Soziale Gerechtigkeit

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Tief im Innern meines Frontallappens, dort, wo mein Gerechtigkeitssinn haust, erschüttert die morgendliche Montagsmeldung meine Neuronenverbände: der Lotto-Jackpot ist auf 43 Millionen angewachsen!

Das heisst, mit einem Tag Arbeit – ach, was sag' ich – mit 10 Sekunden Kreuzchen malen können Sie, kann ich mehr verdienen, als Wendelin Wiedeking, der Chef von Porsche, mit einem ganzen JAHR harter Arbeit. Das ist doch sozial ungerecht! Ein ganzes JAHR! Dem Manne gehört doch ein fairer Mindestlohn, nicht wahr? Leistung muss sich schliesslich lohnen.

 

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Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

8 Kommentare

  1. Fairer Mindestlohn

    Sie haben natürlich vollkommen recht – aber die 1,20 Euro (reicht fürs Ausfüllen des Lottoscheins) wird Herr Wiedeking doch sicherlich erhalten? Dann stimmts doch wieder mit der sozialen Gerechtigkeit. Natürlich muss er dann auch den Lottoschein ausfüllen und abgegeben. Dies könnte allerdings eine hohe Herausforderung an sein Zeitmanagement darstellen. Immerhin muss er den Schein bis Mittwoch und dann auch noch vor 18.00 Uhr abgegeben haben. Soweit ich weiß, arbeiten Spitzenmanager doch meistens länger…
    Nachdenkliche Grüße
    Renate Heim

  2. PS

    Ich verdiene im Übrigen auch so viel wie Herr Wiedeking. Nur leider bekomme ich es nicht. Geht es Ihnen nicht auch so, Herr Wicht?
    Zu dumm, dass ich keinen Porsche fahren mag. So könnte ich wenigstens einen kleinen Beitrag zu Herrn Wiedekings sozial-verträglichem Mindestlohn beitragen. Aber ich finde dieses Fahrzeug wirklich unbequem. Zumindest die sportliche Variante.
    Falls wir uns beide den Jackpot am Mittwoch teilen dürfen, könnten wir doch einen Spendenfond für die soziale Gerechtigkeit gründen. Was halten Sie denn von der Idee? Für alle, die aus dem Hartz IV-Versorgungsnetz rausfallen, weil sie angeblich noch genug Vermögen besitzen. Also für das gehobene Management. Ihr Ärtze habt doch sicherlich schon die Hartz IV-Tauglichkeit erreicht? Da seit Ihr ja schon bestens versorgt. Aber um die Manager muss man sich echt Sorgen machen…hab jetzt allerdings keine Zeit dafür, muss noch ein paar Lottoscheinchen ausfüllen.
    Nächtliche Grüße

  3. @ Renate Heim

    nein, wirklich neiden tu’ ich dem Herrn Wiedeking weder seinen Beruf noch sein Gehalt. Mir geht’s ganz gut (BAT Ib) und im Gegensatz zu ihm bin ich relativ frei – ich kann mir, in Grenzen wenigstens, aussuchen, woran ich arbeiten und worüber ich nachdenken möchte.

    Hätt’ ich die 43 Millionen – freilich würd’ ich bequem von ihnen zu leben versuchen, und den Rest für “random acts of kindness and senseless deeds of beauty” ausgeben.

    Ich hab’ sie aber nicht. Und was mich stört, ist die Tatsache, dass der Wert der Arbeit/des Daseins eines Menschen in keinem Verhältnis zu seiner Daseins-/Arbeitszeit steht. Nein, das ist falsch formuliert: dass der Wert nur ein “share-holder value” sein soll. Dass die Ökonomie alles diktiert.

    Sie ist aber nicht alles. “Oikonomia” – das ist die “Haushaltsführung”. Diese Herren sind Hausmeister, mehr nicht. Das Haus ist unser. Aber das kennen wir ja: der Hausmeister als Usurpator des ganzen Blocks.

    Nein, ich habe jetzt nicht “Blockwart” gesagt.

  4. Neiddebatte

    Es gibt gewisse Themen in unserer Gesellschaft, da muß nicht mehr diskutiert werden, da reicht es aus ein Schlagwort in die Runde zu werfen und schon sind die Angesprochenen aus dem Schneider. In diesem Fall würde das Wörtchen Neiddebatte in den Ring geworfen und schon gäbe es wieder Ruhe.

    Wie erging es Ihnen denn, als Sie von den Dienstvergnügen eines Herrn Hartz erfahren haben? Daß von den Leuten, die auf Staatskosten leben mehr verlangt wird, das finde ich ok. Denn im Beruf und von der Staatskasse und den Konzernen wird auch immer mehr von uns abverlangt. Wieso sollte diese Gruppe davon ausgenommen werden?
    Aber dann gibt es ja eine Gruppe in der Gesellschaft, denen geht es wohl immer besser, obwohl die Zeiten immer schlechter werden. Da bezahlt die Firma dann auch noch fürs Vergnügen. Und fünf Minuten später bringen es diese Leute fertig und meinen, von der Gesellschaft müsse mehr Leistung gefordert werden. Das ist nicht zu fassen. Wasser predigen und Wein saufen.

  5. Soziale Gerechtigkeit

    ja diese Frage stelle ich mir auch schon sehr lange, was bestimmte Leute in unserer Gesellschaft für einen Gerechtigkeitssinn überhaupt haben. Man darf sich bloß nicht einbilden dass die Manager wirklich so viel können wie Sie meinen, wenn Leute entlassen, Unternehmen kaputt sanieren, und verschwinden – das können auch alle Nichtmanager. Ich bin der Meinung jeder der was kann, und auch eine entsprechende Leistung zu bieten hat, der soll auch vernünftig bezahlt werden. Im Moment sehe ich aber gerade da, ein Problem. Viele die wirklich etwas können, leben oft am sozialen Rand, weil man sie dahin gedrängt hat, und er können völlig außer acht gelassen hat. Und die Manager hatten nur geschaffenes weil sie vielleicht einer gewissen Ideologie anhängen, nicht durch Ihr können. Ich gehöre zu einer Gruppe von Menschen, die eigentlich schon immer am Rande dieser Gesellschaft lebte, in der Regel sind sie als Legastheniker durchaus begabt, haben Potenziale und vieles mehr. Bis heute werden wir von der normalen Bildung fern gehalten, das ist nur ein Beispiel für unseren Jawohl deutschen Gerechtigkeitssinn. Beste Grüße, Lars-Michael Lehmann

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    Legasthenie ist keine Schande

  6. @Lars-Michael Lehmann

    Hallo Herr Lehmann,

    klasse, dass Sie sich zu Wort gemeldet haben! Und sich als Legastheniker offenbaren. Dazu gehört Mut (leider, in unserer nicht immer sozialen Gesellschaft) und auch Selbstbewusstsein.
    Ich glaube allerdings, dass es auch viele Beispiele dafür gibt, das Menschen – egal welcher sozialen Schicht oder welcher Berufsgruppe sie angehören – trotz ihrer Behinderung (körperlich, geistig, seelisch) große Erfolge aufweisen können.
    Das sind Menschen, die sich selbst nicht an den Rand der Gesellschaft stellen lassen! Sie gehen einfach mitten rein ins Geschehen und nehmen daran teil. Sie betrachten sich selbst (und das ist glaube ich ihr Geheimnis des Erfolges) als vollkommen normal. Denn: Wer oder was ist normal? Für einen Job mehrere Millionen Euro im Jahr zu verdienen jedenfalls nicht – egal ob Fußballer, Manager oder Großaktionär.
    Ich bin aber auf keinen Fall neidisch – denn ich glaube, dass jemand, der so viel Geld erhält, ziemlich viele Probleme auch dadurch bekommen kann. Denn ist er nicht auch verpflichtet, für dieses Geld z.B. seiner Firma wie ein Leibeigener rund um die Uhr zu Verfügung zu stehen? Seine Leistungen werden stets kontrolliert und sein Privatleben ist meistens gleich null. Freizeit artet in gesellschaftlichen Verpflichtungen aus – Verantwortung erdrückt jegliches Freiheitsgefühl.
    Wollen wir das wirklich? Ich möchte mich da Herrn Wicht anschließen – tauschen möchte ich nicht! Ich lebe, ich arbeite, ich fühle mich relativ frei, zu tun und zu lassen, was ich möchte. Im Rahmen des “Möglichen und Erlaubten” natürlich. Und das finde ich wunderbar.
    Ungerechtigkeit ist jedoch auch etwas, was mich immer gestört hat. Aber dagegen ankämpfen, indem man anderen etwas neidet oder sich nur ständig beschwert, bringt m.E. rein gar nichts. Nur Magengeschwüre. Jeder kann für sich im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten, Fähigkeiten, Talente und Potenziale etwas erreichen – und Mut gehört dazu.
    Also, nur Mut, Herr Lehmann – treten Sie rein inmitten des Geschehens, so wie Sie es hier schon getan haben – und nehmen Sie sich, was Ihnen keiner nehmen kann: das Stück Kuchen, was Ihnen zusteht. Zugegeben: manche mögen den Rand vom Kuchen am Liebsten. Nun ja, Hauptsache, es schmeckt 🙂
    Herzliche Grüße
    Renate Heim

  7. @Renate Heim

    vielen Dank für Ihr Feed-back. Das ist richtig dass man als Legastheniker in dieser Gesellschaft ein starkes Rückgrat braucht, um soviel Selbstbewusstsein zu haben dazu zu stehen dass man es ist. Ich glaube auch dass ich ein vernünftiges Stück vom Kuchen werde abbekommen. Ohne unbedingt steinreich zu werden… dann lieber kleine Kuchen backen, nüchtern und auf dem Boden bleiben, das ist mein Lebensmotto. Das haben viele in dieser Gesellschaft verlernt, darum brauchen wir eben gerade solche Debatten, die sich nicht selten als Neiddebatten Outen.ich habe in der Vergangenheit immer wieder Menschen kennen gelernt die in einer guten Position waren und sind. Aber glücklich kamen wir diese auch nicht vor. Also man müsste ganz klar gesagt, weil soziale Gerechtigkeit genauer definieren. Ist es nur Geld? – ich glaube nicht, soziale Gerechtigkeit empfinde ich heute als Chancengleichheit gerade im Bereich der Bildung.Denn da fängt sie ja eigentlich ein, dass man dies all die Jahrzehnte vernachlässigt hat, wird immer mehr sichtbar gerade durch Harz IV. Ich bin der Meinung wir bräuchten in vielen Bereichen,Diskussionen in vieler Hinsicht. Ich mach mir schon seit vielen Jahren über diese Thematik bedanken.

    Außerdem bin ich auch der Meinung, wenn die deutschen Manager eine gute Arbeit vollbringen sollen sie auch vernünftig verdienen.Man sieht es ja auch in der Politik gerade wenn es um die Erhöhung von Diäten geht, dann ist der Aufschrei groß. Ich kenne so einige Politiker, auch persönlich, die wirklich einen Knochenjob leisten müssen, und da sind die Geldbeträge um die es da geht im Gegensatz zu den deutschen Manager lächerlich. Das ist mir erst sehr wohl bewusst geworden seid ich aktiv in der Kommunalpolitik bin. Leider kommuniziert man in den Medien gerade in diesem Bereich nicht richtig teilweise. Aber kann man sich drüber streiten.

    Das war nur einmal kurz ein paar Gedanken dazu.

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    Legasthenen ist eine Schande
    die Legasthenie ist keine, Krankheit oder Behinderung, sondern sie ist eine andere Form der Wahrnehmung und Intelligenz. Sie hängt mit der Aufnahme und Wiedergabe von geschriebenen, gelesenen, gehörten, gesprochenen, und anderen Bereichen zusammen.

  8. Die gefährliche Psychologie des Lottoscheins

    Heute ist es (leider) zu einem Volkssport geworden das schnelle Glück zu suchen und natürlich noch gewinnbringender für den Anbieter feilzubieten. Eine Lottogesellschaft ist noch nie Pleite gegangen und all die anderen Glücksbringer auch nicht. Also wo ist meine Chance, wenn die andere Seite immer gewinnt? Ruf an, 49 cent, und du gewinnst das schnelle Glück. Wenig Anstrengung, geringer Einsatz und hoher Lohn. Immer wenn wir eine Wette eingehen, uns in eine ungewisse Situation begeben, Lottokreuzchen machen springt unser Belohnungssystem an. Da das Risiko gering ist, ich verliere ja nur einen bescheidenen Einsatz, entfällt die hemmende Wirkung unserer Mandelkerne.
    Der Preis den ein ganzes Volk dafür bezahlt ist sehr hoch!! Das Bewusstsein Leistung ist nicht nötig, es geht ja auch anders. Glück ist sehr oft Zufall. Die Dauerfrustration, da meist nur die Anderen gewinnen, ist Gast. Es ist schon schlimm hautnah zu beobachten wie Firmenchefs, Sportler und Popstars unverhältnismäßig entlohnt werden wenn man seinen dagegen immer bescheidenen Gehaltszettel betrachtet. Aber jetzt die Krönung, 43 Mio´s für Lamborghini Lothar mit der Leberzirrhose?! Übrigens, glücklich wird der Auch nicht. Antenne Bayern verkaufte ein iPhone für 19,90 Euro inclusive Gebühren – toll. Ich stelle mir jetzt schon die Freude von dem armen Gewinner vor wenn er nach 11 Monaten den Brief von der Telekommunikationsgesellschaft bekommt, in dem ihm mitgeteilt wird, dass er die 50 Euro Monatsbeitrag demnächst selbst bezahlen darf. Wenn er nur Durchschnittlich begütert ist wird er erleben was Glück ist.
    Dieter Past

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