Wenn Historiker einen Blick auf die Sonne werfen

BLOG: Astronomers do it at Night

…und auch tagsüber
Astronomers do it at Night

Kürzlich entdeckte ich im Regal mit den Neuerscheinungen in unserer Institutsbibliothek einen Band aus dem Bereich Astronomiegeschichte: "The Sun Recorded Through History: Scientific Data Extracted from Historical Documents" von José M. Vaquero und Manuel Vázquez. Das Thema reizte mich nicht nur als passionierten wenn auch in letzter Zeit eher unregelmäßigen Sonnenbeobachter, sondern auch vom wissenschaftsgeschichtlichen Standpunkt. Was kann man aus historischen Beobachtungsdaten über die Sonne lernen? Nicht nur angesichts der aktuellen Klimadiskussion und dem Rätsel der derzeit schwachen Sonnenaktivität ist das eine interessante Fragestellung, prinzipiell beschäftige ich mich ja beruflich mit einem ganz ähnlichen Thema, nämlich der Aktivität von Sternen. Also landete das Buch schnurstracks auf meiner Entleihliste.


Die Bücherei der Hamburger Sternwarte ist eigentlich eine Präsenzbibliothek, Mitarbeiter des Instituts können aber trotzdem Bücher ausleihen. Nach Feierabend oder am Wochenende kann man dann – eigentlich unerlaubterweise – auch mal ein Buch mit nach Hause nehmen.

Und so las ich mich durch die sieben Unterkapitel von The Sun Recorded Through History. Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen, so daß man es auch als einzelnen Artikel lesen kann. Das gesamte Buch ist als Band 361 der Astrophysics and Space Science Library des Springer-Verlags für Abonnenten auch tatsächlich kapitelweise über das Internet abrufbar, so wie das bei vielen Astronomie-Fachbüchern – besonders bei Konferenzbänden – häufig der Fall ist.

Das erste Kapitel bietet eine Einführung über die beobachtbaren Phänomene der Sonnenoberfläche zusammen mit den physikalischen Grundlagen eben derer. Ich fragte mich dann allerdings, ob ein an der Historie der Sonnenbeobachtung interessierter Leser tatsächlich derart ausführlich mit Formeln zu Abbildungsfehlern und Transferfunktionen belästigt werden muß – zurecht wie sich herausstellte. Im weiteren Verlauf wird darauf nie wieder eingegangen.

Die folgenden Kapitel ordnen die historischen Beobachtungen thematisch an, beginnend mit der Beobachtung von Sonnenflecken mit dem bloßen Auge übe Zeichnungen der Sonnenoberfläche mit ihren Flecken, Sonnenfinsternisse und die Entdeckung von Chromosphäre und Korona bis hin zu Merkur- und Venustransits und quantitativen Messungen von Sonnendurchmesser und Astronomischer Einheit. Abgeschlossen wird das Buch durch Polarlichtbeobachtungen und den Zusammenhang von Sonnenaktivität und Erdklima sowie Betrachtungen zur langjährigen Rekonstruktion der Sonnenaktivität.

Der Text des Buches liest sich gut, besonders wenn man bedenkt, daß es sich um ein Fachbuch handelt dessen Autoren beide keine englischen Muttersprachler sind. Dazu tragen mit Sicherheit auch die unzähligen Abbildungen bei, das sind zum einen schematische Darstellungen, die es auch Nicht-Astronomen leichtmachen beispielsweise das Funktionsprinzip der im Text beschriebenen Optiken zu verstehen, aber auch viele Grafiken zur Visualisierung tabellarischer Daten, die den Text auflockern. Hinzu kommen die oft farblichen Wiedergaben von historischen Zeichnungen oder Gemälden, die das Buch zu einer wahren Fundgrube an Originalmaterial machen.

Mehrere Dinge machten sich allerdings für mich beim Lesen des Buches auch unangenehm bemerkbar. Zunächst einmal stellt man hier und da fest, daß bestimmte Dinge zweimal ausführlicher dargestellt werden – auch innerhalb eines Kapitels und ohne das Bezug auf den jeweils anderen Text genommen wird. Die beiden Autoren haben also einzelne Abschnitte des Buches untereinander aufgeteilt ohne den Teil des jeweils anderen gegenzulesen. Soetwas hätte eigentlich beim Lektorat auffallen müssen.

Das Buch ist zum großen Teil in Historiker-Stil geschrieben. Das äußert sich allein schon äußerlich in einer Unmenge von Fußnoten, die nicht nur Quellenangaben umfassen, sondern auch längere ausführliche Darstellungen. Da ich schon häufiger mal zu geschichtswissenschaftlicher Lektüre gegriffen habe, fällt mir einmal mehr auf, daß der Historiker offensichtlich großen Wert auf einen straffen, möglichst knapp gefaßten Haupttext legt, während sich für mich jedesmal der Lesefluß unterbricht, wenn man zu den Fußnoten und wieder zurück springt. Ich selber empfinde den Inhalt dieser Fußnoten nur in den allerseltensten Fällen tatsächlich nur einer Fußnote würdig, sondern würde sie in den Haupttext setzen. Besonders ärgerlich ist so ein Schreibstil, wenn sich die Fußnoten nichtmal am Seitenende befinden, sondern gesammelt am Ende des Kapitels, so daß man ständig am hin- und herblättern ist. Dankenswerterweise ist das in diesem Buch nicht der Fall.

Hinzu kommt – und auch dies fällt mir nicht das erste Mal in einem Buch zur Astronomiegeschichte auf – daß der historische Stil zwar jede Menge Daten und Fakten sammelt, aber selten tiefergeht. Es wird nicht darauf eingegangen mit welchen Vorkenntnissen und Voraussetzungen die historischen Sonnenbeobachter ans Werk gegangen sind. Noch am ehesten wird ihre postalische Kommunikation untereinander erwähnt, trotzdem bekommt man in den seltensten Fällen ein Gefühl dafür, wie das Gesehene in ihr Weltbild paßt und wie sie es interpretiert haben.

Die Kapitelanordnung nach Themenbereichen legt eigentlich nahe, die Zusammenhänge und den Erkenntnisgewinn aufzugreifen, die sich beispielsweise durch Kontroversen zwischen Persönlichkeiten wie Galilei und Scheiner ergeben haben. Aber leider beschränken sich die beiden Autoren praktisch ausnahmslos auf eine simple Auflistung der Ergebnisse verschiedener Beobachtungen. Was fehlt ist der rote Faden, der durch die einzelnen Kapitel führt. Sicher, dieses Buch soll kein spannender Roman mit Handlung sein, aber häufig wünscht man sich anstelle der Erwähnung des einen oder anderen Zeichners oder Sonnenfleckenzählers lieber ausführlichere Erläuterungen.

Die Form des Buches als historische Abhandlung verwundert um so mehr als daß beide Autoren eigentlich aus der Wissenschaft kommen. Ich frage mich wie wohl ein Historiker oder ein Geisteswissenschaftler allgemein ein in naturwissenschaftlichem Stil geschriebenes Fachbuch beurteilen würde. Wäre dort aus seiner Sicht alles viel zu ausführlich dargestellt und über die Maßen analysiert, wären Schlußfolgerungen und Theorien für ihn nicht mehr als Spekulation, die über die pure Faktenlage hinausgeht?

Und überhaupt, wie kommt es überhaupt zu diesen großen Diskrepanzen in der Methodik zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern? Leben (und arbeiten) wir in verschiedenen Welten? Das wäre sehr schade, denn Wissenschaft – egal welcher Disziplin – ist schließlich Lernen, und zwar ganz besonders auch das Lernen voneinander.


Unsere Bibliothekarin hat das Buch in die Kategorie "Physik der Sonne" eingeordnet. Wenn ich das Buch nächste Woche zurückgebe, werde ich ihr sagen, daß es viel besser in der Astronomiegeschichte aufgehoben ist, nicht nur vom Inhalt her. Ein Besuch ist unsere Bibliothek übrigens für jedermann wert. Der Hauptraum mit seinen deckenhohen Bücherregalen aus dunklem Holz über zwei Stockwerke macht sie zu einer der schönsten Bibliotheken Hamburgs. Über 70000 Bände befinden sich hier, in den Nebenräumen und im Zeitschriftenkeller, darunter auch einige Kostbarkeiten aus früheren Jahrhunderten.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Astronomin in vielerlei Hinsicht, so könnte man mich mit wenigen Worten beschreiben. Da ist zunächst einmal die Astrophysikerin, die an der Hamburger Sternwarte über die Aktivität von Sternen promoviert und dabei hauptsächlich mit den Röntgensatelliten Chandra und XMM-Newton gearbeitet hat, aber auch schon am Very Large Telescope in Chile beobachten durfte. Auslöser ihres beruflichen Werdegangs war ein engagierter Lehrer, dessen Astronomie-AG sie ab der 7. Klasse besuchte. Ungefähr zur selben Zeit erwachte auch die Hobbyastronomin, die anläßlich des Einschlags des Kometen Shoemaker-Levi 9 auf den Jupiter begann, mit einem russischen Feldstecher vom Flohmarkt den Tanz der Jupitermonde zu verfolgen. Heutzutage freut sie sich über jede Gelegenheit, mit ihrem 16-zölligen Dobson tief im Odenwald fernab der Lichter der Rheinebene auf die Jagd nach Deep-Sky-Objekten zu gehen. Und da Amateurastronomen gesellige Wesen sind, treffe ich mich gerne mit Gleichgesinnten, zum Beispiel zum gemeinsamen Beobachten. Auch nach meinem Umzug von der Großstadt Hamburg in das schöne Universitätsstädtchen Heidelberg halte ich engen Kontakt zu meinen Vereinskameraden von der Hamburger Gesellschaft für volkstümliche Astronomie und dem Astronomieverein meiner Jugend, dem Arbeitskreis Sternfreunde Lübeck. Seit einigen Jahren bin ich außerdem in dem Internetforum Astrotreff aktiv, wo ich Teil des Moderatorenteams bin. Um meine Faszination an der Astronomie an andere weitergeben zu können, besonders an Kinder und Jugendliche, habe ich mich seit Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit engagiert, habe populärwissenschaftliche Vorträge gehalten und Schülergruppen betreut, die in Hamburg das Institut besucht haben. Diese Leidenschaft habe ich nun zu meinem Beruf gemacht. Hier in Heidelberg arbeite ich in einem kleinen aber feinen Team am Haus der Astronomie. Hiermit lade ich Sie ein, lieber Leser, an all diesen Facetten meines Astronomendaseins teilzuhaben. Mal witzig, mal spannend oder nachdenklich, manchmal auch persönlich oder mit Aha-Effekt. Carolin Liefke

8 Kommentare

  1. Hallo Caro,

    das erinnert mich an einen Artikel, den ich vor Jahren für den Sternkieker der GvA Hamburg erhalten habe. Da berichtete ein Astroarchäologe über eine Kometenerscheinung zur Zeit des Kaisers Augustus (im Jahr 44 v.u.Z., s.a. http://de.wikipedia.org/wiki/Komet_Caesar)und schloss messerscharf daraus, das es nur der Halleysche Komet gewesen sein konnte (einen anderen kannte er offenbar nicht).

    Einfache Rückrechnungen in 76-Jahresschritten ergab jedoch, dass Halley da in der Nähe seines Aphels stand. Ich habe das damals von Fachleuten gegenprüfen lassen und die bestätigten meine Berechnung.

    Dies hatte ich dem Archäologen dann mitgeteilt und er antwortete, dass es ihm ziemlich egal sei, welcher Komet da stand, Hauptsache, es war einer und das stand wohl zweifelsfrei fest …

    Der Hauptunterschied zwischen Astronomie als exakter Wissenschaft und der Archäologie als Kulturwissenschaft besteht wohl darin, das es nicht immer hinkommen muss, wenn nur die Abfolgen einigermaßen stimmen. So gibt es unter Archäologen auch den geflügelten Spruch: “Was ich nicht erklären kann, sehe ich kultisch an!”. Und für Astroarchäologen gilt: “Was ich nicht erklären kann, sehe ich astronomisch an”. Damit stimmt zwar der archäologische Ansatz, aber wenn der dann mit der Astronomie kollidiert, ist es zumindest für die Archäologie kein so großer Beinbruch.

    Damit will ich nicht sagen, dass Archäologen schlechter arbeiten, als Astronomen, hier prallen nur zwei grundverschiedene Gedankenwelten, Denkstrukturen und vor allem Arbeitsweisen aufeinander. Und die sind mitunter schwer in Einklang zu bringen.

    Viele Grüße

    Manfred

  2. Für keinen interessant

    Sehr geehrte Frau Liefke,

    mehrere Dinge machten sich für mich beim Lesen Ihres Blogs unangenehm bemerkbar. Zunächst einmal fallen die vielen Schreibfehler auf. Hinzu kommt, daß Sie sich selbst als Beobachter bezeichnen. Wenn Ihnen ein Buch derart missfällt, lassen Sie es das nächste Mal einfach stehen. Ich vermisse in Ihren Abhandlungen den Inhalt, sehr unterhaltsam sind dagegen Formulierungen wie: “Ein Besuch ist unsere Bibliothek übrigens für jedermann wert”.

  3. Schreibstile
    Bisweilen frage ich mich, warum eigentlich jeder über jeden anderen lästert. Ist das so wie mit der Kleidung, wo ein Kollege anstößig findet, dass eine Kollegin karierte Hosen trägt und eine andere beschwert, weil ihr die Jacke vom CHef nicht gefällt? – “Sind wir denn hier im Kindergarten?”, denke ich mir bei solchen Fragen oft.

    Vielleicht ist es eine Frage der Gewöhnung, denn ich habe schon oft ausgewachsene Historiker sagen hören, dass ihnen der Stil von Physikern zu nüchtern (langweilig ohne Fußnoten, man schlafe ein, wenn man nicht dauernd springt) und manchen Philosophen der Stil der Mathematiker zu formalisiert sei. In der Tat ist genau das eines der größten Problem für Leute wie mich, die in den Grenzbereichen zwischen diesen Wissenschaften arbeiten.

    Natürlich kann man das mit den Fußnoten oder Formeln auch übertreiben, aber es gibt einfach verschiedene “Erzählstile”. Ich finde es grundsätzlich unfair, an dieser Stelle zu nörgeln, dass jemand anders eben an einer gewissen Stelle eine Formel bringen möchte, wenngleich sie später in der gleichen Arbeit evtl nicht mehr benutzt wird. Manchmal kann das Formalisieren auch (für mancherleuts Geschmack) eine Darstellung übersichtlicher machen. So, wie ein aufgeräumter Kleiderschrank, in dem alles ordentlich zusammengelegt ist, eben übersichtlicher ist als einer, in den nur alles wahllos reingestopft ist (so wie die Gedanken von Philosophen, wenn man sie nicht anschl nochmal überarbeitet: siehe Descartes u. noch schlimmer manche moderneren).

    Knappe, pointierte Darstellungen scheinen ein Trend der jüngsten Geschichte zu sein.

    “der rote Faden” … naja, vielleicht fragen wir mal bei Ariadne nach. 😉 Im Ernst – ohne den hier diskutierten konkreten Fall zu kennen – ich habe schon oft erlebt, dass Schriften zwar einen roten Faden hatten, aber dieser vielleicht nicht bei der ersten Lektüre für jedermann offensichtlich war. Welchen roten Faden hat beispielsweise das Schulbuch “Physik” von Metzler?

    Naja, der Name ist Programm: Es soll natürlich Physik vermitteln und zwar in großen Zusammenhängen über viele Teilgebiete. Aus der Perspektive von Historikern würde ich wetten, dass da irgendwer die Frage stellen würde “und was ist die Kernthese?” oder “… der Leitgedanke” oder “… der rote Faden”.

    Soviel meine paar Gedanken und Erlebnisse zum Thema Stil. Ich persönlich bin dazu übergegangen, mich riesig darüber zu freuen, wenn jemand dieselben Fragen stellt wie ich und vielleicht sogar den gleichen _Stil_ hat zu antworten. Das ist ein regelrecht berauschendes, fast schon orgastisches Erlebnis!

    … denn: es allen Recht zu machen, sei eine Kunst, die keiner kann, behauptete meine Grundschullehrerin.

  4. Schreibstile

    Hi Caro, Deine Darstellung gibt mir viel zum Nachdenken. Einerseits kann ich die Erlebnisse gut nachvollziehen, andererseits bin ich wohl auch “abgehärtet”.

    Bisweilen frage ich mich, warum eigentlich jeder über jeden anderen lästert. Ist das so wie mit der Kleidung, wo ein Kollege anstößig findet, dass eine Kollegin karierte Hosen trägt und eine andere beschwert, weil ihr die Jacke vom CHef nicht gefällt? – “Sind wir denn hier im Kindergarten?”, denke ich mir bei solchen Fragen oft.

    Vielleicht ist es eine Frage der Gewöhnung, denn ich habe schon oft ausgewachsene Historiker sagen hören, dass ihnen der Stil von Physikern zu nüchtern (langweilig ohne Fußnoten, man schlafe ein, wenn man nicht dauernd springt) und manchen Philosophen der Stil der Mathematiker zu formalisiert sei. In der Tat ist genau das eines der größten Problem für Leute wie mich, die in den Grenzbereichen zwischen diesen Wissenschaften arbeiten.

    Natürlich kann man das mit den Fußnoten oder Formeln auch übertreiben, aber es gibt einfach verschiedene “Erzählstile”. Ich finde es grundsätzlich unfair, an dieser Stelle zu nörgeln, dass jemand anders eben an einer gewissen Stelle eine Formel bringen möchte, wenngleich sie später in der gleichen Arbeit evtl nicht mehr benutzt wird. Manchmal kann das Formalisieren auch (für mancherleuts Geschmack) eine Darstellung übersichtlicher machen. So, wie ein aufgeräumter Kleiderschrank, in dem alles ordentlich zusammengelegt ist, eben übersichtlicher ist als einer, in den nur alles wahllos reingestopft ist (so wie die Gedanken von Philosophen, wenn man sie nicht anschl nochmal überarbeitet: siehe Descartes u. noch schlimmer manche moderneren).

    Knappe, pointierte Darstellungen scheinen ein Trend der jüngsten Geschichte zu sein.

    “der rote Faden” … naja, vielleicht fragen wir mal bei Ariadne nach. 😉 Im Ernst – ohne den hier diskutierten konkreten Fall zu kennen – ich habe schon oft erlebt, dass Schriften zwar einen roten Faden hatten, aber dieser vielleicht nicht bei der ersten Lektüre für jedermann offensichtlich war. Welchen roten Faden hat beispielsweise das Schulbuch “Physik” von Metzler?

    Naja, der Name ist Programm: Es soll natürlich Physik vermitteln und zwar in großen Zusammenhängen über viele Teilgebiete. Aus der Perspektive von Historikern würde ich wetten, dass da irgendwer die Frage stellen würde “und was ist die Kernthese?” oder “… der Leitgedanke” oder “… der rote Faden”.

    Soviel meine paar Gedanken und Erlebnisse zum Thema Stil. Ich persönlich bin dazu übergegangen, mich riesig darüber zu freuen, wenn jemand dieselben Fragen stellt wie ich und vielleicht sogar den gleichen _Stil_ hat zu antworten. Das ist ein regelrecht berauschendes, fast schon orgastisches Erlebnis!

    … denn: es allen Recht zu machen, sei eine Kunst, die keiner kann, behauptete meine Grundschullehrerin.

  5. Vorsicht mit Verallgemeinerungen

    Hallo Manfred,

    auch wenn ich zugegebenermaßen im Artikel selber fleißig pauschalisiert habe, würde ich nicht partout jedes geschichtswissenschaftliche Buch als schwere Kost für einen Naturwissenschaftler bezeichnen. Und gerade zu deinem Beispiel fällt mir – aus dem Inhalt dieses Buches – ein wunderbares Gegenbeispiel ein.

    Im Kapitel zur Sichtung von einzelnen Sonnenflecken sprachen die Autoren auch mehrere Fälle an, in denen die ursprünglichen Beobachter die Daten für Venus- und Merkurtransits falsch berechnet hatten und dann einen Sonnenfleck mit dem Planetenscheibchen vor der Sonne verwechselten. Auch hier wird dem in der Himmelsmechanik bewanderten der Fehler schnell auffallen – und für die Interpretation der beobachteten “Transits” hat das entscheidende Konsequenzen.

    Bei der Beurteilung seiner Quellen stehen dem Historiker verschiedene Möglichkeiten zur Seite. Da ist einmal die Quelle selber, aber wie glaubwürdig ist sie? Objektiv betrachtet muß nicht alles stimmen, was in einem historischen Text steht. Das kann bedeuten, daß der Verfasser sich einfach nur irrte bei dem was er damals niederschrieb oder aber er war seiner Meinung beeinflußt von Politik, Religion oder dergleichen. Dann gibt es häufig Sekundärliteratur, das können Zeitgenossen des Verfassers oder auch andere Historiker sein, die sich später mit dem ursprünglichen Werk auseinandergesetzt haben. Auch hier gilt, praktisch jede Betrachtungsweise ist in irgendeiner Form subjektiv.

    Von Hause aus sollten Naturwissenschaftler eigentlich völlig objektiv sein (sind es aber auch nicht immer!). Auch Historiker bemühen sich zumindest, möglichst objektiv zu sein. Vielleicht sind wir doch nicht so verschieden?

  6. @Rüdiger Scholz

    Lieber Herr Scholz,

    es wäre schön, wenn Sie mir erläutern würden, was Sie mit dem Geschriebenen eigentlich meinen. Ich habe es nämlich nicht verstanden.

    Vielleicht mit ihren eigenen und nicht mit meinen Worten?

  7. Re: Schreibstile

    Hallo Susanne,

    natürlich hat jeder von uns, egal ob nun Astronom oder Historiker, seine ganz persönlichen Vorlieben, sowohl als Leser als auch als Schreiberling.

    Was ich mich eben frage: Wieso haben sich diese Stile derart stereotyp herausgeprägt? Es steht zu befürchten, daß sie sich einfach getrennt entwickelt haben – weil Natur- und Geisteswissenschaftler nicht so viel miteinander reden wie sie es eigentlich tun sollten.

  8. @ Caro wegen Vorsicht bei …

    Hi Caro,

    im Wesentlichen stimme ich Dir zu. Für Historiker und Archäologen ist die sogenannte Quellenkritik elementar. Um eine Quelle richtig würdigen zu können, benötigt man Informationen über die Autoren, deren Denk- und auch Lebens- und Arbeitsweise. Es gibt leider nur sehr selten den Fall, das alle Informationen vorhanden sind, die man braucht, um ein Schriftstück wirklich zu interpretieren. Und selbst in den Fällen, wo man viele Daten hat, folgt die Betrachtungsweise auch immer irgendwie dem Zeitgeist.

    Also ist man auf Vergleiche angewiesen. Daher ist die Geschichtswissenschaft auch eine vergleichende Wissenschaft, etwa wenn es darum geht, verschiedene Keramikstile miteinander zu vergleichen und daraus eine zeitliche Abfolge herzuleiten. Und ein Fund muss in den jeweiligen zeitlichen Kontext passen. Will sagen: Im Römischen Reich kann es keinen Benzinmotor gegeben haben, weil der noch nicht erfunden war, andere Kulturen konnten keine Wagen bauen, weil sie das Rad nicht kannten usw. Oder auch bei Zeichenstilen gilt, dass die unbeholfenen natürlich zuerst gemacht wurden und man anhand der Stile eine gewisse zeitliche Abfolge herleiten kann.

    Dass in manchen astronomiegeschichtlichen Büchern die Autoren nicht in die Tiefe gehen, mag auch an der oft dürftigen Quellenlage liegen, denn wie soll man einen Menschen historisch beurteilen, wenn man keine biographischen Daten, sondern allenfalls ein paar Briefe oder Zeichnungen hat, oder Angaben schlicht widersprüchlich sind. Daher wird dann meist nur das verwendet, was gesichert ist.

    Hinzu kommt die Problematik, dass man eigentlich wissen müsste, was ein Autor oder Zeichner dachte und fühlte, als er das Objekt zu Papier brachte. Das ist normalerweise nicht mehr greifbar, deshalb muss man auch hier interpretieren. So stellt sich bei Sonnenfleckenzeichnungen beispielsweise die Frage, wie exakt die Zeichnung das Gesehene wiedergeben sollte, ob der Zeichner an dem Tag schlechter zeichnete, als an andere (etwa, weil er krank war etc.) oder man muss sich auch fragen, inwieweit das Original original war. Ob es gleich am Fernrohr entstand oder es eine Reinzeichnung darstellt, in die sich Fehler eingeschlichen haben können usw. Da bietet sich ein weites Feld der Interpretation und auch der Spekulation. Das nämlich sind Punkte, die von Leuten wie Erich von Däniken, der ja eigentlich Archäologe war, außer Acht gelassen werden, weil sie nicht in seine schöne UFO-Theorien passen. Aber das ist ein anderes Thema.

    Abschließend meine ich, dass Geschichtswissenschaftler auf der einen Seite und Astronomen auf der anderen in der Regel unterschiedliche Herangehensweisen haben, aber nicht, das diese unvereinbar sind und man deswegen nicht zusammen kommen könne.

    Viele Grüße

    Manfred

Schreibe einen Kommentar