Bekennt Euch! (Von Titulaturen, Teil III)

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Von den Professoren soll die Rede sein. Von denen im Licht und von dem Schatten, den sie werfen, vom Glanz und Abglanz der Professur, von Talmi und von echten Juwelen.

“Professor” ist wieder Latein und bedeutet eigentlich “der, der etwas bekennt” (das Wort ist vom Verbum “profiteri” abgeleitet), aber schon im klassischen lateinischen Sprachgebrauch war der “Professor” nicht mehr so pathetisch konnotiert: es war einfach der öffentliche Lehrer, der, der es belehrend mit einem großen Publikum zu tun hatte. Haben sie heute noch, die Professoren, und entsprechend mächtig ist ihr Sozialprestige – verwunderlich doch eigentlich, denn andererseits wird man ja nicht gerne belehrt, und “professurales Gehabe” ist ein veritables Schimpfwort.

In Österreich werden auch die Schullehrer als Professoren bezeichnet, von denen soll hier nicht die Rede sein. Ich will mich mit den Professoren im akademischen Umfeld beschäftigen. Und schon geht das Kuddelmuddel los, denn “Professor” kann sowohl ein akademischer Titel als auch eine Amtsbezeichnung sein, und wem diese Unterscheidung rein akademisch und übertrieben subtil erscheint, der sei jetzt schon darauf hingewiesen, dass sie im Gegenteil existenziale Unterschiede betrifft – oder betreffen kann.

Fein. Wie wird man Professor?

Ich kann mir das grobe Wortspiel aus den alten, bösen, Macho-Zeiten an den Universitäten nicht verkneifen, und ich meine jetzt wirklich die Zeiten der alten Universitas magistrorum et scholarium, sagen wir mal: im 16. oder 17. Jahrhundert. Damals hatten die Universitäten noch das, was eine klassische Zunft (denn nichts anderes heisst universitas) auszeichnet, nämlich das Selbstergänzungrecht. Die Professoren einer Fakultät oder Universität konnten sich aussuchen, wen sie in ihre Reihen aufnehmen wollten. Latein war die Lingua franca, weswegen es allerdings nicht weniger grob, eher gröber zuging als heute, und aus dieser alten Zeit stammt der böse Witz, dass es nur zwei Wege zur Professur gäbe: per anum sive per vaginam. Entweder man kriecht seinem Professor in den Arsch, oder man heiratet seine Tochter.

Das ist heute – schon wegen des Wegfalls des universitären Selbstergänzungsrechtes – anders. Zwar bestimmen in der Tat im Wesentlichen die Professoren darüber, wer Professor wird, aber es sind eben nicht mehr nur die der Fakultät, die sich ergänzen will, nein, sie kommen von allen möglichen Universitäten, im Inland, im Ausland. Gutachten werden eingeholt, die wissenschaftliche Leistung der Bewerber wird minutiös untersucht, Impact-Punkte gezählt, eingeworbene Forschungsgelder addiert, eine Berufungskommission legt die Stirnen in Denkerfalten, Studenten werden angehört, die Lehrleistung zu würdigen, Frauenquoten werden bedacht, der Diversität Rechnung getragen, Seilschaften werken im Hintergrund, trickreiche Spielchen werden gespielt (dazu gleich mehr), Senat und Präsidium werden eingebunden – kurz, es ist ein hochkompetitives, aber natürlich auch immer politisches Verfahren, das hier abläuft. So einfach per anum sive vaginam geht nichts mehr. Um dem einen wirklich wirksamen Riegel vorzuschieben, hat man auch die “Hausberufungen” abgeschafft. Man kann sich an der Uni, an der man gerade als “noch-nicht-Berufener” arbeitet, nicht auf eine Professur bewerben. Man muss gehen. Oder anderswohin berufen werden. Um unter Umständen wieder zu kommen (s.u.).

Dann gibt’s eine Liste. Da werden die geeignetsten Bewerber auf’s Treppchen gestellt – erster, zweiter, dritter Platz (primo, secundo, tertio loco), Gold-, Silber- und Bronzemedaille, wie bei den olympischen Spielen. Aber um den Aufstieg in den universitären Olymp geht es ja auch – erneut, davon später mehr. Der oder die an primo loco kriegt den Ruf. Vom für das Hochschulwesen zuständigen Ministerium des Landes.

Ob der an primo dann dem Ruf folgt, ist ungewiss. Er oder sie kann. Muss aber nicht. Das hängt wieder daran, wie die Berufungsverhandlungen laufen, denn so ein Berufener kann alles mögliche fordern, Stellen, Räume, Geld. Noch besser – wenn man schon eine Professur hat, sich auf eine andere bewirbt, und den Ruf bekommt, dann kann man daheim an seiner Uni nachverhandeln. Sogar sein Gehalt. Lehnt der oder die loco primo ab, geht der Ruf an secundo. Dann an tertio. Kommt die oder der auch nicht, gibt’s ein neues Verfahren.

Da kann man nun natürlich allerlei Ringelpietz-Spielchen spielen, und spielt sie auch. “Also wir bewerben uns beide in diesem Saftladen in XY, Du kommst wahrscheinlich primo, weil Du besser bist, lehnst aber ab, weil’s Dir da, wo Du bist, eh’ besser gefällt und holst noch ‘was ‘raus, ich krieg’ dann als secundo den Ruf, nehm’ ihn aber auch nicht an, weil ich mit den Ruf in der Tasche mich auf die Professoren-Stelle an meiner jetzigen Uni bewerben kann, wo ich sicher primo komme, wenn Du Dich nicht auch bewirbst, und dann ist Dein dappiger Assistent, der sich überall bewirbt, und der wahrscheinlich tertio kommt und und den Du eh’ loswerden wolltest, in XY versorgt …”

So ähnlich jedenfalls. Klappt mitunter, mitunter auch nicht. Wie gesagt: viele Mitspieler.

Hat man den Ruf, nimmt man ihn an, ist man deutscher Beamter. Auf Lebenszeit. “Ordentlicher Professor”. Daher auch das  altmodische Wort “Ordinarius”. (1) Denn früher war alles noch viel besser. Zumindest aus der Sicht der Professoren.

Früher – das heißt jetzt: vor etwa 1970 – gab es nämlich noch Ordinarien, Lehrstuhlinhaber. Diesen Herren (sehr selten damals: Damen) drückte man, nachdem sie im Berufungsverfahren ausgewählt wurden, ganze Institute, ganze Abteilungen in die Hand und sagte: “Machen Sie mal.” Es war wirklich der Olymp. Göttergleich herrschten die Herren über ihre Institute. Ihr Wort war Befehl. SIE, nur sie, waren die Träger der grundgesetzlich verbrieften Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre. Unter sich: das ganze Institut. Über sich: den Herrgott, sofern sie an ihn glaubten, und sonst niemand.

Aus diesen alten Zeiten stammt der Spruch: “Die Menschwerdung beginnt mit dem Ordinariat.” Aus Sicht der Ordinarien – paradiesische Zeiten. Die Damen und Herren waren wirklich “auf Lebenszeit” verbeamtet, sie wurden nicht pensioniert, sondern emeritiert – was nur nach einem weiteren akademischen Wortspiel klingt, aber tatsächlich bedeutet, dass sie selbst im Ruhestand ihr volles Gehalt weiterbekamen. Sie hatten Anspruch darauf, die Infrastruktur ihrer Institute weiter zu nutzen. Sie konnten noch weiter forschen und lehren. Aber sie mussten nicht.

Seither ist das abgeschafft. Gremienuniversität, innerbetriebliche Demokratie. Die Nachfolger der Ordinarien sind die “W3”-Professoren, das “W3” bezeichnet eine Besoldungsstufe, und ich hatte leider noch nicht die Chuzpe, einen von diesen mit “Herr ProfessorWehWehWeh” anzureden.

Dann hätten wir da noch die “Extraordinarien”, den “Professor extraordinarius”. Wie in der Fußnote (1) dargelegt, heißen die wahrscheinlich so, weil sie im ursprünglichen Ordinariatssystem die volle Ordnungsmacht eben nicht hatten. Planmäßig waren sie schon – Beamte auf Lebenszeit, wie die Ordinarien, denen sie subordiniert waren (2).

Auch die gibt’s an der Gremienuni noch, freier als früher, nicht mehr subordiniert(3), aber schlechter bezahlt: es sind die “W2-Professoren”. Auch sie durchlaufen ein Berufungsverfahren, auch sie sind Mitglieder des professuralen Olymps.

Diese beiden, die “WWs” und die “WWW”s, sind es, die den Titel “Professor” als Amtsbezeichnung tragen. Und sie sind, das nebenher, die persönlichen Träger der Freiheit von Forschung, Lehre und Wissenschaft, die das Grundgesetz in Artikel 5 verbürgt.

Ich bekenne: einst wollte ich auch Olympier werden, Professor also, ward es dann aber nicht, stehe also, wie viele andere, im langen Schatten, den die ProfiProfs werfen. In diesem Schatten stehen aber auch noch andere, die sich dennoch “Professor” nennen und das auch dürfen.

Davon das nächste Mal.

Fußnoten:

(1) Ich bin mir hier über die Etymologie durchaus nicht ganz im Klaren. Ein “ordentlicher Professor” kann natürlich durchaus schlampig sein, damit hat es nichts zu tun. Ein Erklärungsstrang läuft über den “Stellenordnungsplan” der Universität – der Professor habe eben eine Stelle, die in der Universitätsordnung vorgesehen sei. Ich finde das ein wenig unbefriedigend, denn auch der “außerordentliche Professor” (“Extraordinarius”, siehe weiter unten im Haupttext) hat eine feste, planmäßige  Stelle. Ich denke daher, dass das “Ordinariat” von der “Ordnung” kommt, die herzustellen der Träger dieser Bezeichnung die Autorität hat(te). Es geht um’s Normative: ER war es, der die Richtung vorgab, die herrschende Ordnung der Dinge herstellte. Dann hat nämlich auch der “Extraordinarius” seinen Sinn – denn er hat diese Autorität nicht, oder nur in geringerem Masse.

(2) Was nicht heißen musste, dass sie schlechtere Wissenschaft gemacht hätten. Ordinarien hatten die Tendenz, sich auf ihren Lorbeerkränzen auszuruhen, Extraordinarien aber die, koste es was es wolle, irgendwie, diese Lorbeeren erstmal zu erwerben. Um Ordinarius werden zu können. Von daher der herrlich sarkastische Spruch: “Ordentliche Professoren haben selten außerordentliche Resultate, außerordentliche  Professoren haben selten ordentliche Resultate.”

(3) De iure. De facto findet – zumindest in der Medizin – diese Subordination noch statt. Abgeschwächt, im Vergleich zum alten System, aber sie ist noch da.

 

 

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Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

8 Kommentare

  1. Ich bin mir hier über die Etymologie durchaus nicht ganz im Klaren. […] Ich denke daher, dass das “Ordinariat” von der “Ordnung” kommt, die herzustellen der Träger dieser Bezeichnung die Autorität hat(te).

    Wäre nicht das lateinische “ordinatio” (Bestellung, Weihe) ein naheliegender Ursprung? Siehe auch “Ordination” für Priesterweihe. Dann wäre “Ordinarius” (einer, der die [weltliche] Ordination empfangen hat) der primäre Begriff, von dem der “ordentliche Professor” abgeleitet wurde, und nicht das deutsche “Ordnung”. Oder ist das nur Küchenetymologie?

  2. @ Polak

    Danke, klingt auch plausibel, zumal es den Ordinarius auch als Kircheninstanz gibt. Ich dachte halt von “ordo” her … mal gucken, ob wir das geklärt kriegen.

  3. @ MG
    Freut mich, danke.
    Noch ein Aufsatz über die “Professoren im Schatten” – dann kommt der kritische Teil: Vom Umgang mit den Titeln.

  4. Die Beschreibung eines Ordinarius in der Kirche auf der Wikipedia stützt eher die These von Herrn Wicht, dass es von der ordnenden Autorität des Amtsinhabers kommt, im Sinne einer anordnenden Gewalt:

    “Ein Ordinarius (von lateinisch ordinarius ‚ordnungsgemäß, ordentlich‘) ist ein kirchlicher Amtsträger, der aus seinem Amt heraus ordentliche ausführende Gewalt besitzt. Ein Ortsordinarius (Diözesanbischof oder dessen Stellvertreter) übt innerhalb seines Territoriums die allgemeine Gewalt aus.”

    https://de.wikipedia.org/wiki/Ordinarius_(Kirche)

  5. Auch in der Bildungswelt gibt es eine Rangordnung und die muss kenntlich gemacht werden.
    Das ist bei den Hirschen nicht anders. Man spricht hochachtungsvoll vom Achtzehnender, der Vierundzwanzigender ist die Höchsrstufe. Ein Jäger, der einen Hirsch mit 24 Spitzen erlegt, dem ist der Ruhm sicher.
    Sogar bei den Ziegen gibt es eine Rangordnung. Man lese über den Zlatorog nach.

  6. In Professor ist ein Vorsprecher, ‘pro’ und ‘fari’, kein ‘Lari-fari’ sozusagen, sofern der Schreiber dieser Zeilen korrekt verstanden hat, liegt hier kein akademischer Grad, sondern eine Art Amts-Titel vor, manchmal so und manchmal so, bundesdeutsch.

    Anderswo ist der Professor auch manchmal schlicht Lehrer an nicht universitärer Einrichtung.
    Universitär ist dann sozusagen alles wie gehabt politisch, sofern der Schreiber dieser Zeilen korrekt verstanden hat, selbstverständlich den hiesigen werten Inhaltegeber Herr Dr. Wicht in sein Herz und andere nicht so eingeschlossen hat,
    mit freundlichen Grüßen
    WB

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