Ein Nobelpreis für Geologie?
Es klang ja immer etwas absurd: „Dafür müsste es mal einen Nobelpreis geben.“ Das hörte ich öfter im Hörsaal des alt-ehrwürdigen geologischen Instituts an der Universität Tübingen. Heißt: Jahrzehnte alte knarrende Kippsitze, stickige Luft, rundum gelbstichige Karten aus der Präpowerpointära. Vorne doziert der Professor für Sedimentgeologie über sein Fachgebiet: zerriebenes Gestein aus der Erdgeschichte, Kiesel, Sand, Tone, kurz: Dreck. Ein wichtiges Fachgebiet ist das allemal – denn viele Öl- und Gaslagerstätten stecken in Sedimenten. Herr Professor hat vorher bei Shell sein Geld verdient. Aber einen Nobelpreis dafür?
Der Nobelpreis wird an Forscher verliehen, „die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“ – in den Fachgebieten Medizin, Physik und Chemie. Es ließe sich leicht argumentieren, auch Geowissenschaftler am wohl bestdotierten Wissenschaftspreis teilhaben zu lassen. Immerhin betreffen Geowissenschaften uns alle: Unseren Lebensstandard (fossile, metallische und Massenrohstoffe). Außerdem schlummern im Gestein Antworten auf äußerst existenzielle Fragen des Planeten. In einer Umfrage unter 753 Wissenschaftlern über die größten Fragen der Geoforschung waren Antworten wie:
- Prozesse des Klimageschehens detailliert verstehen,
- Entstehung des Lebens verstehen,
- umweltfreundliche Energieversorgung der Zukunft oder
- Frühzeit der Erde entschlüsseln.
Wenn uns also Forscher in diesen Feldern weiterbringen – warum sollte man sie nicht mit einem Nobelpreis für Geologie bedenken?
Keine ebenbürtige Wissenschaft?
Nun muss man es der Nobelstiftung nachsehen: Als der Preis anno 1901 erstmals vergeben wurde, war die Geologie noch eine recht ungenaue Wissenschaft von Mineralien- und Fossiliensammlern. Die Bewegung tektonischer Platten war unbekannt. Die Reihenfolge der Erdgeschichte war zwar dank der Fossilien schon ungefähr entschüsselt, doch die genauen Zeiträume unterschieden sich deutlich von der Realität (es gab kaum absolute Alter, sondern nur relative). Geochemische Datierungsmethoden des Gesteins waren noch nicht erfunden. Erst seit den 1950er Jahren, parallel zu Fortschritten in der Atomphysik und durch Geräte wie das Massenspektrometer, wurde die Geologie als moderne Wissenschaft anderen Disziplinen ebenbürdig.
Preise gibt es natürlich auch in den Geowissenschaften – und zwar nicht wenige. Da ist die alt-ehrwürdige Wollaston-Medaille der Geological Society of London (hatte ich vergessen, danke Gunnar). Die geologischen Vereinigungen schmeißen nur so um sich mit Medaillen: Die European Geoscience Union (EGU) vergibt 28 Medaillen, die American Geophyical Union (AGU) immerhin 20 Medaillen (eine schöne Zusammenstellung aller geologischen Preise gibt es hier). Wirklich herausragende Preise gibt es aber vermutlich nur zwei.
Der Vetlesen-Preis
Da ist zunächst der Vetlesen-Preis, den 1955 die Stiftung eines verstorbenen norwegischen Fährunternehmers ins Leben rief, der ein Fan der Erdwissenschaften gewesen war. Die Medaille wird grob alle zwei Jahre vergeben und ist mit immerhin 250.000 US-Dollar dotiert (Nobel: jährlich gut eine Million US-Dollar).
Die aktuellen Preisträger von 2012 konnten tatsächlich oben genannte Fragen beantworten und haben die Weltgesellschaft mit ihrer Arbeit beeinflusst:
- Die Atmosphärenchemikerin Susan Solomon entschüsselte mit ihren Kollegen jene Prozesse, die das Ozonloch im antarktischen Winter rasant anwachsen lassen. Sie arbeitete daran bis 1987 in der Antarktis. Schon im gleichen Jahr wurde das Montreal-Protokoll verabschiedet, das FCKW-Gase in der Industrie weltweit ächtete.
- Dem Geochemiker Jean Jouzel gelang es, aus Eisbohrkernen den bis dahin längsten zusammenhängenden Klimabericht abzuleiten. Er hatte anhand von Isotopenmessungen im Eis detailliert die Klimaprozesse aus den letzten 800.000 Jahren entschüsselt, inklusive der letzten acht Eiszeitzyklen. Seine Arbeit war Grundlage das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und für die Klimaverhandlungen bis heute.
Unter den älteren Preisträgern sind Forscher wie Walter Alvarez, dem Entdecker einer weltweit verbreiteten Tonschicht mit dem Metall Iridium, das häufig in Asteroiden angereichert ist. Diese Schicht offenbarte, dass die Dinosaurier zeitgleich zu einem großen Asteroideneinschlag verschwanden. Zu den altvorderen Preisträgern gehört auch William Fowler, der Vater der Nukleosynthese: Er veröffentlichte 1957 mit Kollegen die These, dass alle Elemente, die schwerer als Wasserstoff und Helium sind, in Fusionsprozessen der Sterne entstanden sind. Für das Verständnis unseres festen Planeten (der überwiegend aus solchen schweren Elementen besteht), war das eine wichtige Einsicht.
Der Crafoord-Preis
Noch näher am Nobelpreis ist der Crafoord-Preis, der Forschern angrenzender Wissenschaften des Nobelpreises verliehen wird. Alle vier Jahre sind neben Mathematik, Astronomie und Biowissenschaften auch die Geowissenschaften dran. Es gibt immerhin 600.000 US-Dollar und den Preis sogar aus der Hand des schwedischen Königs. Also ganz wie beim Nobelpreis.
Auch hier – die Preisträger haben sich mit allerlei Aspekten der größten Georätsel befasst. Darunter sind viele große Namen, deren Entdeckungen die Wissenschaften über ihr Fachgebiet hinaus beeinflusst haben:
- James van Allen sollte allen Raumfahrtkennern ein Begriff sein: Er war wissenschaftlicher Leiter von Explorer-1, dem ersten US-Satelliten. Dessen Daten führten zur Entdeckung des Strahlungsgürtels der Erde, der seitdem van Allens Namen trägt.
- Sogar im quietschenden Hörsaal Tübingens arbeitete schon ein Crafoord-Preisträger: Paläontologe Adolf Seilacher beschäftigte sich mit der Entwicklung des Lebens – etliche von ihm erdachte grundlegende Prozesse der Evolution sind bis heute gültig. Er eröffnete Wege, aus allerlei Spuren ausgestorbener Arten auf deren Lebensweise zu schließen (etwa Fußabdrücke und Grabgänge). Er lieferte auch wichtige Anstöße, die mutmaßlich ältesten Tiere der enigmatischen Ediacara-Fauna zu deuten.
Nur die weltweite Berühmtheit ist durch diese Auszeichnung nicht garantiert – oder hat unter den Lesern schon mal jemand was vom Vetlesen-Preis gehört – oder hat gar einen Crafoord-Preisträger gesehen, dessen Meinung von nun an überall gefragt war?
Eben: Eine solche Strahlkraft entfaltet nur der Nobelpreis – und mit Abstrichen vielleicht noch die Fields-Medaille in der Mathematik.
Hab ich das nur überlesen, oder hast du die altehrwürdige Wollaston Medaille vergessen?
http://de.wikipedia.org/wiki/Wollaston-Medaille
Die dürfte vom Rang fast den Nobelpreis erreichen, auch wen sie längst nicht so bekannt ist
Ein Faux pas, danke. Habe ich ergänzt.
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Der Nobelpreis für Medizin heist mit vollem Namen Nobelpreis für Medizin oder Physiologie, und damit sind alle Biowissenschaften gemeint. Wie wir heuer gelernt haben, kann eine Biologin auch einen Chemie-Nobelpreis erhalten, somit kann man die Geowissenschaften auch in den Nobelpreis für Chemie (oder auch Physik, bei einem entsprechend physikalsichen Forschungsgebiet) einordnen, wie das bei den Astronomen ja schon gang und gäbe ist (der Physik-Nobelpreis wurde in den vergangenen Jahren überraschend oft an astrophysikalische Themen vergeben).