Hoher babylonischer Beamte aus der Zeit Jeremias identifiziert?

BLOG: Archäologische Spatenstiche

Anregungen zur Umwelt der Bibel
Archäologische Spatenstiche

Im Jahr 2007 entdeckte Prof. Michael Jursa, Orientalist an der Universität Wien, unter den etwa 100000 im Britischen Museum aufbewahrten, aber noch nicht veröffentlichten Keilschrifttafeln eine Tontafel mit dem Namen Nabu-šarrusu-ukin. Die Tafel trägt das Bibliothekssigel BM 114789 (1920-12-13, 81).

Inhalt:

“1,5 Minen (0,75 kg) Gold, aus [dem Besitz] von Nabû-šarrusu-ukin, dem rab-ša-re-ši (Oberkämmerer), den er durch den Kämmerer Arad-Banitu zu [dem Tempel] Esaggil sandte: Arad-Banitu hat [es] an den [Tempel] Esaggil übergeben. In Gegenwart von Bel-usat, dem Sohn Aplas, von der königlichen Leibwache, [und von] Nadin, dem Sohn von Marduk-zeribni. Monat 11, Tag 18, Jahr 10 Nebukadrezars, des Königs von Babylon.”

Tontafel

Das aufsehenerregende an dieser Tontafel ist der Bezug, den sie zu einer auch aus dem Alten Testament bekannten Persönlichkeit herstellt:
“Und es geschah, als Jerusalem eingenommen wurde (im 9. Jahr Zedekias, des Königs von Juda […] war Nebukadrezar, der König von Babel, und sein ganzes Heer gegen Jerusalem gekommen […] da zogen alle Fürsten des Königs von Babel ein und besetzten das Mitteltor: Nergal-Šarezer der Samgar, Nebusarsekim der Rabsaris (Oberkämmerer), Nergal-Šarezer der Rabmag, und alle übrigen Fürsten des Königs von Babel” (Jer 39,1–3).

Die im babylonischen Text erwähnte Person Nabû-šarrussu-(u)kin rab-ša-re-ši wird in Jer 39,3 mit “Nebusarsekim, der Oberkämmerer” (in vereinfachter Umschrift des Hebräischen Nebu-sar-sekim Rab-saris) wiedergegeben. Im Laufe der Überlieferung des hebräischen Textes ist allerdings der Name Nabû-šarrussu-(u)kin falsch mit dem vorhergehenden Namen zusammengezogen worden, so daß aus dem ursprünglichen Nebu-sar-sekim “Nebusarsekim” das in den deutschen Übersetzungen anzutreffende „Samgar-Nebusarsekim“ wurde. Die noch in vorchristlicher Zeit angefertigte griechische Übersetzung des Alten Testaments, die z.T. auf noch ältere hebräische Vorlagen zurückgeht, brachte zwar insgesamt weitere Fehler in den Text ein, hat aber den Namen selbst an der richtigen Stelle vom vorhergehenden Namen abgetrennt und den Oberkämmerer mit „Nabousachar“ wiedergegeben (Jer 46,3 LXX).

Beide Namen und Titel, Nebusarsekim (Jer 39,2) bzw. Nabû-šarrusu-ukin der Oberkämmerer, scheinen nach allem, was wir über diese Zeit wissen, auf die Identität der in den beiden Texten angegebenen Personen hinzuweisen. Es sind übrigens nicht die einzigen im Buch Jeremia erwähnten Personen, die auch außerbiblisch bezeugt sind. In weiteren babylonischen Inschriften bzw. Keilschrifttafeln und hebräischen Dokumenten ist nicht nur der allseits bekannte babylonische König Nebukadrezar (so im babylonischen Text und im Buch Jeremia; sonst auch “Nebukadnezar” geschrieben) und dessen Feldzug gegen Jerusalem bezeugt, sondern auch der jüdische König Jojakin sowie hohe jüdische Beamte, wie z.B. Gedalja, der Sohn Achikams (Jer 39,14).

Zu weiteren Hinweisen vgl. Nebo-Sarsekim Tablet ,
sowie eine vorläufige Edition (Transliteration) und Kommentierung des babylonischen Textes (PDF)

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Veröffentlicht von

Dr. phil. Martin Heide, Studium der Semitistik, Altorientalistik und Ostkirchengeschichte an der Philipps-Universität Marburg. Promotion mit dem Thema: Edition und Übersetzung der äthiopischen und arabischen Versionen der Testamente Isaaks und Jakobs (Harrassowitz 2000). Von 2000-2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ludwig Maximilians Universität München an einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten interdisziplinären Forschungsprojekt zur Erforschung der arabischen Veterinärmedizin. Daneben Veröffentlichung von wichtigen hebräischen Inschriften (Ostraka) aus der Sammlung Shlomo Moussaieff. Außerdem Mitarbeit an einer kritischen Edition des griechischen Neuen Testaments am Institut für Neutestamentliche Textforschung in Münster. Zur Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal zur Erforschung der ältesten kompletten griechischen Bibelhandschriften, unter Hinzuziehung der hebräischen, aramäischen, syrischen, griechischen und lateinischen Quellen bzw. Versionen: Wie haben die antiken Schreiber dieser Bibeln das AT im NT zitiert?

4 Kommentare

  1. 100.000

    Sie schreiben, dass im British Museum noch 100.000 “nicht veröffentlichte” Keilschrifttafeln lagern. Heißt das, die sind noch gar nicht übersetzt und wissenschaftlich ausgewertet? Und falls ja: Macht das jemand? Und wie lange würde eine komplette Auswertung ca. dauern? Oder ist es womöglich gar nicht sinnvoll, wirklich ALLES auszuwerten?

  2. Zur Frage von Carsten Könneker

    Diese Tontafeln sind noch nicht wissenschaftlich ausgewertet. Es gibt aber immer wieder Wissenschaftler, die es tun (s. z.B. Information über ein Projekt zu Katalogisierung, und Publikation von neusumerischen Tafeln aus Girsu und Umma unter http://www.ricercaitaliana.it/…en-2004105914.htm).
    Die Auswertung des gesamten Materials kann womöglich noch Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte dauern. Vermutlich sind die erwähnten ca. 100.000 Tafeln Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. ins British Museum gekommen, und sind immer noch nicht veröffentlicht. (Man soll auch andere Museen und Privatsammlungen nicht vergessen, die Keilschriftdokumente haben). Es müssen Leute gefunden werden, die dieses Material studieren werden, und es muss Geld gefunden werden für diese Leute. Außerdem hat jeder Wissenschaftler sein eigenes Studieninteresse. Häufig sieht man in den Texten Informationen, die einen momentan interessieren. Manches wird auch in publizierten Texten übersehen, um erst Jahre später entdeckt zu werden.
    Die Idealvorstellung ist, alle Texte sollen ediert werden, damit sie allen zugänglich sind für spätere Studien.

  3. Idealvorstellung

    Was hindert denn die Idealvorstellung in die Tat umzusetzen? Fehlt nur das Geld? Oder ist es auch mangelndes Interesse? Bei den Qumran Funden ist das ja nicht so. Da wird ja fleißig ausgewertet, fotografiert, dokumentiert, so weit ich das mitbekommen habe. Oder wird der Zugang zu den Tontafel vom British Museum erschwert?

  4. 100.000

    Manche Dinge haben eben massenhaft die Zeiten überdauert. Bis heute kann man solche Tontafeln aus Mesopotamien für ein paar Dollar bei eBay bekommt. Die meisten werden – wen wundert es – von Verkäufern aus England und den USA angeboten.

    Ähnliches geschieht mit gestohlenen Reliefs aus Kambodscha, Ikonen aus Russland oder antiken Schätzen aus Ägypten.

    Niemand schert sich darum. EBay schon gar nicht!

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