“Bloggewitter” – Gastbeitrag Prof. Dr. Dr. Hickel

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Warum in meinem Blog "Anatomisches Allerlei" auf einmal so viele Dekane, Direktoren und Ordinarien aus der Medizin aufmarschieren? Nun, der "Bologna-Prozess" hat mittlerweile alle Fakultäten erreicht – ausser denen der Medizin, der Zahnmedizin und der anderen, mit Staatsexamina bewehrten Fächer. Doch wächst der Druck, auch jene "à la bolognese" umzugestalten. Mit Sorge schauen die Dekane (nicht alle) auf das, was in den anderen Fakultäten geschah, und fragen sich, was es für ihre Fächer bedeuten würde.

Der folgende Text stammt von diesem Herrn. Es ist Prof. Dr. Dr. Reinhard Hickel. Er ist der Ordinarius und Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Kinderzahnheilkunde am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitglied des Präsidiums des  Medizinischen Fakultätentages (MFT). Bei einem Treffen des MFT in Leipzig in der letzten Woche hielt er folgende Rede:

 

   

Bachelor/Master in der Medizin und Zahnmedizin?

Die Frage nach Einführung von Bachelor/Master (BA/MA) wird derzeit in vielen Bereichen –  von der Fachwelt über die Politik bis hin zu den Medien – sehr oft diskutiert. Allerdings bleiben Sachargumente häufig im Hintergrund, unter anderem weil zu viele vorgefasste Meinungen und Emotionen dominieren. So wird z.B. immer wieder fälschlicherweise behauptet, dass fast alle andere Länder Europas den BA/MA in der Medizin schon eingeführt hätten, obwohl dies nur wenige (7 von 46) bislang umgesetzt haben.

Neuerungen sind auf der einen Seite verlockend, da man dies auch „Profil-bringend“ vorweisen kann. Andererseits verursachen Änderungen zunächst Mehrarbeit, Reibungsverluste und vor allem Kosten bei der Einführung. Diese sind aber gerechtfertigt, wenn klare Vorteile zu erkennen sind.

Welche Vorteile werden nun am häufigsten für die Einführung von BA/MA genannt?

Ein kurzes 6-semestriges Bachelorstudium könnte durchaus mehr Studierende an die Universitäten locken. Studienabbrecher in höheren Semestern (nach erfolgreichem Bachelor) könnten mit einem Hochschulabschluss die Universität verlassen. Die Quote der Akademiker würde ansteigen und wäre im internationalen Vergleich günstiger. Da nicht alle Bachelorstudenten zum Master weiterstudieren sollen (weniger Master- als Bachelor-Studienplätze), könnte man eine hohe Akademikerquote mit vergleichsweise niedrigen Kosten erzielen. Weiterhin können neue Berufe mit dem Bachelorabschluss kreiert werden. Nicht zuletzt würde das jeweilige Fach als fortschrittlich und „europafähig“ eingestuft, ein europäisch anerkannter und vergleichbarer Abschluss läge vor.

Probleme bzw. Nachteile der Einführung des zweigeteilten Studiums BA/MA generell sind, dass nicht alle Bachelorstudenten einen Masterstudienplatz erhalten. Dies führt in anderen Fächern bereits zu erheblichen Protesten der Studenten. In Medizin und Zahnmedizin liegt die Quote der Studienabbrecher derzeit in der Größenordnung von etwa 5 % und ist wesentlich geringer als in anderen Fächern. Die meisten Abbrecher haben die Schwierigkeiten in den ersten Semestern und schaffen die erste Staatsprüfung nicht. Ob bei einem Bachelorstudiengang in der Medizin bzw. Zahnmedizin eine Abbrecherquote von 0% zu erwarten wären, wie gerne von den Befürwortern suggeriert wird, ist fraglich bzw. unwahrscheinlich. Für den Medizinstudiengang wird behauptet, dass ca. 40% der approbierten Ärzte nicht kurativ tätig sind, was offensichtlich falsch ist, womit aber immer wieder gerne argumentiert wird. Verlässliche Daten werden derzeit allerdings erst erhoben. Gleiches gilt für den „brain drain“ bzw. das Abwandern von Ärzten ins Ausland.

Richtig ist, dass in der Zukunft ein Ärztemangel bzw. erhöhter Bedarf an Ärzten bestehen wird. Insofern wäre in der Medizin die Einführung eines Ausstiegs-Bachelors (Beendigung des Medizinstudiums nach dem Bachelorabschluss) eher kontraproduktiv, da bei gleicher Anfängerzahl dann noch weniger Ärzte zur Verfügung stehen würden. Dem Ärztemangel könnte man am einfachsten begegnen, indem man die Zahl der Medizinstudienplätze erhöhen würde, da es genügend Bewerber gibt (NC-Fach). Da die Studienplätze Medizin und Zahmmedizin die teuersten sind, würde dies jedoch enorme und kaum zu leistende finanzielle Anforderungen an die Länder stellen. Wenn aber man die Eingangszahlen der Medizinstudenten für einen Ausstiegs-Bachelor erhöhen würde, stellt sich die Frage, ob die teuren Studiengänge Medizin und  Zahnmedizin wirklich ein sinnvolles Ausgangsstudium für Studenten sind, die dann nach dem Bachelor in einen anderen Beruf wechseln.

Diskutiert wird auch ein sog. Einstiegs-Bachelor, also Kandidaten, die in den 2. Abschnitt des Medizinstudiums einsteigen ohne den Medizinbachelor (1. Abschnitt) vorweisen zu können. Dies wäre der Wunsch von verschiedenen Berufsgruppen wie Pflegepersonal oder von Bachelorabschlüssen anderer sog. Gesundheitsfächer, die damit ihren Studiengang erheblich aufwerten würden und möchten. Auch hier muss noch geklärt werden, wie viel Zusatzaufwand (Sonderkurse) nötig wäre, damit quereinsteigende Studierende den Anschluss fänden.

Ein wiederholter Vorschlag, z.B. Dentalhygieniker (DH) und Zahnärzte gemeinsam im Zahnmedizinstudium starten zu lassen, klingt zunächst verlockend, zeigt aber, dass die Detailprobleme nicht erkannt wurden. Zum einen müssten alle DH den hohen NC im Fach Zahnmedizin erreichen, was zu einer starken Einschränkung führen würde. Zum anderen gäbe es nur eine gemeinsame Zulassung, die Entscheidung wer nach Bachelorabschluss weiter zum Zahnarzt studieren dürfte, wäre nicht wie bislang bei Studienbeginn gegeben. Die Berufsplanung würde damit viel unklarer und unsicherer.

Die versprochene verbesserte Mobilität durch BA/MA zwischen den Studienorten ist in der Medizin und Zahnmedizin aufgrund der Zulassungsbeschränkungen (NC-Fächer) nicht gegeben (Wechsel nur im Tausch möglich). Zumindest einzelne Erfahrungen von Medizin-/Zahnmedizin-Kollegen im Ausland  zeigen, dass seit Einführung von Bachelor/Master der Wechsel des Studienortes eher schwieriger als besser geworden ist, weil die gegenseitige Anerkennung von Modulen häufig nicht gegeben ist. Generell sind zwar auf dem Papier Studiengänge und Module gleich, die Praxis sieht aber häufig anders aus, was zu  Problemen bei der gegenseitigen Anerkennung führt. Die in der neuen medizinischen AppO gewollt eingeführte Möglichkeit der Flexibilisierung und Schwerpunktbildung an einzelnen Universitäten und die Möglichkeit des Modellstudiengangs haben ebenfalls zu einer stark reduzierten Anzahl von Studienortwechslern geführt.

Das Argument alle anderen Fächer haben den Bachelor, nun muss ihn auch die Medizin übernehmen, ist sicher nicht ausreichend. Dafür hat die öffentliche Hand zu wenig Geld, um solche kostenträchtigen Änderungen ohne fundierte Abklärung zu vollziehen.  Es ist deshalb an der Zeit, Drohungen und Emotionen zurückzustellen und in eine fundierte Sachdiskussion einzusteigen, die nach allen Seiten offen sein sollte. Die Politik müsste sich darüber hinaus dafür einsetzen, dass ein 6-semestriges Bachelorstudium international uneingeschränkt anerkannt wird, auch in Ländern wie England oder USA, wo teilweise Bachelorabschlüsse nur mit mind. 8 Semestern akzeptiert werden.

Andererseits sind die Medizinischen Fakultäten gefragt, umfassend zu prüfen, ob nicht ggf. in Abstimmung mit weiteren (nicht medizinischen) Fakultäten neue Bachelor-Studiengänge eingeführt werden sollten. Studiengänge, die dann gezielt und kostengünstig neue Berufe ausbilden und nicht diese neuen Berufe über einen teuren aber nicht dafür optimierten Medizinbachelor mit anschließend zusätzlich nötiger weiterer Fachausbildung zu realisieren. Allerdings müsste auch sehr gründlich abgeklärt werden, ob ein wiederholt geforderter Heilberuf, der zwischen Arzt und Pflegekraft angesiedelt wäre, politisch gewollt und in der Bevölkerung vermittelbar ist. Und zu viele verschiedene neue Studienfächer machen die Studienfachauswahl nicht leichter sondern undurchsichtiger und reduzieren wiederum die Mobilität.

Bologna hat neben BA/MA auch weitere interessante Punkte wie European Credit Transfer System (ECTS) etc., die auch ohne die Einführung von Bachelor und Master gut umsetzbar sind. Die Erstellung eines Fachqualifikationsrahmens mit Kompetenzniveaus ist ein wichtiger Schritt für eine verbesserte und vergleichbare Ausbildungsqualität, die in der Medizin dringend geboten ist; in der Zahnmedizin gibt es übrigens einen solchen Katalog (Profile und Competences) bereits und sogar auf europäischer Ebene.

Wenn man die Fakten zu BA/MA in der Medizin derzeit zusammenfasst, dann ist festzustellen, dass die wichtigsten Ziele wie erhöhte Mobilität und reduzierte Studienabbrecherzahl nicht erreicht wurden bzw. für die Medizin und Zahnmedizin nicht zutreffen. Als einziges Pro-Argument bleibt derzeit, das die Medizin und Zahnmedizin keinen Sonderweg erhalten soll. Es ist an der Zeit, auch wenn es manchen schwer fällt, die bisherigen Erfahrungen mit BA/MA-Studiengängen detailliert zu analysieren, bevor man den nächsten Fächern dies überzustülpen versucht.

Die neue Approbationsordung für Ärzte ist erst seit wenigen Jahren eingeführt, ein Reformstau  liegt also auch nicht vor. Die ersten Absolventen verlassen gerade die Universitäten. Es wäre nun auch hier nötig, dieses System zu evaluieren und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Erkenntnisse sollten dann in die Diskussion um BA/MA einfließen. Ein Alleingang Richtung BA/MA in Medizin einerseits oder Zahnmedizin andererseits ist keinesfalls sinnvoll, da die ersten vier Semester nach der neuen AppO Zahnmedizin identisch mit der Medizin ablaufen und dies noch mehr Belastung, Kosten und Konfusion in den ohnehin stark belasteten Fakultäten verursachen würde.

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

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