Kick it like Einstein: Cantravelwell-Virus infiziert Kiwis

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Ich dürfte einer der wenigen Jugendlichen gewesen sein, dessen Interesse für Raumfahrt gleichermaßen von Clark Darlton wie von Carl Barks geweckt wurde. Clark Darlton schrieb Perry Rhodan. Der war unser Mann im Weltraum und ruinierte meine Lateinnote, weil ich seine Abenteuer während des Unterrichts unter der Bank zu lesen pflegte. Carl Barks zeichnete und textete für Walt Disney. Er schuf Donald Duck, der in permanenter Hybris unverdrossen daran glaubt, alles erreichen zu können. Im Bedarfsfall auch unter Zuhilfenahme etwas unlauterer Mittel.

Clark Darlton & Perry Rhodan = Raumfahrt! Klar. Aber Carl Barks & Donald Duck = Raumfahrt?

Nun, hier gibt es eine These, die zwar schon hinreichend durch Fakten gestützt ist, aber noch der abschließenden Prüfung einiger natur- und geisteswissenschaftlicher Grundsatzfragen durch die donaldistische Forschung bedarf. Sie lautet: „Nicht nur vereinzelte oberbayrische Schüler wurden durch Donald Duck mit der Raumfahrt vertraut gemacht. Nein, der egozentrische Erpel führte durch eine Verkettung schicksalhafter Umstände eine ganze Nation von Schafzüchtern und Obstbauern – nachfolgend als „Kiwis“ bezeichnet – in den Weltraum“.

Donald war der Raumfahrt…

Betrachten wir zunächst die Ausgangssituation, die uns eine der Carl Barks-Stories aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts präsentiert. Titel: „Want to buy an island". In der deutschen Übersetzung von Erika Fuchs wurde daraus „Einsame Insel zu verkaufen“. Donald erwirbt unter dubiosen Umständen für 10 Dollar die Südsee-Insel „Wiki-Wak“. Erika Fuchs, die geniale Übersetzerin des Ehapa-Verlages, machte daraus „Imi-Ata“, eine Kombination der Markennamen zweier damals gebräuchlichen Allzweckreiniger. Dies ergibt ein Palimpsest, dessen Lösung wir in der Folge andeuten werden, der aber nichtsdestotrotz Gegenstand zukünftiger Studien sein muss.

…in jeder Hinsicht zugetan

Donald vermutet auf Imi-Ata einen Schatz und fährt flugs dort hin. Leider findet er da aber nicht die erhofften Geschmeide, Münzen und Edelsteine vor, sondern nur einige im Kreis angeordnete Ölfässer. Aus Gründen, die dem Verfasser heute nicht mehr geläufig sind (zur restlosen Aufklärung des Sachverhaltes ist deshalb eine literaturarchäologische Notgrabung auf dem Dachboden des Autors erforderlich) entzünden sich die Öltonnen.

Es läuft dumm für Donald, denn die Fässer sind das Ziel einer Rakete – ausgestattet mit einem Wärme suchenden Sensor – die der Magistrat von Entenhausen für die Bekämpfung von Waldbränden entwickeln ließ. Das Projektil macht sich nun auf den Weg in die Südsee, um die Ölfässer zu löschen. Startort der Rakete: die bekannte Entenhausener Raumfahrtbasis Cape Cantravelwell. Doch der Nutzlastkopf der Rakete enthält, wie wir heute vermuten dürfen, nicht nur Lösch-Schaum, sondern auch einen Virus. Den Raumfahrt-Virus.
 
Wissenschaftliche Analysen, durchgeführt von Raumfahrthistorikern und Donaldisten, geben bis heute nicht erschöpfend Auskunft darüber, welches Eiland Carl Barks mit Imi-Ata meinte. Nur eines steht fest: Es gehörte zum neuseeländischen Staatsgebiet.   

Handelt es sich bei Imi-Ata vielleicht um das geheimnisvolle Cape Kari-Kari, von dem aus im Jahre 1965 insgesamt sieben Höhenforschungsraketen des Typs „Arcas“ leider nicht ganz den Weltraum vorstießen,  denn nach 88 vertikal zurückgelegten Kilometern war Ende im Gelände? Oder ist es Birdlings Flat, wo man 1963 zwei Raketen in die Ionospäre entsenden wollte, denen aber dann leider schon irgendwo zwischen Stratosphäre und Mesosphäre die Luft ausging?

Sei es, wie es sei. Seit dieser Zeit hält jedenfalls der Cantravelwell-Virus Neuseeland unter seiner Knute. Seit dieser Zeit sind die Kiwis mit der Verpflichtung infiziert, den Weltraum zu erobern. Die Versuche in Birdlings Flat und auf Kari-Kari erwiesen sich allerdings als ein  „Schuss mit dem Ofenrohr ins Gebirge“, wie eine alte polynesische Redensart sagt.

Neben der Schafzucht und dem Kricketspiel blieb den Kiwis in den vergangenen Jahrzehnten leider nur wenig Zeit, sich höheren Aufgaben zu widmen. So fiel es den Neuseeländischen Ingenieuren erst kürzlich auf, dass ihr Land den Weltraum überhaupt noch nicht erreicht hatte.

Von links: Mark Stevens alias Mark Rocket, Nikhil Raghu und Peter Beck, die nach dem Start ihrer Atea 1 die erste Stufe aus dem Wasser fischen.

Um dem Mißstand abzuhelfen gründeten drei unerschrockene Donaldisten unter dem Motto:  "Dem Ingeniör ist nichts zu schwör" die Firma "RocketLab". Bei den dreien handelt es sich nicht, wie man spontan vermuten könnte, um die inzwischen erwachsenen Neffen Donalds, Tick, Trick und Track, sondern um Peter Beck, Mark Rocket (der, bevor er von einer besonders pathologischen Form des Cantravelwell-Virus befallen wurde, noch Mark Stevens hieß) und Nikhil Raghu (keine indisches Gulasch-Variante, sondern der  knapp 20 Jahre alte  „Senior Engineer“ von Rocketlab). Diese drei stellten sich die Aufgabe, endlich für die Kiwis den Weltraum zu erobern. Nach den Fehlschlägen von Kari-Kari und Birdlings Flat diesmal vom „Great Mercury Island“ aus, was sowohl zum Thema Raumfahrt wie auch zum Thema Weltraum ohnehin viel besser passte.


"RocketLab" entwickelte daraufhin die links abgebildete zweistufige Hybridrakete mit der Typbezeichnung  Atea-1. "Atea„ – so behauptet das Trio – wäre das Maori-Wort für Weltraum. Allerdings ist schon rein phonetisch der Hinweis auf die historische Insel „Imi-Ata“ so deutlich, dass wir über diesen missglückten Verschleierungsversuch nur herzlich lachen können. Zusätzlich bekam die Rakete noch einen Eigennamen verpasst: Manu Karere und das bedeutet bei den Maoris (so die Waikato Times, die Postille der Mercury Islands) so viel wie "Habt eine gute Reise, O Vogelwesen". Übersetzen wir das in Englische, so lassen sich "Birdling" (Flat) und Cantravelwell ohne Probleme erkennen.

Werfen wir nun kurz einen Blick auf das technische Konzept: Die Rakete ist knapp sechs Meter lang, aber nicht wesentlich dicker als mein etwas aus der Mode gekommener Vierfarben-Kugelschreiber. Als Oxidator verwendet das Projektil  Lachgas, als Treibstoff wird – laut Homepage der munteren Kiwis – ein "Polymer based fuel" eingesetzt. Dessen Aussehen erinnert optisch beträchtlich an einen der größeren Standardtreibsätze der Modellbaufirma ESTES, die man sich dort ziemlich problemlos online aus dem Katalog bestellen kann.

Der Start der Atea-1 gelang am 30. November letzten Jahres nach ein paar Anläufen vor einer unübersehbaren, etwa 30köpfigen Menschenmenge. Mangels Telemetrie, Radar, optischem Tracking, GPS oder irgendeiner anderen der üblichen Nachweismethoden (sorry, our Battery died) konnte die erreichte Höhe nicht offiziell verifiziert werden, was den Spekulationen des RocketLab-Teams über die fantastische Performance ihrer Rakete Tür und Tor öffnete.  Die Höhenleistung des Projektils stieg mit jeder Presse-Veröffentlichung und erreichte innerhalb kürzester Zeit märchenhafte 150 Kilometer.
 
Rocketlab behauptete weiter, dass ihre Rakete nach 20 Sekunden Brennzeit eine Geschwindigkeit von 5.000 Kilometern pro Stunde erreicht hätte. 15 Sekunden seien davon die Brennzeit der ersten Stufe gewesen, fünf Sekunden hätte die zweite Stufe gefeuert. Die Filmbilder des Starts zeigen zwar eine ansprechend flotte Beschleunigung, so wie man sie bei einer besseren Feuerwerksrakete eben erwartet. Die kurze Filmsequenz hält die Rakete allerdings für sechs oder sieben Sekunden im Bild, und bis dahin hatte sie grade mal eben die tief hängende Wolkenuntergrenze erreicht. Bei generöser Schätzung 1.000 Meter. Vergleichen Sie dazu den Start einer Rakete, die WIRKLICH innerhalb der von den Kiwis angegebenen Zeit besagte Geschwindigkeit erreicht. Das sieht dann in etwa so aus. (Kleine Bemerkung am Rande: Beschleunigungen, die eher dem Abschuss einer Artilleriegranate entsprechen, sind – auch wenn man sie tatsächlich erreicht – nicht eben das, was  heutzutage ein Experimentator für seine sensible Nutzlast wünscht).

Kommen wir zum Fazit: Raketentechnik macht den Kiwis Spaß. Allerdings sieht die Art der Leistung verdächtig nach einer direkten Einflussnahme Donald Ducks aus, der offensichtlich bis auf den heutigen Tag vor Ort weilt.  Sollte der Nachweis des Erreichens einer Höhe von mehr als 100 Kilometer auch in der nächsten Zukunft nicht mittels der Atea-1 gelingen (RocketLab plant angeblich bald wieder einen Start) dann haben Neuseelands Donaldisten schon das nächste Eisen im Feuer, erneut geschmiedet von  Mark Rocket. Der wird sich dann nämlich persönlich auf diese Höhe katapultieren lassen und hat zu diesem Behufe schon ein Ticket bei Virgin Galactic gekauft. Schon bald wird somit die Waikato Times den ersten neuseeländischen Astronauten interviewen können.

Start der Atea 1

Extrapolieren wir unsere Erkenntnisse auf das Gebiet des Fußballs, auf dem sich Neuseeland in den nächsten Wochen mit der Welt noch intensiver messen wird als der Raumfahrt: Mit dieser Kombination aus Chuzpe, der Unkenntnis der wahren Schwierigkeiten und der daraus resultierenden Leichtigkeit des Seins, sowie der Freude an einem zünftigen Gag, könnte es gut sein, dass Neuseeland Fußballweltmeister wird. Oder nach der Vorrunde mit 0:9 Punkten und 0:20 Toren ausscheidet.
 
Wie auch immer die Sache ausgeht, im Weltraum und auf dem Fußballplatz, werden wir in der nächsten Zukunft sehen. Bis dahin halten wir es mit Franz Beckenbauers orginal polynesischem Lebensmotto, das da lautet: Schau mer mal.

Internet:

Artikel der Waikato Times über den Start der Atea-1

RocketLab

Weiterer Film vom Start der Rakete

Homepage Mark Rocket

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

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