Astronomie verstehen

BLOG: Astronomers do it at Night

…und auch tagsüber
Astronomers do it at Night

Was tut jemand, der sich in die Astronomie einarbeiten möchte, der lernen und verstehen möchte wie unser Kosmos funktioniert? Richtig, er (oder sie!) besorgt sich ein Buch, in dem all das man nachlesen kann. Für diejenigen, die auf der Suche nach einer Einführung in Astronomie und Astrophysik sind, die ausführlich aber gleichzeitig auch ohne großartige Vorkenntnisse in Mathematik und Physik verständlich ist, hätte ich einen ganz besonderen Tip: "Astronomie: Die kosmische Perspektive" von Jeffrey Bennett, Megan Donahue, Nicholas Schneider und Mark Voit.

Mein allererstes Astronomie-Lehrbuch war ein zweibändiges Werk für die gymnasiale Oberstufe, "Astronomie I und II" von Friedrich Gondolatsch, Gottfried Groschopf und Otto Zimmermann. Damals, als Mittelstufenschülerin in der Astronomie AG, habe ich unendlich viel aus diesen beiden wunderbaren Büchern gelernt. Soviel gelernt sogar, daß ich mir die zwei orangefarbenen Bände aus den 70er Jahren – inzwischen schon lange vergriffen und in der Form nicht wieder aufgelegt – vor einiger Zeit antiquarisch gekauft habe.

Noch zu Schulzeiten dagegen habe ich mir ein anderes Buch zugelegt, Paul A. Tiplers Physik, und zwar weil mir das Physikbuch, mit dem wir in der Oberstufe arbeiteten, überhaupt nicht zusagte. Der Tipler, damals in der allerersten Auflage, war und ist eigentlich ein Buch für Studenten natur- und ingenieurwissenschaftlicher Fächer im Grundstudium. Ein wunderbares Buch, das mich mit seinen ausführlichen Erklärungen und Herleitungen nicht nur durch die Schulzeit sondern auch im ersten Studienjahr begleitet hat.


Vor mir liegt nun "Astronomie: Die kosmische Perspektive", ein Buch, das mich schon beim ersten Anblick an den Tipler erinnerte. Knapp 1200 Seiten stark ist es, das ganze im A4-Format und damit gut 3.6 kg schwer. Bei der Lektüre besagten Buches mußte ich so manches Mal an meine ersten Gehversuche in der Astrophysik mithilfe der orangenen Schulbücher zurückdenken, aber auch die Verwandtschaft zum Tipler festigte sich. "Das Buch das Sie vor sich liegen haben ist eine Einmaligkeit" schreibt Harald Lesch im Vorwort, und er hat Recht, dieses Buch ist außergewöhnlich.

Zu Weihnachten ist in den USA die 6. Auflage des englischsprachigen Originals "The Cosmic Perspective" erschienen – als Begleitbuch für einen Einführungskurs in die Astronomie an der Universität. Anders als beim typischen deutschen Physikstudenten, der wenn überhaupt meist erst erst im fortgeschrittenen Semester mit Astronomie in Berührung kommt, setzt dieses Buch aber viel tiefer an: Astronomie ist in den USA an vielen Colleges ein eigenständiges Studienfach, das man sogar unabhängig von Mathematik und Physik belegen kann. Genau das ist auch die Herangehensweise der "Kosmischen Perspektive", auf wunderbare Art und Weise gelingt es die Grundlagen von Astronomie und Astrophysik zu vermitteln – ohne das strenge Korsett von trockenem mathematischen Formalismus.
Für dieses Buch muß man also nicht Physik studieren, ganz im Gegenteil. Ein deutscher Physikstudent, eine Astronomie-Einführung besucht, wird wahrscheinlich auf ein weiteres Buch zurückgreifen müssen, das seinen Schwerpunkt mehr auf der mathematischen Darstellung des Stoffes hat. "Die Kosmische Perspektive" wird allerdings das Buch sein, von dem auch Studenten sagen werden "mithilfe dieses Buches habe ich es verstanden". Egal ob Schüler, Student oder "Otto-Normal-Astronomieinteressierter", jeder der etwas über Astronomie lernen möchte, dürfte mit diesem Buch einen treuen Begleiter finden. Wer mal hineinschnuppern möchte: Der Verlag stellt eine Leseprobe zur Verfügung.

Das Buch ist klar strukturiert, zu Beginn jedes Kapitels werden Fragen gesammelt und Lernziele formuliert. Der Text behandelt die angesprochenen Themen, immer reich bebildert und mit anschaulichen Grafiken ergänzt. Bei den Bildern verrät ein Symbol ob es im sichtbaren Licht oder in einem anderen Spektralbereich und bodengebunden oder vom Weltraum aus aufgenommen wurde – so kann der Leser leicht zwischen Falschfarbenaufnahmen und dem visuellen Eindruck unterscheiden und das Bild besser einordnen.
Kleine Kästen abgesetzt vom Haupttext lassen den Leser über den Inhalt des gerade behandelten Abschnitts nachdenken oder zeigen populäre Irrtümer auf. Der Text selbst kommt völlig ohne Formeln aus. Einzelne ausführlich erläuterte Herleitungen und Rechnungen finden sich in größeren abgesetzten Boxen, für das Verständnis des Textes sind sie aber nicht erforderlich, man kann sie also auch überspringen. Auch Textabschnitte mit Spezialthemen zur Vertiefung finden sich in solchen Kästen.
Im Anschluß an den Haupttext folgt eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse des Kapitels in Stichpunkten. Die Antworten auf die am Anfang gestellten Fragen werden dann zusammen mit den wichtigsten Grafiken nochmal in einer Kurzfassung des Kapitels präsentiert, bevor es an den ausführlichen Aufgabenteil geht.

Thematisch deckt "Die Kosmische Perspektive" alle Bereiche der Astronomie von klassischer Himmelsmechanik bis hin zu aktuellen Fragestellungen der astronomischen Forschung ab, einen Blick ins Inhaltsverzeichnis gibt es hier. Die besondere Herangehensweise dieses Buches wird aber schon in der Einleitung deutlich, das dem Leser als allererstes ein Gefühl für kosmische Dimensionen vermittelt, bevor es daran geht, einfache beobachtbare alltägliche Phänomene wie den Tageslauf der Sonne, die Jahreszeiten, die Mondphasen oder die Bahn der Planeten am Himmel zu ergründen. Das nächste Kapitel widmet sich der Entwicklung unseres Weltbildes und der Bedeutung der Astronomie als Naturwissenschaft. Ein Sonderkapitel erläutert Koordinatensysteme, Zeitmessung und astronomische Navigation.
Bevor sich das Buch dann dem Funktionsprinzip des Fernrohres zuwendet, lernt man was hinter Begriffen wie Bewegung und Energie oder Licht und Materie steckt und bekommt damit einen einfachen Zugang zu physikalischen Prinzipien wie Erhaltungssätzen oder Elektromagnetismus. Die folgenden Kapitel widmen sich ausführlich unserem Sonnensystem. Egal ob es um den Aufbau der erdähnlichen Planeten oder um Atmosphärenphysik geht, "die Kosmische Perspektive" bietet hier unzählige Anknüpfungspunkte, auch an Geologie und Meteorologie.
Im Anschluß folgt ein Ausflug in die Welt von Einsteins Relativitätstheorie, der Quantenmechanik und der Elementarteilchen. Diese drei Kapitel zeigen einmal mehr die Einzigartigkeit der "Kosmischen Perspektive": Nirgendwo sonst habe ich diese Themen so einfach und verständlich dargestellt gesehen.
Damit sind die physikalischen Grundlagen für alles weitere gelegt und schon geht es mitten hinein in die Stellarastronomie. Zuerst konzentriert man sich auf den am besten untersuchten Stern überhaupt, unsere Sonne. Ausgehend von der Vielfalt der Sterne lernt man das Hertzsprung-Russell-Diagramm kennen und wie man die Sterne anhand ihrer Eigenschaften dort einordnet. Natürlich dürfen auch Kapitel zur Sternentstehung und ihrem Ende als Weißem Zwerg, Neutronenstern oder schwarzen Loch nicht fehlen.
Von den Sternen ist es nur ein weiterer Schritt zu den Galaxien. Zuerst bleibt "Die Kosmische Perspektive" noch in unserer eigenen Milchstraße. Vom Schwarzen Loch im galaktischen Zentrum geht es zu den Aktiven Galaktischen Kernen anderer Galaxien. Die Problematik die Entfernungen dieser Galaxien im expandierenden Weltall zu bestimmen, bringt den Leser schließlich zur Kosmologie und der Bedeutung von Dunkler Materie und Dunkler Energie. Abgerundet wird dieser Teil des Buchs mit einem Kapitel über den Urknall und die Entstehung und Entwicklung des Kosmos.
"Die Kosmische Perspektive" selbst endet mit der Möglichkeit von Leben im Universum und der Entstehung des Lebens auf der Erde – und führt den Leser damit an den Ausgangspunkt seiner Entdeckungsreise durch das Weltall zurück.

Das ganze ist keine Bettlektüre, alleine schon deshalb nicht, weil das Buch ja doch etwas unhandlich ist. Es hätte sich eventuell angeboten, es ähnlich wie meine beiden Schulbücher in zwei Teile aufzuteilen, denn den großen schweren Einband schleppt man sicher nur ungern durch die Gegend, egal ob als Student mit in die Vorlesung oder als Schulbuch im Ranzen. "Die Kosmische Perspektive" wird dadurch zu einem Buch mit dem man am besten heimischen Schreibtisch arbeitet. Trotzdem ist man versucht, es von Anfang bis Ende einfach durchzulesen, genau wie einen spannenden Roman. Nicht nur die Autoren haben hervorragende Arbeit geleistet, auch bei der Übersetzung haben sich kaum Fehler eingeschlichen. Stattdessen haben Herausgeber, Lektorat und Korrektorat es geschafft den einmaligen Stil des englischsprachigen Originals zu erhalten und zusätzlich an vielen Stellen durch passende Anmerkungen oder Verweise auf deutschsprachige Internetseiten zu bereichern.

Ergänzt wird das Buch zum einen durch die hierzulande wenig verbreitete Planetariumssoftware Skygazer 4.5 der Firma Carina Software, über die man einen eigenen Blogbeitrag schreiben könnte, und zum anderen durch den Zugang zur E-Learning-Plattform MasteringAstronomy, die besonders Studenten dabei unterstützen soll, den gelernten Stoff zu wiederholen und zu verinnerlichen. Aber auch ohne diese beiden Dreingaben ist "Die Kosmische Perspektive" die bei weitem gelungendste Einführung in die Wissenschaft Astronomie die mir bislang untergekommen ist. Ja, sie hat meine beiden heißgeliebten Schulbücher überflügelt. In meinem Bücherregal steht sie in guter Gesellschaft, direkt neben dem Tipler.

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Astronomin in vielerlei Hinsicht, so könnte man mich mit wenigen Worten beschreiben. Da ist zunächst einmal die Astrophysikerin, die an der Hamburger Sternwarte über die Aktivität von Sternen promoviert und dabei hauptsächlich mit den Röntgensatelliten Chandra und XMM-Newton gearbeitet hat, aber auch schon am Very Large Telescope in Chile beobachten durfte. Auslöser ihres beruflichen Werdegangs war ein engagierter Lehrer, dessen Astronomie-AG sie ab der 7. Klasse besuchte. Ungefähr zur selben Zeit erwachte auch die Hobbyastronomin, die anläßlich des Einschlags des Kometen Shoemaker-Levi 9 auf den Jupiter begann, mit einem russischen Feldstecher vom Flohmarkt den Tanz der Jupitermonde zu verfolgen. Heutzutage freut sie sich über jede Gelegenheit, mit ihrem 16-zölligen Dobson tief im Odenwald fernab der Lichter der Rheinebene auf die Jagd nach Deep-Sky-Objekten zu gehen. Und da Amateurastronomen gesellige Wesen sind, treffe ich mich gerne mit Gleichgesinnten, zum Beispiel zum gemeinsamen Beobachten. Auch nach meinem Umzug von der Großstadt Hamburg in das schöne Universitätsstädtchen Heidelberg halte ich engen Kontakt zu meinen Vereinskameraden von der Hamburger Gesellschaft für volkstümliche Astronomie und dem Astronomieverein meiner Jugend, dem Arbeitskreis Sternfreunde Lübeck. Seit einigen Jahren bin ich außerdem in dem Internetforum Astrotreff aktiv, wo ich Teil des Moderatorenteams bin. Um meine Faszination an der Astronomie an andere weitergeben zu können, besonders an Kinder und Jugendliche, habe ich mich seit Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit engagiert, habe populärwissenschaftliche Vorträge gehalten und Schülergruppen betreut, die in Hamburg das Institut besucht haben. Diese Leidenschaft habe ich nun zu meinem Beruf gemacht. Hier in Heidelberg arbeite ich in einem kleinen aber feinen Team am Haus der Astronomie. Hiermit lade ich Sie ein, lieber Leser, an all diesen Facetten meines Astronomendaseins teilzuhaben. Mal witzig, mal spannend oder nachdenklich, manchmal auch persönlich oder mit Aha-Effekt. Carolin Liefke

6 Kommentare

  1. Das Buch

    Ich kann dem nur zustimmen. Ich habe das Buch gelesen, und ich schaue immer wieder nach, wenn mir etwas nicht so ganz klar ist.

    Der mathematische-physikalische Teil ist in der Tat knapp gehalten. Ich empfinde das aber nicht als Mangel. Es gibt ja eine Menge guter Physiklehrmittel, wo man sich vertieft in die physikalisch-mathematischen Aspekte der Astronomie einarbeiten kann.

    Kurzum : Ein sehr gelungenes Werk, ganz deiner Meinung.

  2. Das Buch

    Es ist schön, Buchempfehlungen solcher Art zu bekommen. Es würde mich sehr freuen, wenn an dieser Stelle noch andere Empfehlungen folgen.
    Herzlichen Dank!

  3. Empfehlungen

    Ich habe bei scribd auch eine Buchreihe entdeckt, die man kostenlos als pdf herunterladen kann, insgesamt ungefähr 1400 Seiten, wenn ich mich nicht verzählt habe. Eine gute Ergänzung zu dem hier vorgestellten Buch. Ich arbeite grad die Sternspektroskopie durch – ich glaube, in deutsch gibt es sonst darüber nichts.

    http://www.scribd.com/group/75996-astronomie

    Gruß Carla

  4. Toller Buchtipp!

    Schade, dass ich diesen qualifizierten Buchtipp nicht früher gesehen habe. Den Mist den man sich zu dem Thema geholt hat, kann man getrost vergessen. Toll finde ich, dass bei diesem Buch auch eine Simulationssoftware dabei ist. Learning by doing finde ich klasse! Die Leseprobe macht auf jeden Fall Lust auf mehr (schöne Fischaugenaufname des Nachhimmels von Australien, guter Text, veranschaulichende Grafiken). Einzig der Preis von knapp 80 Euro lässt einen kurz schlucken, aber Fachüber haben halt ihren Preis.

  5. 6.Auflage

    Hab mal bei Pearson Deutschland nachgefragt, ob es auch bald die 6.Auflage bei uns geben wird und das kam als Antwort:

    “Wir übersetzten meist ca. jede zweite Auflage von unseren Lehrbüchern. Es ist derzeit nicht geplant die 6. Auflage von Astronomie zu übersetzten – jedoch ist die 5. Auflage die wir ja 2009 herausgebracht haben aktualisiert und auch immer wieder korrigiert worden – so dass sich die Inhalte zwischen der 5., aktualisierten deutschen Auflage nicht groß mit dem Inhalt der 6.US-Auflage unterscheiden. Auf die 7.Auflage sind auch wir schon gespannt und erfahrungsgemäß lohnt es sich da noch mal bei uns anzufragen.”

    Also dauert es noch ein bisschen, bis bei uns die deutsche 6.Auflage rauskommt ;). Und den Preis von 80-90€ find ich mehr als angemessen für das Buch. Es gibt kein vergleichbares Astronomiebuch. Bin richtig begeistert davon 🙂

  6. Lehrbuch Astronomie

    Hallo
    Ich suche seit kurzem einen guten. literarischen Einstieg in die Astronomie, da sich meine 7-jährige Tochter dafür zu interessieren beginnt und ich an mein 25 Jahre altes Interesse anknüpfen möchte.
    Damals habe ich es mit einem Physik-Studium versucht. Da ich mir die Mathematik immer erarbeiten muss, jedoch nich dauernd am Schreibtisch sitzen wollte, habe ich es kurzerhand wieder aufgegben und habe einen anderen Weg eingschlagen
    Nun versuche ich einen neuen Anlauf.
    Ich bin gespannt, ob es gelingt und danke für den Buchtipp!
    Beste Grüße
    M.Klaußner
    (Falls Kontakt gewünscht: klaussner[at]gmail.com)

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