Uni digital, oder: Der Zoom
BLOG: Anatomisches Allerlei
Nun, es ist ja, wie man so schön sagt „alternativlos“, also zoomen wir uns einen.
Warum dieses Programm „Zoom“ heißt, weiß ich nicht, war auch zu faul, es zu eruieren. Ich weiß nur, dass die viral forcierte Digitalisierung des akademischen Lehrbetriebs – ganz wie ein Zoom-Objektiv an einer Kamera – vom Weitwinkel bis zum Blümchenbienchen-Modus die medialen (In-)Kompetenzen des akademischen Betriebes (und die akademischen [In-]Kompetenzen der Medien) in ganz verschiedenen Perspektiven abbildet. Mikro- und makroskopisch, sozusagen. Mit allerlei überraschenden Effekten.
Mikroskopisch:
Da mach‘ ich also jede Woche vier Zoom-Seminare, alle zum gleichen Thema, mit jeweils etwa 25-30 Teilnehmern. Dann fällt einer Teilnehmerin an diesen Seminaren ein, dass sie leider, leider, an einem bestimmten Seminartermin nicht dabei sein kann, weswegen sie um die „regelmäßige Teilnahme“ und ihren Seminarschein fürchtet, und sie schickt ein sorgenschweres email an folgende fünf Adressaten:
- den Dekan des Fachbereiches
- das Sekretariat des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin
- das Sekretariat des Anatomischen Institutes
- das Studiendekanat Vorklinik
- mich
Es resultiert ein fröhliches Kompetenzwirrwarr, emails mit „cc’s“ und „Bcc’s“ und „Aw.Re.Re.Re.Aw.Betr.Re.re.:“ hin und her … und — ZOOM — aus der mikroskopischen Mücke wird ein veritabler Verwaltungselefant.
Makroskopisch also.
Aber immerhin: der Vorgang hat mich dazu gebracht, diese Glosse zu schreiben. In praesentiam hätten wir das in 30 Sekunden geklärt gehabt, zumal ich … jetzt muss ich vorsichtig sein … zumal ich ohnehin kein Freund der Präsenzpflicht bin. Es reicht ja, dass ich bei meinen Lehrveranstaltungen da sein muss, die Teilnehmer sollen bitte kommen wollen, nicht müssen, und ich empfinde diese Namenslistenaufruferei und -abhakerei als zutiefst unakademisch, klippschulmässig, kindergartendurchzählartig, widerwärtig, weswegen ich das System zu unterlaufen suche, wo ich kann. Bei so einem Zoom-Seminar guck‘ ich mal kurz – ZOOM – auf die Anzahl der eingeloggten Teilnehmer. Wenn’s mit meiner Listenzahl übereinstimmt, ist’s gut, wenn nicht, auch, und ob nun Vater, Mutter, Schwester, kleiner Bruder oder der Familiendackel der Teilnehmerin vor dem Laptop sitzt, ist mir herzlich wurst, solange der nicht dazwischen kläfft (was allerdings manchmal eine willkommene Abwechslung wäre).
Und was ist die (In-)Kompetenz-Moral von der Geschicht‘?
Nun, auf Seiten der Teilnehmerin sicherlich die Spammer-Mentalität. Viel hilft viel. Immer ‘raus damit. Aber sie ist natürlich nicht alleine schuld. Denn auf Seiten der Uni ist da die Intransparenz der Zuständigkeiten. Wir blicken ja mitunter selbst nicht mehr durch. Im Absender meiner emails stehen das Dekanat, das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin und die Anatomie als „institutionelle Affiliationen“ (und ich arbeite in der Tat in allen dreien). Und auf deren Homepages treibe ich mich also auch in den Mitarbeiterlisten herum. Durchblick: null.
Und das ist ja auch gut so. Nichts ist herrlicher, als so ein richtiges akademisches Kuddelmuddel, unklare Kompetenzen, nebulöse Strukturen, diffuseste interdisziplinäre und institutionelle Überlappungen – denn dort nistet die Freiheit! Wir sind doch kein Wirtschaftsunternehmen! Nieder mit dem Organisationsmanagement! Chaos! Ich will kreatives Chaos und nirgendwo und überall dazugehören!
Und die digitalisierte Lehre aus der Ferne zoomt nun in dieses Chaos hinein und wieder heraus; Blümchenbienchen-Modus oder Weitwinkel, überall nur Nebulöses für den, der durch das digitale Objektiv schaut.
Achachach.
Wie schön war’s in präsentiam: da nahm man – sozusagen – seine akademischen Schutzbefohlenen, die Erstsemester, an die Hand, und ging mit ihnen, frohen Mutes, in diesen Nebel auf und über dem Campus hinein, mit dem Versprechen, dass er sich schon lichten werde, der Nebel, wenn man sich nur erstmal auf ihn einlässt, und dass dann das Reich der Freiheit sichtbar werde.
Und dass sich das digitalisieren lässt, das bezweifle ich sehr.
Warnung:
Wenn wir erst alle einmal auch “digital” an Vorlesungen teilnehmen, dann ist die Überwachung vorprogrammiert. Mit der Hilfe der URL lässt sich jeder Teilnehmer identifizieren , wann er sich eingeloggt hat und wann er sich ausgeloggt hat.
Die Präsenzpflicht wird auf diese Weise eingefordert werden werden.
Hoffnung: Dann wird es Apps geben, die für uns den Computer einschalten und ein Mitdenken vortäuschen.
@ hwied
Wasser auf meine Mühlen.
Digitalisierung ist nicht das Reich der Freiheit, sondern eher das Gegenteil.
Für so schreckliche Menschen, wie mich, denen der Schaden auch immer ein Grund zur Freude ist, sind die Dinge, denen ihre eigene Wichtigkeit tonnenschwer und schmerzhaft auf die eigenen Füße fällt, immer ein Anlaß freudigen Schmunzelns. Das (akademische) Leben ist schön!
Das Geschehnis mit der jungen Dame verdient eine philosophische Behandlung.
Jeder , der schon mal mit Institutionen zu tun gehabt hat weiß, don`t weck the sleeping dog.
Jetzt ergibt sich die Frage, sollte man dann die junge Dame (er)wecken ?
@ hwied
An der “freiheitsphilosophischen” Aufarbeitung des Geschehens habe ich mich ja in meiner Glosse versucht.
Der Dame selbst habe ich eien Einladung zu einem Kurstermin, der ihr besser passt, geschickt (ich mach’ ja “nur” 4 von diesen (Parallel-)Kursen, und da immer dasselbe), und gut ist’s.
Helmut Wicht,
ein letzter Wunsch (bitte nicht zu wörtlich nehmen)
Wie würde es auf lateinisch lauten: “keine schlafenden Hunde wecken !”
@ hwied
Keine Ahnung. Ich weiss nicht, ob es den Spruch im Lateinischen gibt. Es gibt aber dieses berühmte Mosaik aus Pompeji:
https://de.wikipedia.org/wiki/Cave_canem#/media/Datei:Casa_del_poeta_tragico,_mosaico_del_cave_canem.jpg
mit dem “Cave canem”, und das heissI: “Hüte Dich vor dem Hunde!.” Den Römern war ansonten die Gans (die kapitolinischen Gänse, um genau zu sein) das Symbol der Wachsamkeit.
So sehr ich dem Kernanliegen dieses Beitrags – d.i. der mangelnden Medienkompetenz an Hochschulen, je älter und konservativer die Leute desto schlimmer – ZUSTIMME, möchte ich jetzt mal dem Schimpfen über das digitale Format per se etwas entgegen halten:
Ich habe nebenan in meinem Blog einen post verfasst.
Liebe Grüße!
@ Hoffmann
gerne läse ich das, dich bei “Uhura Uraniae” finde ich nix – wo muss ich denn suchen?
Wicht
Komisch, ist doch auchh dort alles digital:
https://scilogs.spektrum.de/uhura-uraniae/pro-digital-ein-hoch-auf-lehre-und-forschung/
@ joker
Jetzt hab’ ich’s, das link funktioniert.
Danke.
Weiss nicht, was icg falsch gemacht habe.
Das ist wirklich auch in einem Wirtschaftsunternehmen ein Problem, eMail an alle unbeteiligten ^^ 😉 Ich habe 6 Monate gebraucht um meinem neuen Kollegen der aus einem größeren Unternehmen kam das auszutreiben. “Du setzt den [] aber doch auch oft in cc!” Ja, damit der weiß das mir demnächst eine Fräsmaschine ausfällt und ich ihn dann persönlich besuche um festzulegen welche Aufträge ich priorisieren soll. Und im Fall das mal einer was vergisst sagen entweder mein Vorgesetzter oder ich “Echt, hab ich das vergessen oder übersehen? Ich unternehm was”
Nur so bekommt man Funktionalität. Alles andere erzeugt nur overhead ^^
Und manchmal muss man das Sytem unterlaufen: Was soll ich dazu sagen wenn eine Firma wegen Corona einfach Überstunden komplett verbietet? Egal was ist? Da hab ich einen Monteur stehen, die Maschine könnte in einer Stunde in der Spätschicht wieder laufen und der müsste eigentlich fahren und um 0800 am nächsten Tag wieder kommen? Da muss ich auch vorsichtig formulieren. Man unternimmt etwas damit das nicht so kommt und alle glücklich sind ^^ 😉
LG Uli