Anti-Erneuerbar um jeden Preis

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Von Steinen bis zu den Sternen
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Der Spiegel befasste sich in seiner letzten Ausgabe (38/2010) mit der Förderung erneuerbarer Energien und den heeren Zielen der deutschen Bundesregierung.

Forsch voranschreitende Konzernchefs mit lachender Angela Merkel. Darüber: militante Anti-AKW-Demonstranten. Das Energiekonzept der Bundesregierung hat viele Kritiker erregt, insbesondere wegen längeren Laufzeiten für die Atomkraft. Der Spiegel möchte eine vermeintlich andere Schweinerei aufdecken:

Die These: Bis 2050 sollen laut Energiekonzept 80% des Strombedarfs mit Erneuerbaren Energien gedeckt werden. Die Kosten der Energiewende würden bewusst verschwiegen.

Die Öko-Energien bieten die einzige Chance, die Welt in eine saubere Zukunft zu führen. Deshalb verkündet auch die Kanzlerin jetzt allerorten, dem Standort Deutschland stehe eine wahre Revolution bevor. Was Merkel verschweigt: Jede Revolution hat ihren Preis.

Dem Artikel lässt sich einiges erwidern, etwa dass er Teil der Spiegelkampagne gegen die Erneuerbaren ist. Immerhin kommen fast ausnahmslos die Strategen der großen Stromkonzerne zu Wort. Der einzige zitierte Wissenschaftler sei RWI-Chefökonom Manuel Frondel, ein erklärter Gegner der Technik.

Der Artikel wirft mit großen Zahlen nur so um sich: Allein der Bau der neuen Kraftwerke koste bis 2050 rund drei Billionen Euro. Europaweit. Warum eigentlich europaweit? Soll die Zahl künstlich vergrößert werden? Nimmt man an, dass Deutschland 20% der europäischen Stromproduktion deckt, wären das immer noch 15 Milliarden Euro im Jahr. Ist das viel? Die jährlichen Gewinne von RWE,  Eon, Vattenfall und EnBW liegen bei etwa 15 Milliarden Euro. Wohl gemerkt, das sind Gewinne, Investitionen in die Netze sind davon bereits abgezogen.

Und so investieren die Stromkonzerne eifrig, etwa in die Offshore-Windkraft.

Im Regierungskonzept rechnen die Beamten mit 75 Milliarden Euro, die bis 2030 allein für den Ausbau der Offshore-Windparks nötig sind, allerdings auch das unter Vorbehalt. Die Investitionsrisiken seien nur „schwer kalkulierbar“, heißt es.

Schon wieder eine große Zahl. Die sogar noch größer werden kann, weil schwer kalkulierbar. Die Offshore-Windkraft wird gebraucht, weil der Wind auf See stetiger weht als an Land. Sie soll als einer der Brückenpfeiler der Stromversorgung dienen. Sind 75 Milliarden Euro bis 2030 denn viel? Aufs Jahr umgerechnet sind das 3,75 Milliarden Euro, gerade mal ein Viertel der nötigen jährlichen Investitionen in Erneuerbare Energien. Das klingt nach nicht sonderlich hohen Summen für einen Brückenpfeiler.

Ein weiteres Problem aus der Sicht der Spiegelautoren ist die Solarenergie: Deutschland sei sonnenarm und die Förderung über das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) viel zu hoch:

[…] längst hat sich bei Privatleuten wie Unternehmern herumgesprochen, wie beispiellos großzügig der Bund die Solarenergie subventioniert.

Mit durchschnittlich 31 Cent wird jede Kilowattstunde dank des rot-grünen Gesetzes gefördert. Das ist viel, verglichen mit dem Gestehungspreis von 6,5 Cent für eine Kilowattstunde aus dem gesamtdeutschen Strommix von heute. Der Spiegel erwähnt jedoch nicht, dass die Einspeisevergütung in jedem Jahr automatisch in dem Maße sinkt, in dem die Technik günstiger wird. Dies war Teil der rot-grünen Kalkulation: Um sich weiterzuentwickeln, muss eine Technik einen Markt gefunden haben. Erst die Massenproduktion ermöglicht enorme Effizienzsteigerungen. Nischenprodukte bleiben immer teuer.

Und der Strompreis kommt dem purzelnden Sonnenstrom sogar entgegen. Zwischen 1999 und 2008 haben sich die Energieausgaben deutscher Haushalte fast verdoppelt. Und so lässt sich ein weiteres Argument des Artikels widerlegen: Die deutsche Schwerindustrie werde wegen wachsender Strompreise abwandern. Nein: Die Energiepreise steigen ja überall, weil die globale Nachfrage nach Erdgas, Öl oder Kohle zunimmt und weiter zunehmen wird. Mittelfristig sind die Erneuerbaren daher sogar ein Garant für stabile Energiekosten.

Zum Schluss werden die Autoren versöhnlicher:
Wenn sich die Deutschen den Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Brennstoff-Wirtschaft so sehr wünschen, muss sich die Gesellschaft den Systemwandel auch etwas kosten lassen. Und sie muss dazu den Widerstand der Bremser überwinden, allen voran der großen Stromversorger.

Der ließe sich am besten überwinden, wenn man sich als unabhängiges Blatt nicht derer Argumente bediente.

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Karl Urban wäre gern zu den Sternen geflogen. Stattdessen gründete er 2001 das Weltraumportal Raumfahrer.net und fühlt sich im Netz seitdem sehr wohl. Er studierte Geowissenschaften und schreibt für Online-, Hörfunk- und Print-Publikationen. Nebenbei podcastet und bloggt er.

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