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BLOG: Analogia

kognitiv inspiriert künstlich intelligent
Analogia

“Ein KI-Blog also, schön und gut. Aber wieso eigentlich ‘Analogia’? Das hat doch sicher etwas mit analog zu tun!”

Auch wenn angesichts der techniklastigen Thematik die Vermutung naheliegen mag, so trifft es obige Erklärung doch nicht ganz: “Analogia” ist vielmehr die lateinische Transkription des altgriechischen Ausdrucks für Verhältnis oder Proportion – und damit Ursprung unseres heutigen Wortes Analogie.

Und wie passt dies zur Thematik künstliche Intelligenz? Nun, die Fähigkeit permanent und überall ohne großen Aufwand oder Bemühungen Analogien zu bilden und im täglichen Leben zu verwenden macht diese spezielle Form des “Zusammenhangsehens” zu einer unserer bemerkenswertesten kognitiven Fähigkeiten, laut D. Hofstadter sogar zum “Kern [menschlicher] Wahrnehmung”. Und eben diese zentrale Rolle wiederum rückte Analogien und analogiebasiertes Schließen als ein Hauptarbeitsgebiet und Schwerpunkt in den Interessenfokus verschiedenster Forschungsgruppen in den Bereichen Kognitionswissenschaft, Psychologie und künstliche Intelligenz (darunter eben die KI-Arbeitsgruppe des IKW in Osnabrück) – und damit auch in das Zentrum der Aufmerksamkeit dieses zweiten Eröffnungsartikels des KI-Blogs innerhalb der SciLogs-Gemeinde.

Doch bevor ich kurz auf mögliche Anwendungen in der KI eingehe, noch einige Bemerkungen zum Thema Analogien selbst: Informell gesprochen, sind Analogien Ähnlichkeitsbehauptungen, welche häufig in Argumentationen oder als Teil von Erklärungen verwendet werden. Etwas abstrakter betrachtet, handelt es sich also um die menschliche Fähigkeit, an sich verschiedene Domänen oder Situationen als ähnlich bezüglich gewisser Aspekte wahrzunehmen, basierend auf Gemeinsamkeiten in der internen relationalen Struktur oder der äußeren Erscheinungsform. Als Gemeinsamkeiten in der relationalen Struktur bezeichnet man hierbei Übereinstimmungen in der Rolle oder dem Effekt eines Objekts innerhalb der Domäne/Situation (z.B. ist “Mutter zu Baby” in dieser Hinsicht ähnlich zu “Katze zu Kätzchen”), Gemeinsamkeiten in der äußeren Erscheinungsform nehmen Bezug auf Farbe, Form, Material oder andere “äußere” Eigenschaften der beteiligten Objekte. (Im Übrigen ist die Befähigung zur Bildung und zum Einsatz von Analogien nicht exklusiv menschlich, sondern kann zumindest in wenig komplexer Form auch bei einigen anderen Primatenarten beobachtet werden.)

So weit, so gut, aber das bis dato Beschriebene rechtfertigt noch nicht unbedingt die Zuweisung des Status als “Kern der Wahrnehmung” – und entsprechend marginalisiert war die Rolle von Analogien im wissenschaftlichen Diskurs auch über Jahrhunderte. Obwohl Analogien bereits im Epos des Gilgamesch (ca. 2000 vor Christus) zur Vermittlung verschiedener Gefühlseindrücke und Situationen verwendet wurden, und bspw. in den Mukhya Upanishads (ca. 500 vor Christus) zur Beschreibung relativ abstrakter philosophischer Ideen Einsatz fanden, wurde analogie-basiertes Schließen doch bis vor wenigen Jahrzehnten als Spezialfall des Schließens und Denkens betrachtet, welcher hauptsächlich in kreativem Denken oder künstlerischen Zusammenhängen anzutreffen sei.

Dies hat sich fundamental gewandelt: Forschungsergebnisse aus der Kognitionswissenschaft und benachbarten Disziplinen haben gezeigt, dass Analogiebildung und analogiebasiertes Schließen essentielle Teile verschiedenster Schlüsselkompetenzen des täglichen Lebens (Kommunikation, soziale Interaktion, Werkzeuggebrauch, Umgang mit unbekannten Situationen,…) sind. Auch bildet die Fähigkeit, Gemeinsamkeiten in der relationalen Struktur zweier Domänen zu finden, höchstwahrscheinlich eine unverzichtbare Grundlage unserer Sprachfähigkeit, des Lernens, Erinnerns und somit insgesamt des Denkens und der Wahrnehmung.

Und dies wiederum macht Analogien nun auch interessant für das Forschungsfeld Künstliche Intelligenz: Als mögliche Grundlage situationsadaptiver und flexibler intelligenter Systeme im Alltag, als unverzichtbarer Bestandteil von Systemen zum Verstehen natürlicher Sprache (z.B. werden Metaphern häufig als eng verwandt, oder sogar funktionsidentisch, mit Analogien gesehen), oder etwa als Modellbestandteil kognitiver Architekturen zur Nachbildung “menschlicher Denkstile” und Entscheidungsprozesse.

Als kleines Beispiel (einmal mehr) aus dem Bereich Sprachverstehen: Uns als menschlichen Sprechern ist intuitiv klar, was Shakespeare in Romeo und Julia mit seinem berühmten Vers “Julia ist wie die Sonne.” ausdrücken will. Aber was ist eigentlich die genaue Bedeutung? Und wie können wir uns diese erschließen? Mit ziemlicher Sicherheit will Shakespeare nicht zum Ausdruck bringen, dass Julia der massenreiche Zentralstern unseres Sonnensystems ist. Und ebenso unwahrscheinlich erscheinen die Interpretationen “Julia steht in Flammen.” oder “Julia sendet Licht aus.”. Vielmehr zielt Shakespeare wohl auf “Julia ist strahlend schön.” oder “Julias Schönheit blendet.” ab. Nichtsdestotrotz, naiv von einem rein formalen Standpunkt aus betrachtet, sind alle eben genannten Auslegungen der Sonnenmetapher gleich rechtfertig- und begründbar. Insofern ist die korrekte (im Sinne von “menschenähnliche”) Bedeutungsresolution derartiger Ausdrücke (welche – zumeist in weniger poetischer Form – häufiger und unverzichtbarer Bestandteil täglicher Sprache sind) eine hochinteressante und brennende Frage für Forscher in den Bereichen künstliches Sprachverstehen und Sprachproduktion.

Und auch bei Problemlöseaufgaben können Analogien eine Schlüsselrolle spielen: Anstelle jedes Mal neu eine Lösung für eine gewisse Aufgabe zu berechnen, kann es sich  als wesentlich effizienter erweisen, bereits gesehene (und gelöste) Situationen in einem Speicher vorzuhalten, und per analogen Schließens das Lösungsprinzip später auf strukturähnliche Probleme zu übertragen (bzw. in einer noch früheren Stufe, z.B. wo keine eindeutig hinreichend ähnliche Situation gefunden werden kann, sich zumindest Lösungsansätze und Ideen vermittels analogen Transfers aus bekannten Domänen zu besorgen).

Mehr (dann auch technische) Details rund um Analogien (so etwa eine Skizze einer möglichen Herangehensweise zur Implementierung eines computergestützten Analogiemodells) in einem der nächsten Posts.

In der Zwischenzeit noch eine Literaturempfehlung zum Thema:
D. Gentner, K. Holyoak, B. Kokinov (eds.): “The Analogical Mind – Perspectives From Cognitive Science”, MIT Press (2001).

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Jack of all trades, (hopefully) master of some: - Diplommathematiker (FAU Erlangen-Nürnberg),... - ...Logic Year-Absolvent (ILLC, Universiteit van Amsterdam),... - ...PhD in Cognitive Science (IKW, Universität Osnabrück),... - ...Postdoc am KRDB der Freien Universität Bozen-Bolzano,... - ...und inzwischen am Digital Media Lab der Universität Bremen. Themen aus der (vor allem kognitiv-inspirierten) künstlichen Intelligenz, der künstlichen Kreativität, der Philosophie des Geistes, und dem Grenz- und Interaktionsbereich zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. ==================== Alle zum Ausdruck gebrachten Annahmen, Meinungen, Einschätzungen, und Stellungnahmen stellen ausschließlich meine private Position zu den jeweiligen Themen dar, und stehen (außer, wenn explizit anders ausgewiesen) in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit Institutionen aus meinem beruflichen Umfeld.

2 Kommentare

  1. Analogie Déjà-vu

    Unsere bekannteste Analogie-Reaktion ist das Déjà-vu:
    Auf einen Eingangsreiz-/-gedanken (Matrixmuster: neu) hin, wird ein ähnliches Reizmuster aus dem Gedächtnis aktiviert (Matrixmuster: Erfahrung) und dadurch zur aktuellen Erlebnisrealität. Dann kommt der Detailabgleich und beide Muster verschmelzen zu einer neuen Realität (welche als Erfahrung abgespeichert wird) oder die aktivierte Erfahrung wird verworfen – und das Spiel beginnt von vorne.
    Weil dies dauernd geschieht, haben wir die Illusion eines kontinuierlichen Erlebens.

  2. Nicht klar

    „Uns als menschlichen Sprechern ist intuitiv klar, was Shakespeare in Romeo und Julia mit seinem berühmten Vers “Julia ist wie die Sonne.” ausdrücken will.“

    Och, ehrlich gesagt ist mir das als menschlichem Sprecher (und ziemlich unbegabtem und desinteressiertem, was Poesie angeht 😉 gar nicht so klar. Dass olle Shakespeare hier auf irgendwas mit Schönheit und Rumgestrahle hinauswill, schließe ich, so möchte ich mal behaupten, eher aus der seit Kindertagen gelernten Tatsache, dass die Sonne in poetischen Stücken immer für sowas in der Art steht, als aus Analogie zwischen einer Frau und einem Himmelskörper.
    Die Analogiebildung findet für mich also wohl eher zwischen gespeicherten und soeben gelesenen Versen statt.

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