Thanatophilietest

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Ich verdanke die Kenntnis der folgenden Humoreske der Lektüre von Lutger Lütkehaus’ Buch vom “Nichts”, das ich an dieser Stelle nicht genügend loben kann. Es ist bei Haffmans unter dem Verlagsdach von Zweitausendeins erschienen.

Die Humoreske ist zugleich eine Thanatophilieprobe, ein Lackmustest der Todesverliebtheit. Wenn Sie darüber so lachen können, wie ich es tat (ich fiel fast vom Stuhl), dann sind Sie’s: Thanatophil.

Es freud (sic!) mich, Ihnen den eigentlichen Urheber der Geschichte – sowohl des Konzepts der Thanatophilie als auch der Anekdote – vorstellen zu dürfen:

Unverkennbar. Die rechte Lebensfreude war Herrn Freuds Sache wohl nicht, denn sonst hätte er wohl kaum Sätze wie den folgenden niedergeschrieben: “Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten”. Zwei Grundtriebe unterstellte er dem Menschen: den Eros, der zum Leben und ins Sein drängt, und den Thanatos, dem Drang des unbefriedigten und nicht befriedbaren Seins ins Nichts. Die Psychologen haben, soweit ich weiss, den Thanatos mittlerweile verworfen. Aber ob er nicht doch in mir und Ihnen residiert – dafür machen wir jetzt den Lackmustest des Lachmuskeltests.

Und der geht so. Freud schreibt 1937 in einem Brief, dass er in einer amerikanischen Zeitung in Form eines Stückes “kühnster und gelungenster Reklame” den ultimativen Ausdruck des Pessimismus und der Unbefriedigtheit des wertlosen, zum Grabe sich drängenden Seins gefunden habe. Es war das Inserat eines Bestatters. Und das ging so:

“Why live, if you can be buried for just ten dollars?”

 

Bildnachweis:

S. Freuds Portrait findet man hier bei Wiki.

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Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

11 Kommentare

  1. Skisport und Thanatos

    Haben Sie vielleicht auch Eckhard Henscheid’s Essay “Skisport und Thanatos” zur Hand? Das dürfte, so meine Erinnerung mich nicht trügt, ihren Artikel wohlwollend bis erheiternd begleiten. Es ist einst (die Jugend, wo ist sie hin?) in der “titanic” erschienen, nur weiß ich nicht, ob Sie derlei je lasen, und meine Originalquelle befindet sich irgendwo im Keller, wahrscheinlich feuchtgeworden und begraben unter Bergen von Unnützem.

  2. @ Schütze

    …hab’ ich nicht, kenn’ ich nicht.

    Macht mich aber sehr neugierig. In _meinem_ Keller sind nur Motorradteile und Bierkästen. Darf ich _Sie_ bitten, in Ihren Keller abzusteigen? Ich nehm’s auch mit Wasserflecken…..Brauchen Sie NSU- oder Moto Guzzi-Teile aus meinem Keller?

    Grüsse
    HW

  3. Gern

    Ich bin gern dazu bereit, in die unergründlichen Tiefen unseres Kellers hinabzusteigen, um dieses Kleinod wieder ans Licht zu holen – aber es wird im besten Fall einige Tage dauern.

    (To do: Hier eine angemessen breit angelegte Ausführung über die Umstände langen Zusammenlebens mit einer geliebten Frau, die so viel Unverzichtbares zusammenzutragen und einzulagern imstande ist, daß statistisch nicht auszuschließen ist, daß bestimmte Entitäten trotz ihres unzweifelhaften Vorhandenseins unauffindbar bleiben – einfach verschwinden.)

    Ausgesprochen peripatetisch veranlagt, kann ich mit NSU- oder Moto Guzzi-Teilen (relativ) wenig anfangen, und der Sohn ist noch zu klein. Aber ich nähme wohl (im Erfolgsfall) einen leeren Kasten Bier, den ich aus Empathie beim Rewe einem Leergutsammler überließe, auf daß er ihn zu seinem Behufe in den Pfandautomaten schöbe.

    Aber das ist noch Zukunftsmusik. Ich melde mich. Versprochen.

  4. @ Schütze @ Dahlem

    “Keller” ist ohnehin ein schönes Stichwort im Kontext von “Thanatos” und “Depression”. Ich nehm’s zum Anlass um – vegebt – meinerseits nochmal “kühne Reklame” hierfür

    http://tinyurl.com/889b4by

    zu machen. Hoffentlich sieht es in Euren Kellern nicht so aus…

  5. @ Markus Dahlem

    Und er hat jetzt keinen mehr? Da ist er sicher gut beraten. Ich habe zwei, und die haben mich: sie dämmern nur wie Reptilien auf den nächsten Umzug zu, und ach, einer steht vor der Tür. Aber da ich ja ohnehin nach diesem Text suchen wollte, kann ich ihnen vielleicht ein Schnippchen schlagen, sie überlisten.

  6. danach lasst uns alle streben …

    Psychoanalyse:

    “Das Ziel ist bescheiden … Neurotisches Elend in normales Unglücklichsein zu verändern!”

  7. @ Lichte

    … wenn allerdings “Unglücklichsein” der “Normalzustand” ist, erhebt die Theo-/Ontodizeefrage um so spektakulärer ihr Medusenhaupt.

  8. Freudentaumel für Optimisten …

    @ Helmut Wicht

    Da mein (verkürztes) Freud-Zitat so gut ankam, hier noch mehr Freudentaumel für Optimisten:

    “Wir gleichen den Lämmern, die auf der Wiese spielen, während der Metzger schon eines und das andere mit den Augen auswählt: denn wir wissen nicht in unseren guten Tagen, welches Unheil eben jetzt das Schicksal uns bereitet – Krankheit, Verfolgung, Verarmung, Verstümmelung, Erblindung, Wahnsinn, Tod usw.”

    Artur Schopenhauer

  9. @ Lichte

    Schick!

    Dieses Stück Schopenhauer kannte ich noch nicht. Danke.

    Ich revanchier’ mich mit Pindar: “Skias onar anthropos”. “Eines Schattens Traum ist der Mensch.” Und setze hinzu: Albtraum.

  10. Unschärfe

    Der Test ist völlig unbrauchbar! Beeinflusst doch die Messung frei nach Heisenberg das Ergebnis.

    Tatsächlich hoffte ich so sehr lachend vom Stuhl zu fallen, dass ich am Ende gar nicht mehr weiß ob ich es tatsächlich zum Totlachen finde.

    Obwohl, ist dieser Kommentar doch Beweis, dass ich mir vorerst 10 Dollar gespart habe.

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