Deep Surveys – Photonen aus den Tiefen des Alls
BLOG: Astronomers do it at Night
Es ist mit Sicherheit eine der bekanntesten Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops: Das Hubble Deep Field. Es zeigt nur einen winzigkleinen Himmelsausschnitt, aber trotzdem sind unzählige Galaxien sichtbar. Die meisten davon sind so weit entfernt, daß man sie gar nicht mehr als solche erkennen kann. Das Hubble Deep Field ist ein sogenannter Deep Survey, bei dem man mithilfe extrem langer Belichtungszeiten lichtschwache und damit meist weit entfernte Objekte zum Vorschein bringt.
Ziel des Hubble Deep Field war es, die am weitesten entfernten Galaxien und Quasare zu finden – und das ist auch gelungen. Das Beobachtungsgebiet dafür hatte man sich sorgfältig ausgesucht. Möglichst weit weg von der galaktischen Ebene sollte es sein, damit keine größeren Mengen Gas und Staub im Blickfeld liegen, die das ohnehin schon schwache Licht der fernen Galaxien weiter dämpfen. Eine Gegend im Sternbild Großer Bär ist es dann geworden, in der auf dem ersten Blick nichtmal ein einziger Stern zu sehen ist.
Über einen Zeitraum von 10 Tagen, vom 18. bis zum 28. Dezember 1995 hat Hubble das Zielgebiet dann ins Visier genommen und insgesamt 342 Einzelaufnahmen in verschiedenen Farbbändern mit der Wide Field and Planetary Camera 2 oder kurz WFPC2 gemacht, die bei der letzten Servicemission durch die Wide Field Camera 3 WFC3 abgelöst wurde. Setzt man die Einzelbilder zu einer Gesamtaufnahme zusammen, dann werden in dem vermeintlich leeren Himmelsausschnitt mehr als 3000 Galaxien sichtbar. Diejenigen, bei denen man noch Spiralarme oder eine elliptische Form ausmachen konnte, sind dabei klar in der Minderheit. Stattdessen trifft man auf viele kleine, schwache Fleckchen, bei einigen davon konnte man durch Nachbeobachtungen mit den größten Teleskopen der Welt so hohe Rotverschiebungen messen, daß sie Entfernungen bis knapp an den Rand des sichtbaren Universums entsprechen.
Die wissenschaftliche Ausbeute des Hubble Deep Field war immens. Endlich hatten die Kosmologen eine Vorstellung davon, wie es um die Verteilung der Galaxien im fernen Universum bestellt war. Mehrere hundert Fachartikel, die sich mit den Daten befassen, sind seitdem veröffentlicht worden.
Aber ein Hubble Deep Field war nicht genug. Drei Jahre später führte Hubble dasselbe Programm nocheinmal mit einem Feld auf der gegenüberliegenden Seite der Himmelskugel durch. Das resultierende Bild des Hubble Deep Field South sah seinem Pendant auf der Nordhalbkugel zum verwechseln ähnlich – so hatte man es auch erwartet. Der Kosmos sollte in alle Richtungen gleich aussehen, das ist eine wichtige Annahme, auf der alle gängigen kosmologischen Modelle beruhen.
Zwischen dem 3. September 2003 und dem 16. Januar 2004 machte sich Hubble an einen noch tieferen Blick in die Weiten des Alls. 800 Aufnahmen wurden gemacht, diesmal nicht mehr mit der WFPC2 sondern mit der Infrarotkamera NICMOS und der Advanced Camera for Surveys ACS. Wie nicht anders zu erwarten, zeigt das neue Hubble Ultra Deep Field wieder Galaxien über Galaxien. In den Infrarotaufnahmen offenbart sich die Stärke des Hubble Ultra Deep Fields, denn durch die hohen Rotverschiebungen für die weit entfernten Galaxien wird ein großer Teil des von ihnen ausgesandten Lichtes aus dem sichtbaren Licht ins Infrarote geschoben. Ergänzt wurden die Aufnahmen dann vor kurzem noch durch zusätzliche Aufnahmen mit der neuen WFC3.
Aber auch in anderen Wellenlängenbereichen sind die Kosmologen den schwachen, weit entfernten Galaxien zuleibe gerückt. Die Himmelsfelder der drei Hubble Deep Fields wurden zum Beispiel auch mit Röntgen- und Infrarotsatelliten beobachtet, ebenso wie zusätzlich mit unzähligen bodengebundenen Observatorien. Inzwischen ist das Hubble Deep Field damit Teil eines viel größeren Programms geworden, des Great Observatories Origins Deep Survey GOODS, an dem auch die beiden Röntgenmissionen Chandra und XMM-Newton und die Infrarotobservatorien Spitzer und Herschel beteiligt sind. Von Herschels ersten Ergebnissen in diesem Zusammenhang hat uns Helmut ja auch schon berichtet.
Die Röntgenastronomie hat allerdings auch noch ihr ganz eigenes Deep Field. Etwa zeitgleich zum ersten Hubble Deep Field hat man sich mit dem damaligen deutschen Röntgensatelliten ROSAT dem Lockman Hole gewidmet, wie der Name schon sagt ebenfalls ein dunkles Fleckchen und am Himmel gar nicht weit weg vom Zielgebiet des Hubble Deep Field gelegen. Über einen Monat lang hat man den ROSAT-Satelliten auf das Lockman Hole gerichtet. Man wollte damit ein altes Rätsel lösen, denn der gesamte Röntgenhimmel schien von einem diffusen Leuchten erfüllt zu sein. Durch die lange Belichtungszeit ließ sich die Röntgenstrahlung aber in einzelne Quellen auflösen – und schnell zeigte sich, daß diese Quellen nichts anderes sind als weit entfernte Galaxien und Quasare wie man sie auch im Hubble Deep Field sieht.
Auch die beiden aktuellen Röntgenmissionen XMM-Newton und Chandra haben sich das Lockman Hole nochmal vorgenommen. Mit Chandra konnte man einmal mehr einzelne Quellen auflösen, während die hochempfindlichen XMM-Daten nochmal neue Quellen sichbar machten und es gleichzeitig ermöglichten, sie spektroskopisch zu untersuchen.
Ein Bild des Lockman Hole, aufgenommen mit XMM-Newton, habe ich vor einigen Wochen zum Geburtstag geschenkt bekommen – als 1000-Teile Puzzle. Im Gegensatz zum Hubble Deep Field kann man darauf nichtmal die Spiralarme der nahen Galaxien erkennen, Röntgenquellen sind normalerweise immer kleine verwaschene Flecken. Das Puzzle war also eine echte Herausforderung. Nach einigen Tagen hatte ich es dann aber doch geschafft. Dieses Puzzle war mit Sicherheit das nerdigste Geschenk, das ich jemals bekommen habe, aber auch das originellste, auch wenn ich mich als Röntgenastronomin eigentlich nicht mit Kosmologie befaßt habe.
Deep Fields und Deep Puzzles
Hi Caro,
sehr interessanter und informativer Beitrag zu einem Thema das in der modernen Kosmologie und allgemein Extragalaktik immer wichtiger wird!
Ebenso beeindruckend sind aber Deine Puzzlefähigkeiten. Und es ist einfach schön zu sehen dass das wohl Freude gemacht hat 😉
Viele Grüsse,
Dominik
GOODS North mit Herschel beobachet
Hallo Caro,
schoen, dass Du so wichtige Himmelsfelder, vor allem fuer die Extragalaktik, vorgestellt hast. Ich arbeite momentan auch an GOODS North.
Herschel hat GOODS North auch schon beobachtet, siehe meine Blogartikel “Herschel – erste Ergebnisse” (Link: http://www.kosmologs.de/…rschel-erste-ergebnisse ). Da finden sich Aufnahmen von den beiden Instrumenten PACS und SPIRE an Bord von Herschel von GOODS North und auch weiterfuehrende Links.
Herschel-Ergebnisse
Hallo Helmut,
ich war mal so frei und habe nachträglich noch einen Link zu deinem Posting eingebaut, das hätt ich echt schon von Anfang an machen sollen *schäm*
Was ich mich bei solchen Aufnahmen immer frage : Inwiefern macht der Zeitpunktbegriff “jetzt” überhaupt einen Sinn.
Wären auf einer 10 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie intelligente Wesen, die über Riesenteleskope verfügten, welche einzelne Sterne in unserer Galaxie aufzulösen vermöchten – theoretisch zumindest denkbar – dann würden sie unsere Sonne nicht sehen, weil sie gar nicht da wäre, weil ihr Licht gerade mal die Hälfte der Strecke zurückgelegt hätte.
Ebenso ist unsicher, ob die Galaxien, die abgelichtet wurden, nicht längst vergangen sind oder zumindest völlig andere Gestalt angenommen haben.
Das Puzzle ist sozusagen die Fotografie einer kosmischen Fatamorgana, denn eines ist sicher : Was wir sehen, war einmal, ist aber so nicht mehr da.
Interessant wäre nun – ich weiss, das klingt arg nach Science Fiction – wenn es Spiegelungen an astronomischen Objekten gäbe oder die Ablenkung des Lichts durch schwarze Löcher, was uns erlauben würde, ein und dasselbe Objekt zu zwei weit auseinanderliegenden Zeitpunkten zu betrachten.
Das Hier und Jetzt
Hallo Peter,
ich will es mal überspitzt formulieren: Würdest du auch bei der Sonne – deren Licht immerhin 8 1/2 Minuten braucht, um uns zu erreichen – diese Bedenken anbringen? Auch da darf man eigentlich strenggenommen nicht mehr von “jetzt” sprechen, wenn wir sie uns von der Erde aus anschauen.
Wir tun es aber trotzdem. und zwar aus einem ganz einfachen Grund. Denn was auch immer mit unserer Sonne vor 8 1/2 Minuten passiert ist, wir können es erst jetzt erfahren, nicht vorher.
Je weiter wir in das Universum hinausgehen, desto größer wird die Entfernung und auch die Zeit, die das Licht bis zu uns unterwegs war. Egal was wir tun, ein Blick in die Tiefen des Alls ist auch immer ein Blick in die Vergangenheit.
Gerade bei den Objekten in den Deep Surveys sind die Entfernungen natürlich sehr groß. Aber das was wir sehen ist der Zustand des Universums dort, wie wir es jetzt sehen. Es gibt keine Möglichkeit, bei diesen Galaxien in die “Zukunft”, also in eine Zeit zwischen dem Zeitpunkt zu dem das Licht ausgesandt wurde und unserem Jetzt, zu schauen.
Verschiedene Vergangenheiten sind allerdings möglich: Man nehme dazu eine Gravitationslinse, die das Licht ablenkt. “Linksherum” nimmt das Licht um die Linse dabei einen kürzeren Weg als “rechtsherum”. Das Licht von rechts wird also später bei uns ankommen und hat eine Zeitverzögerung gegenüber der linken Seite. diesen effekt hat man sich bei der Beobachtung von Doppelquasarbildern schon länger zunutze gemacht.
Lichtlaufzeitdifferenz: Quasar-Beispiel
Hallo Peter und Carolin
Ich möchte mal ein beeindruckendes, konkretes Beispiel zu dem Sachverhalt verlinken, den Carolin in ihrem letzten Absatz angesprochen hat:
Die Heidelberger Astronomin Janine Fohlmeister & Co. haben den Quasar SDSS J1004+4112 beobachtet, dessen Bilder einen Laufzeitunterschied von 2,3 Jahren aufweisen!
Deutscher populärwiss. SuW-Artikel:
http://www.astronomie-heute.de/…87&_z=798889
Originalpublikation arXiv:
http://arxiv.org/abs/0710.1634
Ein anderes Extrembeispiel: Betrachte ich den Himmel im Spektralbereich der Mikrowellen, so sehe ich im Vordergrund die Milchstraße und im Hintergrund das Glühen der kosmischen Hintergrundstrahlung. Zwischen beiden Bildern (hier aber nicht ein und desselben Objekts) liegen 13,7 Mrd. Jahre!
Ein Blick an den Himmel ist immer ein Himmel in verschiedene Epochen gleichzeitig. Ist das nicht total faszinierend?
Beste Grüße,
Andreas
@Andreas
Das ist wirklich erstaunlich – 822 Tage Differenz ! Ich habe zwar schon von Gravitationslinsen gehört, wusste aber nicht, dass tatsächlich grössere Zeitdifferenzen nachgewiesen wurden.
Ich finde auch, dass es ausserordentlich faszinierend ist. Wenn wir beispielsweise die zu uns nächstgelegene Galaxie, den Andromedanebel auf Bildern betrachten, dann ist die “Zeitdifferenz” zwischen den zu uns nächstgelegenen Regionen und den entferntesten schnell mal – so über den Daumen gepeilt – einige zehntausend Jahre.
@Carolin
Was die etwa 8.5 Lichtminuten Distanz der Sonne zur Erde anbelangt : Ja, ich denke oft : So hat also die Sonne vor etwa 8 Minuten ausgesehen, oder der Andromedanebel – gute 2 Millionen Jahre, zur Zeit des homo habilis…
@Peter
Wenn ich astronomische Vorträge halte, dann liebe ich es, mit den Blicken in die unterschiedliche Vergangenheiten einzusteigen.
Ich beginne dann mit dem Mond, den wir sehen, wie er vor gut einer Sekunde war und gehe zurück bis zum Urknall. Und zwar mit folgenden Stationen: Sonne: 8 min; Pluto: fast 6 Stunden; Proxima: 4 Jahre; Plejaden: 440 Jahre; Zentrum der Milchstraße: 26.000 Jahre – da waren Steinzeitmenschen (ziemlich genau passt der Cro-Magnon-Mensch) auf der Erde unterwegs, als die Strahlung im Zentrum startete; Andromeda: 2 Mio. Jahre; M87 in Virgo: 52 Mio. Jahre; Quasar 3C273: 2 Mrd. Jahre; GRB090423; 13 Mrd. Jahre und schließlich die Karte der kosmischen Hintergrundstrahlung: fast 13,7 Mrd. Jahre – das Älteste, was Menschen jemals erblickt haben.
Astronomie ist eine Zeitreise in die Vergangenheit und Teleskope sind Zeitmaschinen.
Das verschafft einen guten Überblick; aber vor allem erfüllt es – zumindest mich – mit Demut vor dem Universum.
Gute Nacht,
Andreas
Deep Surveys – Lange Belichtungszeiten
Guten Tag Frau Liefke,
Sie schreiben …
“Das Hubble Deep Field ist ein sogenannter Deep Survey, bei dem man mithilfe extrem langer Belichtungszeiten lichtschwache und damit meist weit entfernte Objekte zum Vorschein bringt.”
Unter folgendem link
http://hubblesite.org/…s/1996/01/fastfacts_help/
Exposure Dates
findet man als Angabe für die längste Belichtungszeit für eine Einzelbeobachtung des HDF
“many minutes”:
“… Individual observations can vary from a few seconds to many minutes. Exposures can be combined into a single observation with a cumulative time of many hours or even days.”
Bedeutet dies, dass man mit einer Einzelaufnahme von “nur” ein paar Minuten die von Hubble erreichten Grenzhelligheiten erreicht bzw. dass die lange (kumulative) Belichtungszeit des aus vielen Einzelaufnahmen zusammengesetzten Gesamtbildes sich aus der Addition der relativ kurzen Belichtungszeiten vieler Einzelaufnahmen ergibt?
Ich bedanke mich im Voraus für eine Antwort.
Peter Wüst
Einzelbelichtungen
Hallo Herr Wüst,
tatsächlich sind die Einzelbilder der Deep Fields nur ungefähr 10-20 Minuten lang belichtet. Der Grund dafür liegt in der Kehrseite der Medaille von Hubble: Es hat nämlich nicht nur Vorteile, ein Weltraumteleskop oberhalb der Erdatmosphäre zu betreiben. Hubbles Kameras werden aus dem Weltall mit einer Vielzahl hochenergetischer Teilchen bombardiert, zum Beispiel Röntgen- und Gammaquanten, Protonen und Elektronen aus dem Sonnenwind, usw. Von diesen Teilchen kommen auf der Erdoberfläche und damit auch bei bodengebundenen Teleskopen nicht mehr allzuviele an. Bei Hubble aber hinterlassen sie auf jeder Aufnahme unzählige Spuren, sogenannte Cosmics. Und um zu verhindern daß auf den Bildern irgendwann nur noch Teilchenschnee zu sehen ist, begrenzt man die Belichtungszeit. Dann klappt es auch, die Störeffekte aus den Aufnahmen herauszurechnen.
Trotzdem ist auch auf einer kurzbelichteten Einzelaufnahme aus den Deep Fields schon jede Menge zu erkennen. Schauen Sie ruhig mal selber: Hubble-Daten sind für jedermann frei verfügbar. Im Hubble Legacy Archive unter http://hla.stsci.edu/ “Hubble Deep Field” in die Suchmaske eingeben, ein Weilchen warten, und schon hat man eine Liste aller Aufnahmen. Dort kann man nicht nur Rohdaten bekommen, mit denen die Profis dann weiterarbeiten würden, sondern auch Bilder, in denen zum Beispiel die Cosmics schon entfernt wurden. Alles das kann man sich im Browser als Vorschaubild anzeigen lassen.
Wenn nun ein Einzelbild schon jede Menge zeigt, alle Einzelbilder zusammen zeigen dann natürlich nochmal wieder viel mehr. Außerdem hilft die Summation der Einzelaufnahmen dabei, das Rauschen der Kamera zu verringern und Pixelfehler zu korrigieren. Deswegen gehen Amateurastronomen bei der Erstellung ihrer Himmelsaufnahmen nach demselben Prinzip vor. Auch dort hat man es häufig mit stundenlanger Belichtungszeit zu tun – aufgeteilt auf mehrere Einzelaufnahmen, die später per Bildbearbeitungsprogramm zusammengefügt wurden.
Einzelbelichtungen
Guten Tag Frau Liefke,
vielen Dank, die Antwort, speziell auch der link zum Hubble Legacy Archive, waren sehr hilfreich.
Viele Grüße
Peter Wüst