IBEX: Geheimnisvolle Teilchen vom Rand des Sonnensystems
BLOG: Astronomers do it at Night
Astronomen durchforsten unsere Milchstraße auf der Suche nach einer zweiten Erde, Kosmologen rätseln über die Natur der Dunklen Materie und der Dunklen Energie. Unser Universum hat noch jede Menge ungelöste Fragen zu bieten. Einige davon liegen direkt vor unserer Haustür, und das manchmal sogar völlig unbekannterweise. Das mußten vor einem Jahr schon Wissenschaftler vom texanischen Southwest Research Institute feststellen, die federführend bei der Auswertung der Daten des Interstellar Boundary Explorer (IBEX) sind. Und wie sich jetzt herausgestellt hat, gibt der äußerste Bereich unseres Sonnensystems, den IBEX untersucht, immer neue Rätsel auf.
IBEX soll den "Termination Shock" untersuchen, wo die Teilchen des Sonnenwindes auf interstellare Materie treffen, die also den Einflußbereich des Magnetfelds der Sonne abgrenzt, die Heliosphäre. Bislang sind nur vier Raumsonden so weit in die Außenbereiche unseres Sonnensystems vorgedrungen: die Missionen Pioneer 10 und 11, zu denen allerdings inzwischen der Kontakt abgebrochen ist, und Voyager 1 und 2. Gut 30 Jahre waren die beiden unterwegs, bis sie vor wenigen Jahren den Termination Shock in einer Entfernung von rund 90 Astronomischen Einheiten erreicht haben. Immer wieder haben sie während ihrer Reise das interplanetare Magnetfeld und die Teilchendichte des Sonnenwinds vermessen – und tun es auch heute noch, obwohl sie die magische Grenze längst überschritten haben.
Im Gegensatz zu den Voyager-Sonden hat man IBEX nur auf eine kurze Reise geschickt, nämlich in den Erdorbit. Denn auch mitten aus unserem Sonnensystem heraus lassen sich seine Außenbereiche studieren. IBEX hält Ausschau nach hochenergetischen Teilchen, und zwar nach ungeladenen Teilchen, die also nicht durch das Magnetfeld der Sonne, der Erde oder der anderen Planeten abgelenkt werden können. Solche Teilchen entstehen dort draußen am Termination Shock, wenn schnelle Protonen aus dem Sonnenwind mit neutralen Wasserstoffatomen aus der interstellaren Materie kollidieren. Die Teilchen tauschen dabei praktisch ihre Rollen, die geladenen Protonen werden abgebremst, die langsamen Atome beschleunigt. Einige dieser Energetic Neutral Atoms (kurz ENAs) wandern wieder nach innen – und können von den Teilchendetektoren eingesammelt und untersucht werden, die IBEX an Bord hat.
Die beiden Instrumente, IBEX-Hi and IBEX-Lo, können nicht nur die Energie der einfallenden Teilchen bestimmen, sondern auch grob die Richtung messen, aus der sie gekommen sind. Daraus läßt sich dann eine Karte generieren, aus welcher Richtung wieviele solcher Teilchen auf die Erde treffen.
Nun waren die Wissenschaftler eigentlich der Meinung, daß man alles bedacht hätte, was das Aussehen dieser Karte beeinflussen können sollte, als IBEX vor zwei Jahren gestartet wurde: den Sonnenwind, das Magnetfeld der Sonne, die Bewegung der Sonne im interstellaren Raum, die interstellare Materie selber, kosmische Strahlung. Erwartet wurde eine dipolartige Struktur, die dadurch verursacht würde, daß der Aufprall des Sonnenwinds auf die interstellare Materie "in Fahrtrichtung" anders ablaufen würde als mit "Rückenwind". Unklar war dagegen, aus welcher Richtung mit mehr neutralen Teilchen zu rechnen ist und wie viele es werden, denn das hängt stark von den Eigenschaften des interstellaren Materials ab.
Die Karte, die die IBEX-Wissenschaftler dann vor einem Jahr veröffentlichten, sah aber völlig anders aus. Ein schleifenförmiges Band mit einzelnen Verdickungen durchzog den Neutralteilchenhimmel, von einem Dipol keine Spur. Die Heliosphärenforscher standen zunächst vor einem Rätsel. Wie sich herausstellte, hatten sie die Stärke des Magnetfeldes unterschätzt, das das interstellare Medium selber durchzieht. Die Wechselwirkung der Heliosphäre mit dem interstellaren Magnetfeld bestimmt letztendlich die Bereiche, in denen die ENAs vornehmlich entstehen.
Nun hat IBEX in den letzten Monaten fleißig weitergemessen – und festgestellt, daß sich eine der Verdickungen in dem Band, praktisch eine Art Knoten im Magnetfeld, im Laufe weniger Monate aufgelöst hat. Auch damit, daß sich die Strukturen, die IBEX sieht, so schnell verändern können, haben die Wissenschaftler nicht gerechnet. Sie zeigen uns aber einmal mehr wie veränderlich der Kosmos ist: Nicht nur daß der Sonnenwind und die Heliosphäre die wechselnde Aktivität der Sonne abbilden, auch die interstellare Materie in unserer kosmischen Nachbarschaft und ihr Magnetfeld scheinen es in sich zu haben.
Die vorgesehene Primärmission von IBEX ist nun nach zwei Jahren Meßdauer eigentlich abgeschlossen. Von einem möglichen Ende des Projektes ist aber weder bei der NASA noch beim Southwest Research Institute etwas zu lesen. Angesichts der überraschenden Ergebnisse wird man den Kleinsatelliten also vermutlich so lange weitermessen lassen wie es geht. Aus der Erforschung des Termination Shock der Sonne will man nämlich nicht nur möglichst viel über unser eigenes Sonnensystem lernen, sondern auch über extrasolare Planetensysteme. Das gilt insbesondere für solche, die noch im Entstehen oder gerade erst entstanden sind. In Sternentstehungsgebieten herrschen nämlich viel höhere Dichten im interstellaren Material, so daß die Wechselwirkung mit der Heliosphäre und damit auch der Einfluß auf die Planeten eines sich "durchpflügenden" Sterns viel stärker sein sollten.
Entstehung der ENAs
Ist eigentlich die Entstehung der ENAs am Termination Shock die einzige Entstehungsmöglichkeit? Solche schnellen Teilchen müssten doch auch im interstellaren Raum selbst vorkommen?
IBEX
Das klingt sehr spannend.
@Peter
Die Energien die die ENAs haben – übersetzt in Geschwindigkeiten – sind sehr hoch, um ein vielfaches höher als die Geschwindigkeiten normaler neutraler Teilchen im Kosmos. Irgendwie müssen sie also so hoch beschleunigt worden sein. Im Prinzip wäre das im Weltraum kein Problem – wären sie geladen. Denn kosmische Magnetfelder, die Teilchen beschleunigen können, gibt es jede Menge, bei neutralen Teilchen funktioniert der Mechanismus aber nicht. Und die Teilchen als geladene Atomrümpfe zu beschleunigen und dann mit freien Elektronen zu neutralen Atomkernen zu rekombinieren, ist bei den Geschwindigkeiten aussichtslos. Die Übertragung der Energien bei so einem Zusammenstoß von hochenergetischen geladenen Teilchen wie sie der Sonnenwind liefert und normalen neutralen Teilchen ist da einfach die effektivste Methode.
Es gibt übrigens noch eine weitere Quelle für ENAs: Wenn nämlich die geladenen Teilchen aus dem Sonnenwind auf die Erde treffen, passiert genau dasselbe. Dank des Erdmagnetfelds bildet sich um unseren Heimatplaneten eine Stoßfront aus, die verhindert, daß uns der Sonnenwind auf direkt trifft. Zu Wechselwirkungen der schnellen Sonnenwindteilchen mit Teilchen aus den alleräußersten Schichten der Erdatmosphäre kommt es aber dennoch, so daß sich auch hier ENAs bilden können, die IBEX auch mißt. Deren charakteristisches Siganl läßt sich aber leicht von den ENAs aus den Randbereichen des Sonnensystems unterscheiden.
@Sehr geehrte Frau Liefke
“Die Kosmologen rätseln noch…” – schreiben Sie. Ich rätzel nicht mehr.