Und es ward Licht
BLOG: Abenteuer Geschichte – Archäologie unterm Galgen
Ioannas Einstiegsfrage in die Grabung: nach Kreuzungen und Gablungen im Leben, kulminierte heute in einem zauberhaften Grabungsabschluss. Die Wärme und Gastfreundlichkeit, die uns die ganze Ausgrabung begleitete, fand heute ihren Höhepunkt. Der war zuerst an der eigentlichen Grabungsstelle mit Besuch aller Beteiligten, die uns diese Grabung überhaupt erst ermöglichten. Gefolgt von einem fröhlicher Abend im inspirierenden Konsum Barsikow. Hiermit sei unser Geheimtipp in die Welt getragen. Wer hochgradig spannende Lebensgeschichten und fulminante Beköstigung mag, wird diesen Ort lieben.
Was sind nun die Grabungserkenntnisse? Wir konnten zwei Bestattungsgruben und ein Pfostenloch lokalisieren. Die Gebeine, so unsere aktuelle Arbeitshypothese, scheinen später entnommen und heimlich auf geweihtem Boden vergraben worden zu sein. Dafür gibt es historische Beispiele. Ganz im Sinne der Wärme, die uns die ganze Zeit umgab, scheint die Möglichkeit, dass Angehörige die Körper der gestorbenen Frauen, nachträglich in geweihten Boden verbrachten nicht unwahrscheinlich.
In dieser Gegend treffen sich nicht nur verschiedene Lebenswege im Jetzt, sondern überraschend viele historische Ereignisse der Geschichte an sich und unglaublich viele schöne Menschen.
Wir hoffen also wieder hierher zurückzukehren und können nur jedem empfehlen, hier einen Moment zu verweilen.
Lena
Beim Lesen der archäologischen Grabungserfahrungen wird einem der “Fluch der Akribik”, wie a.o. so andeutungsreich formuliert, deutlich. Um die Abenteuer der Geschichte sichtbar zu machen, bedarf es der Ausdauer und minutiöser Kleinarbeit mit Spatel und Pinsel. Erst so sprechen die Skelette aus der Vergangenheit zu uns. Ich stelle mir vor, dass die Archäolog*innen mit großer Geschichtskenntnis und Ausdauer gesegnet sein müssen – bei gleichzeitigem Studium der regionalen Annalen und Durchforsten der Archive, um aus tönernen Scherben und vergrabenen Gebeinen die Zeit unserer Vorfahren in derselben Farbenpracht, wie wir sie heute jeden Tag sehen, auferstehen zu lassen.
Gestern, 13.09.2020 sah ich einen Betrag in ZDF-History zur Richtstättenarchäologie. Als Rezipienten dürfen wir diesen Part der staubigen, unter allen möglichen Witterungsbedingungen stattfindenden Grabungsarbeit getrost überspringen und bekommen die Resultate der Erkenntnisse in teils nachgestellten Sequenzen anschaulich präsentiert. So war mir beispielsweise nicht bewusst, dass es beim Erhängen nicht darauf ankommt die Luftröhre zuzudrücken sondern die Halsschlagadern, die dann die Blutzufuhr des Gehirns nicht mehr gewährleisten können – nun ja, das ist kein Grabungsbefund, gehört aber zum Bild des staatlich legitimierten Tötungsvorganges hinzu. Ebenso der Kontext des Scharfrichter- und Henkertums. Sich in die Diesseits- und Jenseitsvorstellungen der mittelalterlichen Welt hineinzudenken zu können und die Differenzierung zwischen “ehrlichem” und “unehrlichem” Tod in seiner Bedeutung einschätzen zu können, wurde dort ausgeleuchtet. D.h. dadurch auch aus der Grablegungsposition der Skelette die Schmach verstehen zu können, die unehrliche Bestattung als nicht zu überwindende Hürde für den Transit ins Himmelreich bedeutete, was für den damaligen Menschen “existenziell” war, wurde da ganz plastisch deutlich gemacht. Für den areligiösen Menschen endet die Existenz mit dem Tod, so dass aus dessen Sicht diese Schmach gar nicht verständlich ist und so z.B. auch nicht die Notwendigkeit, die Angehörige der Gehenkten darin gesehen haben könnten, deren Gebeine umzubetten.
All diese detailreichen Funde der Archäologie tragen dazu bei, unser heutiges Bild dieser damaligen Welt verständlicher zu machen!
Vielen Dank für eure Arbeit, die dies möglich macht!
Lieber Hannes, danke für diese schönen Zeilen. Ich war ganz berührt von diesem Text und freue mich umso mehr, unsere Arbeit so verstanden und gewürdigt zu wissen. Und zu wissen, dass sie genau das erreicht, was wir Archäologen uns damit wünschen: ein Fenster in die Vergangenheit zu öffnen und einzuladen, diese ferne und doch so nahe Zeit mit dem Verständnis eines Zeitgenossen zu betrachten. Viele Bewertungen über die Geschichte unserer Vorfahren fallen dann realistischer und naher an der Wirklichkeit orientiert aus. Lapidare Sätze wie das “finstere Mittelalter” oder “grausame Zeit” werden dann noch einmal neu überdacht und hinterfragt.
Ich freue mich wirklich sehr, dass dieses Fenster wohl ganz weit offensteht und kann nur einladen, tiefer hineinzusteigen und sich damit unserer (Rechts)Geschichte weiter zu nähern!
Herzliche Grüße
Marita Genesis