Wissenschaftsjournalismus

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Fachlich fundierter Wissenschaftsjournalismus, wie wir ihn gerne hätten: 

Durchbruch in der Kognitionsforschung – Substrat des Denkens entdeckt?
(g&g/wi)
In der jüngsten Ausgabe von "NeidJour", dem weltweit renommiertesten wissenschaftlichen Journal mit den höchsten Impact- und Invidialfaktoren berichten Prof. Dr. S.E. Nile und Kollegen von einem aufsehenerregenden Experiment (S.E. Nile, D. Beel, B. Schränk and N.O. Bleeder: "Substrate of complex cognitive assemblies revealed by means of (meta)-analyses of fNMRI, pharmacological and crystallographic data", NeidJour, 2008, Vol.466, p.332ff).

Bei der Durchsicht grosser Mengen an Daten, die mit einem funktionellen Magnetresonanztomographen (fNMRI) an etwa 300 Probanden erhoben worden waren, berichtete Prof. S.E. Nile, der Leiter der Arbeitsgruppe an der University of Blockshead (Niewada, USA), plötzlich von ganz ungewohnten kognitiven Ereignissen in seinem eigenen Kopf und begann, zusammenhängende Hypothesen zu formulieren. Seinen langjährigen Mitarbeitern, vor allem Dr. D. Beel, der seit Jahrzehnten mit Nile zusammenarbeitete, fiel die Einzigartigkeit dieses Ereignisses dank der langjährigen Schulung, die er bei Nile erhalten hatten, schnell auf und sie leiteten eine sofortige Untersuchung des Arbeitsgruppenleiters im Tomographen in die Wege.

Unglücklicherweise verstarb Prof. Nile unter Absonderung hypothetischer Konfabulationen schon nach weniger als 5 Minuten im Scanner. Die wenigen, unsicheren Daten, die erhoben werden konnten, zeigten jedoch eine massive Aktivierung in der Gegend der Ventrikel, flüssigkeitsgefüllter Hohlräume im Gehirn, die gemeinhin nicht mit kognitiven Aktivitäten in Verbindung gebracht werden.

Bei der sofort eingeleiteten anatomischen Sektion des Gehirns von Prof. Nile zeigten sich – abgesehen von den alterstypischen atrophischen Veränderungen und einem leichten internen Hydrozephalus – keinerlei Besonderheiten. Allerdings verletzte sich Dr. Beel bei der Eröffnung des dritten Ventrikels mit dem Skalpell und eine Wunde an seiner rechten Hand geriet in Kontakt mit dem Liquor cerebrospinalis [dem Hirnwasser] aus Niles Gehirn. Schon wenige Tage nach dem Unfall verspürte er einen ihm ganz unbekannten kommunikativen Drang in der rechten Hand und er begann – was für Ihn ganz ungewöhnlich war – die Ereignisse der letzten Tage in Form eines handschriftlichen wissenschaftlichen Manuskriptes zusammenzufassen und publikationsreif zu machen. Sein Kollege Bleeder hatte unterdessen zwei Ratten geringe Mengen von Proben des Hirnwassers von Nile intraventrikulär injiziert, woraufhin die Ratten erstaunliche kognitive Leistungen entwickelten und innerhalb eines halben Jahres zu Chefredakteuren von "NeidJour" avancierten, wo sie die  "pre-submission inquiry" von D. Beel positiv beschieden.

Dennoch wäre es wohl kaum zur Publikation des Manuskriptes von Beel gekommen (Nile wird aus Pietätsgründen als Erstautor geführt), hätte nicht – auf Drängen der Gutachter von "NeidJour" – Dr. B. Schränk parallel eine biochemische und röntgenkristallographische Analyse des Liquor aus Niles Gehirn durchgeführt. Der Liquor bestand grösstenteils aus einer kristallisationsfähigen Substanz, deren Taupunkt bei 0 Grad lag und die bei etwa 100 Grad dazu neigte, sich geistartig zu verflüchtigen. Die überlebenden Teilnehmer des Experimentes spekulieren aufgrund der überzeugenden Datenlage sicher nicht ohne Berechtigung darauf, dass es sich hierbei um das lange gesuchte Substrat des Geistes handeln könnte.

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Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

11 Kommentare

  1. schöner Scheiß

    Hallo,
    sehr schöner Artikel über schönen Scheiß!
    Wenn ich ehrlich zu mir bin, bin ich schon ein bischen neidisch :-). Sie sind halt gut drauf (irgendwie schon).
    Hat Sie das mehr als 5 Minuten geköstet?

    Gruß Uwe Kauffmann

  2. @ Kaufmann

    “Hat Sie das mehr als 5 Minuten gekostet?”

    Fünf Minuten: Für die Idee.
    Eine halbe Stunde: Für’s Schreiben.
    Eine ganze: Für’s Revidieren und hochladen.
    Dreissig Jahre Wissenschaft: Für den Sarkasmus.
    Fünfzig Jahre Leben: Um das Gedicht, das am Ende verlinkt ist, goutieren zu lernen.

    Danke!

  3. @WissenschaftsjournalismusàlaWicht

    Gedankenbrüche von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Uni, hat mich wirklich schmunzeln lassen, schrift-stellerisches Talent ist vorhanden –

    aber jetzt: Brainlogs goes to Cabaret – habe mir hier was anderes erhofft !

  4. @ Strobel

    Das ist die Frage nach der generellen Ausrichtung eines “Wissenschaftsblog”, die der Betreiber des Portals, in diesem Falle der Spektrum-Verlag beantworten muss.

    Ich meinerseits rechtfertige das, was ixch hier schreibe, folgendermassen:

    1) Difficile est satiram NON scribere. Zudem ist das wenigste, was ich hier abgesondert habe, rein satirischer Natur. Es ist viel Ernstgemeintes dabei, und im übrigen nehme ich auch die Satire ernst. Oder die Wissenschaft unernst. Oder beides zugleich. Die Mischung macht’s.

    2)(Jetzt ernst) Wenn diese Blog-Veranstaltung hier dem Aussenstehenden einen Einblick in die Geschehnisse im Elfenbeinturm geben soll, dann wäre es ganz falsch, nur wissenschaftliche Ergebnisse zu referieren und zu diskutieren. Sie werden lachen: auch im Elfenbeinturm wird gelacht, heftig und viel, zumindest in meinem, womöglich mehr als anderswo. Es wird aber auch mehr geweint. Nicht nur das WAS der Wissenschaft interessiert, das WIE ist ebenso spannend, denn der Prozess formt das Produkt, das wissenschaftliche Ergebnis, die Publikation, die als “objektiv” aus dem Elfenbeinturm entlassen wird.

    3) Um zu einer satirischen Analogie zu greifen (ich weiss auch nicht, mir ist’s gerade so sarkastisch im Gemüt..): Wenn einer als “geheilt” aus dem Irrenhaus entlassen worden ist, dann ist das ja schön und gut. Aber die Vorgänge IN der Irrenanstalt sind doch viel spannender.

  5. @Helmut

    ad 3) Kennt hier jemand “Wonko the sane” aus D. Adams’ “Per Anhalter durch die Galaxis”? Wonko hat ein Haus gebaut, bei dem die Tapeten, die Einrichtung usw. nach außen weisen, ein “inside-out-Haus”, wenn man so möchte. Er hielt die Wellt für eine Irrenanstalt und wollte ihr ein entsprechendes Gemäuer verpassen. Er selbst nahm dann innerhalb der vier Wände (also eigentlich im “Außen” des Hauses, im Garten quasi) platz und befand sich damit außerhalb des Irrenhauses.

    Woher nur immer diese Phantasien vom “heilen” kommen? 😉

    @Strobel: Was haben Sie denn erwartet?

  6. Wissenschaftler

    Zum Glück haben Wissenschaftler Humor, Spaß und ab und an den drang zum Schabernack.

    Heinz von Foerster (ein sehr spielfreudiger Wissenschaftler) erzählte einmal folgende Geschichte:

    “Wie Sie wissen, hat Pawlow die ersten großen Experimente gemacht mit den Hunden, wo er den abhängigen Reflex entdeckt hat.
    Seine Experimente sind so wunderbar beschrieben von ihm, er hat seine Experimentalbücher so genau geschrieben, dass seine Experimente immer wieder wiederholt werden können. Also: Da ist der Hund, den hat er auf den Tisch gestellt, da ist das große Fenster, da das kleine Fenster, der Assistent ist gekommen mit seinem weißen Kittel und hat dem Hund das Fleisch gezeigt; der Hund hat das Fleisch gesehen, und natürlich ist ihm das Wasser im Mund zusammengelaufen, in der Fachsprache heißt das: er hat >salviert<, und kaum hat der Hund salviert, so hat man ihm das Stück Fleisch gegeben und eine Glocke geläutet. Das geht so eine Woche, wird so gemacht und wiederholt, zum Schluss kommt der Assistent herein, zeigt ihm gar kein Fleisch, klingelt die Glocke, und der Hund salviert, das heißt, der glaubt, jetzt kommt das Fleisch.
    Gut, das hat er veröffentlicht, und dafür hat Pawlow den Nobelpreis bekommen.
    Ein polnischer Experimentalpsychologe hat gesagt, der Pawlow hat alles so wunderbar aufgeschrieben, wir können dieses Experiment jetzt wiederholen.
    So: Hund, großes Fenster hier, kleines Fenster da, Assistent kommt herein mit Fleisch, läutet die Glocke, das hat alles wunderbar funktioniert.
    Und jetzt kommt das experimentum crucis: wo der Assistent reinkommt und nur mit der Glocke läutet. Konorski, der Experimentator, hat heimlich, ohne dem Assistenten etwas zu sagen, den Klöppel aus der Glocke genommen. Also, der Assistent kommt rein, schwingt die Glocke und: stumm. Der Hund salviert!
    Also hat Konorski gesagt: Dieses Klingeln war ein Reiz für Pawlow, und nicht für den Hund! Und leider muss ich Ihnen sagen: Konorski hat dafür nicht den Nobelpreis bekommen!”

    Ich vermute glatt, Konorski hat sich am meisten über das Gesicht des Assistenten amüsiert ;-).

  7. Gedanken eines Linkshänders

    Die wichtigste Information, lieber Helmut, hast du freilich unterschlagen: Hat Dr. Beel das Manuskript mit der linken oder rechten Hand geschrieben?

    Im Falle der rechten Hand, in der offensichtlich Dr. Niles Geist weiter lebt, dürften es ja nicht nur Pietätsgründe sein, warum er Erstautor ist, sondern urheberrechtliche. Womöglich hätten ihn die Ratten ihn sonst verklagt.

    Sag mal, du als Neuroanatom weißt doch bestimmt, ob die antike Vorstellung widerlegt worden ist. das Gehirn sei nur dazu da, um das Hirnwasser in den Ventrikeln zu kühlen.

    Grüße aus Taiwan

  8. Hirn als Blutkühlorgan

    “Sag mal, du als Neuroanatom weißt doch bestimmt, ob die antike Vorstellung widerlegt worden ist, das Gehirn sei nur dazu da, um das Hirnwasser in den Ventrikeln zu kühlen.”

    Angesichts der lauwarmen Gülle, die von manchen Gehirnen – notabene auch von meinem eigenen – mitunter abgeschieden wird, erscheint es mir fraglich, ob die Theorie überhaupt widerlegbar ist.

    Herophil von Chalcedon (ptolemäisches Alexandria) gilt gemeinhin als der Entdeckder der Funktion der Nerven, der erste, der die Hirnfunktion ausdrücklich in den Wänden, und nicht im den Ventrikelräumen lokalisierte, soll Thoams Willis (17.Jhdt) gewesen sein.

    Wenn Du’s genau wissen willst, muss ich es recherchieren.

  9. Ausgezeichnet 😉

    Eine grandiose Zusammenfassung der Originalstudie……

    Sie überraschen und beglücken mich immer wieder mit Ihrer “Zauberkunst der wissenschaftlichen Poesie” 😉

    Soll Ihnen noch eine Gratulation vom Redaktionsteam des NeidJour ausrichten!

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