Archäologie durch die Bibelbrille betrachtet?

BLOG: Archäologische Spatenstiche

Anregungen zur Umwelt der Bibel
Archäologische Spatenstiche

Mehrere Leser werden sich vielleicht fragen, was Archäologie mit der Bibel zu tun hat. Kann man sich in einem archäologischen Blog überhaupt auch mit der Bibel befassen? Geht es nicht bei der Archäologie primär um eine wissenschaftliche Erforschung alter Kulturen, während wir es bei der Bibel mit einem religiösen Buch zu tun haben, in dem antike Schreiber versuchen, ihre Welt durch eine ‚fromme’ Brille zu beschreiben und zu bewerten?

Als Alttestamentler und Archäologe bin ich der Meinung, dass die beiden Begriffe gut zusammenpassen, besonders wenn es den Bereich Archäologie des Vorderen Orients und Palästinas/Israels betrifft. Und dies ist ja hier unser Feld. Klar, die Bibel will ethische und religiöse Hilfestellung bieten. Leugnen kann man jedoch nicht, dass die Bibel auch ein sehr altes Buch ist (es gibt viele alte Bibelhandschriften), deren Autoren eben in einer Zeit lebten, die man archäologisch erforschen kann. Mit anderen Worten, ihre Welt ist reell über archäologische Ausgrabungen ‚auffindbar.’ So lebten zum Beispiel mehrere Schreiber der hebräischen Bibel (dem Alten Testament) im ersten Jahrtausend v. Chr., der Epoche, die in der Archäologie als Eisenzeit (1200-530 v. Chr.) bekannt ist. Und tatsächlich passen ihre Vorstellungen, poetischen Beschreibungen und auch politische und wirtschaftliche Zusammenhänge oft sehr gut zu dem, was wir aus der Archäologie über diese Periode in Erfahrung gebracht haben.

So spricht z.B. der Prophet Hesekiel in Kap. 40,10 – am Anfang des 6. Jh. v. Chr. – von einem Torbogen mit drei Diensträumen an beiden Seiten des Durchgangs und genau solche Torbögen sind uns aus Israel/Juda aus der Eisenzeit bekannt. Viele poetischen und religiösen Beschreibungen wie z.B. aus den Psalmen  (z. B. ein auf den Wolken reitender und donnernder Gott Israels, ein Netz, in dem Feinde gefangen genommen werden oder Völker, die dem König als Fußschemel dienen: Pss 18; 57; 110) kennen wir auch aus archäologischen Inschriften und Darstellungen dieser Zeit im alten Vorderen Orient.

Mehrere Inschriften aus der Archäologie belegen sogar Kriege, Eroberungen, Tributzahlungen und Friedensabkommen, die uns bereits vorher aus der Bibel bekannt waren. So berichtet z.B. ein Fürst aus dem antiken Jordanien, dass er sein Land Moab im 9. Jh. v. Chr. aus der Hand Israels befreit hatte. Von genau demselben König Mescha ist auch in der Bibel in 2. Könige Kap. 3,4ff. die Rede. Da die Schreiber der Bibel im modernen Sinn keine ‚Archäologen’ waren, ist anzunehmen, dass ihnen einfach die politischen und religiösen Verhältnisse ihrer Zeit noch geläufig waren. Auch wenn sie Schriftquellen benutzten, um Zusammenhänge ihrer Zeit und die der Vergangenheit ihres Volkes genauer zu beschreiben (immerhin existierten damals solche Quellen noch), waren sie Kinder ihrer Zeit und lebten und dachten wie ihre Zeitgenossen. Manchmal macht man da auch überraschende Entdeckungen. Als ich 1988/89 an meiner Magisterarbeit über das erste Buch Samuel arbeitete, entdeckte ich, dass der Autor das z.B. in 1. Samuel Kap. 14,11.21 und 29,3 verwendete Wort ‚Hebräer’ ähnlich benutzte, wie es die Menschen im 2. Jt. v. Chr. im Nahen Osten getan hatten, nämlich als Schimpfwort für gesetzlose Söldner und aufständische Gruppierungen. Wie aber hätte der Autor mit dieser Bedeutung auch nur annähernd vertraut sein können, wenn er nicht über dieses Wissen verfügt hätte? Denn die sozial-politische Bedeutung des Begriffes muss bereits ab 1000 v. Chr. im Vorderen Orient langsam aber sicher verloren gegangen sein.

Es ist eigentlich nicht verwunderlich, dass die ‚Biblische Archäologie’ schon eine lange Tradition genießt. Vor allem frühere Entdeckungsreisende, Schatzgräber und Archäologen aus dem so von der Bibel geprägten christlichen Abendland versuchten mit der Bibel in der Hand regelrecht die Welt der Bibel wieder ‚auszugraben’. Vor allem in den Anfangsjahren der ‚biblischen’ Archäologie (19. – frühe 20. Jh.), als man noch nicht über genaue Ausgrabungstechniken verfügte und somit auch nicht in der Lage war, auch nur annähernd Schichten und die darin gefundene Keramik zu datieren, suchte man willkürlich nach Anhaltspunkten für die Bibel. Dass man dabei erhebliche Fehler gemacht hat, kann man sich ja denken. König Salomo wurden z. B. eine Unmenge eisenzeitlicher Denkmäler zugeschrieben, die heute z. T. 100 bis 200 Jahre nach Salomo datiert werden. Man muss auch bedenken, dass die Beweise für eine salomonische Entstehung ja sowieso nie besonders eindeutig gewesen waren. Nirgendwo hatte man Inschriften gefunden, wo klipp und klar stand: ‚made in Israel by Solomon’.

Man muss also schon aufpassen, dass man sein Bibelwissen der Archäologie nicht unnötig schnell aufzwingt. Es ist klüger und auch wissenschaftlich richtiger, erst einmal die Zusammenhänge archäologisch zu verstehen und wenn möglich annähernd zu datieren (und das ist gar nicht so einfach), um dann erst später die Frage zu stellen, ob das Ganze vielleicht einen Bezug zur Bibel haben könnte.

Die Gefahr existiert reell, dass man die Archäologie zu stark von der Bibel abhängig machen will und Gedanken hineininterpretieren will, die eben gar nicht da sind. Natürlich gibt es auch Wissenschaftler, die meinen, man sollte die Bibel überhaupt nicht mehr in der Archäologie benützen. Begreiflich, denn es sind in der Vergangenheit ja auch viele Fehler gemacht worden. Andere gehen aber soweit zu behaupten, die Bibel könnte da sogar schädlich sein, denn die Bibel möchte oft gar keine Geschichte vermitteln. Aber wie ich oben schon sagte, hat die Archäologie gerade gezeigt, wie sehr die Bibel politisch, religiös, literarisch usw. die Welt von damals realistisch wiederzugeben versucht.

Man muss eben – wie so oft – ein gesundes Mittelmaß finden, wo man durch die Archäologie die Bibel besser verstehen lernt und wo die Bibel zugleich dabei helfen kann, archäologische Funde geschichtlich und religiös besser zu deuten. Die beiden Größen gehören zusammen, beide berichten von derselben Welt von damals und es ist eben sehr spannend, die Zusammenhänge näher kennen zu lernen. Wie wäre es also mit einer archäologischen Bibelbrille?

Peter van der Veen

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Peter van der Veen hegt seit seiner Jugend großes Interesse an der Geschichte und Archäologie der Bibel. Er ist Leiter einer deutschen Arbeitsgruppe für Biblische Archäologie und arbeitet seit seiner Promotion über antike Beamtensiegel (Uni Bristol, 2005) an mehreren Forschungsprojekten zur Archäologie des alten Israel.

6 Kommentare

  1. eher eine archäologische Lupe

    Ich habe meine Zweifel, ob biblische Bücher und biblische Archäologie tatsächlich von der selben Welt berichten und inwieweit die Bibel tatsächlich politisch, religiös und literarisch die Welt von damals “realistisch” wiedergeben wollte.

    Dass die Bibel aus den politischen, religiösen und literarischen Realitäten ihrer Zeit und Lebenswelt gespeist ist und sich diese Realitäten in ihr widerspiegeln und archäologisch auswerten lassen, möchte ich überhaupt nicht bezweifeln. Aber zu einer “realistische[n] Wiedergabe” würde ich dann doch eine scharfe Grenze ziehen.

    Damit möchte ich die Bibel absolut nicht als irreal abstempeln – aber das, was die Bibel so beliebt und kritisch beäugt gleichzeitig macht ist ja gerade die Tatsache, dass sie nicht unbedingt bzw. nur sehr bedingt Realitäten beschreibt, sondern auch gewisse Realitäten schaffte und nach wie vor schafft – und v.a., welche Folgewirkungen sie damit nach sich gezogen hat und nach wie vor nach sich zieht.

    Die Bibel ist eben nicht nur ein Produkt der politischen, religiösen und literarischen Welten der Zeiten, die sie beschreibt und in denen sie geschrieben und immer wieder umgeschrieben wurde (was Literarwissenschaftler in archäologischer Akribie Literarschicht für Literarschicht abzutragen versuchen), sondern auch Produzentin von politischen, religiösen und literarischen Welten, und das über Jahrtausende hinweg.

    Ein gesundes Mittelmaß würde ich daher durchaus nicht in der Mitte verorten, sondern eher an dem Rand, an dem die Bibelwissenschaft die Archäologie zur Hilfe nimmt als umgekehrt.

    So, wie sich aus dem “Tod in Venedig” sicherlich einiges über Architektur und Lebenswelt des Venedig im 20. Jahrhundert herauslesen lässt, lässst sich aus der Bibel sicherlich einiges aus der Zeit vor ihrer Kanonisierung herauslesen.
    Wenn biblische Archäologie es sich zur Aufgabe macht, zu überprüfen, was die beschriebene Realität mit den tatsächlichen Umständen der beschriebenen Zeit zu tun haben, dann kann die archäologische Bibelbrille sicherlich sowohl Archäologen als auch Bibelwissenschaftlern helfen, ihren Blick auf die Welt und Umwelt der Bibel zu schärfen.

    Aber so, wie es für biblische Archäologie fundamental ist, die Bibel als nur eines von vielen, vielen Elementen zu sehen, mit denen sie diese Zeit verstehen lernen können, ist es für Bibelwissenschaft fundamental, den Wert der Bibel nicht auf ihre historische Hinweisfähigkeit zu reduzieren, denn es wäre schon sehr traurig, wenn im durch die archäologische Bibelbrille geschärften Blick aufs archäolgische Detail die Sicht aufs große literarische (und daraus folgend auch religiöse) Ganze verloren ginge.

    Zweifellos: Salomo ist nicht Gustav von Aschenbach, und der Tempel in Jerusalem heute noch handgreiflich realer als dessen Hotel. Trotzdem war es nicht der vor knapp 3000 Jahren über Israel und Juda regierende, sondern der auch heute noch in der Bibel regierende Salomo, der scheinbar zeitlose Folgen zeitigte – politisch, religiös und literarisch, und der damit nur einer von vielen war, die ini erster Linie literarische, und, wenn überhaupt, nur in zweiter Linie auch historische Bedeutung tragen bzw. trugen.

    In diesem Sinne: Plädoyer für eine regelmäßig vom Auge zu nehmende archäologische Bibellupe, um über das archäologische Feintuning den biblischen Weitblick nicht zu verlieren.

  2. @ake

    So habe ich den Artikel von van der Veen aber nicht aufgenommen. Bei den altertümlichen Texten weiß man sowieso nicht, ob es neutrale Geschichtsschreibung oder Herrscherepos also Dichtkunst ist. Und die ganzen Funde, die müssen dann auch noch interpretiert werden. Wenn man was ausgräbt hat man zwar was greifbares in der Hand, aber das nutzt ja noch nicht viel. Ich denke, der Autor wollte nur sagen, man braucht der Bibel nicht überkritsch zu begegnen und muß sie nicht als Märchenbuch abtuen. Mit anderen Schriften wird ja auch nicht so überkritisch umgegangen.

    Gleiches Recht für alle! 😉

  3. @Theophil Isegrim

    ok, mit gleichem Recht für alle kann ich leben 😉

    Eigentlich wollte ich eigentlich auch nur dafür plädieren, dass auf der archäologischen Suche nach den historischen Realitäten nach unseren Maßstäben auch die literarischen Qualitäten der Bibel samt ihrer Wirkungsgeschichte zu ihrem Recht kommen.

    Weil es ja langfristig nicht der Palast des Salomon, den die Archäologen ausgraben, sondern der, der auf dem Papier überlebt hat und möglicherweise auch dort erst ausgestaltet wurde, war, der dafür sorgte, dass heute in jeder Hinsicht überkritisch mit der Bibel umgegangen wird – mit dem Resultat, dass man bei einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihr einerseits ständig damit konfrontiert ist, religiöse Empfindlichkeiten zu verletzen, andererseits auch naturwissenschaftlich in Rechtfertigungsdruck gerät, ob das, was man da betreibt, überhaupt wissenschaftlich ist.
    Ich finde es jedenfalls spannend, dass ein Blogeintrag ausgerechnet damit beginnt, sich selber in Frage zu stellen und nach dem eigenen Existenzrecht zu fragen. Anderen Wissenschaften wird diese Frage in dieser Form überhaupt nicht gestellt.

    Auf der Ebene betrachtet ist biblische Archäologie dann vielleicht nicht nur dazu geeignet, antike Weltbilder zu rekonstruieren, sondern auch dazu, ein wenig an den Festungen der hochaktuellen wissenschaftliche Weltbilder zu rütteln und ihre Grenzen sehr bewusst auszuloten.

  4. Die Bibel und die Archäologie

    Die Bibel ist ein gewichtiges Buch, ohne jeden Zweifel. Doch für die heutigen Menschen ist sie oft unverständig, weil sie keine Ahnung haben von den Gegebenheiten des Lebens, in der Zeit ihrer Entstehung. Je mehr ich mich mit dieser Zeit beschäftige, desto besser komme ich mit den Texten der Bibel zurecht. Ich gehöre keiner Kirche an, bin wohl nur so viel Christ, wie es dies das Erbe des Abendlandes ist. Eines habe ich immmer gewusst, die Bibel ist von Menschen geschrieben und Menschen sind keine Götter. Ich freue mich, dass heute doch immer mehr Objektivität einzieht, wenn es um das Thema Bibel und Glauben geht.

  5. Die Bibel und die Archäologie

    Na ja, das Problem ist halt, dass sich Glaube und Objektivität nicht unter einen Hut kriegen lassen. Glaube ist immer subjektiv, auch wenn er gerne als objektive Wahrheit verkauft wird, weil er letztlich mehr oder weniger auch als solche wahrgenommen werden muss.

    Und da muss der biblische Archäologe, sofern er in der Bibel mehr sieht als ein antikes Märchen- oder Geschichtsbuch bzw. eine etwas kryptische Grabungskarte, sich in seiner ungemütlichen Postion dann schon immer genau überlegen, ob sein Archäologenhütchen eher mit einer Bischofsmütze oder einer säkularen Baseball-Kappe verwandt ist oder ob er versuchen möchte, ganz ohne Kopfbedeckung in der Wüste zu buddeln.

    Und sollte sicherheitshalber auch regelmäßig überprüfen, welche Kopfbedeckung er aufhat und ob das in irgendeiner Weise seine archäologischen Lesarten beeinflusst.

    Im Übrigen darf er ja auch gerne die eine oder die andere Variante schicker finden, nur muss er sich dann damit abfinden, dass er damit das eine oder das andere Publikum besser anspricht.

    In Bezug auf die Objektivität des Forschers fände es im Übrigen spannend, wie ein nicht aus dem jüdisch-christlich-abendländischen Kulturkreis stammender, völlig außerhalb der biblelbasierten Religionen sozialisierender Forscher biblische Archäologie betreibt. Gibt es sowas?

  6. Geschichte und Bibel

    Dennoch sollte man nicht nach dem alten Muster verfahren: “Und die Bibel hat doch recht.” sondern die Frage untersuchen: “Wie geschichtlich war die Bibel?”, wieviel Geschichte steckt in ihr. Sie als Quelle zu nutzen bleibt weiterhin problematisch, man muss sehr kritisch damit umgehen.

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