Sojus TMA 12 – im Orbit gestrandet?

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Am 20. April berichtete ich in den Kosmologs über die Landung von Sojus TMA 11, die aus der damaligen Sicht nicht nominell, aber doch innerhalb der Limits des Sojus-Systems abgelaufen zu sein schien. Nur wenige Tage später zeichnete sich ab, dass die Sache weitaus dramatischer gewesen war, als zunächst angenommen. Ich schrieb darüber am 23. April im Orion. Noch einmal einige Tage später verfasste Michael Khan einen Kommentar zu meinem  Kosmolog-Beitrag, den er mit einer Adresse zu einem sehr aufschlussreichen Bild versah: Die an der Seite stark verschmorte Sojus-Kapsel (siehe Bild unten). Für ein Foto hoher Auflösung bitte hier klicken.

Inzwischen liegen weitere Informationen vor. Und damit drängen sich auch weitere Überlegungen auf.

Zunächst die neuen Fakten. Sie erhärten die bisherige Vermutungen. Sie stammen aus einem CBS News Interview, das Peggy Whitson am 2. Mai gab. Nachfolgend Auszüge aus Whitsons Schilderungen, lose aneinander gefügt. In Klammern sind einige kurze Erläuterungen von mir eingefügt, um die Verständlichkeit zu erhöhen.

"…uns (Yuri Malenchenkov und Yi So-yeon) war es nicht sofort klar (dass es zu einer Anomalie gekommen war). Das dauerte einige Minuten. Yuri machte mich darauf aufmerksam, dass die Lageregelung ständig feuerte. Das sollte sie zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht mehr…

… als wir dann in der Plasma-Phase waren, bemerkte ich, dass das Plasma von unterhalb meines Sitzes nach oben in Richtung meines Kopfes strömte, was eine korrekte Orientierung andeutete. Aber zuvor, als wir noch mit der Antriebseinheit verbunden waren, war es ein Stampfen und Schlingern gewesen, so dass es unmöglich war, die Raumlage festzustellen…

…als wir uns schließlich vollständig trennten, stabilisierte sich die Kapsel nach einigem Hin- und herpendeln von selbst und ging sofort in den ballistischen Abstiegsmodus über….

…wir fühlten wie die Lageregelung die Rollbewegung der Kapsel einleitete. 17 Grad pro Sekunde um das Fahrzeug zu stabilisieren…

…die Verzögerungswerte bauten sich rapide auf. Innerhalb von einer Minute zeigte der Beschleunigungsmesser 8,2 g an. Für mindestens eine Minute Dauer. Nach sechs Monaten Schwerelosigkeit ist das eine sehr lange Minute….

…ich fühlte, wie es meine Gesichtshaut nach hinten zog. Das Atmen fiel mir schwer. Ich versuchte mich auf die Zwerchfellatmung zu konzentrieren…

…schließlich wurde es leichter, die Belastung sank auf 4,5 g und verblieb eine Weile auf diesem Wert…

…vor der Landung bemerkten wir Rauch in der Kabine. Frühere Crews hatten uns erzählt, dass es in der Sojus bei der Landung häufig nach Rauch riecht, und sie meinten, das käme vom Plasma. Aber hier war das nicht nur der Geruch. Als sich der Fallschirm geöffnet hatte, hatten wir noch mehr Rauch in der Kabine und Yuri entschied sich dafür, das Kontrollpanel stillzulegen, weil der Rauch von dahinter zu kommen schien…

…man hatte mir vorher die Sojus-Landung wie einen Autounfall beschrieben, und ziemlich genauso fühlte es sich an. Wir schlugen auf dem Boden auf, sprangen hoch und begannen dann zu rollen. Yuri wartete, bis die Rollbewegung aufhörte, und trennte erst danach den Fallschirm ab" (Die koreanische Gast-Kosmonautin Yi So-yeon musste sich nach der Landung wegen Rückenbeschwerden in ärztliche Behandlung begeben).

Whitsons Bericht enthält noch weitere dramatische Details, und auch anekdotische Anmerkungen, beispielsweise wie Yuri Malenchenko den acht Landarbeitern, die zuerst den Landeort erreichten, erklärte, woher sie grade gekommen waren, und die ihm das nicht glauben wollten.

Eine Bemerkung Peggy Whitsons zeigt im Übrigen ihren besonderen trockenen Humor. Auf die Frage, wie sie die Landung einschätze (auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Sojus-Landungen von allen Kosmonauten durchweg als "sportlich" bezeichnet werden) meinte sie: "Jede Landung, bei der du den Landeort zu Fuß verlassen kannst, ist eine gute Landung".

Die Sache ging also eben noch einmal gut aus. Sie hätte aber genauso gut im Desaster enden können. Doch was jetzt? Ein ähnliches Problem hatte sich auch schon bei Sojus TMA 10 gezeigt, wenn auch nicht so gravierend in seinen Auswirkungen. Die Vermutung liegt nahe, dass im derzeitigen Fertigungslos der Sojus-Kapseln ein Problem schlummert.

Sollten die Untersuchungen ergeben, dass auch in Sojus TMA 12 – derzeit angedockt an der ISS – ein Fertigungsfehler versteckt ist, dann ist die russische Weltraumbehörde in Schwierigkeiten. Klar ist dann: Sergei Volkow und Oleg Kononenko, der derzeitigen ISS 17 Stammcrew, kann nicht zugemutet werden, in einem defekten Raumfahrzeug zu landen (ob sie es wollten oder nicht, sie müssten es dennoch tun – zusammen mit ihrem NASA-Kollegen Garret Reisman –  wenn sich an Bord der ISS ein Notfall ereignen würde, der so gravierend ist, dass die Station aufgegeben oder zeitweilig verlassen werden muss).

Die Sache ist dabei schwieriger, als sie auf den ersten Blick aussieht. Einfach eine unbemannte Sojus hochschicken, wie schon früher im sowjetischen Raumfahrtprogramm einmal geschehen? Nicht so ohne weiteres möglich, denn die Insider wissen: Die Sojus-Fertigung ist momentan "auf Kante genäht". Da wurde zuletzt bis zur letzten Minute vor dem Start geschraubt, um die Fahrzeuge fertig zu stellen. Da ist nicht einfach eins übrig, das man so zwischendurch mal starten könnte. Das gleiche gilt für die Trägerrakete.

Ein erster Verdacht fällt auf den Fertigungshochlauf, den die Sojus-Produktion derzeit erlebt. Ab nächstem Jahr werden nicht nur zwei sondern vier Sojus jährlich benötigt, um die Besatzungsstärke der ISS von bislang drei auf sechs Personen erhöhen zu können. Vermutungen gehen dahin, dass dieses "Hochfahren" der Fertigung eine der Ursachen für die offensichtlichen Schwächen im Qualitätsmanagement sind.

Am Design der Sojus dürfte es weniger liegen. Über Jahrzehnte hat es keine Zwischenfälle bei den Sojus-Landungen gegeben. Bei der Version Sojus TMA treten sie jetzt aber schon zum dritten Mal auf (bei Sojus TMA 1 war es ebenfalls zu einem ballistischen Abstieg gekommen, seinerzeit aber wegen eines Problems in der Lageregelungs-Elektronik).

Sollten die derzeit laufenden Untersuchungen also zeigen, dass es ein generelles Problem mit der Modultrennung gibt, das auch Sojus TMA 12 betrifft, dann muss gehandelt werden. Für diesen Fall gibt es eine Reihe von Szenarien, die ich in einem meiner nächsten Kosmolog-Beiträge untersuchen will.

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

6 Kommentare

  1. Traumberuf Astronaut?

    Das klingt wirklich abenteuerlich. Da braucht man jetzt im Grunde sehr schnell zumindest eine Art Lückenbüßer, der den Druck aus dem Sojus-Programm rausnimmt, oder?

  2. Dennoch beeindruckend …

    Bei aller berechtigten Sorge ist es immer noch beeindruckend, dass das System trotz einer so schwerwiegenden Fehlfunktion wie dem Wiedereintritt bei nicht korrekter Modultrennung immer noch alle drei Insassen einigermaßen heil heruntergrbracht hat.

    In diesem System steckt offenbar eine große Dosis Robustheit und Fail-Safe-Redundanz, wenn man sich etwas mit der Sojus beschäftigt, sieht man das anhand vieler Details. Die Ingenieure verstehen ihr Fach.

    Der Kommentar Peggy Whitsons ist übrigens ein bekannter Fliegerspruch in den USA:
    “A good landing is one you can walk away from …” … und er geht noch weiter “… a great landing is one where you can still use the plane afterwards”.

  3. Auch beim Start keine Rettung möglich

    Ein wichtiger Punkt wurde in der Diskussion um das Thema bislang vernachlässigt: Wenn es ein Problem mit der Modultrennung gibt, dann gibt es gleichzeitig auch ein Problem mit dem Startrettungssystem. Kommt es nämlich zu einem katastrophalen Versagen der Trägerrakete, und das war im bemannten Sojus-Programm bislang zweimal der Fall, dann muss das Startrettungssystem, der so genannte Fluchtturm, die Kapsel in Sicherheit bringen.

    Der Fluchtturm ist eine Feststoffrakete an der Spitze der Sojus-Trägerrakete (dieses Bild hier http://spaceflight.nasa.gov/…/jsc2006e11326.html zeigt den Rettungsturm von Sojus TMA 8). Er trennt bei der Sojus die Nutzlastverkleidung inklusive der gesamten Sojus mit allen drei Modulen von der Rakete ab und bringt sie in eine sichere Höhe. Dann wird die Fairing abgesprengt, die Module pyrotechnisch getrennt und der Fallschirm (und zwar der Reservefallschirm, wegen seiner schnelleren Öffnungszeit) wird ausgeworfen und entfaltet sich.

    Und jetzt überlassen Sie es ihrer Phantasie, auszumalen, was passiert, wenn das gut zweieinhalb Tonnen schwere Servicemodul nicht abgetrennt werden kann….

    Die beiden letzten Besatzungen, und womöglich auch die gegenwärtige ISS-Crew, dürften somit, ohne es zu wissen, bei ihrem Start in den Orbit über keine funktionierende Rettungsmöglichkeit bei einem Versagen der Trägerrakete verfügt haben.

  4. Auch beim Start keine Rettung möglich(2)

    Kleine Berichtigung, die den Sachverhalt aber keineswegs verbessert: Bei der Notfalltrennung von der Rakete werden nur die oberen beiden Module von der Rakete getrennt, siehe http://www.nasaspaceflight.com/…tachmentid=47389 Das Servicemodul verbleibt in diesem Fall auf der Oberstufe der Rakete. Man stelle sich vor, die Notfalltrennung zwischen Service- und Besatzungsmodul funktioniert in dieser Situation, wo es um Zehntelsekunden geht und große Kräfte auf die abzutrennende Kobmination einwirken nicht richtig.

  5. Ein kleiner Fortschritt

    …. wird vom Spiegel vermeldet.

    http://www.spiegel.de/…all/0,1518,554577,00.html

    Dass die Ursache des Problems gefunden wurde, ist allerdings etwas uebertrieben. Bestenfalls scheint das Problem selbst etwas weiter eingekreist zu sein, man hat allenfalls bestaetigt, dass das Orbitalmodul nicht wie geplant getrennt werden konnte, womit sich der bestehende Verdacht erhaertete.

    Natuerlich ist es jetzt wichtig, zu erfahren, warum die Abtrennung nicht stattfand, und an der Stelle scheint es zumindest offiziell keine Neuigkeiten zu geben.

    Waere in der Startphase, wie von Eugen Reichl angesprochen, im Notfall, nach Aktivierung des Rettungsturms das Orbitalmodul nicht getrennt worden, haetten wohl auch die Fallschirme nicht ausgefahren werden koennen – diese sitzen oben im Landemodul.

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