Intelligent Design

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Da unternimmt es doch tatsächlich ein alternder Anatom, ein Manuskript einzureichen, das die Fahnen der Evolutionslehre im Getümmel der Gefechte mit den Kreationisten hochhält. Sehr löblich. Weil er es bei einem anatomischen Journal einreicht, dessen Herausgeber weiss, dass ich meinerseits mal Evolutionsbiologe war, bevor ich als Anatom alterte, krieg’ ich das Manuskript zu Begutachtung.

Die Argumentationslinie des Autors ist mir wohlvertraut. Ich verwende sie seit Jahrzehnten in meiner Lehre selbst und mit Wonne: Die Anatomie des Menschen (und im übrigen auch die der Welt ingesamt) ist so ein Pfusch, dass man sich nur schwer einen intelligenten Designer als Urheber vorstellen kann. Ein anti-kreationistisches Argument ex negativo. Ich liebe derlei negative Argumentationsfiguren.

Wohlvertraute Argumente, allbekannte Beispiele für den Pfusch am Bau des Menschenkörpers: Hodenabstieg und Leistenbruch, die Unzahl der embryologischen Katastrophen bei der Herzentwicklung … und für all diese Fehlkonstruktionen gibt es plausible evolutionäre Erklärungen. Die Strukturen haben Geschichte, die Evolution bastelt an Vorgefundenem herum, und was einstens sinnvoll war, wird dann mitunter zur Erblast, zur Plage.

(Das beste Beispiel ist wirklich das Herz-/Kreislauf-/Atmungs-/Verdauungssystem. Herzmissbildungen sind die häufigsten Ursachen embryonaler Aborte, und der ganze, komplizierte Kokolores mit dem vierkammerigen Herzen, dem grossen Körperkreislauf und dem kleinen Lungenkreislauf, die blödsinnige Überkreuzung von Luft und Speisewegen im Schlund – all das ist dem Landleben geschuldet, der Notwendigkeit, die Organe der Respiration und der Nahrungsaufnahme zu entkoppeln. Im Schlund eines Fisches, der Wasser atmet, fallen diese beiden Funktionen störungsfrei ineinander und ihm genügt ein einziger Kreislauf.)

Wie gesagt: Bekannte Argumente. Vielleicht werden sie in der medizinischen Lehre nicht oft genug vorgebracht, da mag der Autor des Manuskriptes recht haben. Wir lassen die Studenten die Herzentwicklung bimsen, ohne zu erklären, warum das alles so verrückt ist. Aber um es zu erklären, müssten wir auch noch die Anatomie der Fische lehren, die vergleichende Embryologie – das wird heftig.

Ich las das Manuskript zu Ende und dachte: Naja. Nichts Neues, für mich zumindest nicht. Irgendwie schweiften meine Gedanken dann zu meinem momentanen Motorradbastelprojekt

…und dann auch wieder zurück, denn ich muss ja noch ein Gutachten über das Manuskript schreiben. Und als meine Bewusstseinsmannigfaltigkeit gerade so zwischen diesen beiden Welten schwankte, ein Puzzle aus Schrauberherrlichkeit und Evolutionsbiologie, da kam mir der Gedanke, dass es ja eigentlich gar nicht zulässig ist, von der Dämlichkeit des Designs auf die Abwesenheit eines Designers zu schliessen.

Schliesslich hab’ ich das Motorrad da oben selbst aus vorgefundenem Schrott nach meinen Vorstellungen umgemodelt. Und – ich will im Detail gar nicht darauf eingehen – was da im Laufe der Zeit so alles aufgrund von eigenem und vorgefundenem Pfusch abgefallen, losvibriert, kaputtgegangen, weggebrochen ist: Das geht auf keine Kuhhaut. Irgendwann mach ich mal einen Aufkleber drauf: "Parts falling off this bike are of finest german craftsmanship" (credits für den Spruch: T. Heinemann).

Mit anderen Worten: Man könnte doch den Pfusch ebensogut verwenden, um die Existenz eines Pfuschers zu behaupten. Eines malignen Pfuschers. Metaphysisch gesehen, könnte ich mich mit dieser Variante des Kreationismus aufgrund meines durchaus tragischen Lebensgefühles sicherlich anfreunden.

Der "intelligent designer" als dappiger Demiurg. Das ist Gnosis. Ob man das in das Gutachten für den "peer-review" schreiben darf?

PS:
Der Demiurg in seinem Vehikel:


Quelle: hier

Noch ein PS:

Natürlich liegt der Fehler in der Argumentation sowohl der Kreationisten als auch des erwähnten Manuskriptes darin, dass (auch implizite) Werturteile ("gutes", "intelligentes", "dämliches", "schlechtes" Design) in der Evolutionsbiologie eigentlich nichts zu suchen haben. Es ist weder "gut" noch "schlecht", dass wir ein vierkammeriges Herz haben. Wir haben es halt. Aus historischen Gründen. Es ist wäre auch nicht "schlecht", wenn morgen die Welt unterginge. Es wäre vielmehr wurscht.) 

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Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

36 Kommentare

  1. Unintelligent Design & Theodizee

    Die Idee des Unintelligent Design würde ich mir aber schnell patentieren lassen, bevor sie dir noch jemand wegschnappt. Kriegst du das vielleicht sogar peer-reviewed publiziert? Wenn nicht, dann probiere es bei Medical Hypotheses. 😉

    Descartes hat die Idee des Stümpers ja bekanntlich durch den Verweis auf die Allgütigkeit Gottes zurückgewiesen (IV. Meditation): Dieses Stümpertum würde er nie zulassen (da er ja nebenbei auch noch allmächtig ist). Geschöpfe wie dein auseinanderfallendes Motorrad führen dann natürlich schnurstracks zum Theodizeeproblem.

    Schöner Beitrag.

  2. @ Schleim

    Ich glaube nicht, dass die Idee patentierbar ist. Und selbst wenn: Nicht nur ich, viele Biologen und Mediziner gehen mit ihr schon lange hausieren.

    Was mich, als philosophischen Laien interessiert ist die Frage, die im zweiten PS anklingt – ob nicht die Rede vom “intelligent” (wahlweise “stupid”) Design ein moralisches Urteil enthält, das eigentlich in einer naturwiss. Erkärung nichts zu suchen hat.

    Stellt sich aber andererseits sofort die Frage, ob wir überhaupt eine evolutionäre Theorie formulieren können, die ohne solche (impliziten) Urteile auskommt. Wenn wir “gut” und “schlecht” immer nur (vermeintlich amoralisch) in Bezug auf den Fortpflanzungserfolg verwenden, dann kommen wir doch zu dem (vielkritisierten tautologischen) Schluss, dass alles, was ist, gut ist, weil es ja (zumindest bis heute) zum Fortpflanzungserfolg beigetragen hat und deshalb eben noch da ist. Was ist, ist. Das ist nicht sehr erhellend.

    Dann sind wir doch rasch bei Leibnizen Theodizee, oder? Alles ist, so wie es ist, ganz gut, selbst wenn es nicht perfekt ist, denn wenn es perfekt wäre, dann könnte es sich auch nicht mehr ändern, und eine Welt, die keine Änderung kennt wäre ebensogut wie keine Welt, also braucht man das ein oder andere Übel (sagen wir mal: Selektion), damit sich das Gute, sich stetig verbessernd, daran abarbeiten kann…

    Letztlich ist mir das alles zu hoch. Mein Bauchgefühl (ich gucke gerade auf ein Portrait von Schopenhauer) sagt mir, dass der Demiurg vielleicht nicht gerade die wissenschaftlichste, aber die gefühlt angemessenste Erklärung der Welt ist.

  3. Re

    Dass dein Beitrag nur zwei PS hat, halte ich für absolutes Understatement!

    Ich stimme dir zu, dass normative Begriffe nichts in den Evolutionstheorien zu suchen haben; beim Problem des intelligenten Schöpfers scheint es sich mir aber um ein anderes zu handeln.

    Es ist schon von Philosophen diskutiert worden, wie etwas Komplexeres aus etwas weniger Komplexem entstehen kann (bsp. Popper). Das Kernargument der ID-Vertreter ist doch, dass manche Organe so unwahrscheinlich sind, dass sie nicht durch bloßen Zufall entstanden sein könnten.

    Ich weiß nicht, an welchen Intelligenzbegriff die denken. Ich glaube aber, dass man dies nicht zu normativ auffassen muss, ebenso wie wir auch ohne große Wertung von “künstlicher Intelligenz” (die kann dümmer oder schlauer sein als wir und um was für eine Art Intelligenz es sich handelt, ist damit nicht gesagt) oder von “intelligenten Außerirdischen” sprechen.

  4. “Dann sind wir doch rasch bei Leibnizen Theodizee, oder? Alles ist, so wie es ist, ganz gut, selbst wenn es nicht perfekt ist, denn wenn es perfekt wäre, dann könnte es sich auch nicht mehr ändern, und eine Welt, die keine Änderung kennt wäre ebensogut wie keine Welt, also braucht man das ein oder andere Übel (sagen wir mal: Selektion), damit sich das Gute, sich stetig verbessernd, daran abarbeiten kann… “

    Eben, aber dass sind dann schon klassisch christliche, nicht ID-artige Reflektionen. Und wie man auch zu solchen Gedanken philosophisch stehen könnte, sie kann man aus der Evolutionstheorie heraus nicht widerlegen. Das Inteligent Design Argument aber, hier hat Stephan ganz Recht, ist ein ganz anderes. Es behauptet eben nur, dass Organismen so beschaffen sind, dass sie in einem einmaligen Schöpfungsakt entstanden sein müssen. Und das ist eine ganz und gar empirische Behauptung, die sich sehr leicht widerlegen lässt. Allgemeine Fragen zu Evolution vs. Schöpfergott sind dann aber schon außerhalb der Reichweite der Biologie.

  5. @ Elmar

    Danke für den Kommentar.

    Aber das sind doch wirklich – zumindest für mein Verständnis – uralte Hüte, so funktioniert doch z.B. die gnostische Metaphysik, oder?

    Meine Sorge ist vielmehr, dass, wenn man das “Pfuscher”-Argument WIDER den Kreatonismus verwendet, man zugleich eine kreationistische Position zugibt – nämlich die, dass der Schluss vom Design auf einen Designer zulässig ist. Und dass man, wie Stephan gerade schrieb, ein “normatives” Argument einführt.

    Andererseits – IST die Selektion nicht “normativ”?

    Ich weiss es nicht.

  6. @ Schleim

    “Das Kernargument der ID-Vertreter ist doch, dass manche Organe so unwahrscheinlich sind, dass sie nicht durch bloßen Zufall entstanden sein könnten.”

    Da kommt dann normalerweise so ein hymnisches Argument wie: “Schaut auf das Auge, dies wunderbare Organ, das nicht funktionieren würde, wenn nicht Linse, Iris, Retina gleichzeitig im harmonischen Zusammenspiel … [usw.]”

    Würd’ mich unter diesen Umständen schon interessieren, wie ein Kreationist mit den alltäglichen Design-Katastrophen umgeht. Es gibt Schätzungen, dass bis zu 80% der befruchteten Eizellen es gar nicht bis zur Implantation packen, weil das Genom so vermurkst ist, dass sie noch nicht mal die ersten Teilungen packen.

    Missbildungen (auch grobe – Anencephalus)sind häufiger, als man denkt (im Prozentbereich).

    Doch, die haben ein Theodizee-Problem, die Kreationisten. Zumindest müssen sie zugeben, dass das Design alles andere als fehlerfrei ist.

  7. Hallo Helmut,

    nu beschwer Dich mal nicht, immerhin musst Du Dich gewissermaßen “nur” mit dem Menschen beschäftigen – im Gegensatz zu mir zum Beispiel.

    Zugegeben, ich dachte beim Lernen auch öfter, dass das doch alles totaler Quatsch sei. Derlei Frustmomente dürfte jeder kennen. Aber kein Anatomie, dann auch kein Tierarzt. So verhält es sich mit allem.

    Welch Dilemma!

  8. @ Schewe

    Ein “Kompendium des konstruktiven Schwachsinns” einmal quer durch’s Tierreich wäre ein hochwillkommenes Antidot zur grassierenden “Oh-wie-herrlich-hat-die-Natur-das-eingerichtet” Duselei.

  9. Über das Chaos philosophieren

    Vielleicht ist die Entropie, der Drang der Materie zum Chaos, ja ein Ausdruck des Bösen in der Welt?

    So gesehen könnten wir uns alle Unvollkommenheiten zum Trotz doch daran erfreuen, dass bestimmte Systeme, wir Lebewesen zum Beispiel, es zumindest zeitweise immer wieder aufs neue Schaffen, dem völligen Zerfall zu widerstehen.

    Und seien wir mal ehrlich: So schlimm ist Sex doch gar nicht. 😉

  10. Ein wirklich anregender Beitrag.

    Es ist weder “gut” noch “schlecht”, dass wir ein vierkammeriges Herz haben. Wir haben es halt.

    Das, was hier im P.S. steht, ist die “wahre” Schlußfolgerung; finde ich. Es gibt keine Intention “für das alles” – es gibt nur einfache Regeln, die für “alle Teilnehmer” gelten. Wenn genügend teilnehmen, gibt es auch “blödsinnige Überkreuzung[en] von Luft und Speisewegen im Schlund”.

    P.S.
    Der Energieerhaltungssatz übrigens ist, solange gültig, ein exquisites Argument gegen intelligent design.

  11. @Stephan Schleim

    Vielleicht ist die Entropie, der Drang der Materie zum Chaos, ja ein Ausdruck des Bösen in der Welt?

    Dann wäre mir auch endlich klar, wieso der Professor der mich die Entropie lehrte bei uns an der Uni auch als “Der Teufel” bekannt ist.

  12. Meine These…

    …resp. meine empirische Erfahrung mit kreationistischen Argumentationsmustern ist eher, dass die meisten Kreationisten ein eher schlichtes Bild von der Biologie haben.

    Für die meisten von denen stellt sich das Problem mit der missglückten (bzw. historisch bedingten – um es mal nicht-normativ zu sagen) Konstruktion von Lebewesen nicht, weil sie davon – wie die Mehrheit der Bundesbürger – schlicht nichts wissen.

    Mein Lieblingsbeispiel ist übrigens der absolut bekloppte Penis der Seepocken, den ein solches Tier im Leben nicht haben dürfte.

  13. intelligentes Beitragsdesign

    Ich möchte an dieser Stelle mal Danke sagen für die unterhaltsamen Beiträge.
    Diese Kombination von sprachlichem Witz und interessanten Inhalten findet man nicht oft!

  14. 😉

    @ Sebastian: 😉 Aber auch dieser Teufel unterliegt der Entropie und wird daher irgendwann nicht mehr bei euch herumspuken.

    @ Lars: Hast du über diesen Seepockenpenis (ist das eigentlich ansteckend?) schon mal gebloggt? Wenn nicht, dann wird es Zeit.

    Oder du hältst uns in Deidesheim einen Vortrag; aber bitte nicht obszön werden. Schließlich sind da auch Damen anwesend!

  15. @ alle

    Ich freue mich über und bedanke mich für das Lob, das der schreiberischen Qualität meines Beitrags galt.

    Ein Problem hab’ ich aber immer noch – ich weiss nicht, was ich in das Gutachten über das Manuskript schreiben soll, ob ich es zur Annahme empfehlen, ablehen oder zur Revision zurückgehen lassen soll.

    Meine Hauptsorge ist wirklich die, ob das ,”umgedrehte kreationistische Argument”, so wie ich es oben vorgestellt habe, wirklich ein wissenschaftlich und logisch zulässiges Argument ist, oder nicht eher eine (schöne!) polemische Argumentationsfigur, ein Stück Eristik…

    Meine Sorge ist, wie schon gesagt, das normative Element, das in Begriffen von “gute” und “schlechtem” Design steckt.

  16. Helmut,

    wenn Du ein derartiges Kompendium angehen möchtest, helfe ich gern. Ansonsten werde ich mich wohl erstmal einem Nashorn-Buch widmen, da gibt es nämlich nicht wirklich Fachliches, das muss geändert werden…

  17. Fundamental Design

    Beim zweiten Modell handelt es sich sicher um den Typ “Märtyrer”. Wird schwierig sein die 72 schwarzäugigen Jungfrauen zum Mitfahren zu überreden.

  18. Intelligent Design

    Aus der Sicht eines Schöpfers ist die Evolution doch das intelligenteste Design: Einmal in Gang setzen und dann Jahrmillionen lang nix mehr tun, zuschauen und chillen. Das Ding läuft von allein und wird nie langweilig!

  19. Wider dem Vielpublizieren

    Ich tendiere klar zum Ablehnen. Grundsätzlich und im Speziellen, weil alternder Wissenschaftler, Anatome besonders, schon an sich schmuck sind und keinen mehr in dieser Form von Artikeln brauchen.

    Wäre der Autor jung, so müsstest Du freilich ablehnen, weil polemische Argumentationsfiguren die Jungen nicht schmückt (leider), rein wissenschaftlich und logisch zulässige Argument sind von denen noch gar nicht zu erwarten sind und wo man diese doch antrifft, sollte man aus Enttäuschung ablehnen.

    In der Blüte stehende Autoren sind das Problem. Immer. Es gibt kaum ein Argument deren Artikel abzulehnen außer, sie vor sich selbst zu schützen.

  20. Designeranfrage

    Ein netter Artikel! Wäre es nicht schön, wenn wir einen lernfähigen Designer unterstellen könnten, bei dem sich das Bedürfnis nach einem anatomischen (und physiologischen) Update einreichen liesse?

  21. @ Dahlem

    Komisch … da steigt so ein ironischer Geruch aus Deinem Kommentar auf…

    🙂

    Dass der Autor (den ich nicht kenne) nicht mehr ganz jung ist, entnahm ich einem Nebensatz, in dem er schrieb, dass er seit 25 Jahren Anatomie unterrichte. Da ich das selbst seit 22 Jahren tue, schloss ich messerscharf (unter Aufbietung all meiner mathematischen Fähigkeiten, i.e. Grundrechenarten), dass der Herr so etwa in meiner Altersklasse sein muss.

    Meine eigentliche Frage steht aber immer noch im Raum: ist das Argument “ex negativo”, das vom “schlechten Design” ein wiss. zulässiges Argument gegen den Kreationismus? Oder muss man nicht vielmehr, um “wissenschaftlich sauber” zu bleiben, so argumentieren, dass man – wie üblich – erklärt, dass es in jedem Falle (gutes oder schlechtes Design hin oder her) sparsamere Erklärungen als den supraempirischen Designer gibt (Okhams Razor)?

  22. @ Grießhammer – lernfähig

    Der lernfähige Designer wäre – weil er ja nicht perfekt ist, und deshalb noch lernen muss – notwendig ein Demiurg, ein WENIGER als allgütiger/allwissender/allmächtiger Gott. Dann sind wir eben wieder bei den Gnostikern, die so einen Gott hatten. Platon hat da, glaub’ ich, auch die Finger drin. Der hat ihm den Namen “Demiurg” gegeben.

    Der zweite (eigentliche) Gott, den die Gnostiker hatten, heisst (hoffentlich erinnere ich das richtig) “Sophia”. Eine Frau. Die ist so richtig allgut und -mächtig. Und die tat in Bezug auf Schöpfung und Weltenbau das klügste, was so ein allmächtiger Gott tun kann: nämlich nichts.

    Naja: nicht ganz nichts. Sie hat den Demiurgen geboren. Und der hat dann die Pfuschwelt gebaut.

    So ganz befriedigend ist das auch nicht..

  23. @Helmut Wicht:

    » Meine Hauptsorge ist wirklich die, ob das ,”umgedrehte kreationistische Argument”, so wie ich es oben vorgestellt habe, wirklich ein wissenschaftlich und logisch zulässiges Argument ist, oder nicht eher eine (schöne!) polemische Argumentationsfigur, ein Stück Eristik… «

    Nach meinem Gefühl eher Letzteres.

    “Intelligent Design” ist keine wissenschaftliche Theorie (sondern eine Frage des Glaubens) und kann demzufolge nicht im Ernst wissenschaftlich diskutiert werden (zumindest nicht in einem Fachblatt). Aber ich hätte kein Problem damit, einen Aufsatz zu lesen, der ID lediglich als Aufhänger benutzt, um über die konstruktiven Merkwürdigkeiten des menschlichen Bauplans zu schreiben.

    Entscheidend ist also, was genau mit dem Artikel beabsichtigt ist (tolle Erkenntnis, was?). Und da scheint es ja so zu sein, dass das Manuskript “die Fahnen der Evolutionslehre im Getümmel der Gefechte mit den Kreationisten hochhält”, wie Du so schön schreibst.

    Also, Daumen runter, und dem Autor empfehlen, die Sache anders zu gewichten.

    Im Übrigen führt eine Argumentation gegen ID ohnehin ins Leere, weil man die Annahme, dass der Designer nur ganz behutsam in den Lauf der Evolution eingegriffen hat (getarnt als Zufallsereignisse), nicht widerlegen kann. Für den modernen IDler ist der Mensch halt mit all seinen Konstruktionsfehlern das gottgewollte Ziel der Evolution (manche reden in diesem Zusammenhang auch vom Homo religiosus ;-).

  24. @ Wicht

    Ich denke, daß ein wie auch immer gearteter Gott in der Natur-Wissenschaft nichts zu suchen hat. Einfach deshalb, weil schon der Alte aus Königsberg seinen knöchernen Finger heben würde. Mag sein, wie Du einmal schriebtest, daß ein jeder eine metaphysische Annahme in sich trägt -oft unausgesprochen. Die kann aber m.M.n. nicht Gegenstand einer natur-wissenschaftlichen Betrachtung sein, da die Empirie fehlt. Wir haben zwar den Pfusch am Bau können aber nicht auf einen Pfuscher schließen, da wir es sonst den ID gleichtun würden -nur mit umgekehrten Vorzeichen.

  25. @ Balanus

    Sorry, aber das ist doch wieder mal diese typische banale Haltung, sich mit etwas nicht zu beschäftigen, weil es sowieso als Unsinn gilt. Man kann aber auch aus einer intellektuellen Beschäftigen mit ID lernen:

    Ich war längere Zeit mit ein paar Professoren in einem interdisziplinären Arbeitskreis und da haben wir auch viel über Zufall und Evolution gesprochen. Man kannt zentrale Annahmen des ID durchaus wissenschaftlich diskutieren und der theoretische Physiker Gunther Schütz vom Forschungszentrum Jülich hat das in unserem Buch “Lebensentstehung und künstliches Leben” auch getan.

    Wie ich oben schon einmal schrieb, ist eine der Annahmen, dass bestimmte bestehende Organismen als so unwahrscheinlich angesehen werden, dass der Zufall diese Geschehnisse nicht erklären kann (es gibt eine bestimmte Unwahrscheinlichkeit, die gilt als so unwahrscheinlich, dass viele davon ausgehen, dass so etwas nicht in der Natur vorkommen kann). Schütz zeigt dann aber, warum die Berechnungen, auf denen dieses ID-Argument basieren, nicht überzeugend sind.

    Wissenschaft bedeutet nicht, zu sagen, dass etwas Käse ist, sondern warum es Löcher hat! 😉

  26. @ ex negativo

    Das Problem in diesem Argument sehe ich darin, dass man schwer eine Schwelle angeben kann, bis zu der Imperfektionen mit der Annahme eines intelligenten Schöpfers vereinbar wären und bei deren Überschreitung die Hypothese empirisch zurückgewiesen werden kann. Würde mich wundern, wenn dazu nicht schon Philosophen publiziert hätten.

    Das eigentliche Problem mit dem Artikel scheint aber doch die fehlende Innovation/Originalität zu sein, zumindest dann, wenn man die Informationen hier zugrunde liegt.

    Wenn sich sonst keine inhaltlichen Fehler in dem Artikel finden lassen, würde ich in den Regularien der Zeitschrift nachschauen und zur Not Rücksprache mit dem Editor halten, ob es in Ordnung ist, einen vielleicht informativen, jedoch weniger innovativen Artikel zu publizieren.

    Es gibt ja beispielsweise auch ein Lehrstück zur These, dass Störche Babys bringen. Daraus kann man viel lernen.

    Höfer, T., Przyrembel, H. & Verleger, S. (2004). New evidence for the Theory of the Stork. Paediatric and Perinatal Epidemiology 18: 88–92.

  27. @ alle

    Danke für Eure Hilfe, vor allem an jene, die mir bei meinem konkreten Review-Problem halfen.

    Klassischer peer-review: ich darf nicht verraten, was ich schrieb. Aber die Stimmen, die ich hier hörte, haben mich in meinem Urteil bestärkt.

  28. @ Wicht

    “Wissenschaft bedeutet nicht, zu sagen, dass etwas Käse ist, sondern warum es Löcher hat!” (Stephan Schleim)

    In diesem Sinne weist der zu prüfende Artikel möglicherweise auf einen Widerspruch, also auf ein Loch, innerhalb der ID-Theorie hin. Es können nicht beide Aussagen gleichzeitig richtig sein:

    a) Der Mensch ist das Ziel der Schöpfung
    b) Der Demiurg ist ein intelligenter Schöpfer

    Um den Widerspruch zu erkennen muss man das schöpfungsleitende Interesse des Demiurgen berücksichtigen. Ich kann hier nur skizzenhaft zeigen was ich damit meinen könnte.

    1) NSU (Bild 1)
    Und der Demiurg sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut

    Der Demiurg ist selbst nicht im Bild zu sehen. Er ist vermutlich in dauerhafter, kontemplativer Betrachtung seines Werkes versunken.

    2) Die Welt (ohne Abbildung)
    Und der Demiurg sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr lustig

    Der Demiurg möchte vielleicht nur gut unterhalten werden. Alles was in der Welt geschieht ist “großes Kino”. Dieses Ziel setzt geradezu eine unvollkommene Anatomie der Akteure voraus.

    3) Nutzfahrzeug bzw. -welt (Bild 2)
    Und der Demiurg benutzte alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr brauchbar

    Abgefallene Teile werden nicht liegengelassen, sondern aufgesammelt und wieder verbaut. Nicht unbedingt an der ursprünglichen Stelle und in alter Funktion (Evolution)!

    Im Fall 1) trifft b) zu, a) ist falsch. Der sich zufällig entwickelnde Pilzbefall (homo sapiens) nach längerer Standzeit der NSU ist nicht das Ziel der Schöpfung.

    Im Fall 2) kann der Mensch nicht das Ziel der Schöpfung sein, falls der Demiurg intelligent ist. Es muss Weiterentwicklung geben. Wiederholungen sind irgendwann nicht mehr lustig

    Im Fall 3) Das Ziel der Schöpfung ist auch hier nicht der Mensch. Menschliche Innovationen, wie die Entwicklung effizienter Verbrennungsmotoren, werden zwar dankend im Kosmos integriert, sind aber nur Mittel zum Zweck. Das Ziel der Schöpfung liegt außerhalb derselben.

    Wenn die ID-Theorie auf eine der Aussagen a) oder b) verzichtet, wäre zumindest ein Loch verschwunden, der Rest könnte immer noch Käse sein.

    Ich rate zur positiven Begutachtung und Veröffentlichung des Anatomie-Artikels.

  29. @Stephan Schleim

    » Sorry, aber das ist doch wieder mal diese typische banale Haltung, sich mit etwas nicht zu beschäftigen, weil es sowieso als Unsinn gilt. «

    Nicht, weil es “sowieso als Unsinn gilt”, sondern weil es sich erwiesen hat, dass es Unsinn ist.

    » Man kann aber auch aus einer intellektuellen Beschäftigen mit ID lernen: «

    Ist bereits passiert. Das Ergebnis: siehe oben.

    In einem Buch kann man praktisch alles diskutieren. Durch das peer-review-Verfahren der Fachzeitschriften ist aber der Gutachter in einer Mitverantwortung, und da kann ich sehr gut nachvollziehen, dass Helmut Wicht bei der Begutachtung dieser Arbeit in einen Konflikt geriet.

    Mir selbst wäre die Entscheidung keineswegs leicht gefallen, da ich einerseits niemandem vorschreiben möchte, was er publizieren darf, andererseits aber schon Grenzen ziehen möchte, um dem wissenschaftlichen Anspruch (der Zeitschrift, des Autors, des Gutachters) gerecht zu werden.

  30. @ Balanus: selbst denken hilft

    Nicht, weil es “sowieso als Unsinn gilt”, sondern weil es sich erwiesen hat, dass es Unsinn ist.

    Schön, vielleicht reicht es dir, wenn jemand das sagt. Ich will jedenfalls selbst wissen, warum das so ist.

    Dazu hast du keinen Beitrag geliefert. Es ist sicher auch nicht die Funktion von Wissenschaftsblogs, Beiträge der Form: “X sagt, dass Y falsch ist, also muss Y falsch sein” zu schreiben; jedenfalls nicht in meiner Vorstellung.

    In einem Buch kann man praktisch alles diskutieren.

    Ja, das ist schon schlimm manchmal, so viel Freiheit…

    Im Übrigen haben wir die Beiträge des Buchs Lebensentstehung im gegenseitigen Peer Review veröffentlicht; und das waren immerhin vier Professoren und ein Querdenker.

  31. Dass es mit der Welt nicht zum Besten steht, ist schon im 13. Jahrhundert König Alfonso von Kastilien aufgefallen; welcher meinte, wenn auch die Himmelskörper, nicht die Menschenkörper im Blick: “Wenn unser Herrgott mich bei der Erschaffung der Welt befragt hätte, würde ich größere Einfachheit empfohlen haben.” Das gilt natürlich auch für unsere Anatomie, und mancher, der durch eine verschluckte Erdnuss zu Tode gekommen ist, würde ihm sicherlich zustimmen, wenn er noch könnte. Leibniz hingegen war der Ansicht, wir lebten in der besten aller möglichen Welten. Eine Welt also, in der sich der menschliche Atemtrakt nicht mit dem Speiseweg kreuzt, wäre also durch andere Übel kontaminiert, von denen sich nur Gott, nicht aber König Alfons und wahrscheinlich nicht einmal der Blogautor ein angemessenes Bild machen könnten. Diese Welt wäre von solchen Schrecken durchdrungen, dass wir den schnellen Erdnusstod herbeisehnen würden.

  32. @ Helmut Wicht

    Meine eigentliche Frage steht aber immer noch im Raum: ist das Argument “ex negativo”, das vom “schlechten Design” ein wiss. zulässiges Argument gegen den Kreationismus?

    Die Frage dahinter ist: “ist es erlaubt”, daß sich etwas zum Optimum entwickelt, oder muß es, qua genese (mit dem ersten “Erscheinen”), bereits optimal an sich sein?

    Für einen überzeugten Kreationisten stellt es wahrscheinlich kein Problem dar, daß die Erschaffung des Universums Zeit in Anspruch genommen hat. Der Jüngste Tag ist ja auch eindeutig ein Phänomen “nach einer bestimmten Zeit”, Zeit, derer sich offenbar auch der schöpfende Geist bedient.

    Die Frage ist nun, ob und wieviel Zeit zum Debuggen draufging.

  33. @Stephan Schleim

    » Schön, vielleicht reicht es dir, wenn jemand das sagt. Ich will jedenfalls selbst wissen, warum das so ist. «

    Dann solltest Du Dich aber dafür interessieren, was andere diesbezüglich bereits herausgefunden haben.

    » Im Übrigen haben wir die Beiträge des Buchs Lebensentstehung im gegenseitigen Peer Review veröffentlicht; und das waren immerhin vier Professoren und ein Querdenker. «

    Damit kein Missverständnis aufkommt: Ich kritisiere keineswegs, dass Professor Dr. Schütz sich mit Blick auf die Vorstellungen des ID mit der Frage der Wahrscheinlichkeit bestimmter Zufallsereignisse beschäftigt hat, im Gegenteil, ich lese derartiges, sofern es meinen Horizont nicht übersteigt, ausgesprochen gern.

    Und wenn dabei nicht das zentrale Anliegen die Widerlegung von ID ist, kann ich mir solch einen Artikel auch in einem Fachjournal vorstellen.

    Beste Grüße an den Querdenker 🙂

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