De nihilo

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Das ist jetzt frech: von nichts eine Ahnung haben, aber über das Nichts schreiben wollen. Die Geburt der Tragödie: eine Unterhaltung mit Christian Hoppe, hier im Blog. Bei der Gelegenheit habe ich festgestellt, dass das "Nichts" ein spannendes Thema ist. Und dass es nichts – na, sagen wir mal: weniges, oder zumindest nicht viel, was mir bekannt wäre – dazu zu lesen gibt. Allerdings hab' ich auch, wie schon gesagt, wenig Ahnung und keine richtige Literaturrecherche betrieben. Also, faul wie ich bin, dacht' ich: schreib' ich mal einen Blogbeitrag. Vielleicht kann ich ja Leute anlocken, die Ahnung haben und mich auf die entscheidende Literatur verweisen.

Was weiss ich vom "Nichts"? Dass Parmenides meinte, dass es nicht sei. Und dass Heidegger seine Tätigkeit, wenn sie schon nicht "sein" kann, als "nichten" bezeichnete. Das Sein ist. Das Nichts nichtet. Bin ich jetzt schlauer? Nicht wirklich.

Lassen wir das Nichts für den Moment mal sein und/oder nichten, stellen wir die Frage, ob es ist oder nicht ist, mal hintenan. Lassen wir es in der Schwebe. Wenn ich also im folgenden schreibe "das Nichts ist". oder "es gibt nichts", dann will ich damit keine Existenzaussagen machen – ich will von Konzepten, von Ideen reden.

Im Gespräch mit einem Theologen hier in Frankfurt – Professor Trocholepczy – hab' ich den Unterschied zwischen dem "Ni(hi)l permissivum" und dem "Nil absolutum" kennen gelernt. Holla! Es gibt also sogar verschiedene Arten von "Nichtsen"! Das "permissivum" ist so eine Art von "warmem Nichts", zwar ist (noch) nichts, aber es könnte jederzeit etwas werden. Ein Nichts, das immerhin die Möglichkeit des Seins in sich trägt. Also doch nicht ganz leer ist. Vielleicht so etwas wie ein "Feld" aus der (Quanten)physik. Das "absolutum" ist das "kalte Nichts". Keine Chance, keine Möglichkeit, nichts. Das Vakuum, das die Natur perhorresziert – nequaquam vacuum, nirgendwo ist Leere.

Die Stanford Encyclopedia of Philosophy trägt unter dem Eintrag "nothingness" aber einen logischen Einwand gegen die Theorie der verschiedenen "Nichtse" vor. Es kann, so heisst es da, nur ein Nichts geben (wenn es das Nichts überhaupt "gibt", s.o.). Denn wenn das Nichts eine "leere Menge" ist, dann hat es keine Attribute, keine Inhalte, die es erlauben würden, verschiedene Nichtse zu unterscheiden. Prinzip der Ununterscheidbarkeit des Identischen, auf die Identität der Leere angewendet. Logisch sauber. Aber wenn die Physiker nun doch an verschiedenen Orten in der Welt Löcher, Vakua fänden, in denen einfach nichts ist, noch nicht mal ein Feld – was dann? Hätten wir dann viele Nichtse mit verschiedenen Koordinaten? Ist die Koordinate ein Bestandteil der leeren Menge? Hat ein Emmentaler ein Loch oder viele?

An dieser Stelle kommt man natürlich nicht drum herum, einen Abzweig zum grandiosen Abhandlung von Kurt Tucholsky über die soziologische Psychologie der Löcher anzulegen. Ich will aber nicht ins Feuilleton (ausnahmsweise mal nicht), ich will in die Philosophie. Als ich nämlich über die offensichtliche A-logik der multiplen Nichtse nachdachte, da frug ich mich auf einmal, mit welchem Recht wir die Prinzipien der Logik auf das "Nichts" anwenden. Es könnte ja sein, so dachte ich mir, dass es gerade DAS ist: das Nichts könnte a-logisch sein. Und vor meinem inneren Auge erstand ein ganzer Zoo von Nichtsen. Eines, in dem die Logik einfach umgedreht ist, in dem zum Beispiel der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht gilt. Dieses Nichts wimmelt von eckigen Kreisen und vierschenkligen Dreiecken. Eines, in dem der Satz vom Grund nicht gilt: in ihm macht es dauernd "poff", und irgendwas erscheint ex nihilo, und wieder "poff", und es ist spur- und folgenlos weg. Es macht zumindest Spass, sich diese Nichtse vorzustellen.

Natürlich, so dacht' ich mir weiter, ist auch die Negation der Logik eine Logik. Das "Nil a-logicum" darf die Spielregeln nicht einfach auf den Kopf stellen, darf nicht einfach ein Spiegelbild sein – es darf gar keine Spielregeln haben. Noch nicht einmal die Regel: "es gibt keine Regel" darf gelten. Anything goes. Nothing goes. Gleichzeitig und am selben Ort. Nein, natürlich nicht: nirgendwo und nie jemals, denn Zeit und Raum haben im Nichts nichts zu suchen. Oder doch? Wir wollten doch keine Regeln, auch keine negativen: also überall und immer.

Schick! Ich habe ein Nichts. In ihm passiert überall gleichzeitig nie jemals irgendwo etwas nicht oder immer doch.

Mir gruselt es ein wenig vor diesem Nichts, vor allem, weil ich fast glaube, dass ich nicht das "Nichts" sondern das "Sein" entdeckt habe.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

40 Kommentare

  1. Sein, Nichts, Wirklichkeit

    Dann stelle ich die Frage – als ernst gemeinte Frage – gemeinerweise auch hier … Ist das Nichts eine Wirklichkeit? Ist Wirklichkeit ein Oberbegriff von Sein und Nichts? Wie käme dem Nichts Wirklichkeit zu? Oder zerbricht die Vorstellung von einem Nichts am Begriff/an der Frage nach der Wirklichkeit (was ich vermute)?

  2. @Hoppe

    Das “Nichts” dürfte jetzt aber klar umrissen sein. Es ist “das Loch”, welches den Schaum der Möglichkeiten in sich trägt. Also ein warmes Loch -ui, ui -da werden manche Erinnerungen wach. 🙂
    Vielleicht wäre es gut, dem halb verschlossenen Loch mehr Respekt zu zollen. Wenn etwas Neues entstehen soll, so muß man sich in das Loch hineinversetzen. Manche Löcher verweigern sich aber und das ist gut so. Aber schwer ist das schon, wenn die Löcher nichts sagen und man(n) auf Rätselraten angewiesen ist. Na ja -das muß jetzt mit viel Humor aufgefaßt werden!

  3. @ Hoppe

    Das ist genau die Frage, die ich mir auch stelle. Wenn ich den Parmenides recht verstehe, argumentiert er so wie Sie: das nichts KANN nicht sein, es “zerbricht” (schön!) an der schieren Tatsache, dass etwas ist, und wo das “Nichts” ein Teil der Wirklichkeit ist (mein “nil permissivum”), da ist es immer schon etwas, und nicht nichts.

    Und ja, ich versuche mich hier an etwas irrwitzigem: einer “Niholodizee”, einer Rechtfertigung des Nichts angesichts des Seins. Ich kann dem Nichts also schlecht “Wirklichkeit” zugestehen, weil das (da würd’ ich Ihnen folgen) eines der zentralen Seinskriterien ist.

    Der Ausweg, den ich momentan suche, ist mein “Nichts” irgendwie so zu positionieren, dass das “Sein” nicht an es heranreicht. Warum soll es logischen Kriterien unterworfen sein? Warum soll es nicht so “existieren”, wie ein schwarzer Schimmel – als Oxymoron? Warum soll es nicht der Raum sein, in dem sich nichts um “Wirklichkeit” schert? In dem “Sein” nicht die allerabstrakteste, umfassendste Kategorie ist, die alles umgreift, sondern in dem “Sein” ein belangloses, lästiges Attribut ist, sozusagen der ansteckende Fusspilz, der Aussatz, der manchen Bewohnern dieses Nichts anhaftet (weswegen sie aus ihm vertrieben werden, bis sie geheilt sind). Es gibt so unendlich viele Unmöglichkeiten: könnten sie nicht mein Nichts bevölkern?

    Das Nichts – kann man es unter den Begriff der “Wirklichkeit” zwingen? Tut man es, geht es kaputt. Es IST dann ja auf einmal. Letztendlich läuft es doch dann auf die Frage hinaus, ob man vom Ausserweltlichen und -wirklichen überhaupt reden kann. Kann man natürlich nicht, denn sowie man davon redet, ist’s ja wirklich. Nicht als materielles Objekt natürlich, aber selbst das übelste Oxymoron (“vierschenkliges Dreieck”) hat begriffliche Wirklichkeit, selbst wenn man es sich nicht vorstellen kann.

    Das ist nun aber – wenn ich mich hier mal weiter als Advocatus nihili aufspielen darf – ziemlich gemein gegenüber meinem Mandanten. Er hat ja gar keine Chance. Sowie man das Wort “Sein” in den Mund nimmt – schon ist er seiner schuldig (hö!). Retten wir ihn mit Heidegger? Lassen wir ihn “nichten”?

    Nö, “nichten” ist blöd. Ich weiss nicht, was das sein soll (schon wieder in die Seins-Falle getappt…). Lieber dem “Sein” auf die Finger klopfen und darauf hinweisen, dass es zwar die allerumfassenste, aber auch die bedeutungsloseste Kategorie ist, die wir haben. So bedeutungslos, dass sie keine Distinktionsmerkmale besitzt und daher von nichts unterschieden werden kann…

  4. Ich sehe das so, dass die Bedeutung des -nichts- von dem Umgebung abhängt, in der es benutzt wird. Wenn untersucht wird, ob eine Brieftasche nichts enthält, also leer ist, dann ist sie auch leer im Sinne der Untersuchung, wenn sie Luft enthält. Wenn bei einem homöopathischen Produkt gefragt wird ob es den Wirkstoff oder nichts enthält, dann ist der Wirkstopp für einen Homöopathen auch dann da, wenn kein Atom des Wirkstoffes nach Verdünnung mehr enthalten ist. Alles eine Frage des Glaubens und der Fantasie.

  5. @ Hilsebein

    Dietmar,

    das ist jetzt aber gemein, aus meinem schönen “Nil permissivum” ein “Foramen generativum” zu machen, um’s mal vornehm zu formulieren.

    Anderseits ist’s mir um _dieses_ Nichts nicht schade. Es ist ja gar keines, wie Du und der Christian zu recht anmerken.

  6. Eigentlich ist dem ja NICHTS hinzuzufügen (und wenn das dann wieder weggenommen wird? Was dann?).

    Damit “Nichts” existiert, müßte man erstmal eine Unterscheidung treffen. Aber welche Unterscheidung determiniert das “Nichts”? Darüber muss ich nach Feierabend mal genauer grübeln….

  7. @ adenosine

    Brieftaschenbeispiel

    Dann wäre das “Nichts” aber tatächlich das Gegenteil von dem, was man gerade als “Sein/Seinend” definiert hat, mithin also nicht in diesem Begriff vom Sein enthalten, sondern dessen Negation.

    MIR gefällt das – dem Herrn Hoppe, glaub’ ich, weniger. Spannende Frage … ist “Sein” ein Definitionssache? Oder eine nicht hintergehbare Tatsache?

  8. @ Wicht

    “Sein” ein Definitionssache?”

    Dann muß erlaubt *sein* zu fragen, wer oder was den Begriff Definition definiert. Und ab da befinden wir uns im Münchhausentrilemma. Das ist wieder von “oben” gedacht und bringt herzlich wenig. Es ist wichtig, so meine ich, immer unsere Begriffe mit einer sinnlichen Wahrnehmung zu koppeln (->Kant) Wenn ich also auf der Brücke stehe und in den Abgrund sehe, dann mag ich mich vll. daran berauschen können, aber irgendwann geht man halt weiter, weil das Stieren in den Abgrund auf Dauer auch nicht be-fried-igt.

  9. Nachtrag @ Wicht

    Ei -der liebe Thomas. Ein äußerst genialer Jünger Jesu! Im Grunde hat er Kant vorweggenommen! Denn er hatte zwar den Begriff, aber er glaubte nicht. Er wollte eine sinnliche Wahrnehmung -die Hände in die Wunden legen. In die Wunden legen? Den Finger in die Wunde legen mag schmerzen, aber es ist die einzige Möglichkeit, um zur Erkenntnis zu gelangen!

  10. Aporie

    Die Frage nach dem NICHTS ist eine Aporie.
    Aporien sind philosophische Probleme, die auf Grund eines in sich selbst liegenden Widerspruchs unlösbar sind.

    Denn: Wenn es das NICHTS gibt; dann gibt es doch etwas – nämlich das NICHTS.

  11. “Etwas” reden über “nichts”????

    Kann man denn überhaupt darüber reden – über das Nichts?

    Denn dann wäre das Nichts doch etwas, nämlich worüber man reden kann…..
    …worüber man Nachdenken kann…

    Ich behaupte daher, dass wir nicht in der Lage sind, sich das “Nichts” vorzustellen, so wie wir auch nicht in der Lage sind an “Nichts” zu denken….

    Hmm….irgendwie landet man bei dieser Geschichte im Zirkelschluss???? Oder?

    Oder vielleicht in kurzschlüssigen Gedanken?…..

    Ach ja, es gab – so glaube ich mal eine Fernsehsendung, welche versuchte das schwäbische Wort “Ebbes” zu erklären. So richtig hat das auch nicht geklappt, denn es stand einfach für alles….. Ist vielleicht Nichts das Gegenteil von Ebbes?

  12. Nachtrag 2 @ Wicht

    Alles, was wir das Natürliche, Materielle nennen, ist nur Symbol und Gleichnis für innere Zustände!

  13. @ Kaufmann

    “Das ist lustig hier, führt aber wohl zu nichts.”

    Wenn’s zum Nichts führte, würde ich es als einen grossen Erfolg ansehen

  14. @ Hilsebein, Begriff und Anschauung

    Ja, auch Freund Schopenhauer ist da auf Deiner Seite:

    “…denn eben Begriffe erhalten alle Bedeutung, allen Inhalt, allein aus ihrer Beziehung auf anschauliche Vorstellungen, aus denen sie abstrahirt, abgezogen, d.h. durch Fallenlassen alles Unwesentlichen gebildet worden; daher, wenn ihnen
    die Unterlage der Anschauung entzogen wird, sie leer und nichtig sind. Anschauungen hingegen haben an sich selbst unmittelbare und sehr große Bedeutung…”

    Ich aber nicht. Denn es gibt sehr wohl Begriffe (die schon mehrfach angeführten Oxymora, die Absurditäten, die ich so liebe), die niemals Gegenstand der Anschauung werden können. Sie sind aber deshalb nicht wertlos. Vielleicht sind sie, um im Allegorischen zu bleiben, flüchtige Besucher aus jenem Kosmos des Nicht-Seins, dem ich nachträume.

  15. @ Wölfelschneider – Distinktionen

    “Aber welche Unterscheidung determiniert das “Nichts”?”

    Eben!

    Aber genau andersherum – auf das “Sein” bezogen – wird ein Schuh ‘draus. Das parmenidisch/hoppesche Argument vom allumfassenden Sein, das dem Nichts keinen Raum lässt, funktioniert nur deshalb, weil ihr “Sein” eine Kategorie ist, diekeine Unterscheidung mehr zulässt. Sie umfasst einfach alles. Wäre mal interessant, dazu einen Mengen-Theoretiker zu hören – ist das nicht die berüchtigte “Menge aller Mengen”, die sich selbst enthält? Ist nicht das “Sein” selbst ein Oxymoron?

  16. @ Wicht

    Dann ist Welt dasjenige, was den Widerspruch in sich ertragen muß. Lieber Helmut: Irgendeinen Sinn muß ich aber gebrauchen, um etwas wissen zu können -auch wenn es eben nicht die fünf Sinne sind!

  17. Nachtrag @ Wicht

    Es ist der Schmerz, der im Widerspruch liegt. Und der Mensch kann beim Schmerz nicht stehen bleiben.

  18. @ Hilsebein

    Dietmar,

    ich glaube, dass unsere generellen Denkbewegungen momentan in ganz verschiedene Richtungen laufen. Du, als alter Nitzscheaner, müsstest mich doch eigentlich intuitiv verstehen: Es geht mir gar nicht darum, “Boden unter die Füsse” zu bekommen. Ich will auf’s dünne Eis und mich um Kopf und Kragen denken. Nicht fest gegründet zu stehen ist das Ziel, sondern bodenloses Fallen.

    Man muss ja nicht gleich in Turin Kutschengäule küssen, aber in die Richtung geht’s schon.

  19. @ Wicht

    “Man muss ja nicht gleich in Turin Kutschengäule küssen, aber in die Richtung geht’s schon.”

    Echt? Du willst wahnsinnig werden? Achso nein -Der Kuß des Gauls ist Deine Sache nicht. Du bist doch schon auf hoher See und willst nicht an Land? Doch jetzt verstehe ich: du willst abwärts und auf dem Grunde des Seins träumend liegen. Hm -darüber kann ich nicht nachdenken. Aber reizvoll ist das schon. Du liegst dort, über dir die Blasen, die emporsteigen und glitzernd bricht sich das Licht in Meereswogen.

  20. Vielleicht liegt das Problem ja in der Substantivierung. Das Nichts anstatt nichts. Denn in unserer Sprache hat “das Nichts” keine Bedeutung, “nichts” aber sehr wohl, wie adenosine anmerkte.

  21. Gewaltiger Beitrag,

    lieber Helmut; ich nehme ihn als Beweis dafür, dass es etwas gibt und nicht nichts.

    Aber warum gibt es überhaupt etwas und nicht nichts?

    Könnte doch auch sein, oder nicht?

    Noch eine skeptische Frage: Was wissen wir, wenn wir wissen, was “nichts” ist. Nichts? Dann ab ins Klo damit.

  22. @ Stefan

    Das Lob des Profis freut den Laien um so mehr.

    Nimm’ mich bitte aber, bei aller Spielerei, bei allen (Sprach)spiegelfechtereien, die ich anzettele, nicht ganz unernst: es ist mir ernst. Das “Nichts” ist mir eine wertvolle Option – denn mein Traum vom “Sein” ist wirklich ein Zustand, in dem man sein KANN, es aber nicht muss. Von daher fühl’ ich mich in Christian Hoppes Seins- udn Gottesbegriff “eingesperrt”, mir ist da unwohl.

    Und ich würd’ mich ergo auch nicht fragen, “Wieso nicht nichts sei”. Ich würd’ lieber fragen: “Wie macht man das Nichts? Wie überschreitet man die Grenze?” Hin und her, vor und zurück am liebsten…

  23. Sein – fast Nichts

    Mir fällt auf, dass der von mir vorgeschlagene Angang vom unmittelbaren Erleben der Gegenwart her (vgl. zazen) selten nachvollzogen wird – muss man ja auch nicht, aber meine Überlegungen bleiben dann sicher un-/missverständlich.

    “Von daher fühl’ ich mich in Christian Hoppes Seins- und Gottesbegriff “eingesperrt”, mir ist da unwohl.”

    Herr Wicht: Vom Jetzt her kommend, würden Sie das niemals so sagen! Jetzt ist “überwältigende Fülle”, “offene Weite, nichts von heilig” (Bi Yän Lu) und doch “fast nichts” – so verstehe ich auch “Nirvana”, “Leere” usw. (Form ist Leere, Leere ist Form/Herz-Sûtra). Auch der “Himmel” ist ja “leer” und “fast nichts”.

    “Sein” und “etwas sein” ist ein himmelweiter Unterschied – nur für letzteres könnte ich Ihr Unwohlgefühl allerbestens nachempfinden.

    Es ist übrigens interssant, wie eine gedachte Absurdität – das vierschenklige Dreieck – allein dadurch, dass sie gedacht wird, schon gar nicht mehr so absurd erscheint.

  24. @ Hoppe Sein – fast nichts

    Ja, natürlich, ich hab’ ja mittlerweile, so hoffe ich, verstanden. “Etwas sein” – das ist das Seiende, “Sein” – das ist das Prinzip, die Wirkmacht, die Aktualitas, der Herrgott.

    Ich kann mich leider nicht auf die Offenbarung des meditativen Erlebens berufen – sie ward mir nicht zuteil. Die einzige Chance, die ich habe, ist meinen Intellekt so zu strapazieren, dass er in’s Straucheln kommt, in der Hoffnung, dass er eben im Stürzen das fängt, was stehend nicht zu greifen ist.

    Ich bleibe vorerst – wobei ich hoffe, dass ich keinen Gegenbeweis überlesen habe – bei meiner doppelten Kritik des “Seins”. Als Kategorie erscheint es mir wertlos, weil sie keine Distinktionsmerkmale trägt. Alles ist. Das ist wahr, aber auch überaus trivial, und es sagt daher (bizarrerweise): nichts.

    Das “Sein” als “Wirkprinzip” zu würdigen – da bleibt mir doch nur, es am Seienden zu messen, das es hervorbringt. Das “reine Sein” ist mir so fremd wie jede andere, von den Physikern beschriebene Naturkraft. Ja, ich kann das Newtonsche Gravitationsgesetz als Formel zu Kenntnis nehmen, aber es wird mir ganz rätselhaft bleiben worum es da geht, wenn ich nicht EINMAL die Schwere an mir erlebt, einen Fall durchlitten habe.

    Und wenn ich das “Sein” am “Seienden” messe, dann – ‘tschuldigung – komme ich zu der Einsicht, dass dies der falsche Film ist, um “Erlösungsbedarf” mal salopp zu formulieren.

    Mit anderen Worten: gesucht wird das Jenseits. Nicht das “Jenseits vom Seienden”. Nein. Radikaler: “das Jenseits vom Sein”. In Ihrem Sinne müsste sich das lesen wie reine Blasphemie: “Gott hinter den Rücken gucken”. In meinem Sinne – glauben Sie mir – ist es der Dienst an einer Gottheit, die ich noch nicht kenne.

  25. “”Gott hinter den Rücken gucken”. In meinem Sinne – glauben Sie mir – ist es der Dienst an einer Gottheit, die ich noch nicht kenne.”

    Nö. Das ist bloße Spekulation -darüber können wir *nichts* wissen und das ist gut so! Ich für meinen Teil muß an Königsberg denken. Interessanter ist die Frage: “Was ist der Mensch, daß DU seiner gedenkst?”

  26. @ Hilsebein

    Dietmar,

    bloss weil Kant der Vernunft ihre Grenzen abgesteckt hat, heisst das ja nicht, dass sie bis in alle Ewigkeit darin eingesperrt sein muss.

    Dass sie ein Unternehmen ist, das darauf zielt, seine Grenzen zu übersteigen, hat er ja selbst konzidiert. Und davon, WAS die Grenzen der Vernunft sind, hat er – gelinde gesagt – eine nur zeithistorisch bedingte Ahnung gehabt. Was ER für die Grenzlinie von Vernunft und Unvernunft hielt, ist längst verrutscht. In der Physik sowieso (hier purzelt die “Anschaulichkeit” von Zeiten und Räumen, auf die er so grossen Wert legte) und die ästhetischen Grenzen, die einer vernünftigen Betrachtung gezogen sind, haben sich enorm erweitert.

    Man stelle sich Kant bei der Betrachtung eines surrealen Gemäldes oder bei der Lektüre eines Dada-Gedichtes vor, um sich klar zu machen, was ich meine.

    Und endlich: wenn man die Vernunft in einen Käfig sperrt, dann ist es eben die Unvernunft, die zur Eroberung der Räume ausserhalb des Käfigs ausgeschickt werden muss.

    Das “Nichts”, ich sagte es schon, könnte a-logisch und unvernünftig sein.

    sarkastisches PS.: Das “Sein” ist es sowieso…

  27. @ Wicht

    Natürlich, klar. Ich weiß doch auch, daß die Geschichte bei Kant nicht stehen geblieben ist. Wenn aber Schopenhauer auf den Willen gekommen ist, dann nur deshalb, weil er Kant ernst nahm. Das heißt die spekulierende Vernunft, die in die Transzendenz entschwebt, ist nicht in der Lage, den immantenten Willen zu schauen. Wenn nun aber ein Mensch in der Lage ist, zu dem auch noch zu fragen: Was ist der Mensch, daß DU seiner gedenkst, dann geht er davon aus, daß etwas außerhalb oder innerhalb seiner selbst in der Lage ist, sich in ihm hineinzuversetzen. Daraus ergibt sich, daß der Mensch ein vom Willen angetriebenes, mitfühlendes und vernunftbegabtes Wesen ist!

  28. @ Hilsebein

    Ja doch, was Schopenhauer und Nietzsche angeht, sind wir uns ja einig. Die analysierende, reflektierende Vernunft gelangt am Ende zu der fast tautologischen Einsicht, “dass das Sein ist” und dass jenseits davon nichts – zumindest nichts Sagbares – ist. Gut, ein wenig mehr lässt sich doch sagen: dass das Sein eine Art von Willen sei, zum Beispiel. Und dass Mitleid da sei. Und dass, weil gelitten wird, im Sein immer auch das “Nicht-Sein-Wollen” mitschwingt. Nicht nur das “nicht etwas bestimmtes Seiendes nicht sein Wollen” sondern das “Gar nicht-Sein-Wollen”. Schopenhauer nennt es im letzten Satz von WWV schlicht: Nichts.

    Das heisst aber doch, dass im Zentrum der IMMANENTEN Analyse des Seins dasselbe Loch sitzt, auf das die TRANSZENDENTE, spekulative Analyse ebenfalls zielt.

    Das “Sein”, Herrschaften, ist eine löcherige, fadenscheinige Kategorie. Das Nichts lauert an seinen Rändern, das Nichts sitzt in seiner Mitte.

    Ich weiss nicht, wie es weitergeht. Experimentelle Denke auf Nietzsches Spuren, Wahnsinn als Methode. Wenn das “Sein” der “Wille oder das Prinzip der Verwirklichung von etwas Seiendem” ist, was ist dann das “Nichts”?

    Ich probier’s mal so: wenn alle vernünftigen Sätze gesagt sind, dann bleibt doch noch eine beliebig grosse Menge von UNvernünftigen Sätzen übrig. “Das Nichts IST” ist so ein Satz…

    Könnte man versuchsweise das “Nichts” mir dem Prinzip der Selbstwidersprüchlichkeit identifizieren? Oder mir der Unmöglichkeit? Also etwa so, symmetrisch zum “Sein”: “Das ‘Nichts’ ist das Prinzip, das bewirkt, dass “etwas nicht sein” kann”.

    Oh, oh. Ich glaube, ich hechele da gerade dem Herrn Heidegger hinterher, den ich eigentlich nicht mag, der mir aber offenbat in grossen Schuhen weit voraus enteilt ist.

  29. @ Wicht

    “dass das Sein eine Art von Willen sei, zum Beispiel. Und dass Mitleid da sei. Und dass, weil gelitten wird, im Sein immer auch das “Nicht-Sein-Wollen” mitschwingt.”

    Mitleid war und ist der falsche Begriff! Es muß Mitgefühl heißen. An diesem Widerspruch scheiterte Nietzsche in Turin! Frage einmal einen behinderten Menschen, was er von Mitleid hält. Nämlich nichts! Auch ein Arzt weiß, daß durch das Mitleid er selbst vom Schmerz des Patienten überflutet wird. Dennoch muß er den Schmerz in sich abbilden -und das heißt: Mitgefühl. Dannach geht der Arzt auf die Reise und FRAGT sich, wie er den Patienten helfen kann. Und das heißt, daß er selbst erst einmal gesund sein muß. Denn der Arzt ist immer auch sein eigener Patient. Helmut: alles, was ich noch zu sagen weiß, ist, daß Du wichtig bist und daß das Entschwinden im Nichts gar nicht geht, da Du ein mitfühlendes Wesen bist. Ein jeder Mensch ist Botschafter für den anderen! Es ist schon lustig mit Dir: du sagst Licht aus und ich sage Licht an! Ich finde, wir beide sind zwei lustige Kobolde.

  30. @ Hilsebein

    Dietmar,

    Mitleid, Mitgefühl – ich versteh’ Dich, aber die Sprache sagt mir klipp und klar: MitGEFÜHL ist Einfühlung in Freud’ und Leid, MitLEID hingegen die Teilhabe am Leiden, und von der wollt’ ich reden. Ist aber, so denk’ ich, eine Marginalie, die uns im Moment nicht zu bekümmern braucht.

    Das Bild von den Kobolden gefällt mir natürlich SEHR. Und das Bild vom Lichtschalter noch besser. Zwei alberne Kobolde namens “Sum” und “Nonsum”, die unter irrem Gelächter auf einem Lichtschalter herumhauen. “An-Aus-An-Aus-An-Aus…”. Schöne Allegorie auf das “Sein” und das “Nichts”: eine stroboskopische Veranstaltung, in deren Lichtblitzen das “Sein” zappelt, nicht wissend, was es trieb, als das Licht aus war.

  31. @Helmut Wicht, Zwischenbemerkung

    In der buddhistischen Mystik gibt es den Begriff SUNYATA (siehe im englischen Google), der bei uns als ´Große Leere´ beschrieben wird.
    Möglicherweise hilft Ihnen dieser Begriff, das NICHTS von einer anderen Seite einzukreisen.
    (Mehr kann ich leider nicht dazu sagen, da ich mit den Geheimnissen dieses Mystik nicht vertraut bin.)

  32. @ Richard – Sunyata

    Danke.
    ich bin beim englischsprachigen Wiki gelandet, und wenn ich dem Eintrag dort trauen darf, dann bezeichnet das “Sunyata” nicht die “Leere”, sondern eher die “Abwesenheit von Substanzen”.
    In die Termini der abendländischen Philosophie gegossen (ich hab’ mich vor Monaten hier im Blog mal mit dem Stefan Schleim darüber unterhalten) – würde man, so glaub’ ich, sagen können, dass das “Sunyata” ein Zustand der “Relation ohne Relata” sei.

    Das ist ein überaus reizvoller Gedanke (nieder mit der Substanz! ..das müsste ein (Quanten-)Physiker doch eigentlich unterschreiben können..), bloss ist’s halt mal wieder a-logisch: “Keine Relation ohne Relata”.

    Ich hirne da schon lange dran rum … und irgendwie kommt mir dauerend die Kopenhagener Interpretation in den Kopf. Hat das etwas damit zu tun? Kann man sich physikalisch eien Welt der Relation ohne Relata konstruieren?

  33. @ Wicht

    Ich hänge noch am “Mitgefühl” fest. Hineinfühlen in das, was den Begriff und die Anschauung des Selbigen in die “Welt” brachte. Eine Art geistiges Wurmloch oder kosmischer Christus -ich weiß ja auch nicht, wie ich es nennen soll. Jedenfalls ein Etwas, das weder leben noch sterben kann. Raum und Zeit, Leben und Tod scheinen mir jetzt fast bedeutungslos.

  34. Sunyata

    Ich habe mich mal etwas informiert, und hoffe, dass ich das richtig wiedergebe:

    Die Große Leere (=Sunyata) ist ein meditativer Zustand, bei dem alle Sinneswahrnehmungen, alle Wünsche, das eigene Ego und jegliches Wissen aufgegeben wird, so dass der Geist vollkommen leer wird.
    Man erreicht dadurch den Zustand der völligen Erleuchtung, das Nirvana, – in dem Sein und Nicht-Sein aufgehoben sind. Der Einzelne löst sich auf in einem Zustand des Allwissens in einer vollkommenen Einheit mit dem Universum.

    (Für uns Europäer ist die asiatische Logik etwas schwierig)

  35. @ richard – sunyata

    (Für uns Europäer ist die asiatische Logik etwas schwierig)

    In der Tat.
    Zumal dann, wenn in den verschiedenen Schulen des Buddhismus die Bedeutungen kunterbunt durcheinander gehen, wenn sie nicht gar kontradiktorisch sind. (Also im Prinzip dieselbe Gemengelage wie in der abendländischen Philosophie … gucken Sie mal nach, was der Begriff “Realist” im Zusammenhang mit der Nominalismusdebatte im Mittelalter bezeichnete: das glatte Gegenteil von dem, was wir heute darunter verstehen).

    Das Eis ist mir zu dünn. Ich würd’ mich vorab – bei dem Versuch das “Nichts” zu umkreisen – auf den abendländischen Begriffsraum beschränken wollen, der ist schon wirr genug. Aber da kenne ich die Konnotationen so halbwegs, da hab’ ich ein Gefühl für die Termini, da weiss ich, welche Begriffe “schillern”, welche Assoziationsräume sie öffnen und welche Begriffe ganz “hart” sind, und eineindeutig eingesetzt werden können.

  36. Symmetrie => Nichts

    Gerade kam eine TV-Sendung mit Prof. Harald Lesch (Alpha-Centauri, 2004) zum Thema ´Symmetriebruch´.

    Der Gedanke war: Wenn beim Urknall die Entwicklung des Universums symmetrisch verlaufen wäre – gäbe es NICHTS.
    Denn alle Materie und Antimaterie hätte sich gegenseitig ausgelöscht/neutralisiert.

    Weil aber die Reaktionen nicht symmetrisch verlaufen sind, konnte sich unser Universum bilden – d.h. wir verdanken (physikalisch gesehen) einem Symmetriebruch unsere Existenz.

Schreibe einen Kommentar