Anatomie im Herzen der Kunst- und Kulturgeschichte

Das Herz liegt mittendrin im Körper. Und mittendrin im Geschehen des dreigeteilen Präparierkurses, im zweiten nämlich, wenn es um die Organe der Brust und des Bauches geht, haben wir dann das Herz in der Hand, schneiden seine Kammern und Vorkammern auf, und beschauen es von innen und von außen.

Viele Kammern hat der menschliche Leib, vier davon allein das Herz, verschachtelt ist die anatomische Terminologie, viele, viele Stübchen gibt es im Gehäus’ des menschlichen Gedächtnis’, und die Wege, die die Assoziationen zwischen diesen Stübchen gehen, sind dunkel und labyrinthisch.

Oder eben auch nicht, und davon jetzt.

So in etwa geht meine Rede zu den Studenten, derweil wir in die rechte Herzkammer schauen:

“In der rechten Kammer des Herzen, seh’n Sie, hier (mit der Pinzette draufdeutend), da gibt es eine quere Muskelbrücke, die Trabecula septomarginalis geheissen, von trabs: der Balken, dessen Diminuitiv trabeculum lautet, also Bälkchen, was aber eigentlich, den Regeln der lateinischen Grammatik folgend, ein Neutrum sein sollte, aus irgendwelchen mir nicht bekannten Gründen aber in der Anatomie zu einem Femininum geraten ist, und septomarginalis weil, wie Sie sehen, das Ding sich vom Septum, also der Herzscheidewand, zu des Herzens Rand, mithin dem Margo cordis, erstreckt. Auf diesem queren Bälkchen sehen Sie hier (mit der Pinzette draufdeutend) den Musculus papillaris anterior, also den vorderen Warzenmuskel sitzen.”

Dann muss ich Luft holen, und derweil sagen die Studenten: “Aha!” oder “Soso..” oder “Uff..”.

Ein Herz, alle Vorkammern und Kammern sind eröffnet. In der rechten Kammer (die hier links unten ist) sieht man ohne weiteres die querstehende Trabecula septomarginalis, am Margo cordis sitzt ihr der Musculus papillaris anterior auf, von dem nach oben die Chordae tendineae zum vorderen Segel der Tricuspidalklappe ziehen (2).

“Jene Trabecula septomarginalis“, so mache ich weiter, “heißt auch das Moderatorband, weil man einst meinte, dass es die Wände des Ventrikels gegeneinander verspanne, so dass dieser sich unter dem Druck des Blutes nicht zu sehr blähe. Was aber nicht stimmt, es gehört vielmehr zum Erregungsleitungssystem des Herzens, denn es enthält Purkinje-Fasern des rechten Beines des His’schen Bundels, welches Bein auch als Tawara-Schenkel bezeichnet wird, aber über die Herren His, Purkinje und Tawara will ich hier nichts weiter erzählen.”

“So ein Glück!”, sagen die Studenten.

“Doch”, so sage ich dann, “von einem Namen, von einem Eponym, also eigentlich Übernamen, von einem Manne, der sich in der Anatomie des Herzens verewigt hat, will ich reden. Denn das Moderatorband heisst auch nach ihm. Sie kennen ihn  … wie heisst der berühmteste Maler der italienischen Renaissance, ja, der ganzen Welt?”

“…”

“DaVinci, Leonardo daVinci. Nach ihm, dem Schöpfer der Anna Selbdritt und vor allem der betörenden Gioconda, der Mona Lisa, nach ihm heißt die Trabecula septomarginalis auch das Leonardo’sche Moderatorband, denn er soll es als erster beschrieben haben.” (1)

“Ach…”

Mich schreckt kein “Ach …”, ich mache weiter, und irgendwann bin ich dann am Herzen am Ligamentum arteriosum, das freilich auch einen Übernamen trägt, es heißt nämlich auch Ligamentum Botalli.

“Botalli”, sag’ ich dann, “hiess eigentlich Botallo, er war Chirurg, und er gehört ebenfalls in die italienische Renaissance, so etwa eine Generation nach unserem Malerfürsten Leonardo.”

Ein paar Wochen später ist der Tag der mündlichen Prüfung da. Ich habe ein Herz, ich deute mit der Pinzette auf das Ligamentum arteriosum und frage, wie dieses Gebilde denn heiße.

Und der Student antwortet:

Ligamentum Botticelli.

Finis.

Fast. Denn hinter dieser (3) Fußnote verbirgt sich noch eine Bonus-Schnurre, die von anatomisch-literarischen Kurzschlussassoziationen handelt.

Fussnoten:

(1) Sagt man. Allerdings finde ich in keiner der mir zugänglichen anatomischen Zeichnungen des eröffneten Herzens, die Leonardo in seinen Codices hinterlassen hat, eine eindeutige Darstellung der Trabecula septomarginalis. Die Papillarmuskeln, die Chorda tendineae und die Trabeculae carneae der Herzinnenwand sind jedoch sehr schön zu sehen. Ich weiss übrigens auch nicht, wann diese Bezeichnung nach Leonardo aufgekommen ist. In älteren Anatomietexten (19. Jhdt) finde ich sie nicht. Weiß hier jemand mehr?

(und siehe den “Nachklapp” unten)

(2) Die Abbildung stammt aus: J.N. Bourgery & N.H.Jacob: Traité complet de l’anatomie de l’homme: comprenant la médicine opératoire ,Paris 1831–1854

(3) Es gibt, herznah, eine Vene, die heißt Vena brachiocephalica, also Kopf-/Halsvene. Aus Gründen, die ich gleichfalls nicht kenne (erneut: weiß jemand mehr?) heißt sie auch: Vena anonyma. Das muss ich meinen Studenten freilich auch erzählen, und dann noch ein wenig davon labern, dass Anonymität, also Namenlosigkeit, eine ganz eigenartige Sache sei, ein Zeichen der Geringschätzung, oder des Verschwörertums und des Verbrechens, aber oft eben auch ein Zeichen des Numinosen, des Göttlichen, schliesslich habe JHWH ja auch keinen Namen, zumindest keinen, den man aussprechen dürfe (blafasel usf…).

Erneut der Tag der Prüfung. Ich deute auf die Brachiocephalica und frage: “Wie heißt …”, und bevor ich noch “diese Vene?” sagen kann, kommt’s wie aus der Pistole geschossen:

Vena illuminati.

Nachklapp vom 29.5.2019:

Es hat mir keine Ruhe gelassen, ich habe der Geschichte der Benennung des “Leonardo’schen Moderatorbandes” weiter hinterher recherchiert. Immerhin habe ich die Skizze Leonardos, auf die sich die Benennung bezieht, gefunden:

Der quere Balken in der Herzkammer ist zweifelsfrei die Trabecula septomarginalis. Jetzt bitte ich aber um Hilfe.

1.) Ist das, wie ich annehme, aus dem Codex Windsor?

2.) Ich habe ein fragmentarisches Zitat (aus einem Sitzungsbericht in “Nature” von 1922) gefunden, in dem es heißt, ein gewisser “Prof. Wright” habe spannenderweise entdeckt, dass Leonardo da Vinci dies Band zuerst gesehen habe. Ich komme mit diesem “Prof. Wright” nicht weiter. Kennt jemand den? Anatom? Kunsthistoriker? Hat der irgendwas mit dem Codex Windsor zu tun?

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Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

3 Kommentare

  1. @ Stefan

    Danke, das war mir ganz neu.
    Der malt ganz schön – und ich bin generell ein grosser Fan des 19. Jahrhunderts, schon weil’s da ästhetisch (und gerade in der Malerei) oft rückwärts, andernorts (in der Technologie) vorwärts geht. Das macht’s spannend.

    Mein Lieblingstscheche ist allerdings der Herr Bochdalek, wozu ich auf diese

    https://www.spektrum.de/kolumne/menu-du-jour-liqueur-et-bouillon-des-legumes-aromatise-des-fleurs/1003909

    alte und völlig versponnene Geschichte vom Präpkurs hinweisen möchte

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