Gemischte Bilanz

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Raumfahrt: Informationen – Meinungen – Hintergründe
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Mit dem gelungenen Start von sechs Globalstar-Mobilfunksatelliten auf einer Sojus-Fregat, am 28. Dezember von Baikonur aus, endete das Raumfahrtjahr 2011. Trotz seines erfolgreichen Abschlusses war es ein Jahr recht gemischter Resultate. Einigen eindrucksvollen Erfolgen standen mindestens ebensoviele eindrucksvolle Fehlschläge gegenüber. Sehen wir uns die Bilanz der Raumfahrtnationen einmal im Detail an:

Russland

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte die russische Raumfahrt ein Jahr der Katastrophen hinter sich. Es fanden 35 Starts statt. Davon endeten fünf im Desaster. Eine Fehlschlagquote von weit über 10 Prozent wäre auch in den sechziger Jahren nicht gerade ein Aushängeschild für eine Weltraumnation gewesen.

Zwei Raumfahrzeuge (Progress M-12M und Meridian 5) erreichten gar nicht erst den Orbit, zwei weitere (Geo-IK 2 und Ekspress AM 4) wurden auf einer falschen Bahn abgesetzt und waren in der Folge nicht verwendungsfähig. Den spektakulären Fehlschlag der Raumsonde Phobos-Grunt (der ersten russischen Raumsonde seit 15 Jahren) verfolgen wir noch immer.  Das Ende dieser Sonde wird derzeit um den 15. Januar herum erwartet, wenn sie wieder in die Erdatmosphäre eintritt.

Die russische Fehlerserie hatte schon im Dezember 2010 begonnen, als drei Navigationssatelliten der Glonass-Konstellation abstürzten, weil die Oberstufe der Proton-Trägerrakete falsch betankt worden war. Somit verzeichnet Russland sogar sechs Fehlschläge in nur 13 Monaten.

Man muss Jahrzehnte zurückgehen, um auf auf eine ähnliche Anzahl von Fehlstarts zu treffen. Zuletzt passierte das im Jahr 1990. Damals kam es zu fünf  Fehlschlägen. Allerdings fanden in diesem Jahr auch insgesamt 72 sowjetische Starts statt, die Fehlerquote lag also nur bei sieben Prozent.

Doch Russland hatte durchaus auch Erfolge. Nicht nur dass dieses Land weltweit die meisten Starts abwickelte (fast soviele wie die beiden nächsten, China und die USA, zusammen), es wurden auch eine Reihe bemerkenswerter Nutzlasten erfolgreich in den Orbit gebracht, darunter der Radio-Astronomiesatellit Spektr-R und der Wettersatellit Elektro-L. Darüber hinaus wurde der Wiederaufbaus des russischen Datenrelay-Systems mit dem Start von Luch 5A in Angriff genommen und mit Glonass K wurde der erste Navigationssatellit einer neuen Generation gestartet.

Nach wie vor, und das wird weit in die absehbare Zukunft hinein der Fall sein, hängt das Wohl und Wehe der Internationalen Raumstation vollständig von Russlands Raumfahrtfähigkeiten ab. 2011 führte Russland vier bemannte Starts zur ISS durch und zusätzlich vier erfolgreiche Progress-Versorgungsflüge.

Und schließlich gelangen Russland die ersten beiden Starts von der neuen Startanlage in Kourou. So sehr Arianespace die Sojus-Flüge von Kourou als westeuropäisches Vorhaben zu verkaufen versucht, es ändert nichts an der Tatsache, dass es sich hier um russische Starts handelt. Durchgeführt von russischen Technikern mit russischen Trägerraketen von einer russischen Startanlage.

China

Chinas Raumfahrt befindet sich weiterhin in stetigem Aufstieg.  Was die Anzahl der Starts betrifft, ist China in diesem Jahr erstmals die Nummer zwei in der Welt. 19 Missionen waren es in diesem Jahr, vier mehr als 2010. Auch China erlebte in diesem Jahr einen Fehlstart, dessen Folgen es allerdings innerhalb weniger Wochen überwand.

Die chinesische Raumfahrt ist breitbandig angelegt und umfasst inzwischen praktisch alle Raumfahrtdisziplinen. Von der bemannten Raumfahrt bis zu interplanetaren Sonden, von Kommunikations- und Datenrelaysatelliten bis hin zu Erdbeobachtungssatelliten für jeden erdenklichen Zweck. Von rückführbaren Forschungssatelliten bis zu Raumfahrzeugen für die technische und physikalische Forschung.

China hat drei Entwicklungsprogramme für Trägerraketen gleichzeitig am Laufen. Es entwickelt – ebenfalls parallel – vier neue Großtriebwerke und errichtet ein vollständig neues Raumfahrtzentrum auf der Insel Hainan. Auf dem Gebiet der Kommunikationssatelliten, derzeit im internationalen Vergleich noch weitgehend das Revier der USA, Europas und zu einem gewissen Grad auch Japans hat China die Verfolgung aufgenommen und schließt schnell auf.

China startete in diesem Jahr mit Tiangong 1 auch erstmals ein bemannbares Raumlabor und erprobte es bereits beim unbemannten Einsatz eines Shenzhou-Raumschiffs. Beobachter erwarten, dass im kommenden Jahr zwei bemannte Missionen zur chinesischen Mini-Station führen werden.

USA

Die US-Raumfahrtbilanz des Jahres 2011 ist eher mäßig: Eine insgesamt eher geringe Anzahl von Starts (18), was zur Folge hatte, dass erstmals China an den USA vorbeibeizog. Auch die USA hatten einen Fehlschlag zu verzeichnen, als am 5. März eine Taurus XL-Rakete den Umweltsatelliten Glory im Pazifik versenkte, statt ihn auf einer polaren Umlaufbahn abzusetzen.

Die Stimmungslage in den USA wird am Besten dadurch zum Ausdruck gebracht, dass dort ausgerechnet eine Negativmeldung als Raumfahrtereignis Nummer betrachtet wird: Der Rückzug des Shuttle aus dem aktiven Dienst. Die Discovery, die Endeavour und die Atlantis flogen in diesem Jahr jeweils noch eine letzte Mission. Nun wartet nicht mehr der Orbit auf sie, sondern Museen in New York, Washington und am Cape. US-Astronauten werden von nun an für viele Jahre nur noch mit den Russen zur ISS fliegen.

Es gibt zwar eine bemerkenswerte Initiative zur Wiederherstellung der bemannten Raumfahrtkapazitäten, das CCDev-Programm (Commercial Crew Development Program), aber der Kongress verhinderte eine vernünftige Finanzierung, und so wird auch dieses Programm über Jahre hinaus keine US-Astronauten von amerikanischem Boden aus in den Weltraum bringen können.

Im Zusammenhang mit CCDev steht das COTS-Programm (Commercial Orbital Transport System) der NASA mit ihren geplanten „privaten“ Versorgungsflügen zur internationalen Raumstation. Hier ist es zu Verzögerungen gekommen. Weder flog in diesem Jahr, wie es eigentlich erwartet worden war, die Kombination aus Taurus 2 und Cygnus, noch die Falcon 9 mit der Dragon-Kapsel.

Nur die Militärprogramme scheinen ungeachtet der US-Finanzkrise in vollem Saft zu stehen. Die Startfolge überaus komplexer Nutzlasten war hier so dicht wie schon lange nicht mehr. Und offensichtlich kann man sich auch Missionen leisten, die aus der Außensicht eher Luxuscharakter haben. Beispiel: die X-37B.

Anders als im Verteidigungsministerium herrschte bei NASA dagegen auch 2011 Krisenstimmung. Nun schon das dritte Jahr in Folge. Finanzierung und Ziele der US-Weltraumbehörde sind weiterhin unklar. Klar ist nur, dass ihre Mittel drastisch gekürzt werden. Das Programm der Umweltsatelliten leidet an den beiden Abstürzen der Jahre 2009 (mit OCO) und 2011 (mit Glory), es werden keine neuen planetaren Großprogramme mehr begonnen und die Kooperation mit Europa für die ExoMars-Mission wurde wegen Geldmangel aufgekündigt. Da ist es fast ein Wunder, dass die Planetenforschung mittels Raumsonden in einer Blüte steht, wie nie zuvor in der Geschichte der US-Weltraumbehörde. Doch hier geht, zufällig mitten in der Krise, nur eine Saat auf, die schon vor Jahrzehnten gelegt wurde.

Eine große Anzahl von Raumsonden ist aktiv und sendet wissenschaftliche Daten zur Erde. Angefangen von den beiden mehr als 30 Jahre alten Voyagers, über New Horizons und Cassini, den Asteroiden-Erkunder  Dawn, den Marsrover Opportunity, der Planetenfinder Kepler bis hin zum Merkurorbiter Messenger. Und das sind bei weitem nicht alle.

Neu gestartet wurden in diesem Jahr die Jupitersonde Juno, der Marsrover Curiosity und die beiden Grail-Mondsonden. Auch sie sind die Früchte von Programmen, die teilweise schon vor mehr als zehn Jahren begonnen wurden.

Wenn in diesen Tagen die NASA neue Programme reihenweise storniert, bedeutet das nichts anderes, als dass in einem Jahrzehnt keine US-Raumsonden mehr in die Tiefen des Sonnensystems starten werden.

Europa

Betrachtet man das Jahr 2011 isoliert, so hat Europa eine langweilige und wenig betriebssame Periode hinter sich gebracht. Gäbe es nicht die laufenden und bereits vor Jahren gestarteten Forschungsmissionen, es wäre wenig los im Moos. Auf ganze fünf Starts brachte es die Arianespace in diesem Jahr aus eigenen Kräften. Da mag die Gesamtbilanz noch so oft mit den russischen Sojus 2.1b-Flüge von Kourou aus aufblasen, es ist nicht zu beschönigen, das Jahr 2011 ist eher mau gewesen. Immerhin: Es gab keine Fehlstarts.

Die Vega – Europas eher anspruchsloser neuer Kleinträger – hat es auch in diesem Jahr mal wieder nicht geschafft, von der Rampe zu kommen. Und gäbe es da nicht den schönen Erfolg mit dem zweiten ATV, es wäre mal wieder ein europäisches Raumfahrtjahr zum Gähnen gewesen.

Um den mit vielen Jahren Verzögerung heuer endlich durchgeführten Start der ersten beiden Galileo-Satelliten wurde glücklicherweise nicht das erwartete Remmidemmi gemacht. Zu beschämend verlief bislang die Abwicklung dieses Programm.

Japan – Indien – Iran

Japans Bilanz im Jahre 2011 ist recht ordentlich und liegt im Schnitt der letzten Jahre. Drei Missionen, drei Erfolge, eine davon der Start des HTV-2 zur Internationalen Raumstation unter Einsatz von zwei Trägerraketentypen.

Auch Indien blieb bei seinen drei Starts jedesmal erfolgreich, was vor allem dem Umstand geschuldet sein dürfte, dass man die konstruktiv völlig vermasselte GSLV das ganze Jahr über am Boden ließ und nur die leichtere PSLV einsetzte.

Und der Iran startete in diesem Jahr erneute einen Mikro-Satelliten mit einer eigenen Trägerrakete. Angesichts des Nutzlastgewichts und der Leistungsfähigkeit des eingesetzten Träger darf man aber nicht übersehen, dass die Fähigkeiten des Iran derzeit technologisch dem der späten fünfziger Jahre bei den beiden Supermächten entspricht. Von einer nennenswerten Transportkapazität in den Orbit ist der Iran weit entfernt. Immerhin: Es war ein Achtungserfolg.

Eine erweiterte Ausgabe dieses Beitrags mit mehr statistischen Detaildaten finden Sie hier.

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

1 Kommentar

  1. Deutschland als Raumfahrtnation?

    Russlands Bruttoinlandprodukt ist kaufkraftmässig nur 2/3 so gross wie dasjenige von Deutschland und nur halb so gross wie dasjenige Japans und trotzdem übertrifft Russlands Raumfahrt diejenige Japans und sogar diejenige Europas.
    Das lässt sich nur historisch erklären – mit der Vergangenheit Russlands als Supermacht, die auf dem Gebiet der Raumfahrt die USA ausstechen wollte. Wo ein Wille ist, kann also viel erreicht werden, gerade auch in der Raumfahrt und auch Deutschland könnte weit vorne stehen als Raumfahrtnation, wenn der Wille vorhanden und die Konstellationen entsprechend wären (mindestens die Geschichte (V2,Wernher von Braun) spricht für D als Raumfahrnation) . Jetzt allerdings steht Deutschland im Schatten der europäischen Raumfahrt und seltsamerweise erreicht die europäische Raumfahrt nicht einmal das, was Deutschland allein erreichen könnte. Ist das vielleicht ein Hinweis auf die Bedeutung Europas für Deutschland oder die Bedeutung Europas für all seine Mitgliedsländer?
    Die USA zeigen ein für die Raumfahrt besonders interessantes Phänomen: Als nationales Phänomen verliert die Raumfahrt an Unterstützung sowohl materiell als auch was die Zielsetzungen angeht, doch an die Stelle des Staates treten jetzt begeisterte Unternehmer wie Elon Musk, der nun das verkündet, was vor ihm Politiker wie John F.Kennedy verkündet haben: Wir haben ein grosses Ziel und werden es schon bald erreichen. Bei J.F.Kennedy war es der Mond, bei Elon Musk und seiner SpaceX der Mars.

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