Dinge, die ich heute tat

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Heute tat ich das da

photographieren. Beschäftigen tut es mich und einen meiner HiWis, den cand. med. Andreas Rohe, freilich schon länger. Zwei Manntage, schätze ich, stecken in dieser Präparation, und natürlich stecken auch die vielen tausend Tage des alten Mannes darin, dem diese obere Thoraxapertur einst gehörte.1

Wir haben diese Präparation gemacht, weil es bei uns in Frankfurt Usus ist, die Anatomie dreizuteilen: Kopf und Hals, Bewegungsapparat, innere Organe. Jeder Abschnitt in einem eigenen Semester. “Abschnitt” ist sehr wörtlich zu nehmen, denn die Logik der Präparation will es, dass wir die Köpfe abschneiden (um sie leichter drehen und wenden zu können und auch, um einige mitsamt Hals mittig durchzusägen). Abschneiden tut man die Köpfe auf der Höhe der oberen Thoraxapertur, also der Öffnung des Brustkorbes zu dem Halseingeweiden hin – und dabei senst man alles das mitten durch, was hier liebevoll freipräpariert ist. Aber wir wollten das eben mal “am Stück” beschauen. Vor allem aber “am Stück” präparieren, denn das hatte ich in 23 Jahren Anatomie noch nie gemacht.

“Liebevoll” habe ich die Präparation gennant, und sie ist es wirklich. Die Freilegung dieser Strukturen ist ein zärtliches Geschäft, man streichelt sie mehr aus dem Bindegewebe und dem Fett heraus, als dass man sie herausschneidet.

Natürlich kommt hier und da auch die Rippenschere (sieht verflixt aus wie eine Geflügelschere) zum Einsatz. Und auch die Exartikulation des Schlüsselbeines in seinem Gelenk zum Brustbein ist ein Akt schierer Gewalt – aber meistenteils sind es wirklich Streicheleinheiten, die man dem Präparat verpasst. Mit stumpfen Scheren, die man spreizt, trennt man die Strukturen voneinander, mit dem stumpfen Rücken des Skalpells folgt man ihnen durchs Bindgewebe. Zum Messer greift man eigentlich nur, um das Fett und Bindegewebe, das man gelockert hat, von den nun freigelegten Strukturen abzuschneiden. Schneiden tut man stets nur da, wo man sieht, was man tut, “unter Sicht”. “Gebohrt”, “gesucht” wird streichelnd. Gut: Das Wort “streichelnd” für dies Vorgehen habe ich erfunden. Die Anatomen nennen’s “stumpfe” Präparation.

Das Präparat ist kein wirkliches “Heldenstück” der Anatomie, die Altvorderen konnten das besser und hätten die Zeit gehabt, das alles noch viel schöner zu machen, hätten auch noch die letzten Fett- und Bindegewebsfitzel entfernt. Aber zum einen sind der Herr Rohe und ich ja auch noch nicht fertig, und zum anderen waren wir doch recht stolz, nicht allzuviel kaputt gemacht zu haben. Denn bei aller “stumpfen” Präparation – die Gegend ist delikat. Weil es, wie man sieht (selbst wenn ich hier nicht auf’s Detail eingehe), weil es in der Gegend der oberen Thoraxapertur und des Halses “drunter und drüber” geht. Mehr als anderswo im Leib laufen hier die Gefäss-Nervenstrassen und die grossen Organ”strecken” kreuz und quer, über- und untereinander.

Man kann das nur ganz schlecht “explorativ” präparieren (also: “bohren und mal gucken, was man findet”), man muss das (wenn man nicht sehr viel mehr Zeit hineinstecken will) “demonstrativ” präparieren. Man muss wissen, was man sucht, was vor oder hinter was in welcher Richtung verläuft. Man muss ein dreidimensionales Bild der Sache im Kopf haben, muss wissen, welche Strukturen man freilegen will. Und ein Bild dieser verzwickten Gegend im Kopf gehabt zu haben: darauf sind der Herr Rohe und ich ein wenig stolz.

Als ich dann heute morgen die Lesebrille (die ich mittlerweile brauche, um so Kleinkram wie den Truncus thyreocervicalis zu präpararieren) abnahm, und mir den Situs der oberen Thoraxapertur in toto ansah, da hatte ich zwei, einander eigentlich widerstreitende Assoziationen.

Zum einen sah ich etwas baumartiges, zutiefst Organisches: Die grossen Venen vor allem, die obendrauf liegen, und deren mächtiger Stamm (die Vena cava superior) sich zum Kopf und den Armen hin symmetrisch verzweigt .. ein Lebensbaum, Stamm und Äste eines mächtigen Lebensbaumes.2

Andererseits – all dieses Hin und Her, diese rechtwinklig sich kreuzenden Strukturen seitlich am Hals: Technoid. Irgendwie wirkte es wie Technik auf mich, und ich musste von Ferne an Gigers Aliens und seine sonstigen Fusionswesen aus Mechanik und Organik denken.

Was ich mit diesem Blog-Eintrag gesagt haben will? Gar nichts. Ausser, dass ich einen schönen Beruf habe.

Fussnoten:

1 ..um ehrlich zu sein: ich habe das Photo machen lassen. Von unserem Präparator, Herrm Grduszak, der eine Kamera zur Hand hatte. Danke.

2 Der offensichtliche Schnitt in der linken Vena brachiocephalica ist kein Kunstfehler. Wir haben den gemacht, um sie nach links wegklappen zu können, damit wir an die darunterliegende Arteria subclavia gelangen konnten.

 

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Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

13 Kommentare

  1. Was ich mit diesem Blog-Eintrag gesagt haben will? Gar nichts. Ausser, dass ich einen schönen Beruf habe.

    Na, da bin ich aber froh, daß MIR der Mut zur Häßlichkeit nicht fehlt. 😉

  2. @ Huhn

    Sorry, Martin, auch DU siehst inwendig so aus. Bunter und glänzender, ja, zugegeben, die Fixierung mit Formalin und Alkohol macht das alles so fahlfarben und stumpf.

    Sicherlich: Beauty rests in the eye of the observer. Zudem habe ich ja nicht behauptet, dass das Präparat schön sei, sondern dass mein Beruf es sei. Ausserdem es macht wohl wirklich einen Unterschied in der ästhetischen Wahrnehmung, ob man etwas selbst gemacht hat, oder ob man es als “ready-made” vorgelegt bekommt.

    Nochmal: die Befriedigung (um nicht schon wieder von Schönheit zu reden) lag darin, es gut gemacht zu haben: gut in dem Sinne, dass meinen Zwecken (der Besichtigung des Situs) diente. Und dass es “wahr” ist, in dem Sinne, dass wir nichts Wesentliches kaputtgemacht, “weggelogen” haben.

    Aber wahrscheinlich hast Du dennoch recht: das WahreSchöneGute ist nicht notwendig eines.

  3. Kondensmilch

    Kondensiert: “Die Befriedigung lag darin, es gut gemacht zu haben: gut in dem Sinne, dass (es) meinen Zwecken diente”

    Damit ist das Problematische allen Wühlens aka Forschens gut beschrieben:

    Dass es den Zwecken des Forschenden dient und nicht etwa einem (einschränkenden) Ethos (FSK) folgte, der der Tätigkeit, der man sich freiwillig verschrieben hat, an sich innewohnt. Sonst wäre ja der Forschende nicht frei, und die Freiheit der Forschung gilt als gewichtiges Gut, was offensichtlich ein fataler Irrtum ist, während andererseits eine dogmatische Einschränkung der Forschung nicht weniger absurd erschiene (im Gegenteil?). Es ist ein Catch 22.

    Wobei ich, um Mißverständnissen vorzubeugen, betonen möchte, dass ich anatomische Präparationen wie die hier vorgestellte nicht in den beängsigend dunklen, maroden Keller der Erkenntnissuche einordnen würde.

  4. Interessant. Ich versuch mal, als medizinischer Laie mit ein wenig Interessae an Anatomie, die Dinge zu identifizieren, die man da so sieht. Allerdings hab ich das Fachvokabular nicht parat, weshalb ich bei den Begriffen bleibe, die unter Nichtfachleuten verbreitet sind.
    Das, was sich auf der linken Seite so Baumartig verzweigt, dürfte die Lunge sein, oder zumindest ein Teil davon. Dabei kann ich dem grösseren runden Gebilde am linken Bildrand allerdings keine Bedeutung zuordnen.
    Das Grosse Teil am rechten Bildrand ist vermutlich der Magen, der noch an der Speiseröhre hängt. Da wo die Speiseröhre in den Magen mündet ist aussen eine durchgeschnittene Arterie zu sehen.
    Das eher gelbe Teil in der Mitte halte ich für die Schilddrüse, wobei ich aber nicht weis, ob die wirklich so gros ist.
    Da drüber das Gebilde am oberen Bildrand müsste demnach irgendwo im Kopf sitzen, vermutlich hinter dem Unterkiefer.
    Dann müssten die beiden Halsschlagadern (von denen ich zufällig weis, das sie bei Fachleuten A.Carotis heissen) und die zugehörigen Venen irgendwo dabei sein. Die kann ich jetzt aber nicht zuordnen.
    Mehr fällt mir dazu jetzt auch nicht ein. Jetzt bliebe die Frage, in wie weit ich mit meinen Vermutungen richtig liege?

    Also insgesamt wäre es nicht schlecht, wenn Sie das Bild noch mal mit Beschriftungen dazu stellen würden.

  5. @ Hans

    Danke für Ihr Interesse.

    Das fiese an der Anatomie ist, dass sie eben doch nicht selbsterklärend ist – und Sie liegen mit fast allen Ihren Interpretationen daneben. Nur soviel: das “sich baumartig Verzweigende” sind grosse Venen, nicht die Lungen (die Lungenspitzen sind die blau-schwarz-braunen “Klumpen” am unteren Bildrand) und vom Magen sind wir noch SEHR weit weg.

    Leider find’ ich auf die Schnelle kein brauchbares, dem Laien zumutbares (d.h. auf Deutsch beschriftetes) Bild dieser Gegend.

    Und meines nun zu beschriften, hab’ ich keine rechte Lust. Vielleicht dann, wenn ich wirklich mal was zur Antomie dieser Region erzählen will. Hier ging es mir um den Spass an der anatomischen Freud.

    Wenn Sie aber Spass an der Sache und an einem Rätsel haben: Machen Sie sich doch selber auf die (Internet-)Suche. In meinem Bild sind zwei Venen zu sehen, die man mitunter als die “namenlosen Venen” bezeichnet.

    Wo?

  6. @Hans

    Ich glaube, dass Du da einiges falsch zugeordnet hast. Was Du für die Lunge gehalten hast, sind sicherlich nur Blutgefäße, die über der Lunge liegen. Die Lunge selbst wurde ja nicht bewegt und nicht geöffnet. Und das, was für Dich der “Magen” ist, ist bloß Haut, die nach oben weggeklappt ist. Die Speiseröhre geht nämlich nicht vom Herzen nach oben zum Magen. Das ist auch “nur” ein Blutgefäß – allerdings eines der wichtigsten, deshalb ist es so groß. Der Magen ist auf diesem Bild gar nicht zu sehen, er wäre weiter unten. Die Lungen sind die dunklen Gebilde links und rechts am unteren Bildrand. Ich bin allerdings auch bloß Laie.

  7. @ Wicht

    Zudem habe ich ja nicht behauptet, dass das Präparat schön sei, sondern dass mein Beruf es sei.

    Ja, genau das meinte ich ja. Während Du Dich dem schönen Beruf des Anatoms widmen kannst, begnüge ich mich mit dem Häßlichen bei Spektrum. 😉

  8. @Wicht

    Danke für die Aufklärung. Ich hab’s ja befürchtet, dass ich ich ziemlich daneben liegen würde.

    Leider find’ ich auf die Schnelle kein brauchbares, dem Laien zumutbares (d.h. auf Deutsch beschriftetes) Bild dieser Gegend.

    Und meines nun zu beschriften, hab’ ich keine rechte Lust.

    Dann lassen Sie das doch von einem Ihrer Studenten machen. 🙂

    Und was Ihr Rätsel angeht, so werde ich mal in meinen Büchern gucken, ob ich die Lösung da irgendwo finde.

  9. Gemenge und Gemische

    “Zum einen sah ich etwas baumartiges, zutiefst Organisches
    […]
    Andererseits – all dieses Hin und Her, diese rechtwinklig sich kreuzenden Strukturen seitlich am Hals: Technoid.”

    Der Anblick des Bildes weckt in mir unmittelbar weder die eine noch die andere Assoziation. Auch Symmetrie lässt sich eher vermuten, denn erkennen. Vielmehr wurde ich an einen Begriff erinnert, den ich von Michel Serres gelernt habe: rhizomatisch.

    Michel Serres, Die fünf Sinne – Eine Philosophie der Gemenge und Gemische.

  10. @ Joker

    Die grossen oberflächlichen Venen sind doch recht symmetrisch, oder?

    “Rhizomatisch” (“wurzelig-verworren”?) ist ein schönes Wort, und in das Buch will ich gerne mal hineinschauen. Danke.

  11. Arteria innominata

    Die Arteria innominata gibt für gewöhnlich keine Äste ab dennoch ist ein schmaler Ast zum kaudalen Anteil der Glandula thyroidea (Arteria thyroidea ima) und Äste zum Thymus zu erwähnen, die bei einer Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) lebensbedrohlich einbluten kann.
    Der Zusammenfluss der Vena jugularis interna mit der Schlüsselbeinvene Vena subclavia zur Vena brachiocephalica (Syn. Vena anonyma) am Brusteingang hinter dem Schlüsselbein wird als Venenwinkel bezeichnet
    http://flexikon.doccheck.com/de/Arteria_anonyma

    Wirklich gelungene Präparation, ist Ihnen aufgefallen, das bei Andreas nur ein n im Nachname fehlt um ein Rohen zu sein? Johannes W. Rohen bei Schattauer. Wir sollten ein Institutswerk herstellen sonst verschwindet das Erbe Tamas Sebesteny mit seinen tollen Präparatoren. Wollte Herr Deller und Herr Oehlschläger nicht Dauerpräparate?

  12. @ Drdoliddle

    Danke.

    Ich war mir wirklichn nicht mehr eins, ob nun der namenlose Name nür für die beiden Venae brachiocephalicae oder auch für den arteriellen Truncus brachiocephalicus verwendet wird.

    Dem Herrn Rohe fehlt wirklich nur ein “n” zum Rohen. Aber er will Chirurg, udn nicht Anatom werden (*seufz*). Im übrigen hat, soweit ich weiss, (überwiegend) nicht der Prof. Rohen, sondern der Herr Yokochi die wunderbaren Präparate in dem Photoatlas gemacht.

  13. Das Schicksal der Anatomie, genauso wie das der Rechtsmedizin, ist ihre stiefmütterliche Behandlung durch die Hochschulen/Universitätskliniken/Gesellschaft/Politik usw.

    Beiden Fächern wird durch die Nicht-Gewährung der Bezahlung nach TV-Ärzte ein guter Teil an fähigem ärztlichem Nachwuchs bzw. auch Nachwuchs mit klinischer Erfahrung vorenthalten. Es gibt viele hervorragenden nicht-ärztlichen Anatomen, aber auch klinisch-praktische Erfahrung ist wichtig für die Anatomie. Wäre Anatomie besser bezahlt und würde diese nicht über kurz oder lang ausgehungert, hätte ich es ernsthafter innErwägung gezogen, als ich es dann tatsächlich getan hatte.

    Es ist ein sehr schönes Präparat. Einerseits weil ich die darein gesteckte Arbeit einschätzen kann (ich war lange studentische Hilfskraft in der Anatomie), aber auch weil das eine klinisch interssante Region für mich ist.

    Viele Grüße
    Jens Hansen

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