damit verbundenen radikalen Wechsel ihres Erklärungsanspruches gewonnen hat. Bekannte Beispiele sind die Ersetzung von Newtons Vorstellung eines absoluten Raums und einer absoluten Zeit durch die relationale Raum-Zeit in der Relativitätstheorie, der neue Objektbegriff in der Quantenphysik und die zentrale Bedeutung von Konzepten wie Information und Selbstorganisation in Evolutionstheorie und Genetik, den beiden Pfeilern der modernen Biologie.

Die Entwicklung der modernen Wissenschaften und ihre Aufgabe eines universellen Substanzbegriffs besitzt im Übrigen eine bedeutende Dimension im politischen Raum − worauf zum ersten Mal Karl Popper hinwies[5]: In der Loslösung von absoluten wissenschaftlichen Wahrheitsansprüchen lassen sich erstaunliche Parallelen zur gesellschaftlichen Herrschaftsdynamik und der Legitimation politischer Autorität erkennen. Noch jedes Mal, wenn die Menschen glaubten, sie hätten die perfekte Gesellschaftsform, beziehungsweise das perfekte Modell für politische oder ökonomische Machtausübung gefunden, endeten sie in der Erstarrung eines despotischen Absoluten. Die Naturwissenschaften lehren uns, beständig den Status quo unserer eigenen intellektuellen Solidität zu befragen und unser gegenwärtiges Wissen (und Meinen) immer wieder kritisch zu reflektieren. Entsprechend befinden sich wie der Verlauf wissenschaftlicher Forschung auch politische Entscheidungsprozesse in einem permanenten Reparaturmodus, in welchem sich ihre Protagonisten immer wieder hinterfragen und rechtfertigen müssen. Eine Regierungsform, in der Macht ihr Wirken ständig korrigieren und sich permanent demokratisch rechtfertigen muss oder andernfalls abgewählt zu werden droht, ermöglicht eine ganz andere gesellschaftliche (und technologische) Dynamik als autoritäre Regierungsformen.

Doch schlich sich mit all den Abstraktionen und Mathematisierungen der modernen theoretischen Physik nicht doch wieder ein Objektivitätsglaube in die Vorstellungen der Wissenschaftler ein, und dies vielleicht gar auf eine noch subtilere Art und Weise als zuvor? Tatsächlich folgen die Physiker in ihrer grossen Mehrheit heute nach wie vor einem metaphysischen Glauben an ordnungsschaffende Prinzipien oder an eine grundlegende Substanzhaftigkeit in den Dingen, die sie untersuchen. Auch sind sie trotz aller quantenmechanischer Unbestimmtheit von der Unabhängigkeit ihrer Beobachtungsobjekte von den Betrachtungen, die sie an ihnen vornehmen, überzeugt. Man könnte meinen, an die Stelle von Materie (Atome), Feldern und Wechselwirkungen sind nun Konzepte wie Symmetrien, Invarianzen, Erhaltungssätze, mathematische Grundprinzipien oder Ähnliches getreten, denen die Physiker vergleichbare absolute Substanzeigenschaften zukommen lassen wie die mittelalterlichen Scholastikern dies mit ihren Universalien taten. Sie scheinen die Rolle der traditionellen metaphysischen Denkfiguren in substantiellen Ursprüngen und Grundlagen übernommen zu haben, ohne die nichts sein kann. Findet hier der “metaphysische Zyklus der Substantialität” nicht seine Fortsetzung, trotz allen Wissens und Fortschritts, den wir mit Quantenphysik, moderner Biologie, etc. in den letzten 100 Jahren erzielt haben?

Der Weg echten Fortschritts verläuft stets über die andauernde Korrektur falscher Entscheidungen, was in den offenen, anti-autokratischen und demokratischen Gesellschaften des 19., 20. und 21. Jahrhunderts letzthin eine unübertroffene gesellschaftliche Wachstums- und Wohlstandsentwicklung ausgelöst hat. Gerade indem die Wissenschaft ihren absoluten Wissens- und Wahrheitsanspruch aufgegeben hat und unser Wissen von der Natur als immer wieder korrigierbar und erweiterbar ansieht, definierte sie letzthin ihrerseits die historisch beispiellose moderne gesellschaftliche Fortschrittsdynamik. Die Parallelität beider Entwicklungen ist kaum zufällig. Aber wenn es um die wahrlich existentiellen Fragen geht, sind wir heute wirklich näher an letzten Antworten als die antiken Philosophen dies waren? Im Lichte beider, dem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Weiterkommen sowie dem Fehlen von letzten Antworten, scheint Fortschritt sowohl lineare als auch zyklische Charakteristiken zu haben. Auf jeden Fall sind wissenschaftliches Suchen, spirituelles Denken, sowie die gesellschaftliche Entwicklung allesamt „Never Ending Stories“.

[ © Lars Jaeger, Kunstmuseum Wolfsburg und Hatje Cantz Verlag. Dieser Text wurde für den Katalog zur Ausstellung „NEVER ENDING STORIES. Der Loop in Kunst, Film, Architektur, Musik, Literatur und Kulturgeschichte“ verfasst, die vom 29. Oktober 2017 – 18. Februar 2018 im Kunstmuseum Wolfsburg stattfindet. Hg. Ralf Beil. Erscheinungstermin Ende Oktober 2017. Die Publikation ist im Buchhandel sowie zu einem Vorzugspreis im Museumsshop des Kunstmuseums Wolfsburg erhältlich. www.kunstmuseum-wolfsburg.de ]

[1] Siehe z.B. bei Platon im Timaios 37d, wo Zeit zyklisch als fortschreitend beschrieben wird (und mit dem Gott Chronos verbunden ist). Siehe auch bei Heraklit in DK (Diels, Kanz), Fragmente der Vorsokratiker, Heraklit B 52.

[2] Siehe auch L. Jaeger, Supermacht Wissenschaft, Gütersloher Verlagshaus (2017)

[3] Siehe auch L. Jaeger, Wissenschaft und Spiritualität, Springer-Spektrum  (2017)

[4] Th. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Suhrkamp, Frankfurt am Main (1967)

[5] K. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Francke Verlag (1957).

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Jahrgang 1969 habe ich in den 1990er Jahren Physik und Philosophie an der Universität Bonn und der École Polytechnique in Paris studiert, bevor ich am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden im Bereich theoretischer Physik promoviert und dort auch im Rahmen von Post-Doc-Studien weiter auf dem Gebiet der nichtlinearen Dynamik geforscht habe. Vorher hatte ich auch auf dem Gebiet der Quantenfeldtheorien und Teilchenphysik gearbeitet. Unterdessen lebe ich seit nahezu 20 Jahren in der Schweiz. Seit zahlreichen Jahren beschäftigte ich mich mit Grenzfragen der modernen (sowie historischen) Wissenschaften. In meinen Büchern, Blogs und Artikeln konzentriere ich mich auf die Themen Naturwissenschaft, Philosophie und Spiritualität, insbesondere auf die Geschichte der Naturwissenschaft, ihrem Verhältnis zu spirituellen Traditionen und ihrem Einfluss auf die moderne Gesellschaft. In der Vergangenheit habe ich zudem zu Investment-Themen (Alternative Investments) geschrieben. Meine beiden Bücher „Naturwissenschaft: Eine Biographie“ und „Wissenschaft und Spiritualität“ erschienen im Springer Spektrum Verlag 2015 und 2016. Meinen Blog führe ich seit 2014 auch unter www.larsjaeger.ch.

18 Kommentare

  1. Fast die gesamte heutige naturwissenschaftliche Erkenntnis entstand in den letzten 300 Jahren und die Physik hat um 1930 schon weitgehend ihre heutige Form angenommen. Heutige Physiker sind auf Spekulationen angwiesen um weiterdenken zu können – und es ist gut möglich, dass auch in 100 Jahren die Stringtheorie immer noch die beste Spekulation ist, die die Physik anzubieten hat – wohlgemerkt Spekulation und nicht emprisch erhärtetes Wissen. Etwas besser steht es um aktuelle Fortschritte in den “sekundären” Wissenschaften, also Wissenschaften, die auf höheren Abstraktionen aufbauen, als es die Physik mit ihren Elementarteilchen und Feldern tut. Die biologisch/medizinischen Wissenschaften redefinieren gerade unsere Lebensgrundlagen und die Computerwissenschaften haben mit Hard- und Software unsere Gegenwart und Gesellschaft weitgehend digital transformiert und sie werden schon bald künstliche Akteure schaffen, die in nichts dem Menschen nachstehen.
    Doch auch bei den biologisch/medizinischen und digitalen Wissenschaften und Technologien ist ein Ende oder besser gesagt ein Plateau abzusehen, denn nicht das Moore’sche Gesetz regiert die Welt sondern die S-förmige Entwicklungskurve ist die universell gültige Schablone – und gemäss dieser Schablone, diesem Entwicklungsmuster geht exponentielles in lineares Wachstum über und endet mit einem Quasi-Stillstand. Neues Wissen wird also irgendwann langsamer entstehen und schliesslich wird es kaum noch Wissenszuwachs geben. Doch das heisst nichts, dass dann das Ende der Geschichte erreicht ist, denn die Geschichte geht auch weiter, wenn man schon alles weiss.

    Doch wie sieht dieses künftige Plateau aus, auf die sich die Welt zubewegt? Möglicherweise endet auf diesem Plateau die Geschichte des Homo sapiens und es beginnt einen neue Geschichte: die Geschichte einer transbiologischen Welt, in der es eine technisch/zivilisatorische nichtbiologische Evolution gibt – eine Evolution, die nicht mehr auf die Ressourcen und Lebensräume der Erde beschränkt ist, sondern die alle Ressourcen unserer Galaxie für ihre Weiterentwicklung benutzt. Wir wissen noch nicht, ob es in dieser zweiten Phase überhaupt noch Menschen gibt oder ob diese durch etwas anderes abgelöst werden. So etwa wie im Film A.I. vom Regisseur von Stephen Spielberg wo in einer der letzten Szenen robotische Archäologen die Überreste der menschlichen Zivlisation studieren und einer von ihnen sagt: Sie waren ja so genial, diese Menschen.

    • @ Herr Holzherr :

      Die biologisch/medizinischen Wissenschaften redefinieren gerade unsere Lebensgrundlagen und die Computerwissenschaften haben mit Hard- und Software unsere Gegenwart und Gesellschaft weitgehend digital transformiert und sie werden schon bald künstliche Akteure schaffen, die in nichts dem Menschen nachstehen.

      Negativ.
      Was den Menschen ausmacht ist ursisch-zynisch formuliert eine besondere Anordnung der DNA (die an dieser Stelle und ihre Wirkung betreffend nicht gesondert erklärt werden muss), die sozusagen vom Großrechner Welt iterativ und über vie-le Läufe (eben Iterationen meinend) bereit gestellt werden konnte.
      Die Idee menschlicherseits mal so en passant Vergleichbares zu entwickeln ist falsch.

      (…) es beginnt einen neue Geschichte: die Geschichte einer transbiologischen Welt, in der es eine technisch/zivilisatorische nichtbiologische Evolution gibt (…)

      Negativ.
      Oder zumindest zweifelhaft, der Mensch müsste hierfür eine Welt bereit stellen, die ähnlich wie diese Welt leistet und produziert.
      Blöderweise ist so etwas nicht ohne Weiteres bereit zu stellen.

      Dies hier müsste ebenfalls Murks sein :

      -> https://de.wikipedia.org/wiki/Gaia-Hypothese


      Ansonsten, klar, Welten produzieren Welten, diese Denkmöglichkeit ist vglw. solide Metaphysik.

      MFG + schöne Woche noch,
      Dr. Webbaer

      • Der Geist ist das, was den Menschen ausmacht (laut Bibel etc.) und dieser kann auch in etwas nicht biologischem wirken.
        Der Mensch war zudem auch früher nicht ohne Konkurrenz. Es gab da Neandertaler, Denosovier und viele andere Humanoiden und wir vergleichen sie mit uns indem wir die von ihnen geschaffenen Artefakte nach ihrer Kunstfertigkeit beurteilen. Wenn ein nicht menschliches Geschöpf dieselben Artefakte hervorbringen kann und gleiches oder gleichwertiges Denken vorexerziert wie der Mensch, dann ist er als Geschöpf irgendwann gleichwertig, auch wenn dieses Geschöpf eine andere Entstehungsgeschichte hat.

        • @ Herr Holzherr :

          Sie kriegen in die AI nicht die oben beschriebene “DNA” hinein; dies ist auch dann sehr schwierig, wenn dbzgl. “evolutionär” programmiert wird und sehr große Rechenkapazitäten bereit stehen, denn erstens können diese qua Kapazität nicht mit dem “Weltrechner” konkurrieren und zweitens ist es unsicher, dass diese bei vergleichbarer Rechenkapazität in der Lage wären “Leutz wie Du und Ich” zu erfinden bzw. generieren zu lassen.

          Sehr nett Ihre Referenz auf das großartige Intro des Johannes-Evangeliums.
          Der Logos ist eine feine Sache.

          “Bots” könnten insofern Diener des hier gemeinten Primaten bleiben, sie könnten alternativ – Grey Goo – darstellen.

          Am Rande notiert, Star Trek war so freundlich bereits vor ca. 50 Jahren ähnlich zu prophezeien :

          -> https://en.wikipedia.org/wiki/The_Doomsday_Machine_(Star_Trek:_The_Original_Series)

          MFG
          Dr. Webbaer (der auch insofern dringend zur Diversifizierung rät, es darf sich sehr gerne beginnend im sog. terrestrischen Orbit angesiedelt werden)

  2. Wie fast immer : Alles sehr zustimmungsfähig, sehr schön auch die Betonung des Skeptizismus, der begrifflich ungenannt blieb, warum eigentlich?

    Hierzu noch kurz einige lose Anmerkungen :

    Der Philosoph Jürgen Habermas spricht in diesem Zusammenhang vom „Bewusstsein, dass etwas fehlt“.

    “Etwas fehlt”, weil das erkennende Subjekt Weltteilnehmer und nicht Weltbetreiber ist, es kann in diesem Sinne nur metaphysisch mutmaßen.
    Sicherlich eine vornehme (“vorzunehmende”) Aufgabe und sie ist insofern auch vornehm bis schön, weil jeder mitmachen kann, jeder ist Philosoph, sofern er nicht der Ratio explizit abgeschworen hat (auch so etwas gibt es leider).

    Das ‘Wesen der Zeit’ ist aus Sicht des Weltteilnehmers und für einige vielleicht : verblüffend schlicht in der Veränderung zu finden.
    Die Welt ändert, sie waltet, und sie tut dies zumindest in gewissem Rahmen deterministisch, gesteuert und zwingend irgendwelchen Regeln folgend, denen das Erkenntnissubjekt nachspüren kann.
    ‘Zeit’ wird als Maß der Veränderung verstanden, kann nicht anders sinnhaft definiert werden und jedes Veränderung unterworfene erkennende Subjekt wird irgendwann das Konzept “Zeit” entwickeln, womöglich sogar (unausgesprochen) das gute Tier.
    “Zeit”, dies es nicht gibt, sondern physikalisch erkannt wird, kann in diesem Sinne nur in eine Richtung, nämlich : vorwärts, laufen, leider leider nicht rückwärts. [1]

    MFG + schöne Woche noch,
    Dr. Webbaer

    [1]
    Dr. W hatte es mal dbzgl. mit einem (jüdischen) Publizisten zu tun, der dies meinte.
    Wobei die Religion womöglich zu derartiger Stellungnahme Anlass gab, irgendwie war wohl gemeint, dass alle Weltzustände (von einem Schöpfer) vorherberechnet sind und dann die Rolle der Weltzustände sozusagen rückwärts rollend eingespielt worden ist. Schwierig.

  3. Bonuskommentar hierzu (und weil Dr. W hier traditionell sehr gut ist, so die Selbsteinschätzung) :

    Die Frage aller Fragen – das Problem, welches allen übrigen zugrunde liegt und welches tiefer interessiert als irgend ein anderes, ist die Bestimmung der Stellung, welche der Mensch in der Natur einnimmt, und seiner Beziehung zur der Gesamtheit aller Dinge.

    Derartige ‘Fragen aller Fragen’ sind im konstruktivistischen Sinne derart zu bearbeiten, dass es sie nur gibt, weil sie gestellt und somit entwickelt worden sind.
    Das Erkenntnissubjekt sieht hier seinen vornehmen Aufgabenbereich, wobei die Metaphysik natürlich schwierig bleibt, wenn mit Konstrukten konstruktivistisch hantiert wird.

    Korrekt bleibt, dass das Erkenntnissubjekt Weltteilnehmer ist und insofern Vieles nicht wissen kann, nur versuchen kann zu erkennen.
    Wobei dieses Erkennen auf Datenlagen basiert mit sich anschließender Theoretisierung (“Sichtenbildung”) und letztlich wahlfrei / willkürlich erfolgt, wobei die empirische Adäquatheit von Theorie gerne gewahrt bleiben darf, aber dies nicht einmal : notwendigerweise.


    Andere Geschöpfe werden sich andere Fragen stellen, haben’s vielleicht nicht so mit dem Sinn, und sofern sie sprachfähig sind, die notwendige Bedingung Fragen zu stellen, könnten sie schlicht fragen wollen woher genau die Maus kommt, die sie zu vertilgen gewohnt sind oder warum der Kater nebenan gerade besonders vergnatzt erscheint, die Katze daneben eher vergnüglich.

  4. Bonus-Bonus-Kommentar hierzu :

    (so wissen wir heute, dass die Welt nicht vor 6000 Jahren geschaffen wurde, die Erde nicht Mittelpunkt des Kosmos ist, das heutige Leben auf der Erde nicht aus einem einzigen göttlichen Schöpfungsakt hervorgegangen ist, und die Wahrnehmung und das Denkens einen materiellen Träger im Gehirn besitzen)

    “Wir” (Wer ist genau “Wir”?) wissen nicht, dass ‘die Welt nicht vor 6000 Jahren geschaffen wurde’, es könnte auch möglich (“denkbar”) sein, dass sie vor genau 6.000 Jahren so aufgesetzt worden ist, um dann Ungläubige zu irritieren, von einem sog. Gott, “wir” erkennen, dass dies wohl nicht so ist.

    Zum ‘Mittelpunkt des Kosmos’ :
    Definiere ‘Mittelpunkt des Kosmos’!

    Auch beim ‘materiellen Träger’ des Gehirns, der besessen wird, bleibt einigen etwas unklar.
    Was sind ‘Mutterstoffe’ genau und wer ist die ‘Mutter’?

    MFG + schöne Woche noch,
    Dr. Webbaer

  5. @Jaeger: Das Verbreiten von fake news ist beim Thema ´Zeit´ offenbar schon 2500 Jahre lang üblich. Denn der Buddhismus geht davon aus, dass Zukunft und Vergangenheit nicht existieren – und die Gegenwart nur eine imaginäre Grenze des Übergangs (ohne Dauer) ist. D.h. die Zeit-DAUER als 4. Dimension gibt es in der Realität nicht – sondern nur in unserer Phantasie (= eine Illusion).
    Eine ähnliche Sichtweise vertrat Bischof Augustinus vor 1600 Jahren – in ´Bekenntnisse´, Buch 11; Kap. 13-27.
    In Kap. 18 schreibt er, dass es Zukunft und Vergangenheit nicht geben kann. In Kap. 15 und 21 macht er darauf aufmerksam, dass die Gegenwart keine Ausdehnung (= Dauer) haben kann. Und in Kap. 17, 26,27,28 weist er darauf hin, dass die empfundene Zeit-DAUER, ausschließlich ein Ergebnis unserer Phantasie/Vorstellung ist (´Ausdehnung des Geistes´).

    Von einem ´wissenschaftlichem und spirituellen Suchen´ kann man nicht ausgehen, wenn noch nicht einmal die vorhandenen Quellen genau studiert und analysiert werden.
    Denn man müsste deutlich zwischen dem Wesen der Zeit (= Realität (Was vergeht, wenn Zeit vergeht)) und unserem subjektiven Zeitempfinden (= Zeit-Dauer) klar unterscheiden. Aktuell ist die Zeit-Diskussion auf dem Niveau von Fake-News – weil es Physiker gibt, die sogar Zeit-Reisen in der 4D-Raumzeit berechnen können (obwohl seit 2500 Jahren bekannt ist, dass es die Zeit-DAUER als 4. Dimension in der Realität nicht gibt).

  6. Zitat:
    > Die Naturwissenschaften lehren uns, beständig den Status quo unserer eigenen
    > intellektuellen Solidität zu befragen und unser gegenwärtiges Wissen (und Meinen)
    > immer wieder kritisch zu reflektieren.

    Tun sie das? Das ist doch wohl eher ein frommer Wunsch, dass das Wissenschaftssystem nach diesem Maßstab funktioniert. Die Realität ist eine andere. Gerade die Naturwissenschaften sind inhaltlich erstarrt und sind unfähig sich auf neues einzulassen. Soetwas wie Forschung findet nicht statt, stattdessen werden Lehrsätze von der Kanzel den Studenten eingetrichtert und Auswendiglernen zu einem Dogma erhoben. Nehmen wir mal ein praktisches Beispiel: angenommen ein neues Paper was bei Arxiv erscheint möchte ich gerne kritisch kommentieren? Wo kann ich das tun? Richtig, nirgendwo. Es ist noch nichtmal vorgehsen, dass man irgendwo Wissenschaft zur Diskussion stellt oder dass man eine Gegenposition anbringen kann. Ebenfalls unmöglich ist es, vorhandene Paper zu zitieren und so das vorgetragene zu erweitern.

    • War doch ein grundsolider, vernünftiger Text, liebes Fossilium.

      Ehrlich geschrieben hat allerdings auch Dr. W nicht jeden Satz besonders in sich aufgenommen und gesondert geprüft; Herr Lars Jaeger, am Ende gewinnt immer der Jäger, ist natürlich vom Fach und vermag sich derartige Texte aus dem Ärmel zu schütteln, was ihnen auch gelegentlich angemerkt werden kann.

      MFG + schönen Tag des Herrn noch,
      Dr. Webbaer

  7. Die meisten … Denktraditionen beschreiben Zeit daher als zyklisch Doch auch im Zyklus oder im immer gleichen Strom der Zeit tickt der Zeiger immer in die gleiche Richtung und immer gleich getaktet – egal ob nun viel oder wenig geschieht oder das Gleiche in einer neuen Variante wiederkehrt. Das war den Menschen früherer Denktraditionen durchaus bewusst. Die zyklische oder gar stillstehende Zeit bedeutete lediglich, dass es keinen Fortschritt gab und jedes Jahr eine Wiederholung des letzten Jahres war. Das ist neu: Wir heutigen erwarten Fortschritt (Zitat Wikipedia:“Fortschritt bezeichnet eine – zumeist im positiven Sinne verstandene – Änderung eines Zustandes”) und werfen Disziplinen wie der Philosophie vor, sie mache keine Fortschritte (Zitat von oben:“Aber wenn es um die wahrlich existentiellen Fragen geht, sind wir heute wirklich näher an letzten Antworten als die antiken Philosophen dies waren? “).

    Vielleicht liegt ja die letzte Antwort in der Frage nach der Zeit aus der Sicht von Geschöpfen wie wir Menschen es sind, schon lange beantwortet: Alles was Bedeutung über den Augenblick hinaus hat, ist eingespannt in einen evolutionären Prozess. Dieser evolutionäre Prozess existiert momentan nur für biologische Entitäten, für Organismen oder gar Teile von Organismen. Soll unsere technische Zivilisation etwas sein, was über den Augenblick hinaus Bedeutung haben soll, dann muss auch sie sich evolutionär entwickeln und es müssen sich selbst reproduzierende und erhaltende Zivilisations- und Technologie-Organismen entstehen.
    Evolution ist übrigens nicht gleichbedeutend mit Fortschritt. In evolutionären Prozessen ist Fortschritt relativ und hängt vom Betrachter ab. Evolution findet in einem Möglichkeitsraum ab und sie schafft zugleich weite Teile des Möglichkeitsraumes in dem sie stattfindet.

  8. Betroffene,
    …………….Bitte, bitte ein Gedicht über die Unerbittlichkeit der Zeit,
    sonst hängt mir die Zeit zum Hals heraus.

  9. Es gibt nur ein Universum, nur eine Weltformel, nur ein Reich des Lebens und nur einen Homo sapiens. Hier treffen sich scheinbar Spiritualität, Esoterik und Naturwissenschaft. Doch was, wenn dieses Denken in Pyramiden, welche sich zu einer Gesamtpyramide zusammenfügen, deren Spitze ins Göttliche verweist, letzlich nichts anderes als eine Verschwörungstheorie ist?
    Wenn es nicht ein Universum, sondern viele gäbe, nicht ein Set von physikalischen Gesetzen, welches sich auf eine Weltformel reduzieren lässt, sondern in verschiedenen Universen oder gar in verschieden Teilen dieses Universums verschiedene, nicht ein Reich von Lebewesen mit gleichem Ursprung und gleicher Orgsnisation und Bedeutung der DNA, sondern viele Reiche, von denen Alternative auf Exoplaneten oder gar hier auf der Erde (noch unentdeckt) existieren und was, wenn es nur einen Homo sapiens mit überragenden kognitiven Fähigkeiten gibt, einfach deshalb, weil dieser seine früheren Konkurrenten eliminiert hat.
    Wenn dies zutrifft, dann bleibt von der Verschwörungstheorie Weltformel und Einzigartigkeit des menschlichen Bewusstseins möglicherweise nicht mehr viel übrig.

  10. Martin Holzherr,
    ……viele Universen,
    logisch betrachtet muss es viele Universen geben, vielleicht nicht gleichzeitig.
    So wie da All unbegrenzt ist, ist es auch die Zeit.
    Was begrenzt ist, ist das wissenschaftliche Vorstellungsvermögen.
    Unsere Phantasie weist darüber hinaus. Sie zeigt mit dem Finger auf Gott.

    • Viele Universen mit je eigenen “Weltformeln”, viele, auch nicht DNA-basierte Formen des Lebens, viele intelligente Wesen unterschiedlicher biologischer Arten – all das ist die logische Fortsetzung des kopernikanischen “Programms”, das die Erde vom Mittelpunkt der Welt verdrängt hat. Allerdings ist das vor allem eine Denkfigur. Von anderen Universen werden wir jedenfalls nie erfahren, denn es gibt keinen Weg von einem Universum in ein anderes. Sollte die String-Theorie jedoch richtig sein, wäre es naheliegend, dass es viele verschiedenartige Universen gibt, denn die String-Theorie erlaubt ganz viele verschiedene “Weltformeln”.
      Sie schreiben noch: logisch betrachtet muss es viele Universen geben, vielleicht nicht gleichzeitig.. Warum logisch betrachtet? “Vielleicht nicht gleichzeitig” macht zudem überhaupt keinen Sinn, denn es gibt keine universumsübergreifende Zeit. Dementsprechend macht die Aussage, Universen existieren gleichzeitig oder auch nicht gleichzeitig keinen Sinn.

      • @ Herr Holzherr :

        Von anderen Universen werden wir jedenfalls nie erfahren, denn es gibt keinen Weg von einem Universum in ein anderes.

        Aber nur dann, wenn dies durch den Begriff ‘Universum’, wichtig vielleicht hier die Präfix ‘uni-‘ logisch, also definitorisch ausgeschlossen wird

        Sie schreiben noch: logisch betrachtet muss es viele Universen geben, vielleicht nicht gleichzeitig.. Warum logisch betrachtet?

        ‘Logisch’ betrachtet muss es nicht so sein, es wird allerdings, auch von den String-Theoretikern metaphysisch hier logisch gedacht. Dieses “Muss etwas geben” darf gerne heraus gekürzt werden.
        ‘Zeit’ gibt es aber nur in den Vorstellungen der Erkenntnissubjekte.
        Veränderung genügt hier, ‘Gleichzeitigkeit’ könnte hier eigentlich nur eine korrelierend erscheinende Form der Veränderung meinen.
        Veränderung muss es witzigerweise geben.

        Dementsprechend macht die Aussage, Universen existieren gleichzeitig oder auch nicht gleichzeitig keinen Sinn.

        Korrekt.
        Ansonsten könnte es im übertragenden Sinne die Zeitlichkeit meinend so sein, dass Universen nebeneinander sozusagen in gleicher Zeitlichkeit existieren, in ungleicher Zeitlichkeit und in einem relativ unbestimmten Zustand der Zeitlichkeit, die dreiwertige Logik meinend.

        MFG + schöne Woche noch,
        Dr. Webbaer

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