Im Reich der Najaden (oder: wahnsinnig schön)

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Naja – den Wortwitz gleich zum Auftakt bitte ich mir nachzusehen. Aber die Geschichten aus dem Reich der Quellnymphen – die man auch Najaden heisst – sind so wortverdreht schräg, so irrsinnig schön, dass man sie wohl auch mit einem Wortspiel einleiten kann.

(Arnold Böcklin: Das Spiel der Najaden)

Naja – denn mal los. Najaden sind Quell- und Fluss- und Wassergeister, stets weiblich, stets jung und stets, versteht sich, wunderschön. Sie gehören zu einer großen Sippschaft von weiblichen Natur-Halbgottheiten, die man als Nymphen bezeichnet. Wir müssen gar nicht bis ins klassische Altertum und zu den mittelmeerischen Ländern hinabsteigen, um diese Damen kennen zu lernen: Auch das finstere Germanien hat seine Nymphen. Die berühmteste ist sicher die des Rheines, die Loreley. Aber auch an der Quelle der Donau, am blaubeurischen Blautopf, da haust die schöne Lau, was schon wegen der vielen alliterierenden "au-au-au’s" eine ganz wunderschöne Sache ist.

(Carl Joseph Begas: Die Loreley)

Allerdings – au, au, au – diese Damen sind nicht ganz ohne. Die antiken nicht, und die germanischen auch nicht. Wehe dem Menschen – Mann vor allem – der einer Nymphe angesichtig wird! Ärger noch, wenn er sie singen hört, derweil sie ihr goldenes Haar kämmt. Er verfällt dem Wahnsinn, vergisst Zeit und Raum und Wirklichkeit …

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin,
Ein Märchen aus uralten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt,
Im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar,
Ihr gold’nes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar,
Sie kämmt es mit goldenem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewalt’ge Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe,
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh’.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn,
Und das hat mit ihrem Singen,
Die Loreley getan.

Natürlich. Heinrich Heine. 1822. Das musste jetzt kommen, deutscher geht’s nimmer. (i)

Ich schweife gerade ganz furchtbar ab. Denn eigentlich sollte dies – ich hab’s nur bislang unterlassen, es zu erklären – ein anatomischer Blogbeitrag werden. Also nix über Nixen (was ein anderes Wort für Najaden ist), sondern vielmehr etwas über das "lymphatische System".

Ja, na denn los. Mit einer Zwischenüberschrift.

Lymphe, Nymphe, Wahnsinnsgefässe und Tobsuchtsknoten

Eine Nymphe bewacht die Lymphe, und "Lymphe" ist nichts weiter als ein poetisches (lateinisches) Wort für "klares Wasser" oder "Quellwasser" (ii). So. Und wenn nun ein Mann eine Nymphe, die bei der Lymphe sitzt, sieht, dann wird er wahnsinnig (s.o.). Weswegen das lateinische Adjektiv "lymphaticus" genau das bedeutet: "wahnsinnig, tobsüchtig". (iii)

Lymphe – und jetzt kommen wir endlich in die Anatomie – ist aber auch die Bezeichnung für die wasserklare, ganz leicht klebrige Flüssigkeit, die sich in den Geweben, zwischen den Zellen findet. Normalerweise bekommt man dieses "Gewebswasser" nicht zu Gesicht. Aber wenn man eine Brandblase hat – und wer hatte noch keine – dann kennt man es. Der Inhalt dieser Blasen – das ist Lymphe.

Dem Transport und der Zirkulation dieser Flüssigkeit – denn sie kreist im Leibe, bleibt nicht vor Ort, und wenn, dann ist das schlecht, Stichwort "Lymphödem" – dem Transport der Lymphe ist ein ganzes Gefässsystem gewidmet, nämlich die "Vasa lymphatica" und die darin eingelassenen "Nodi lymphatici", die Lymphknoten.

"Lymphaticus" (s.o.) heisst aber "wahnsinnig". Mit anderen Worten: Unser Leib ist von "Wahnsinnsgefässen" und "Tobsuchtsknoten" durchzogen.

Das ist hübsch irrsinnig. Endlich haben’s auch die Anatomen gemerkt, und haben in der letzten Revision der "Terminologia anatomica" (iv) das Adjektiv "lymphaticus" durchgängig durch "lymphoideus" ersetzt, was soviel wie "der Lymphe ähnlich" heisst.

Schade eigentlich. Denn so kommt die Anatomie um einen – zugegebenermassen skurrilen – Witz. Und man kann sich ja auch fragen, ob die jetzt neugewonnenen "lymphähnlichen Knoten" und "lymphartigen Gefässe" wirklich ein Gewinn sind. Denn eigentlich ist das ja auch blödsinnig: da ist Lymphe drin, aber Knoten und Gefäss selbst sind keineswegs "lymphartig". Wasser selbst ist flüssig, und "wässrige Gefässe", in denen man es aufbewahren könnte, sind Unsinn.

Historisches und Pathologisches

Sie merken schon: eine systematische, hochgelahrte anatomische Darstellung des lymphatischen Systems ist von diesem Blogbeitrag nicht zu erwarten. Das würde auch den Rahmen sprengen. Ich mach’ mir (und hoffentlich auch Ihnen) lieber das Vergnügen, noch ein paar Anekdoten, skurrile und grauslige Geschichten, ein bisschen was Historisches und zum Schluss noch etwas ganz Wunderschönes aus meiner unsortierten lymphatischen Anekdotenkiste heraus zu kramen. Womöglich, wenn Sie und ich Glück haben, ergibt sich dann zwischen den Zeilen doch so etwas wie eine Schau des Systems und seiner Funktionen.


Thomas Bartholin (1616-1680) gilt als Entdecker der Lymphgefässe. Zumindest war er der erste, der sie als zusammenhängendes System auffasste. Die Lymphgefässe zu finden ist gar nicht so einfach. Die kleineren – in der Peripherie des Leibes – sind hauchzart, fast durchsichtig. Um sie zu sehen zu bekommen, muss man irgend etwas injizieren, das sie füllt und hervorhebt. Man nahm Quecksilber. Das ist flüssig und schwer, das kann man einem Leichnam in die grossen Lymphgefässe injizieren, und es sackt dann in die kleinen hinab, bläht sie, und macht sie sichtbar.

(Lymphmann aus dem Josephinum, Wien)

Was man dann zu sehen bekommt, ist einigermassen erstaunlich – das obige Bild zeigt ein Wachsmodell, das die Befunde nachahmt. Fast überall im Körper finden sich die blind beginnenden Vasa lymphoidea (gelblich). Vielerorts – zum Beispiel in der Leistengegend – sind erbsen- bis bohnengrosse, solide Verdickungen in diese Gefässbäume eingelassen: die Nodi lymphoidei.


 
Wozu das System gut ist, offenbart sich, wenn es nicht funktioniert. Es gibt da einen parasitischen Fadenwurm, Wuchereria bancrofti, dessen Larven die Lymphgefässe verstopfen. Er wird durch Insektenstiche übertragen. Das Gewebswasser – das in den Kapillarbetten stets aus dem Blut austritt, und das normalerweise via der blind im Gewebe beginnenden Lymphgefässe wieder eingesammelt und in die Venen zurückgeführt wird, daher auch der Ausdruck "Saugadern" für die Lymphgefässe – das Gewebswasser staut sich und es gibt ein monströses Lymphödem. Elefantiasis.

Dafür sind also die Lymphgefässe da. Aber wozu dienen die Knoten, die in sie eingelassen sind?

Die Alten hielten sie für Drüsen. Sie sehen auch ein wenig so aus: ein etwas schwammig-griesiges Gewebe, von einer dünnen Kapsel umschlossen. Lymphdrüsen nannte man sie. Es sind aber gar keine Drüsen, zumindest nicht in dem Sinne, dass sie in nennenswertem Masse Hormone oder sonstige Sekrete nach innen abgäben. Vielmehr haben sie mit dem Immunsystem zu tun, das z.B. bei Infektionen aktiv wird.

Dass Infektion und Lymphe eng zusammenhängen – das wussten freilich schon die Alten. Und erfanden diesen herrlichen Schüttelreim, der uns schon wieder in’s Reich der Najaden, zum ewigen Lockruf des Weibes und des Sexus führt:

"Scherzt Du mit dem dreisten Lieschen / schmerzen Dir die Leistendrüs’chen…"

Das ist Ulcus molle, der weiche Schanker, eine bakterielle Geschlechtskrankheit, die bei damit infizierten Frauen oft symptomlos bleibt. Bei Männern aber entzünden sich die regionären Lymphknoten, die die Lymphe des Penis zusammen mit den Bakterien, die in seine Haut eingedrungen sind, abführen – und das sind eben die Leistenlymphknoten. Hinreichend unschöne Bilder zu diesen Thema findet man im Netz. Ich belass’ es bei dem schrägen Schüttelreim.

Der Nachthimmel über dem Najadenreich

Nach all den obigen Pathologica wird es Zeit für ein paar Poetica. Und die haben die Nodi lymphoidei durchaus zu bieten: Sie sind Orte der Poesie und der Poiesis, wobei das letzte Wort im Sprachgebrauch der Medizin soviel wie "Bildung", "Herausbildung" oder "Bereitstellung" heisst.

In den Lymphknoten bilden sich nämlich die Immunzellen heraus, die mit der Abwehr einer aktuellen Infektion beschäftigt sind. Die Lymphknoten sind voll von Zellen, die erstmal so aussehen:

Wenig spektakulär. Viele, viele kleine Zellen, dicht gepackt, dunkler Zellkern, die meisten sehen gleich aus. Man nennt sie Lymphozyten. Einige von denen – die sogenannten B-Lymphozyten – werden, wenn sie auf ein (bakterielles oder sonstiges) Antigen treffen, das halbwegs zu ihren Oberflächenrezeptoren passt, zu wilden Teilungsaktionen angeregt. Sie vermehren sich wie die Karnickel. Ihre "Absicht" (wenn den Zellen Absichten haben können…) ist es, zu Plasmazellen zu werden. Das sind Zellen, die gamma-Immunglobuline, die allbekannten Antikörper also, produzieren, die an die eingedrungenen Antigene binden, sie so unschädlich machen oder "markieren", so dass andere Zellen des Immunsystems sie erkennen und angreifen können.

Die Plasmazellen sind hübsch. Aber ziemlich klein, vielleicht so 10 bis 15 µm. Weswegen man ihre Details im Lichtmikroskop nur mal gerade noch so auflösen kann. Oben ist eine zu sehen, bei 1000-facher Vergrösserung photographiert. Auf den Zellkern kommt’s an, das dunkelviolette Gebilde, das von dem schmalen, etwas zerfransten, rötlichen Cytoplasmasaum umgeben wird. Der Kern hat eine ganz typische Struktur – er sieht aus wie ein altmodisches Ochsenkarrenrad. In der Mitte – die Nabe – das ist der Nucleolus, das Kernkörperchen, und drumherum liegen dicke, derbe, plumpe Speichen, die die Verbindung zum Radkranz – das ist die Kernmembran – darstellen. "Radspeichenkern" sagen die Anatomen dann. Gut. Das ist noch keine Poesie, aber immerhin eine schöne, bildhafte Bezeichnung.

Diese Plasmazellen werden, wie gesagt, in den Lymphknoten (und anderen lymphatischen Organen) geboren, die "Plasmocytopoiesis" findet dort statt. Aber sie bleiben nicht da, sie wandern aus. De facto sind sie in Schleimhäuten und in lockeren Bindegeweben leichter zu finden, als im Lymphknoten selbst. Die oben gezeigte stammt aus der Schleimhaut der Luftröhre.

Aber die Kinderstube der Plasmazellen im Lymphknoten, die können wir uns ansehen.

Das ist ein Lymphfollikel in einem Lymphknoten. Im Zentrum – dem "Reaktionszentrum" – sind die Zellen ein wenig weniger dicht gepackt als in den Randbereichen. Dies Zentrum ist die Kinderstube. (Was die Kringel hervorheben, erkläre ich weiter unten). Hier entstehen also aus den undifferenzierten B-Lymphozyten nach Antigenkontakt die Plasmazellen – und zwar, wie gesagt, indem sich eine durch den Erstantigenkontakt stimulierte B-Stammzelle wie verrückt teilt. Die Zellen, die so entstehen, heissen Zentrozyten. Das ist die Masse der Zellen, die man in dem Reaktionszentrum sieht. Sie haben noch keinen Radspeichenkern.

Diese Zentrozyten – es sind letzlich Klone, die auf eine stimulierte B-Zelle zurückgehen – teilen sich aber nicht nur, sie spielen auch noch Roulette. Russisches Roulette, wie sich gleich herausstellen wird.

Im Zuge der Vermehrung durch Mitosen nämlich veranstalten die Zentrozyten mit dem Stück DNS, das für den Antikörper codiert, den sie später produzieren werden, eine muntere Mutagenese, ein verspieltes Durcheinanderwerfen der Basen. Mit dem Resultat, dass einige von ihnen Antikörper produzieren, die sehr gut und immer besser zu dem Antigen passen, dem ihre Mutterzelle zuerst begegnete, die anderen aber schlechter passende. Diese ihre Produkte, die Antikörper, zeigen sie dann an der Zelloberfläche vor.

Aber wehe! In dieser verspielten Kinderstube des Najadenreiches geht es ausgesprochen autoritär, ja, totalitär, ja, grausam zu. Diejenigen lieben Kleinen, die Antikörper produzieren, die nicht recht passen wollen, werden in den Zelltod, den Selbstmord, die Apoptose getrieben.

Eine Kinderstube voller Leichen – das macht sich nicht gut. Man braucht einen kompetenten Bestatter. Und, voila, da ist er:

Ein Makrophag, eine "Grossfresszelle". Sein Zellkern ist – untypisch für einen Makrophagen übrigens – gross und hell mit deutlichem Kernkörperchen, und in seinem Zytoplasma (Pfeile) sieht man die Kinderleichen – das sind die Trümmer der Zellkerne der apoptotischen Zentrozyten, die er aufgefressen hat. Ein Kinderfresser.

Die Anatomie aber hat diesen "ortsständigen Makrophagen" des lymphatischen Systems einen wahnsinnig schönen Namen gegeben, einen der schönsten, den es in der ganzen Zellenlehre gibt.

Schauen Sie nochmal auf das vorletzte Bild – die Übersicht über die Kinderstube. Mit ein wenig Phantasie kann man da auch einen dicht besterntes Firmament sehen, jede der vielen kleinen Zellen ein funzeliges Fixsternchen. Die Makrophagen hab’ ich mit weissen Kringeln hervorgehoben. Weil sie so gross sind, und so einen breiten Plasmasaum haben, stechen sie aus dem Sternenmeer heraus, wie grosse Sonnen, die die kleinen benachbarten Sterne überstrahlen, stehen am Firmament wie Sirius, Beteigeuze und Rigel…

Weswegen die Anatomen diesen gefrässigen Herrschern des dunklen Himmels über der finsteren Kinderstube im Najadenreich den Namen

Sternenhimmelmakrophagen

gegeben haben.

Und nur, um dieses poetische Wort hinschreiben zu können, hab’ ich den ganzen Sums geschrieben. Gut’ Nacht. Schlafen Sie gut. Träumen Sie schön. Von nackten Najaden oder Kinderfressern, wie’s beliebt. Die Anatomie bietet alles.

Fussnoten:

(i) Ich muss, immer wenn ich die "Loreley" lese, an die Odyssee denken. Da hat doch der Odysseus ein ähnliches Erlebnis mit den Sirenen, übersteht es aber wohlbehalten, weil er so klug war, Vorrichtungen zu treffen. Er verstopfte seiner Rudermannschaft die Ohren und liess sich selber an den Mast binden, so dass er die Lockrufe ins Verderben wohl hörte, ihnen wohl auch gerne sehnsuchtsvoll gefolgt wäre, es aber nicht vermochte. Das ist griechisch, das ist klug. Deutsch ist’s, wenn man sehnsuchtsvoll in Verderben rudert. Bravo.

(ii) "Nuda superfusis tingamus corpora lymphis!" (Ovid. Metamorphosen, II, 459) "Die nackenden Körper wollen wir mit überfliessenden Wassern benetzen!" So (sprach)stilvoll taten die Alten nacktbaden!

(iii) Siehe J. Hyrtl (1880) Onomatologia anatomica, Verlag von Wilhelm Braumüller, Wien

(iv) Terminologia anatomica (1998). Hrsg: FACT (Federative Commitee on Anatomical Terminology) verlegt bei Thieme, Stuttgart und New York

(v) Die meisten Lymphgefässe des Körpers fliessen zum sog. Brustmilchgang, dem Ductus thoracicus, zusammen. Der liegt zwischen Speiseröhre und Wirbelsäule im Brustkorb und ist leicht zu finden. Wenn man nun den mit Quecksilber injiziert und den Leichnam kopfüber oder kopfunter aufhängt, sackt das Quecksilber in die feinen Lymphgefässe des Ober- bzw. Unterkörpers hinein. Dann kann man zum Messer greifen, und beginnen, sie zu präparieren. Es muss nicht immer Quecksilber sein. Die alten Anatomen waren extrem erfinderisch, was die Zubereitung solcher Injektionsflüssigkeiten – auch aushärtender – angeht.

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Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

5 Kommentare

  1. Die Entzauberung der Welt

    Sehr interessant! Hatte Edgar Ellen Poe in seinem “Sonett an die Wissenschaft” am Ende unrecht und die Najaden wurden von der Wissenschaft nicht verjagt, sondern vereinnahmt?

    O Wissenschaft! Du Sproß der Greisin Zeit,
    Vor dessen Späherblick nichts sicher ist!
    Du Geier, fluglahm vor der Wirklichkeit,
    Was spürst du nach dem Dichter so voll List?
    Wie sollte er – wenn schon du weise bist –
    Dich lieben, die ihm seine Wanderung,
    Mit der er Sternengegenden durchmißt,
    Mißgönnt und seinen adlergleichen Schwung?

    Vertriebst du nicht die Götterliebespaare?
    Aus Fluß und Hain die Nymphen und Najaden,
    Daß sie sich flüchteten ins Unsichtbare?

    Verscheuchtest du nicht von den Wiesenpfaden
    Die Elfen – und von mir den Sommertraum
    Des Mittags unterm Tamarindenbaum?

  2. @ Mona

    Was für ein schönes Gedicht – das von Poe. Da schwingt die Trauer über die “Entzauberung der Natur” mit …

    Stimmt schon: manchmal, ihn ihren poetischen Momenten, sind die Naturwissenschaften “rückverzaubernd”. Und gerade dann, wenn sie das tun, finde ich ich sie _be_zaubernd. Weil sie dann, spielerisch, die Grenzen zwischen Natur, Wissenschaft und Poesie überwindet, weil das alte Analogieprinzip wider zur Geltung kommt. Und diese zauberischen Momente in der Anatomie herauszupicken, das hab’ ich mir vorgesetzt.

    Esoterik ist das freilich nicht. Der Mikrokosmos der Kinderstube der Plasmazellen ist nicht dem Makrokosmos der Sonnen im Universum und dem Mythenreich der Najaden gleich. Aber es macht Spass, die Bilder aus dem einen in den anderen Kosmos zu tragen. Und, wie ich finde: es macht auch wissenschaftliche Erklärungen “süffiger”. Heiter lernt sich’s leichter, und wenn ich über den Tobsuchtsknoten lachen kann, dann merk’ ich mir seine Anatomie auch besser.

  3. Donauquelle

    Ulrich Erhardt – bei Twitter – hat zu recht geschimpft: der Blautopf mit der Lau in Blaubeuren ist Quell der Blau und nicht der Donau.

    Das war geographisch dumm von mir, aber auch literarisch: denn das Flüsschen Blau bringt noch ein weiteres “au” für die Alliterationskette mit.

    Auauauauau – ein “au” aus Ignoranz verschenkt.

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