Ein Picknick mit Prof. Nosch: über Karriere, Diversität und eine der ältesten Kulturtechniken der Welt

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Exzellente Wissenschaftlerinnen im Blick
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Marie-Louise Nosch (in der Mitte) mit mir und einem weiteren Doktoranden während des dänischen Mittagessens. Bild: Kalliope Sarri.

 

Auf der ESOF Konferenz gibt es Vorträge, Podiumsdiskussionen, Workshops und „unseminars“. Für Nachwuchsforscher gibt es außerdem das Format „Picknick mit einem Prof.“, ein informelles dänisches Mittagessen mit namhaften ProfessorInnen. Ich hatte mich für ein Mittagessen mit Marie-Louise Nosch angemeldet, sie gehört dem AcademiaNet-Netzwerk an, das exzellente Forscherinnen ins Blickfeld rücken möchte. Prof. Nosch ist eine preisgekrönte Expertin für Textilgeschichte und gehört zum Organisationsteam der ESOF vor Ort.

Ich glaube, Marie-Louise ist eine der aufgeschlossensten Professorinnen, die ich je getroffen habe: Zuerst hat sie rund eine Stunden lang mit jungen ForscherInnen über deren Karrierefragen gesprochen, und anschließend lud sie mich zu sich nach Hause ein, damit wir unsere sehr interessante Diskussion über viele Themen dort fortsetzen konnten. Marie-Louise ist nicht nur sehr begeistert von ihrem Forschungsthema, sie ist auch in der Lage, ihr Thema in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Dadurch wurde mir erst klar, wie cool Textilgeschichte eigentlich ist. Und ich verstand plötzlich, dass ich Textilterminologie jeden Tag verwende, sogar in meinem Labor!

Wenn Sie als Professorin und Mentorin den Studenten einen Rat geben, welcher Aspekt steht dabei meist besonders im Vordergrund?

Es ist schon lustig, aber meine Hauptaufgabe besteht häufig darin, den Studenten zu sagen: „Das machst Du alles super!“ Außerdem verfasse ich mit jedem meiner Teamkollegen einen so genannten Karriereplan, der alle sechs Monate überarbeitet wird, sogar mit den studentischen Hilfskräften. In diesen Debatten geht es natürlich um eine Menge unterschiedlicher Themen, aber drei Ratschläge möchte ich hier besonders hervorheben: Leiste hervorragende Arbeit, sehe zu, dass Dein Lebenslauf interessant ist – und sei die Person, mit der jede/r gerne arbeiten möchte.

Sie sind eine der ganz wenigen Direktorinnen eines „Center of Excellence“ in Dänemark, ungefähr vergleichbar mit den deutschen Exzellenzclustern. Wie kommentieren Sie diese Tatsache?

In Dänemark wird das Thema Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen ganz heiß diskutiert. Wir bieten hierzulande ein volles Erziehungsjahr bei vollem Lohnausgleich, 90% aller Frauen arbeiten, und es gibt zahlreiche Maßnahmen, um Erwerbs- und Familienarbeit gerechter zu verteilen. Trotzdem ist die Zahl der Frauen in Führungspositionen zum Beispiel an Universitäten immer noch deutlich schlechter als in anderen Ländern.

(kleiner Einschub: Der Report der EU Kommission mit dem Titel „She Figures 2012“ gibt 15% weibliche Professoren für Dänemark an, 20% in Italien und 35,6% für den Spitzenreiter Rumänien. In den Fachbereichen Naturwisschenschaften, Mathematik und Informatik sind insgesamt 35% der dänischen Doktoranden weiblich, verglichen mit 52% in Italien.)

Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für dieses Ungleichgewicht in Dänemark?

Trotz aller äußerer Maßnahmen gibt es immer noch eine Menge Vorurteile darüber, wie exzellente Forschung präsentiert werden soll, oder wie ein „Genie“ aussehen soll. Ich sehe das an meinen Kollegen jeden Tag: Die Kolleginnen arbeiten gerne in Arbeitsgruppen, das wird in unserem Wissenschaftssystem aber nicht belohnt. Aber ich muss hier vorsichtig sein: In meinem Feld arbeiten mehr Frauen als Männer. Daher kommt es durchaus vor, dass wir die wenigen Männer indirekt ausschließen, ohne das wir es merken. Es ist immer schwierig, wenn Sie in einer Minderheitenposition sind, da müssen wir alle höllisch aufpassen. Das Wichtigste ist in diesem Zusammenhang, dass wir Diversität fördern: Nicht nur beim Thema Geschlecht, sondern auch bei der kulturellen Herkunft. Fabiola Gianotti sagte ja schon auf der Eröffnungsveranstaltung: Von Vielfalt in der Forschung können wir alle profitieren, das ist eine Riesenchance.

Sie hatten sich in Ihrer Forschung zunächst auf die Geschichte des antiken Griechenlands spezialisiert. Wie kamen Sie dann auf das Thema Textilgeschichte?

Ich hatte mich auf antike griechische Inschriften spezialisiert. Hierbei stellte ich überrascht fest: Ein nennenswerter Anteil der Inschriften bezieht sich auf Textilien. Daraufhin untersuchte ich die Palastkulturen im Zweistromland, also im heutigen Syrien, Iran und Irak, sowie die Kulturen im Alten Ägypten genauer, und siehe da: Hier fand ich das gleiche Muster wie im antiken Griechenland. In der Bronzezeit wurde die Textilherstellung bereits sehr genau verwaltet und dokumentiert, vor allem im Rahmen der so genannten Tempelwirtschaft im Zweistromland. Statt Bronzezeit sollten wir lieber Wollzeit sagen! Die Menschen hatten begonnen, von domestizierten Schafen Wolle zu gewinnen, und die weidenden Schafe veränderte auch die Landschaft nachhaltig. Außerdem besaßen sie Menschen damals ein breites Spektrum an Farbstoffen: Es gab geradezu einen Farbenexplosion in der Bronzezeit! In diesen antiken Gesellschaften galt Wolle ebenso als wertvolle Währung wie die schwer zu gewinnenden Metalle. Wolle gehörte also zu den Grundfesten der vor-monetären Gesellschaft.

Ihr Exzellenzcluster beschäftigt sich mit Textilforschung. Wie begann dieses Projekt zu einem eher ungewöhnlichen Thema?

Ich hatte in vielen europäischen Institutionen gearbeitet. Als ich nach Dänemark zurück kam, wurde mir erst klar, dass fast nur in Dänemark komplette Kleidungsstücke aus der Bronzezeit erhalten sind. Im Mittelmeerraum sind sie nicht erhalten. Also habe ich meine liebsten und besten Kollegen um mich versammelt und ein Exzellenzcluster gegründet. Unser Ziel ist es, die vielen Informationen aus Südeuropa (die Inschriften und Bilder, durch die wir viele Begriffe und Preise erfahren) mit den tatsächlichen Textilien in Nordeuropa zu vergleichen. Bei echten Kleidungsstücken können wir deren Qualität, die Webrichtung, die Webtechnik sowie die DNA der Schafe und vieles mehr analysieren. Ich bearbeite nur einen kleinen Ausschnitt dieses großen Themas, aber wir arbeiten alle eng zusammen und ich lerne jede Menge von meinen KollegInnen.

Also ich muss sagen: Textilgeschichte ist viel spannender als ich dachte!

Unbedingt! Als wir anfingen, sagten viele Leute: „Das ist zwar interessant, aber doch sehr spezialisiert.“ Jetzt, ein bisschen später, sagen die meisten Leute: „Das ist aber ein breites Feld!“ Bezüge zur Textilgeschichte gibt es fast überall in der Gesellschaft. Fangen wir mal mit der Begrifflichkeit an: Viele Begriffe zum Beispiel in der Physik stammen aus der Textilkunde, wie die Stringtheorie, oder die Verschränkung zweier Quantenobjekte („entanglement“). Schon die alten Griechen sahen das Universum als Spindel und den Himmel als Teppich, in den die Menschen eingewoben sind. In der Medizin spricht man von Gewebe und (Muskel-) Fasern. Gleichzeitig sind Textilien ein sehr internationales Thema, zu dem immer wieder hitzige aktuelle Debatten geführt werden.

Hier auf der ESOF ging es oft um den Herausforderungen, denen sich die heutigen Gesellschaften stellen müssen. Gibt es auch Herausforderungen beim Thema Textilien?

Auf jeden Fall, die Textilproduktion ist einer der größten Umweltverschmutzer überhaupt. Seit ungefähr 25.000 Jahren nutzen die Menschen Naturfasern, erst seit dem Zweiten Weltkrieg werden Kunstfasern im  großen Stil produziert. Aber diese basieren auf Erdöl und sind unglaubliche Umweltverschmutzer. Zurück zur Naturfaser geht auch nicht wirklich, weil heute fast nur noch gentechnisch veränderte Baumwolle angepflanzt wird, und dafür braucht man wiederum eine Menge Pestizide. Nicht veränderte Baumwolle gibt es kaum noch, es existieren nicht einmal mehr Maschinen, um natürliche Baumwolle zu verarbeiten. Aber sogar Öko-Baumwolle hat ihre Probleme, weil man für ihre Herstellung ebenfalls sehr viel Wasser benötigt.

Bei all diesen Problemen: Wie sehen die Textilfasern der Zukunft aus? Wie können wir Textilien nachhaltig herstellen?

In Asien werden aktuell Fasern auf Zuckerbasis entwickelt, Seide aus Soja gibt es schon. Ein wichtiges Ziel bei diesen ganz neu entwickelten Fasern ist, dass sie problemlos recyclebar sein sollen: Es soll möglich werden, Altkleider einfach einzuschmelzen und in neue Textilfasern zu verwandeln. Durch solch eine Technologie würde riesige Landflächen frei werden, auf denen man dann andere Dinge anbauen kann.

 

Falls Sie mehr zur Textilforschung lesen wollen, eine der WissenschaftlerInnen im dänischen Exzellenzcluster für Textilforschung schreibt ein Blog.

 

 

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Ich promoviere in Entwicklungsbiologie am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin. Im Labor untersuche ich, wie sich die Bauchspeicheldrüse im Embryo entwickelt, und wie wir diese Informationen nutzen können, um neue Therapiemöglichkeiten für Diabetes zu entwickeln. Wenn ich abends das Labor verlasse, nehme ich gerne an zahlreichen Aktivitäten der Wissenschaftskommunikation teil, insbesondere Science Slams. Diesen Juni werde ich an dem EuroScience Open Forum (ESOF) teilnehmen, und von dort aus täglich über meine Eindrücke bloggen. Teil des Blogs werden auch Interviews mit Wissenschaftlerinnen aus dem AcademiaNet Portal sein. Seid gespannt auf Beiträge über die spannendsten Forschungsthemen der europäischen Forschungslandschaft, über wissenschaftliche Karrieren und die neuesten Ereignisse aus der Wissenschaftspolitik! Links/ Kontaktmöglichkeite: Twitter: @Nuria83 Mein Science Slam: http://www.youtube.com/watch?v=BJXSY-nylPw About me: http://about.me/nuriace Über den „about me“ Link kann man mir auch mailen.

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