Wissenschaft gemeinsam gestalten

Gestern nahm ich an einem Workshop zum Thema „Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Forschung“ teil (Stichwort „public engagement“): Das Thema klang richtig cool, fand ich. Als ich dann den Raum betrat, hatte ich lauter idealistische, wenn auch etwas simple Gedanken im Kopf: „Natürlich bin ich für die Einbeziehung der Öffentlichkeit! Wir sollten alle viel früher unsere Meinung zu wissenschaftlichen Fragestellungen abgeben dürfen! Denken Sie nur an Themen wie den ökologischen Umbau der Wirtschaft, gentechnisch veränderte Lebensmittel, Fracking!“ Das sind bloß ein paar der wissenschaftlichen Herausforderungen, die unsere Gesellschaft als Ganze betreffen – und die Kommunikation bei diesen Themen sind traditionell eher Einbahnstraßen. Aber bei dem allgemeinen Trend zu mehr Bürgerbeteiligung wäre es doch prima, diese auch in der Wissenschaft einzuführen, oder?

Doch dieser idealistische Höhenflug wurde vorschnell abgebremst, als ich gefragt wurde, was Bürgerbeteiligung in meinem eigenen Forschungsfeld bedeuten würde. „In meinem Feld? Oh nein, ich arbeite in der Stammzellenforschung, und die Öffentlichkeit kann bei diesem Thema sehr konservativ sein.“ Hierbei spürte ich plötzlich sehr direkt, warum die meisten Forscher die Öffentlichkeit nicht in ihre Forschung miteinbeziehen wollen: Es ist die Angst vor Ablehnung. Ich erzählte meiner Arbeitsgruppe von meiner spontanen Reaktion, und daraus entwickelte sich eine sehr interessante Debatte darüber, welche Vorteile wir Wissenschaftler davon hätten, die Öffentlichkeit in unsere Forschung stärker einzubeziehen.

„Jeder Forscher hat doch auch mal Zweifel an seiner Vorgehensweise. Wie wäre es, wenn wir diese Zweifel mal öffentlich diskutieren würden?“, meinte eine Diskussionsteilnehmerin. Irgendwie klang das recht sinnvoll. Häufig fragt man sich ja als Forscher: Ist dieser Ansatz überhaupt der richtige, um am Ende das herauszufinden, was ich eigentlich wissen möchte? Und bei denjenigen Themen, für die sich die Bevölkerung interessiert (und das sind viele, von Stammzellenforschung über Atomkraft bis hin zu neuen Recyclingtechniken) – sollten wir da nicht die Öffentlichkeit mit einbeziehen, damit sie für uns Forscher zu einer Quelle der Inspiration werden kann? Wer garantiert mir denn, dass meine einsame Entscheidung besser ist als die Entscheidung einer ganzen Gruppe?

Die Einbeziehung der Öffentlichkeit ist keine Einbahnstraße, es geht um Kommunikation in beide Richtungen. Und das oberste Ziel kann auch nicht sein, Akzeptanz für unsere Forschung zu schaffen. Vielmehr geht es um einen Dialog mit den Bürgern: Sie sollen Teil des Forschungsprozesses werden, vom Forschungsdesign bis zur Verbreitung der Ergebnisse. So könnten sie die Forschung mitgestalten – eine Demokratisierung der Forschung, sozusagen. Hierbei geht es auch darum, gegenseitiges Vertrauen und gegenseitigen Respekt aufzubauen, und zwar in beide Richtungen: Wir Forscher müssen auch lernen, den Bürgern zuzutrauen, dass sie intelligente Lösungen vorschlagen können oder zumindest Aspekte hervorheben können, die wir vorher nicht bedacht hatten.

Eines ist klar: die Einbeziehung der Öffentlichkeit erfordert Transparenz, dazu gehört auch der Zugang zu sämtlichen Daten und zu allen Veröffentlichungen. Damit die Einbeziehung funktioniert, sollte sie außerdem fest verankert werden, zum Beispiel als fester Bestandteil in jedem Förderantrag. Wir brauchen ein gewisses Maß an öffentlicher Beteiligung um abschätzen zu können, ob sie unsere Erwartungen erfüllt. Es gibt schon einige Universitäten, die bürgerschaftliches Engagement gezielt fördern (mehr dazu hier). Ganz wichtig ist auch: Vertrauensbildung braucht Zeit.

Als Forscher erkennen wir so langsam mögliche Vorteile der Bürgerbeteiligung. Sie birgt jedoch auch Risiken – wir sollten uns davor hüten, die Öffentlichkeit durch die rosarote Brille zu betrachten. Eine Teilnehmerin meinte: „Schlechte Einbeziehung ist schlimmer als keine Einbeziehung!“ Es scheint also einen Weiterbildungsbedarf hier zu geben (alle nickten bei diesem Beitrag vehement). Ein anderer Teilnehmer wandte ein: „Ich fürchte, dass vermehrte Bürgerbeteiligung dazu führt, dass bald jede Menge Marketingfachleute in der Wissenschaft herumrennen.“ Denn die Grenzlinie zwischen Bürgerbeteiligung und PR ist nicht immer klar definiert. Jede/r von uns gehört irgendeiner Interessengruppe an, und als Forscher verteidigen wir unser Forschungsfeld auch gerne mal leidenschaftlich. Wenn man also selbst von einer Sache sehr überzeugt ist – wo hört die Einbeziehung der anderen auf, wo fängt PR an?


Der Workshop wurde von dem Generaldirektorat der EU-Kommission „Verantwortungsbewusste Forschung und Innovation“ organisiert. Die sehr talentierten Illustratoren Jeraldene Lovell-Cole und Clive V. Cole haben die Ergebnisse des Workshops grafisch festgehalten.

Dies sind ein paar einleitende Worte von den jeweiligen Leitern einer Arbeitsgruppe, jede/r von ihnen arbeitet in einem EU-Projekt zum Thema Einbeziehung der Öffentlichkeit:

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Das hier sind die Fragen, mit denen wir uns befassen sollten, sowie ein paar Antworten:

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Am Ende der Veranstaltung gab es einen „Popcorn-Event“: Jeder konnte stehend 3 – 5 Sekunden lang über eine Idee sprechen, die er oder sie besonders wichtig fand (so wie Popcorn im Ofen platzt: schnell hinter einander). Es war toll zu sehen, wie dieses Format eine lebhafte Diskussion unter den Teilnehmern in Gang brachte.

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PS: Alle hier vorgetragenen und abgebildeten Ideen stammen nicht von mir alleine, sondern entstanden in einer gemeinschaftlichen Anstrengung aller Beteiligten.

  • Veröffentlicht in: ESOF
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Ich promoviere in Entwicklungsbiologie am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin. Im Labor untersuche ich, wie sich die Bauchspeicheldrüse im Embryo entwickelt, und wie wir diese Informationen nutzen können, um neue Therapiemöglichkeiten für Diabetes zu entwickeln. Wenn ich abends das Labor verlasse, nehme ich gerne an zahlreichen Aktivitäten der Wissenschaftskommunikation teil, insbesondere Science Slams. Diesen Juni werde ich an dem EuroScience Open Forum (ESOF) teilnehmen, und von dort aus täglich über meine Eindrücke bloggen. Teil des Blogs werden auch Interviews mit Wissenschaftlerinnen aus dem AcademiaNet Portal sein. Seid gespannt auf Beiträge über die spannendsten Forschungsthemen der europäischen Forschungslandschaft, über wissenschaftliche Karrieren und die neuesten Ereignisse aus der Wissenschaftspolitik! Links/ Kontaktmöglichkeite: Twitter: @Nuria83 Mein Science Slam: http://www.youtube.com/watch?v=BJXSY-nylPw About me: http://about.me/nuriace Über den „about me“ Link kann man mir auch mailen.

3 Kommentare

  1. Ein anderer Teilnehmer wandte ein: „Ich fürchte, dass vermehrte Bürgerbeteiligung dazu führt, dass bald jede Menge Marketingfachleute in der Wissenschaft herumrennen.“

    Wissenschaft sollte nur dann staatlich finanziert sein, wenn es dafür besondere Gründe gibt. Dies galt einmal als allgemein anerkannter Grundsatz, der in D natürlich nicht funktioniert, vgl. :
    -> http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/kritik-an-der-dfg-die-freie-wissenschaft-ist-bedroht-11497511.html

    Letztlich werden idT Marketing-Kräfte ‘herumrennen’, sie tun es aber schon, weil das ‘Letztendlich’ längst erreicht ist.

    Besondere Bürgerbeteiligung an staatlich finanzierter Wissenschaftsleistung kann kein Ziel sein.
    Es gibt viele Gründe für das “Dass nicht”, sie müssen aber nicht erklärt werden,
    MFG
    Dr. W

  2. Spannendes Thema, danke! 🙂

    Nun frage ich mich, ob wir durch das Wissenschaftsbloggen nicht bereits Bürgerbeteiligung praktizieren, indem wir Ausschnitte möglichst verständlich präsentieren und sie auf Augenhöhe mit Interessierten diskutieren… Hmmm… (grübelt)

    • Ich würde sagen, da kratzen wir nur an der Oberfläche. Im Endeffekt geht es bei der Bürgerbeteiligung darum, dass die BürgerInnen auch die Möglichkeit haben, was mitzugestalten. Wie oft kommt es denn vor, dass man nach einer Diskussion über einen Blog-Beitrag etwas an der eigenen Forschung ändert?
      Für wahre Bürgerbeteiligung braucht es mehr Kanäle, als nur Blog Beiträge. Es muss Diskussionsräume geben, und das Ergebnis der Bürgerbeteiligung muss irgendwie klar sein. Das ist z.B. der Fall bei crowdfunding, wo die BürgerInnen selber entscheiden, welche Projekte finanziert werden können, oder bei Citizen Science Projekten, bei denen sie selbst an der Forschung beteiligt sind (sei es in dem Design eines Forschungsvorhabens, in der Datenerfassung oder Datenanalyse).

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