Kometenkamera macht Antiwerbung für die Wissenschaft

Die neue OSIRIS-Webcam (Bild: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA)

Ich habe versucht, verständnisvoll zu sein, liebes Planetologen-Team vom Göttinger Max-Planck-Institut für Planetenforschung. Aber damit ist es langsam vorbei. Ich verstehe eure Strategie nicht. Wirklich nicht.

Es geht um die Kamera OSIRIS an Bord von Europas Kometensonde Rosetta. Diese Kamera macht ganz ausgezeichnete Bilder. So ausgezeichnet, dass der größte Teil davon bis heute unter Verschluss bleiben musste.

Im Sommer 2014 (gut zwei Monate vor Rosettas Ankunft am Kometen Tschuri) war ich daher unter den Autoren eines offenen Briefs an das Rosetta-Team. Wir forderten, dass regelmäßig Bilder des Kometen veröffentlicht werden sollten. Wenn schon nicht die der scharfen OSIRIS-Kamera, dann wenigstens die der Navigationskamera an Bord. Eine Forderung, die immerhin eingelöst wurde, auch dank aufgeschlossener Kräfte bei der ESA. Die CometWatch im Rosetta-Blog ist sehr gelungen und liefert schon weit über ein Jahr lang ständig neue Bilder. Nur von der kleinen Navigationskamera – aber immerhin!

Fotografierverbote

Die tolle OSIRIS-Kamera wird allerdings nicht von der ESA betrieben, sondern vom genannten MPI in Göttingen. Und von dort kleckerten bis heute nur sehr wenige Bilder ans Licht der Öffentlichkeit. Planetologen berichten von Konferenzen, wo MPS-Forscher während eigener Vorträge Fotografierverbote erteilten. Als könnte ein Planetologe aus abfotografierten Folien so einfach eine wissenschaftliche Studie machen.

Die neue OSIRIS-Webcam (Bild: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA)
Die neue OSIRIS-Webcam (Bild: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA)

Überhaupt steht „OSIRIS“ unter Planetologen, Weltraum-PRlern und Space Nerds längst für maximale Geheimhaltung von Rohdaten, für Elfenbeinturm-Mentalität und ein völlig fehlendes Verständnis dafür, was Ihre Daten in der Öffentlichkeit bewirken könnten. Und das wirft auch kein gutes Licht auf das Göttinger Institut selbst, das weltweit für exzellente Forschung in der Planetenforschung bekannt ist. Und das – nebenbei gesagt – sonst keine schlechte PR macht. Ich war als Journalist schon mehrfach für Interviews in Göttingen, wurde immer gut betreut, traf immer auf hilfsbereite Forscher.

Auch mein Kontakt mit dem OSIRIS-Team verlief eigentlich gut. Im Frühjahr sprach ich ausführlich mit dem Teamleiter Holger Sierks über seine Arbeit, auch über Ideen, die OSIRIS-Daten schneller herauszugeben oder vielleicht sogar Bürgerwissenschaft damit zu betreiben. Auch wenn er das abwiegelte. Sierks erzählte mir auch, dass die OSIRIS-Daten wohl nicht (wie von der ESA angedacht) nach sechs Monaten, sondern erst nach einem Jahr veröffentlicht werden sollten. Bis dahin wolle das Team selbst mit den Daten forschen, fernab konkurrierender Kollegenblicke. Aber nach einem Jahr sei alles online.

1,5 Jahre eingeschlossen

Die ersten großformatigen Rohdaten nach der Ankunft vom August 2014 müssten somit seit letztem Sommer im öffentlich zugänglichen Planetary Science Archive (PSA) der ESA liegen, sollte man denken. – Sie liegen bis heute nicht dort.

Mehrfach habe ich seitdem freundlich in Göttingen nachgefragt, mehrfach bekam ich aufschiebende Antwort. Angeblich stimmten Meta-Daten nicht, es gehe um tausende Dateien, man müsse erst alte Daten nachbearbeiten. Zuletzt schrieb Holger Sierks mir vor einer Woche auf Nachfrage: Die Bilder seien nun ans PSA übermittellt worden, der Ball liege bei der ESA, sie zu veröffentlichen. Update: Nächste Woche will die ESA sie freigeben. Update 2: Seit Montag, 14.12.15 liegen sie dort (ladbar z.B. via FTP), wenn auch noch nicht in der schöneren Weboberfläche. Update 3: Jetzt auch als JPEG-Vorschau der schönen Weboberfläche!

Seit heute nun gibt es auch eine öffentliche Regung des OSIRIS-Teams. Es ist eine selbst aufgesetzte Seite, eine Art Kometen-Webcam. So etwas haben wir mit unserem offenen Brief vor 18 Monten gefordert. Die Seite ist nicht hübsch, ein HTML-Anfänger hat so etwas wohl in 60 Minuten aufgesetzt. Aber das erste Bild ist umwerfend – die Kamera ist eben gut! War das jetzt wirklich so schwer?

Das Thema offene Daten ist kontrovers; das habe ich mit dem offenen Brief gelernt. Ich kann verstehen, dass Forscher die Daten ihres Instruments möglichst lange alleine nutzen wollen, bevor ihre Kollegen darauf zugreifen – gerade wenn sie schon Jahrzehnte daran gearbeitet haben. Aber hier wurde das Interesse der Öffentlichkeit 1,5 Jahre weitgehend ignoriert. Es wirkt so, als sollte die Freigabe der ersten hochaufgelösten Rohbilder bewusst noch über den mit der ESA vereinbarten Zeitraum hinausgezögert werden. Und das wirft kein gutes Bild auf die Forscher, ihr Institut.

Eine Randnotiz: Diese Woche sprach ich mit einem Astronomen, der an der Gaia-Mission der ESA mitarbeitet. Dabei entsteht ein Katalog von einer Milliarde Sterne, ein extrem wertvolles Werkzeug für jeden Astrophysiker. Die erste Version des Katalogs soll im Sommer 2016 frei veröffentlicht werden. Und bis dahin ist es den Teammitgliedern verboten mit den eigenen Daten wissenschaftlich zu arbeiten. Offenbar geht es auch anders, wenn auch mit Gründen.

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https://www.astrogeo.de

Karl Urban wäre gern zu den Sternen geflogen. Stattdessen gründete er 2001 das Weltraumportal Raumfahrer.net und fühlt sich im Netz seitdem sehr wohl. Er studierte Geowissenschaften und schreibt für Online-, Hörfunk- und Print-Publikationen. Nebenbei podcastet und bloggt er.

9 Kommentare

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  2. Ich habe versucht, verständnisvoll zu sein, liebes Planetologen-Team vom Göttinger Max-Planck-Institut für Planetenforschung. Aber damit ist es langsam vorbei.

    Ein Unverständnis, welches man sehr gut nachvollziehen kann, insbesondere wenn man mitbekommt, wie schnell die Kollegen von der NASA bzw. vom JPL beispielsweise die Bilder von Curiosity online stellen. Alle! In voller Auflösung. In leicht durchsuchbaren Thumbnails und sortiert nach der Kamera des Rovers, die das jeweilige Bild gemacht hat.

    SO geht Werbung für Wissenschaft.

  3. Liebe ESA-Verantwortliche.

    Dies ist das genaue Gegenteil von guter PR. Bitte sorgt dafür, dass so etwas NIE WIEDER vorkommt. Leider ist der aktuelle Stand so, dass ich mir bei langjährigen unbemannten Missionen keine ESA-Beteiligung wünsche, weil ich die Veröffentlichung der Daten gerne noch erleben möchte. Ich vermute, ich bin nicht der einzige, der dieser Meinung ist. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.

  4. solche experimente sollten in zukunft einfach nicht mehr mitfliegen.
    wer seine (durch steuergelder finanzierte) kamera an eine raumsonde pappt, willigt ein, zeitnah und umfassend die messergebnisse zu veröffentlichen.
    das ist nunmal der preis für einen solchen logenplatz.

  5. “planetgate” als Webcam-Homepage … sollte wohl besser “rosettagate” heissen. Schwache Vorstellung , MPG !

  6. Karl Bednarik,
    danke für das eindrucksvolle Foto.
    Der runde Ausschnitt rechts oben sieht so ganz ander aus, als der übrige Meteorit. Ist da schon etwas bekannt, was das sein könnte?

  7. Als langjähriger Nachbar von vielen Planetenforschern ist mir im Laufe der Zeit klar geworden: Es gibt nicht so viele Tiefraummissionen im Leben eines Planetenforschers. Wenn er das Glück hat, als Berufsanfänger oder eher als Postdoc ein Experiment vorzuschlagen und bis zur Teilnahme an der Mission tapfer zu verteidigen und sich nicht entmutigen zu lassen (ein Thema für sich !!!), wird er eventuell zum Ende seines Berufslebens den Start erleben. Dann muss er je nach Ziel noch Jahre warten, bis die Sonde ankommt. Bis dahin hat er u.U. sein gesamtes Berufsleben in DAS Experiment investiert in “sein” Experiment. Diese 90 % Transpiration sind am Ende nicht so viel Wert, die die 10% Inspiration, die sich aus der Analyse der Daten schöpfen lässt. Der 90% Aufwand findet dann bestenfalls in einer Danksagung Platz. Die wichtigen Artikel werden mit den 10% gefüllt. Ich habe volles Verständnis, wenn die Kollegen dann wenigstens eine (an der investierten Zeit gemessen kurze) Sperrfrist haben, um einen Teil der Früchte selbst zu ernten.

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