Die Ära des Drachen

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Wie hier schon erwähnt fanden vergangenes Jahr insgesamt 74 Weltraumstarts statt, die zweithöchste Zahl in diesem Jahrzehnt. Insgesamt waren daran acht Nationen beteiligt und die ersten beiden Plätze nahmen dabei wie stets seit den Anfangstagen der Raumfahrt an Russland (31 Missionen) und die USA (15 Missionen) ein. Platz drei belegte in früheren Jahren in der Regel Europa, doch damit ist es seit einer Weile vorbei und wird nicht wieder kommen.

Platz drei ist seit einer Weile fest in chinesischer Hand, und wenn sich dieser Zustand noch einmal ändern sollte, dann nur deswegen, weil China einen weiteren Platz nach oben rücken wird. Im letzten Jahr führte China, genau wie die USA, 15 Starts durch und ist nur deswegen auf Platz 3 der Startstatistiken, weil das Nutzlastgewicht, das in den Erdorbit (und darüber hinaus) transportiert wurde (noch) niedriger ist als das der Amerikaner.

Chinas stetiger Aufstieg in der Raumfahrt verläuft unauffällig. Nur gelegentlich, wie bei bemannten Missionen, merkt die (westliche) Öffentlichkeit kurz auf.

Sehen wir uns einige Schwerpunkte der näheren Zukunft der chinesischen Raumfahrt einmal an:

Im kommenden Jahr wird der Trend zu höheren Startzahlen anhalten, und wir dürfen in China zwischen Februar und Dezember mit etwa 18-20 Missionen rechnen. Dabei sind wichtige Nutzlasten wie die erste chinesische Marssonde Ying Huo-1 nicht mitgerechnet, weil die mit einer ukrainischen Zenit-Rakete (zusammen mit der russischen Raumsonde Phobos Grunt) gestartet werden soll. 2013 wird China bereits die nächste Sonde auf den Weg zum Roten Planeten bringen, diesmal aber auf einer eigenen Rakete.

China wird 2011 wieder verstärkt in den Transport kommerzieller Nutzlasten einsteigen. Auf dem Start-Manifest stehen Kommunikationssatelliten wie Eutelsat W3C, NigComSat 1C oder Chinasat 10.

Die höchsten Aufmerksamkeitswerte wird in diesem Jahr das erste experimentelle Raumstationsmodul (Tiangong 1) bekommen. China wird es voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte in den Orbit senden, bald danach gefolgt von einem unbemannten Shenzhou-Raumfahrzeug (Shenzhou 8), das mit diesem Modul Kopplungsversuche unternehmen wird. Anfang nächsten Jahres ist dann mit Shenzhou 9 eine erste bemannte Mission zu dieser Mini-Raumstation zu erwarten.

Die Entwicklung der Trägerraketen-Typen Langer Marsch 5, 6 und 7 macht gute Fortschritte. Die Langer Marsch 6, der neue Träger für Kleinnutzlasten, soll ihren Erstflug im Jahre 2013 durchführen und dann die unzuverlässige KT-1 ablösen.  Die Langer Marsch 7 (Nutzlast für den LEO: 13,5 Tonnen, Erstflug im Jahr 2014) soll mittelfristig die komplette Reihe der Langer Marsch 2, 3 und 4-Träger ablösen.  Der Erstflug der Langer Marsch 5 wird für Ende 2014 oder Anfang 2015 erwartet.

Auf der Baustelle des neuen Startzentrum Hainan am chinesischen Meer steht inzwischen eine ganze Reihe von Gebäuden. Bereits im letzten Jahr haben die Fertigungseinrichtungen für die Strukturteile der Langer Marsch 5 ihren Probebetrieb aufgenommen. Die erste Startanlage für die Langer Marsch 5 soll im übernächsten Jahr fertig gestellt sein. Erste Missionen von Hainan aus sind ab 2014 zu erwarten. Dort wird übrigens auch ein Visitor Center errichtet, dass deutliche Anleihen an das des Kennedy Space Centers macht.

Nach Abschluss der Entwicklung der Langer Marsch 5 wird die Phase C/D-Entwicklung eines superschweren Trägers erwartet, der momentan in Studien untersucht wird. Dieser Träger hätte eine Startmasse von 4.000 Tonnen und einen Startschub von 50.000 kN. Dafür werden momentan auch Konzepte für ein 6.600 kN LOX/Kerosin-Triebwerk für die Hauptstufe und ein 2.000 kN Kryogentriebwerk für die Oberstufe untersucht.

Die Entwicklung der YF-100 Triebwerke (1.200 kN LOX/Kerosin), YF-77 (500 kN Kryogen) und YF-100 (Downscale-Version des YF-100 mit 150 kN Schub) für die neue Trägergeneration sind nahezu abgeschlossen. Vom YF-75 Triebwerk, einem Kryogentriebwerk das im Nebenstromverfahren arbeitet wird derzeit eine Hauptstromvariante abgeleitet. Dieses Triebwerk wird in den neuen Trägern als Zweit- oder Drittstufentriebwerk eingesetzt werden.

China untersucht derzeit auch aus der Luft gestartete Kleinträger ähnlich der amerikanischen Pegasus XL. Dafür fanden bereits im vergangenen Jahr Abwurf-Versuche statt.

In fortgeschrittener Vorbereitung sind derzeit auch die Mondrover Chang’e 3 und 4. Chang’e 3 soll 2013 auf dem Mond landen. Der Rover wiegt 130 Kilogramm, die Nutzlast beträgt 20 Kilogramm, die Design-Lebensdauer beträgt drei Monate. Chang’e 4 ist die Reserve-Einheit, wird aber in jedem Fall zum Einsatz kommen wird.

Chang’e 5 und 6 sind noch in der Definitionsphase, aber schon genehmigt. Bei diesen Missionen handelt es sich um lunare Probenrückführ-Missionen. Der Start von Chang’e 5 ist für 2018 geplant. Voraussetzung dafür ist die Einsatzfähigkeit der Langer Marsch 5.

China wird nach Tiangong 1 im Zeitraum 2013 – 2015 noch zwei weitere kleine Versuchsraumstationen des Tiangong-Typs starten, die jeweils von 2-3 bemannten Shenzhous besucht werden sollen. Die Fertigung der Shenzhou-Raumschiffe bis einschließlich der Produktionsnummer 14 ist bereits genehmigt. Dazu passt, dass im Mai vergangenen Jahres eine weitere Gruppe von Taikonauten ausgewählt worden ist, unter ihnen erstmals auch zwei Frauen.

Zwischen 2015 und 2020 soll die Entwicklung eines Basis-Raumstationsmoduls des 20-Tonnen-Klasse abgeschlossen sein. Noch vor 2020 soll der erste Basisblock im Orbit stationiert werden. Kurze Zeit danach sollen daran zwei ähnlich große Forschungsmodule anlegen. Diese Station wird in der Folge mit einem neuen unbemannten Frachtraumschiff versorgt werden, das auf dem Shenzhou-Design basiert, 5,5 Tonnen Zuladung aufnehmen kann und insgesamt 13 Tonnen wiegen wird. Die Starts dieses Raumfahrzeugs erfolgen mit der Langer Marsch 7. Die Raumstationsmodule werden mit der Langer Marsch 5 gestartet.

Diese Station wird auch politische Funktionen wahrnehmen und für Wissenschaftler aus Honkong, Macao und Taiwan zur Verfügung stehen, nicht aber für Weltraumtouristen. Gast-Taikonauten von weiteren Ländern sind möglich. Eine langfristige Partnerschaft mit Russland zeichnet sich ab.

Die bemannte Mondlandung Chinas verbleibt bis auf weiteres im Konzeptstadium. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Genehmigung für dieses Vorhaben vor 2015 erfolgt. Bis dahin binden die laufenden großen Träger-Entwicklungsprogramme und die Errichtung des Raumfahrtzentrums Hainan die wesentlichen finanziellen Ressourcen. Die Planungen sehen aber vor, dass das bemannte Raumfahrzeug auf einer gestreckten Version des Shenzhou-Raumschiffs beruht und einem Lander, der noch zu entwickeln ist. Die bemannte Landung könnte vor 2030 erfolgen. Nach 2030 könnte eine bemannten Mondstation etabliert werden.

Bei den Satellitenprogrammen entwickelt China derzeit den DFH-5 Bus, der den DFH-4 Bus in der Größenklasse bis etwa 7 Tonnen ergänzen soll. Ausgestattet mit 20 kW Solargeneratoren, großen Entfaltantennen, Lithium-Ionen Batterien und Stationkeeping mittels Ionentriebwerken steht er in direkter Konkurrenz zum europäischen Alphabus (der im nächsten Jahr seinen ersten Einsatz haben soll). Bekannt ist auch die Entwicklung eines Breitband-Multimedia-Comsats, sowie eines Kommunikationssatelliten der im S-Band senden soll. Bezüglich LEO Comsats ist dagegen nichts bekannt.

China hat eine breite Palette von Erdbeobachtungssatelliten in Produktion und Entwicklung, unter denen das Huanjing-Projekt, eine Konstellation aus acht Satelliten (vier optische- und vier Radarbeobachtern), im Westen nahezu unbekannt ist. Der erste dieser Satelliten könnte bereits 2011 gestartet werden und ein ziviles Gegenstück zur militärisch definierten Yaogan-Konstellation dar.

Bei den Wettersatelliten ist die nächste Generation von SSO und GEO-Satelliten in fortgeschrittener Entwicklung, ebenso die nächste Generation der HY-2 und HY-3 Ozeanüberwachungssatelliten.

Über die militärische Weltrauminfrastruktur lassen sich derzeit lediglich Spekulationen anstellen. Es gibt eine Serie strategischer Comsats (Chinasat 20 und 22), militärischer Erdbeobachtungssatelliten (beispielsweise die Yaogan-Serie oder die Tianhui-Satelliten), Satelliten für Marineüberwachung und ELINT-Satelliten wie Shijian 6. Strategie und Pläne sind in der Öffentlichkeit naturgemäß nicht bekannt und deshalb kann man über Chinas Absichten auf dem Gebiet der militärischen Raumfahrt nur spekulieren. Im vergangenen Jahr erregte die Frage die Gemüter der Experten, welche Bedeutung dem Rendezvous-Test zwischen Shijian 11 und Shijian 12 zukommt. Wurde hier eine Antisatelliten-Waffe getestet oder handelt es sich einfach um Rendezvous-Tests im Vorfeld der kommenden Shenzhou-Missionen?

Bei den Dual-Use Anwendungen wie dem Beidou-Navigationssatellitensystem und dem Tinlian-Datenrelay-System geht die Linie ganz klar in Richtung eines zügigen Ausbaus. Beidou wird Ende nächsten Jahres seine erste Ausbaustufe erreicht haben. Dann werden sich insgesamt acht geostationäre Satelliten im Orbit befinden, drei davon auf inklinierten Bahnen und vier Beidou’s auf mittelhohen Bahnen. Das Tinlian-System wird aus drei geostationären Satelliten und einer Reserveeinheit bestehen. Auch hier dürfen wir in Kürze den ersten Start erwarten.

Die hier angerissenen Themen beleuchten keineswegs das ganze Spektrum chinesischen Raumfahrtaktivitäten. Sie zeigen jedoch, wie breit Chinas Raumfahrtprogramm angelegt ist.

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Ich bin Raumfahrt-Fan seit frühester Kindheit. Mein Schlüsselerlebnis ereignete sich 1963. Ich lag mit Masern im Bett. Und im Fernsehen kam eine Sendung über Scott Carpenters Mercury-Raumflug. Dazu der Kommentar von Wolf Mittler, dem Stammvater der TV-Raumfahrt-Berichterstattung. Heute bin ich im "Brotberuf" bei Airbus Safran Launchers in München im Bereich Träger- und Satellitenantriebe an einer Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik tätig. Daneben schreibe ich für Print- und Onlinemedien und vor allem für mein eigenes Portal, "Der Orion", das ich zusammen mit meinen Freundinnen Maria Pflug-Hofmayr und Monika Fischer betreibe. Ich trete in Rundfunk und Fernsehen auf, bin Verfasser und Mitherausgeber des seit 2003 erscheinenden Raumfahrt-Jahrbuches des Vereins zur Förderung der Raumfahrt (VFR). Aktuell erschien in diesen Tagen beim Motorbuch-Verlag "Interkontinentalraketen". Bei diesem Verlag sind in der Zwischenzeit insgesamt 16 Bücher von mir erschienen, drei davon werden inzwischen auch in den USA verlegt. Daneben halte ich etwa 15-20 mal im Jahr Vorträge bei den verschiedensten Institutionen im In- und Ausland. Mein Leitmotiv stammt von Antoine de Saint Exupery: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge zu verteilen und Arbeit zu vergeben, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. In diesem Sinne: Ad Astra

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