Geologisch handeln
BLOG: Anatomisches Allerlei

Ich soll helfen, im Senckenberg-Museum zu Frankfurt am Main eine Ausstellung einzurichten. Das ist ein naturhistorisches Museum. Mit einer sehr imposanten Fassade. Ganz oben auf dem Giebel steht die Herrscherfigur des grausen Chronos, des Gottes der Zeit – Sense, Sanduhr: Alles da.
(das Bild stammt von Frau Mankel, zu diesem und anderen Bildern von ihr geht es hier)
Untendrunter, unter dem Museum, ist ein Tiefspeicher. Ein U-Bahn Schacht. Drei Stockwerke unter der Erde. Ohne U-Bahn allerdings, die geplante Linie wurde nie in Betrieb genommen. Die Stadt hat den Schacht dem Museum vermacht, als Magazin, so dass die Resultate der Erdgeschichte, die man dem Boden entriss, sich jetzt dort unterirdisch wieder versammelt haben.
Sehr nett. Ich krauche also im Magazin herum, suche Exponate zusammen, derweil Silur, Devon, Karbon, Perm (usw.), derweil also Paläontologica aus Äonen aus den Regalen auf mich herabschauen. Zwei Paletten voller Exponate (bleischwer) hab’ ich schon zusammengetragen. Die müssen hoch, in die Ausstellungsräume.
Vor drei Wochen war aber der Aufzug kaputt.
Reklamiert.
Vor zwei Wochen war der Aufzug immer noch kaputt.
Reklamiert.
Letzte Woche war der Aufzug auch noch kaputt.
Reklamiert.
Heute war der Aufzug kaputt.
Ich wurde zornig.
"Weisst Du", sagte der Kollege, mit dem zusammen ich die Ausstellung vorbereite (und guckte dabei verträumt auf einen versteinerten antediluvialen Dachschädler), "weisst Du – das ist ein naturhistorisches Museum. Hier muss man bei allen musealen Abläufen lernen, in geologischen Zeiträumen zu denken."
Das hat mich sehr beruhigt, denn ich hab’ mir vorgenommen, fürderhin auch in geologischen Zeiträumen zu handeln. Paläontologica und Fossilisation – das ist Prokrastination auf allerhöchstem Niveau. Vielleicht sollt’ ich mich als Exponat, und nicht als Exponator engagieren. Würd’ mir liegen.
Als ich vorhin unverrichteter Dinge vom Museum wegfuhr, da war mir, als ob mir Chronos vom Giebel hinterherwinkte.
—
Fussnote: Die Geschichte ist literarisch aufgehübscht, der Satire zuliebe. Da unten ist z.B. kein Dachschädler, die wirklich alten Fossilien sind in einem anderen Magazin. Wir stöbern da unten nach Feuchtpräparaten. Aber der Aufzug ist tatsächlich kaputt.
Besser nicht beschweren
Am Ende stellt ein Quadratschädel bei der formalen Abwicklung der Aufzugreparatur noch fest, dass er gegen irgendwelche Brandschutzbestimmungen verstößt (ich denke da etwa an den Turm der Deutschen Nationalbibliothek) und das ganze Teil dicht gemacht werden muss… 😉
Sense, Sanduhr- alles da. Nicht ganz. Mir ist als fehle ihm eine Hose…
@ Schewe
“Mir ist als fehle ihm eine Hose…”
Den Gott der Zeit der Hos’ berauben,
das kann der Künstler sich erlauben.
Denn auch der Blogger tippt und – zack –
schon ist der Relativsatz nackt.
Das Komma zwischen Chronos’ Beinen
sollt’ nämlich vor dem “als” erscheinen…
scnr
Helmut
Interessant wäre in diesem Zusammenhang, welches geologische Ereignis den Fahrstuhl überhaupt kaputt gemacht hat. Möglicherweise die Eruption des Laacher Sees vor 12000 Jahren? Auf jeden Fall solltest du die Hoffnung nicht aufgeben, dass das gute Stück noch im aktuellen Wilson-Zyklus repariert wird… ^^
Das Komma zwischen Chronos’ Beinen
Lieber Helmut,
nur meine Anerkennung und Vergnügen beim Lesen Deiner Beiträge auszudrücken – das schien mir eines Kommentars bisher nie würdig genug. Schließlich sollen Diskussionen bereichert und eventuell neue entfacht werden; aber alles mir wichtig Erscheinende wurde stets schon von Dir in ein unverbesserliches Kunstwerk gemeißelt.
Jetzt muss ich es doch tun: Kein wertvoller Beitrag, einfach nur eine Liebeserklärung an Deinen Humor und Schlagfertigkeit, einem Schmunzeln – ausgedrückt in einem nett gemeinten Kommentar – noch eine Krone aufzusetzen. Und womit? Einem Gedicht…
Ich bin gespannt, wo Du in meiner Lobhudelei das ein oder andere Komma zwischen Chronos’ Beinen anzunähen oder abzusägen gedenkst!
Beste Grüße!
@ Mortimer
“Lobhudelei”
Ich finde auf die Schnelle
keine Stelle,
wo ein Komma zu klauen,
(oder einzubauen)
die Grammatik gebeut.
So kann ich nur sagen:
Das Lob hat mich gefreut.
Sehr.
Danke.
Petition “Mehr Wichtige Beiträge”
Hiermit unterzeichne ich die Petition “Wir wollen wieder mehr Beiträge von Helmut Wicht”.
Stephan Schleim
Yep
Super Idee, Stefan. Melde mich hiermit als Zweitunterzeichner deiner hervorragenden Petitionsinitiative “Mehr Wichtige Beiträge”. Man könnte über einen etwas radikaleren Titel nachdenken, z.B. “Mehr Wichtige Beiträge jetzt und sofort”.
Helmut Wicht versteht es wirklich mit dem Blog-Craving seiner treuen Leser zu spielen …
@ Schleim @Hoppe
Ich bedanke mich für Eure aufmunternden Worte.
Leide aber gerade an einer Schreibblockade, die eigentlich, wie ich zugeben muss, die Folge einer Denkblockade ist. Keine Lust, über irgendwas genauer nachzudenken. Ich funktioniere momentan mehr so reflexhaft.
Was das seelische Wohlbefinden angeht, ist das übrigens kein übler Zustand. “I have become comfortably numb.” (Pink Floyd)
Mal sehen, wie lange sich das hält…
Gezeichnet.
Ich unterschreibe hiermit auch. Hab ich Dir ja auch schon vor über einen Jahr geschrieben! Jetzt müssen wir halt mit diesem Skandal an die Öffentlichkeit. Wer macht eine ePetition, Lars?