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Raumfahrt: Informationen – Meinungen – Hintergründe
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Die Chancen stehen gut, dass am kommenden Montagmorgen um 1:35 Uhr mitteleuropäischer Zeit SpaceX seine Falcon 9/Dragon-Kombi zur ersten regulären kommerziellen Versorgungsmission für die Internationale Raumstation entsendet. Bei der akronym-verliebten NASA trägt die Mission die Bezeichnung CRS-1. Geht alles glatt, wird der Flug deutlich weniger öffentliches Interesse finden als die Testmission, die zwischen dem 22. und 31. Mai dieses Jahres so verblüffend erfolgreich abgewickelt wurde. Geht es schief, wird die große Stunde all derer schlagen, die es schon immer gewusst haben.

Start am 8. Oktober um 1:34 Uhr MEZ

Die Vorbereitungen für CRS-1 sind in den letzten Wochen auffallend ruhig und problemlos verlaufen. Der vor Monaten angekündigte Starttermin stand nie in Frage. Am Samstag vor einer Woche hat eine Probezündung der Erststufentriebwerke wie geplant stattgefunden und alles sieht so aus, als könnte SpaceX das nur wenige Minuten lange Startfenster am Morgen des 8. Oktober wahrnehmen, passendes Wetter einmal vorausgesetzt.

Sollte auch diese Mission zumindest halbwegs ordentlich verlaufen, dann wird wahrscheinlich für den Februar CRS-2 angesetzt. Klappt auch das, hätte das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt einen Träger mit einer Flughistorie von fünf erfolgreichen Starts zur Verfügung. In der Regel sind nach fünf Missionen die meisten technischen Unregelmäßigkeiten ausgemerzt. Was danach kommt, sind meistens  Probleme, die mit dem Hochfahren der Fertigung zu tun haben.

Private und institutionelle Kunden setzen in der Zwischenzeit offenbar fast bedingungslos auf den Newcomer. Galt er bis vor etwa drei Jahren in der Szene noch als Lachnummer, scheint man Elon Musk, dem Inhaber und CEO von SpaceX, in der Zwischenzeit alles zuzutrauen. Was neben seinen bisherigen Erfolgen vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass seine Preise unschlagbar niedrig sind. Selbst russische und chinesische Träger sind teurer.

Noch nie in der Geschichte der kommerziellen Raumfahrt (von der Privaten ganz zu schweigen) hat ein Träger, der sowenig Flughistorie hat wie der Falcon, ein solch gewaltiges Startmanifest aufbauen können. Im Prinzip ist Elon Musk bis 2018 ausgebucht. Neue Aufträge kann er nur deshalb annehmen, weil er seine Produktionszahlen laufend nach oben korrigiert. Kein anderer Träger, sei es die Proton, die Ariane, die Zenit, die Atlas 5 oder die Delta 4 haben auch nur ansatzweise einen Auftragsrückstau wie die Falcon 9. Vom totalen Misstrauen noch vor ein paar Jahren ist die Entwicklung vollständig ins andere Extrem umgeschlagen.

An der Stelle kommt ein Umstand ins Spiel, den sich Musks Auftraggeber womöglich noch gar nicht so richtig angesehen haben, denn Fakt ist: SpaceX hat die Produktion der Falcon 9 bereits wieder eingestellt. Das Unternehmen hat nicht mehr als sechs Einheiten dieses Trägers gebaut. Nummer vier steht derzeit in Cap Canaveral auf der Rampe und die Nummern fünf und sechs befinden sich fertig produziert in Hawthorne in Kalifornien. Nummer fünf wird in wenigen Monaten starten, die Nummer sechs im Jahre 2014. Danach endet die Geschichte der Falcon 9.

Falcon 9 Nummer vier ist auch schon gleich die vorletzte der Serie

Doch keine Angst, Elon Musk denkt gar nicht daran, wieder aus dem Raumfahrtgeschäft auszusteigen. Das Gegenteil ist der Fall. Irgendwann im zweiten Quartal des nächsten Jahres startet nämlich die Falcon 9 1.1. zu ihrem Jungfernflug. Die Bezeichnung soll den Eindruck erwecken, dass es sich um eine geringfügige Modifikation des bestehenden Produktes handelt. Tatsächlich aber ist es eine komplett neue Rakete.

Sie ist 16 Meter länger als die bisherige Falcon 9 und über 120 Tonnen schwerer. Sie ist strukturell anders aufgebaut, die Triebwerksanordnung und damit das gesamte Leitungssystem ist unterschiedlich. Die Rakete hat eine ganz andere Nutzlastverkleidung und das wichtigste: praktisch komplett neue Triebwerke, die mittels neuer Fertigungsverfahren gebaut werden. Bei denen man übrigens auch über den Namen den Eindruck einer lediglich unbedeutenden Modifikation erwecken will, denn sie heißen jetzt nicht mehr “Merlin 1C” sondern “Merlin 1D”. Ihre Schubleistung (800 Kilonewton auf Meereshöhe) ist jetzt um 50 Prozent höher und reicht schon langsam an das Ariane 5-Erststufentriebwerk heran. Dieser neue Träger wird dann in der Lage sein, etwa fünf Tonnen Nutzlast in einen geostationären Transferorbit und etwa 13 Tonnen auf eine niedrige Erdumlaufbahn zu bringen.

Tests neuer Triebwerke finden in der traditionellen Raumfahrtindustrie stets Jahre vor dem Erstflug eines Trägers statt. Als Beispiel sei hier die Ariane 5 genannt. Für die neue Version ME wird eine verbesserte Oberstufe mit neuem Triebwerk entwickelt, das den Namen VINCI trägt. Dieses Triebwerk wird schon seit einer Weile auf dem Prüfstand getestet. Der Erstflug mit dem neuen Motor wird aber nicht vor 2017 erfolgen.

Musk dagegen begann erst vor wenigen Monaten mit den Tests des Merlin 1D. In einem guten halben Jahr soll es ausgereift sein. Zu diesem Zeitpunkt muss er dann auch schon eine Reihe von Einheiten produziert haben, was bedeutet, dass die Serienfertigung dafür parallel zu den Tests bereits angelaufen sein muss. Auch die Produktion des neuen Trägers muss dann begonnen haben, anders geht es gar nicht, will er eine realistische Chance haben, sein Startmanifest abzuarbeiten. Sollten sich aus den Tests Änderungsanforderungen ergeben, dann muss Musk das nachträglich entweder in die bereits produzierten Serieneinheiten einbauen oder sie wegwerfen und neue anfertigen. Ein Vorgehen, wie man es sonst nur in Krisen- oder Kriegszeiten kennt und wie es die – damals stark militärisch geprägte – Raumfahrtindustrie zuletzt in den 60iger Jahren praktizierte.

Will Elon Musk sein Startmanifest bewältigen bräuchte er allein im nächsten Jahr 45 Stück seiner neuen Triebwerke. Zum Vergleich: Für die Ariane 5 werden derzeit jährlich etwa sieben Triebwerke gefertigt.

Ganz nebenbei wird dieser neue Träger seine erste Mission auch noch von einer komplett neuen Startrampe auf einem neuen Startgelände beginnen. Die befindet sich auf der Luftwaffenbasis Vandenberg in Kalifornien. Und von dort geht es zusätzlich erstmals in der Firmengeschichte von SpaceX auf eine polare Umlaufbahn. Und gleich beim Erstflug mit einem zahlenden Kunden an Bord, nämlich dem kanadischen Umweltforschungssatelliten Cassiope.

Das ist alles recht mutig, denn eines muss man im Hinterkopf behalten: Historisch gesehen häufen sich Fehlstarts in den ersten etwa 15 Missionen komplett neu entwickelter Träger. Nehmen wir auch hier die Ariane 5 als Beispiel. Sie hat bisher 65 Flüge absolviert. Die Missionen 1, 2, 10 und 14 waren Fehlschläge (wobei man die Mission Nr. 2 als Teilerfolg werten kann). Erst danach waren die Kinderkrankheiten ausgeräumt. Seit nunmehr 51 Flügen ist die Ariane 5 in ununterbrochener Folge fehlerfrei unterwegs.

Derlei historische Erkenntnisse sind für Elon Musk keine allzeit gültigen Wahrheiten. Er denkt überhaupt nicht daran, sich auf die sichere Seite zurückzuziehen und fährt mit SpaceX weiterhin volles Risiko. Das Unternehmen finanziert sich aus seinem steilen Aufstieg. Die Dynamik und Innovationskraft von SpaceX könnte aber durch einen oder zwei Fehlschläge schnell ins Stocken kommen. Und sollte das Unternehmen straucheln, dann ist eines sicher: Die Geier, in Form von Lockheed und Boeing, warten schon. Sie werden sich dann die besten Stücke sichern und der Rest wird auf der Müllhalde der Raumfahrtgeschichte verrotten.

Sollte das passieren, wäre die Raumfahrtwelt wieder wie zuvor. Und das wäre ausgesprochen schade.

Nachtrag: Die Mission entwickelt sich noch dramatischer als angenommen. Weiterführende Berichterstattung zu diesem Thema können Sie auf “Der Orion” nachlesen

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

4 Kommentare

  1. Ein Verrückter dieser Elon Musk

    Das Gewagte an SpaceX muss man wohl auf den Gründer dieser Frima – Elon Musk – zurückführen. Er hat nämlich noch viele verrückte Ideen, nicht nur was die Raumfahrt angeht.
    In Elon Musk: The Man With His Mind in the Future liest man von anderen “verrückten Musk-Ideen”.
    – an electric-powered jet
    – A magnetic type of fusion
    – The Hyperloop. .. According to Musk, this would enable people to travel between LA and San Francisco in less than thirty minutes

    Der Artikel schliesst mit
    “As with all things that Musk says, the ideas seem over the top. But ten years ago, the idea of a private space exploration company was ridiculous. And 50 years before that, the idea of going into space at all was a pipe-dream.”

  2. Wann ist ein Start ein “Erfolg”?

    Die Primärnutzlast auf der korrekten Bahn, die – auch nicht billige – Sekundärnutzlast auf einer völlig falschen, und beim Brennen der ersten Stufe wird eins von neun Triebwerken zerstört: In diversen Raumfahrtforen wird seit dem abenteuerlichen Falcon-Start gestern eifrig diskutiert, wie erfolgreich der denn nun eigentlich war. Wie sehen’s denn Sie …?

  3. Wie ich das sehe…

    Grundsätzlich mal so: Die Hauptnutzlast ist ziemlich exakt auf der vorgesehenen Bahn abgeliefert worden. Der Zustand der Rakete spielt dabei keine Rolle, die war bei dieser Mission sowieso ein „Wegwerfartikel“. Ob jetzt die Aufstiegsbahn mit davonfliegenden Trümmern gepflastert ist und auf den Bildschirmen im Kontrollzentrum die roten und gelben Anzeigen nur so flackern spielt dabei höchstens bei den Verkaufsgesprächen für weitere Raketen eine Rolle. Nutzlast zwei konnte nur deswegen nicht auf der korrekten Bahn abgeliefert werden, weil dabei eine NASA-Flugregel verletzt worden wäre, und nicht, weil es nicht möglich gewesen wäre.

    Es wäre ungefähr so, als würde ich mit einem Krankenwagen ein Spenderorgan zur Klinik bringen und danach weiterfahren wollen, um eine Zahnprothese bei einem Zahnarzt abzuliefern. Auf dem Weg in die Klinik fällt einer der Motorzylinder aus, trotzdem erreiche ich die Klinik sicher, wenngleich ein paar Minuten später. Danach darf ich aber aus gesetzlichen Gründen nicht mehr weiterfahren, weil mein Wagen nun die vorgeschriebenen Abgaswerte überschreitet.

    Der Grund, warum die Falcon-Oberstufe nicht das Brennmanöver durchführen durfte, um auch den Orbcom abzusetzen liegt darin, dass diese Oberstufe eine 15 Sekunden verlängerte Brenndauer gegenüber einem normalen Aufstiegsprofil hatte. Die erste Stufe konnte den Geschwindigkeitsverlust durch den frühen Triebwerksausfall nicht alleine ausgleichen. Das hatte die Treibstoffreserven der zweiten Stufe angegriffen. Nachdem die Bahn aber die exakt gleiche Inklination hat, wie die der ISS, wollte man es aus Sicherheitsgründen nicht riskieren womöglich beim Apogäums-Brennmanöver ebenfalls einen Triebwerksausfall zu haben (und nur zur Info: die Oberstufe verwendet das selbe Triebwerk wie die erste Stufe) und dann im Orbit der ISS womöglich auf Kollisionskurs zu stranden.

    Man kann also davon ausgehen, dass das Triebwerk der zweiten Stufe unter normalen Umständen funktioniert hätte, und nur durch eine Dienstanweisung ausgebremst wurde. Es führt allerdings nichts an der Tatsache vorbei, dass der Träger selbst einen Zustand herbeigeführt hat, der das Eintreten dieser Sicherheitsregel verursachte. Somit bleibt der Wert der Nutzlasten als Bewertungsgrundlage, und da kommen wir dann zunächst auf einen etwa 95 prozentigen Erfolg. Gehen wir weiter davon aus, dass der Orbcom, der ein Experimentalgerät ist, auch auf seiner niedrigeren Bahn einen guten Teil seiner Aufgaben erfüllen kann, sagen wir mal 30 Prozent, dann landen wir bei einem etwa 97 prozentigen Missionserfolg. Und das würde ich dann großzügig auf 100 Prozent aufrunden.

    Und klar, fragt man den CTO von Orbcom, dann wird die Bewertung wahrscheinlich ein wenig anders aussehen.

  4. Elon Musk plans 200 Tons to LEO rocket

    SpaceX plant ein komplett neues, nicht Merlin-basiertes Triebwerk für eine neue Rakete, welche 150 bis 200 Tonnen in niedere Umlaufbahnen bringen soll.
    Mit (Zitat)“more than 1.5 million pounds” of thrust würde es das Merlin-I-Triebwerk um fast den Faktor 10 übertrumpfen und die geplante neue Rakete würde mit ihrer vorgesehenen Nutzlast von 150 bis 200 Tonnen alles übertrumpfen, was es je gegeben hat.

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