Zweiter Einsatz für Amerikas schwerste Trägerrakete

BLOG: Astra's Spacelog

Raumfahrt: Informationen – Meinungen – Hintergründe
Astra's Spacelog

Nahezu drei Jahre nach dem nur teilweise erfolgreichen Erprobungsflug der hoch komplexen Delta 4 "Heavy" demonstrierte Amerikas schwerste Trägerrakete am gestrigen Samstag Ortszeit (Sonntagmorgen mitteleuropäischer Zeit) in einer perfekten ersten Einsatzmission ihre Fähigkeiten.

Der massive, fast 70 Meter hohe Träger verließ die Startrampe am Komplex 37 der Cap Canaveral Airforce Station um 20:50 Uhr US-amerikanischer Ostküstenzeit (02:50 Uhr Sonntag früh in Mitteleuropa).

  

Als Nutzlast transportiert die mächtige Rakete den 23. und letzten Defense Support Program Satelliten (DSP) zu einem Direkteinschuss in den geostationären Orbit. Ein Trip, der von der Zündung der Triebwerke bis zur Freigabe des Satelliten gut sechseinhalb Stunden dauerte.

Die "Heavy" ist die größte Rakete, in Abmessungen, Gewicht und Leistungsfähigkeit, der "Evolved Expendable Launch Vehicle Raketenfamilien Delta 4 und Atlas 5. Sie ist in der Lage, die größten und schwersten US-Militärnutzlasten in den Orbit zu tragen, und sie ist als einziger US-Träger in der Lage, diese Nutzlasten direkt in den geostationären Orbit zu transportieren. In dieser Funktion löst sie die Titan 4B ab, die seit einigen Jahren nicht mehr im Dienst ist.

The Delta 4-Heavy ist die weltweit stärkste ausschließlich mit flüssigen Treibstoffen betriebene Rakete und ihre Komplexität macht jeden Start zur echten Herausforderung.

Jeder der drei parallel gebündelten so genannten "Common Booster Cores" ist mit einem einzelnen Pratt & Whitney Rocketdyne RS-68 Haupttriebwerk ausgestattet, das in Meereshöhe einen Schub von etwa 3.000 kN entwickelt. Diese Triebwerke benutzen flüssigen Wasserstoff als Treibstoff und flüssigen Sauerstoff als Oxidator Die mit den gleichen kryogenen Treibstoffen betriebene Oberstufe verwendet ein Pratt & Whitney Rocketdyne RL10B-2 Triebwerk.

Im Dezember 2004 fand ein Demonstrationsstart der Delta 4-Heavy statt. Ohne Nutzlast, nur mit einem instrumentierten Gewichtsdummy ausgerüstet. Der Zweck dieses Starts war es, Flugerfahrung und Engineering-Daten über die Leistungsfähigkeit dieses neuen Großträgers zu erhalten, bevor er mit den extrem teuren Nutzlasten des Verteidigungsministeriums bestückt wird.

Die Entscheidung der Air Force, eine Testmission fliegen zu lassen, stellte sich als weiser Entschluss heraus. Alle drei Haupttriebwerke erlebten bei der Testmission einen vorzeitigen Brennschluss. Schuld war ein Phänomens namens Kavitation. Dampfblasen in den Leitungen für flüssigen Sauerstoff verwirrten die Sensoren. Sie meldeten an den Bordcomputer, dass die Sauerstofftanks leer sind worauf dieser die Triebwerke abstellten. Tatsächlich befand sich aber noch genügend Treibstoff an Bord. Der zu frühe Brennschluss bewirkte, dass die Rakete erheblich unterhalb des angestrebten Orbits strandete.

Beim Start des gut 300 Millionen Euro teuere DSP 23 Satellit durfte so etwas nicht passieren. Neben der vollen Funktionsfähigkeit der Booster und der Zentralstufe waren auch an die Oberstufe erhebliche Anforderungen gestellt. Es waren drei Brennmanöver notwendig, um den Direkteinschuss in den geostationären Orbit zum Erfolg zu machen. Dazu waren eine komplexe Flugbahn und eine sehr lange Einsatzphase des Trägers notwendig.

Aufgrund der Langsamkeit des Trägers in der ersten Abhebephase ist der Start einer "Heavy" ungemein spektakulär. Das Verhältnis von Schub zu Gewicht beträgt am Anfang nur 1,2 zu 1 und es dauert über 15 Sekunden bis das Vehikel den Startturm passiert hat.

  

Die Oberstufe ist eine vergrößerte Variante der Delta 3 und Delta 4 Medium Oberstufe. Sauerstoff- und Wasserstofftank sind gegenüber diesen Typen vergrößert. Dadurch kann die Oberstufe mehr Betriebsstoff aufnehmen und in der Folge sind längere Triebwerksbrennzeiten möglich.

Die DSP-Satelliten bilden ein orbitales Überwachungssystem das Raketenstarts und nukleare Waffentests auf der Erde und im Weltraum feststellen kann. Die Raumfahrzeuge werden von Northrop Grumman gebaut und ihre Infrarot-Teleskope können die Abwärme von Raketenmotoren gegen den Erdhintergrund feststellen.Hier der Ablauf des gestrigen Starts: Alle Zeitangaben in "Eastern Standard Time" (Florida Ortszeit).

20:49:30 Uhr: Alle Systeme sind "go". Der Terminal Countdown Sequencer übernimmt 8,5 Sekunden vor dem Liftoff die Kontrolle über das Fahrzeug. Die Zündung der drei RS-68 Triebwerke erfolgt 5,5 Sekunden vor dem Start. Alle drei Motoren werden für einen letzten Check auf 102 Prozent Schublevel hochgefahren und vom Bordcomputer getestet. Sind alle Parameter im vorgegebenen Bereich, dann gibt der Rechner, der sich in einem ringförmigen Segment zwischen zweiter Stufe und Nutzlast befindet, den Start frei.

20:50:00 Uhr: LIFTOFF! Alle drei Haupttriebwerke laufen mit maximaler Schubleistung.

20:50:51 Uhr: Das Triebwerk des Zentralsegmentes wird auf 57 Prozent Leistung zurückgefahren. Dies verringert die dynamischen Lasten auf das Fahrzeug und spart Treibstoff. Die Motoren der beiden Außensegmente laufen weiterhin mit einem Power Setting von 102 Prozent. Der Aufstieg der "Heavy" in den Nachthimmel über Florida verläuft mit majestätischer Langsamkeit. Begleitet wird das Schauspiel, das die Küste im gesamten Breward County in fahles Licht taucht vom hellen Knattern und Brodeln der drei mächtigen Triebwerke.

20:51:20 Uhr: Die Heavy nähert sich in etwa 12.000 Meter Höhe dem transsonischen Geschwindigkeitsbereich. Zum Vergleich: Ein Shuttle würde zu diesem Zeitpunkt schon 20 Kilometer hoch und mit Mach 2 fliegen. Die dynamischen Lasten auf das Fahrzeug nehmen zu. Die Beschleunigung wächst mit abnehmender Treibstoffmenge jetzt ebenfalls deutlich an. Etwa 90 Sekunden nach dem Abheben durchbricht die "Heavy" die Schallmauer.

20:53:15 Uhr: Auch jetzt, 195 Sekunden nach dem Start läuft noch das gleiche Brennprofil, das seit der ersten Flugminute aktiv ist. Die äußeren Booster mit 102 Prozent Schub, die zentrale Stufe mit 57 Prozent. Die drei Triebwerke sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Weder sind ihre Leistung, noch ihre Brennzeit exakt gleich. Die Konstruktion der Rakete trägt diesem Umstand Rechung. Die Fluglageregelung kann Leistungsdifferenzen ausgleichen. Für den Moment des Brennschlusses der Booster gilt: Das erste der beiden Triebwerke das wegen niedrigen Treibstoffstandes abschalten muss bedingt automatisch auch den Brennschluss des anderen Motors um eine instabile Situation zu vermeiden.

20:53: 55 Uhr: Die äußeren Common Booster-Triebwerke werden auf 58 Prozent Schubleistung heruntergeregelt. Das dauert fünf Sekunden. Danach laufen sie weitere 5 Sekunden in diesem Modus und werden dann abgestellt.

20:54:20 Uhr: Die 15 Stockwerke hohen äußeren "Common Booster Cores", die in dieser ersten Flugphase den Hauptschub geliefert haben, werden abgeworfen. Kleine Feststoff-Raketenmotoren sorgen dafür, dass sich die riesigen Einheiten sauber vom Zentralkörper lösen, und sofort auf Abstand von gebracht werden.

20:54:30 Uhr: Das Triebwerk des verbliebenen zentralen "Common Booster Core" wird jetzt auf vollen Schub hochgefahren. Diese Zentralstufe ist identisch zu den beiden äußeren Einheiten. Wegen der konservativeren Treibstoffstrategie die hier angewendet wurde kann sie aber etwa 90 Sekunden längern feuern als die beiden äußeren, nunmehr abgeworfenen, Einheiten.

20:55:35 Uhr: Brennschluss der Hauptstufe. Zehn Sekunden später detoniert eine ringförmig angeordnete Sprengschnur und löst den zentralen "Common Booster Core" von der zweiten Stufe mit der Nutzlast. Gleich danach zündet das RL-10B-2 Triebwerk der Oberstufe.

20:56:20 Uhr. Die dreiteilige Nutzlastverkleidung wird abgeworfen. Der Satellit ist damit jetzt, in bereits mehr als 100 Kilometern Höhe, erstmals dem freien Weltraum ausgesetzt.

21:03:12 Uhr. Erster Brennschluss der zweiten Stufe. Ein niedriger Parkorbit ist erreicht. Zum Vergleich: Ein Space Shuttle, der auch schon moderate Beschleunigungswerte aufweist, schafft es bis hierher in acht Minuten 30 Sekunden. Die Kombination aus Zweitstufe und Satellit vollführt jetzt in freier Drift fast eine ganze Erdumkreisung, bis sie wieder den Schnittpunkt mit dem Äquator erreicht. Kurz zuvor wird sie vom Lageregelungssystem exakt ausgerichtet.

22:05:36 Uhr: Das RL10B-2 Triebwerk erwacht erneut zum Leben und feuert für sechseinhalb Minuten. Dann wird es wieder stillgelegt. Die "Heavy", oder das was jetzt noch von ihr übrig ist, steigt auf einer steilen Ellipse weit über die Erde auf. Auf dem Scheitelpunkt der Ellipse ist die zweite Stufe mit dem Satelliten 36.500 Kilometer von der Erde entfernt.

03:03:23 Uhr: Sonntagmorgen. Die letzte, gut drei Minuten dauernde Brennphase der zweiten Stufe ist abgeschlossen. Ein kreisförmiger, nahezu geostationärer Orbit ist erreicht. Die Inklination beträgt jetzt noch 4 Grad zum Äquator. Diesen Rest wird der Satellit später selbst ausgleichen.

03:09:57 Uhr: Trennung der Nutzlast. Der "Defense Support Program 23" Satellit ist in seinem vorgesehenen Orbit, nachdem er von der ersten operationellen Delta 4 Heavy direkt in einen geostationären Orbit gebracht worden war. Damit ist der erste Einsatzstart Amerikas schwerster unbemannter Rakete abgeschlossen.

Avatar-Foto

Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

Schreibe einen Kommentar