Cerberus oder der kopflose Wächter auf dem Galgenberg

BLOG: Abenteuer Geschichte – Archäologie unterm Galgen

Geköpft und mit Steinen beschwert – archäologische Spuren von Hinrichtungen und Abwehrzauber in Mittelalter und Neuzeit
Abenteuer Geschichte – Archäologie unterm Galgen

 

Die Kiste vor der letzten Freilegung, abgesackte Holzbohlen bedecken noch einen Großteil des Tieres, doch der Kopf befand sich - entgegen unserer Hoffnung - nicht mehr darunter.
Die Kiste vor der letzten Freilegung, abgesackte Holzbohlen bedecken noch einen Großteil des Tieres, doch der Kopf befand sich – entgegen unserer Hoffnung – nicht mehr darunter.

Ja, nun ist es heraus, unser Geheimnis. ZIBB im RBB, 12.10.2016.

Die aufwendig vernagelte Kiste, im oberen Bereich zusätzlich mit Querbalken über dem Dach gesichert, gibt jedoch noch immer Rätsel auf.

Zum einen: auf einem Galgenberg lief man nicht zur Freude spazieren oder begrub seine Haustiere. Nach neuzeitlichem Verständnis waren diese Plätze mit Infamie, Tod, Geisterspuk und Zauberei besetzt. Man konnte auch selbst seine Ehre verlieren, betrat man diese Orte der Strafgerichtsbarkeit. Nur der Scharfrichter, seine Gehilfen und die Abdecker (auch Wasenmeister genannt) konnten dessen ungeachtet die Hochgerichte, Galgenberge und Rabensteine betreten. Wer von ihnen vergrub hier eine derartig vernagelte Kiste? Und wozu?

Eine mögliche Antwort gibt der Inhalt: gefunden haben wir ein Hundeskelett in Seitenlage. Der Kopf fehlt. Eine Tierbestrafung, wie in Mittelalter und Neuzeit durchaus üblich, käme hier nur als Decapitation in Frage. Um dies sicher zu beantworten, muss die Halswirbelsäule auf Schnittspuren untersucht werden. Dieser Annahme könnte die auffällig verschlossene Kiste entgegenstehen. Denn hätte man eine bestrafte Tierleiche nicht genauso wie die Delinquenten in einer einfachen Grube ohne alles verscharrt? Offensichtlich wollte man hier oben etwas vergraben, was um keinen Preis aus der Kiste heraus käme.

Nun käme Möglichkeit zwei in Betracht: der Hund ist nicht nur als treuer Begleiter des Menschen bekannt, sondern er ist auch der Höllenhund, Cerberus, der den Eingang zur Unterwelt bewacht. Das Aberglaube, die Angst vor Wiedergängern (Untoten, Totenschmatzer, Nachzehrer usw.) stark in der Neuzeit ausgeprägt war, zeigt auch das kürzlich erschienene Werk “Geköpft und gepfählt. Archäologen auf der Jagd nach den Untoten“. Archäologische Funde wie Steinbeschwerungen auf dem Körper oder Festnageln- oder pfählen im Grab weisen darauf hin, das man aktiven Abwehrzauber gegen Wiedergänger betrieben hat. Unter Wiedergängern verstand man Menschen, deren Leben vorzeitig geendet hat. Dazu gehören auch unsere Hingerichteten auf dem Wasenberg. Um sie nun im Boden zu halten, könnte man an dieser Stelle den Berg mit einem Hund “versiegelt” haben. Er bewacht somit den Berg und sorgt dafür, dass die Wiedergänger nicht in das Reich der Lebenden zurückkehren können.  Quellen (nachzulesen bei Bächtold-Stäubli) zeigen an, dass der Hund häufiger als Schutzzauber beim Bau von Deichen und Stadtmauern verwendet wurde. Unter Schwellen begraben findet er sich in slawischer Zeit in Türeingängen.

Wenn sich unsere Kiste in das 19. Jh. datieren lässt, erhärtet dies die Annahme eines Schutzzaubers. Denn zu Beginn des 19. Jh. wurde der Galgen auf dem Wasenberg abgerissen und drei Eichen zur Erinnerung gepflanzt. Was liegt näher, als ihn zu dieser Zeit auch für die Ewigkeit zu versiegeln?

Mit diesen Arbeitsthesen im Kopf haben wir heute begonnen, die Gruben langsam zu zuschaufeln. Alle Funde und übrigen Befunde werden aufgearbeitet, zeitlich bestimmt und ergeben im Abschluss ein Gesamtbild, das möglicherweise unseren Abwehrzauber und damit die  eingegrabene Kiste näher eingrenzt.

Marita Genesis

 

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Zu meiner Person: Dr. phil., Historikerin/Archäologin M.A. Schwerpunkt: Rechtsarchäologie, archäologische und historische Richtstättenerfassung

11 Kommentare

    • @Svenna
      Das freut mich!
      Inzwischen gibt es Rückmeldungen von 2 Kollegen, die eine ähnliche Situation von ihren Grabungen auf dem Richtplatz (Polen und Großbritannien) kennen. Der Austausch dazu wird hoffentlich noch mehr Licht in den Grabungsbefund werfen.

  1. “auf einem Galgenberg lief man nicht zur Freude spazieren oder begrub seine Haustiere. Nach neuzeitlichem Verständnis waren diese Plätze mit Infamie, Tod, Geisterspuk und Zauberei besetzt. Man konnte auch selbst seine Ehre verlieren, betrat man diese Orte der Strafgerichtsbarkeit.”

    Die Grenzen solcher verruchter Orte konnte eventuell auch sehr eng begrenzt sein. Darauf weisen Zeichnungen von Hendrick Avercamp (1584-1634) im Rijksmuseum Amsterdam hin, wo sich Schlittschuhläufer sehr nahe einem Galgen aufhalten. Solche Zeichnungen sind selbstverständlich keine urkundlichen Dokumentationen, aber etwas muss sich der Künstler ja gedacht haben, der Kontrast zwischen Vergnügen und Schrecken und Tod ist offensichtlich.

    http://hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.27149

    http://hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.27144

  2. @Paul Stefan Vielen Dank für Ihren Hinweis! Ich stimme Ihnen zu, bildnerische Quellen sind mit einiger Vorsicht zu genießen – für die Gesamtdarstellung wurden manchmal Kirchtürme verschoben – und doch ist es besonders, dass der Künstler diese Plätze scheinbar nebensächlich dargestellt hat.
    Was mich aber natürlich ganz besonders interessiert, ist die Bauweise der Galgen. Aus Stein und sehr aufwendig der erste, schon ziemlich verfallen mit umfangreichem Stützwerk der zweite. Wissen Sie eventuell auch, welchen Ort der Künstler gezeichnet hat?
    HG
    Marita Genesis

    • Bei dem Steingalgen handelt es sich um den Galgen von Kampen. Avercamp lebte in Kampen. Wie ich gerade gefunden habe, gibt es auch eine Radierung von 1643 von Wenzeslaus Hollar von diesem Galgen. Auf den Pfeiler sitzen offenbar Löwen als Schildhalter.
      http://hdl.handle.net/10934/RM0001.COLLECT.480229

      Es gab ähnliche dreiseitige Steingalgen bei Arnheim (ganz deutlich mit sitzenden Löwen als Schildträger), zu mindestens gibt es einen Plan:
      https://nl.wikipedia.org/wiki/Galgenveld_(algemeen)?uselang=de#/media/File:Galgenberg_Arnhem_1734.jpg

      Avercamp hat den Steingalgen von Kampen mehrfach dargestellt, auch einmal mit einer Ansicht von Kampen im Hintergrund, und zwar auf einem Gemälde, das sich als eine private Leihgabe im Frans Hals Museum Haarlem befindet. Dort sieht man sogar einen Unverfrorenen, der an das Podest des Galgen kackt. Kacker waren in der niederländischen Malerei ein beliebtes Motiv, Avercamp benutzt es häufiger. Holzgalgen tauchen bei ihm auch mehrfach auf.
      Eine gute Detailabbildung des Galgens mit dem Kacker gibt es in:
      Hendrick Avercamp, De Meester van het ijsgwzicht, Ausstellungs-Kat. Rijksmuseum Amsterdam 2009, S. 77, Abb. 95.
      Es gibt sicherlich auch eine englische Ausgabe.
      In der Datenbank des Rijksmuseums gibt es noch weitere Galgendarstellungen.
      Das berühmte Gemälde Pieter Bruegels d. Ä., „Die Elster auf dem Galgen“, zeigt einen Galgenberg in einer freundlichen Überschaulandschaft mit weitem Ausblick. Die Dorfbewohner tanzen unweit des Galgens. Der Pferdeschädel auf dem Boden verweist auf Tod und Vergänglichkeit, aber er ist ziemlich sicher hier als Symbol eingesetzt, nicht als Realie, z.B. als Überrest eines magischen Opfers. Links gibt es wieder einen Kacker. Pferdeschädel tauchen auch auf anderen Landschaftsbildern am Wegesrand auf.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Elster_auf_dem_Galgen

      Das Galgenberge verruchte Orte waren, ist sicherlich grundsätzlich richtig, aber eventuell regional, zeitlich oder sozial zu differenzieren. Die Romantik hat möglicherweise dazu beigetragen, ein einseitig schauriges Bild vom Galgen zu überliefern.

      • @ Paul Stefan Danke für die vielen Hinweise und die Bildquellen.
        Nun die Infamie der Richtstätten begann sich mit der Entstehung von Randgruppen allgemein in der Gesellschaft zu formieren. Man distanzierte sich von bestimmten Berufen, Menschengruppen – religiös, sozial „unehrenhaft“ und vielen anderen mit besonderen Merkmalen behafteten Individuen. Damit verbunden waren zwangsweise auch die Örtlichkeiten, an denen randständige Berufe ihr Gewerbe ausübten. Als Vollstrecker der Todesstrafe war der Arbeitsplatz des Scharfrichters – gemeint die Galgenberge – zusätzlich von Tod und Verwesung besetzt, was eine Anrüchigkeit des Platzes noch steigerte. Zudem nutzte auch der städtische Abdecker manchmal, nicht zwangsläufig, den Galgenberg als Schindanger, um gefallenes Vieh zu verscharren. Ein zusätzliches Indiz für einen verruchten Ort – galt doch der Abdecker neben dem Totengräber als unterste marginalisierte Bevölkerungsschicht. Dennoch, Sie mögen Recht haben, sind die Plätze zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Regionen eben auch unterschiedlich stark mit Abscheu, Aberglaube und Infamie in Zusammenhang gebracht worden.
        Kurze Anmerkung: In Erfurt wurde eine Reihe von Pferdeschädeln am Rand des Richtplatzes niedergelegt – das letzte Pferd schaute seine Reihe an – wohl auch Abwehrzauber gegen den Richtplatz gerichtet. Quelle: Genesis, M. (2008) Der Rabenstein in Erfurt. Eine mittelalterliche/frühneuzeitliche Richtstätte in historischen und archäologischen Quellen. In: Richtstättenarchäologie Bd. I, Auler J. (Hrsg.), Dormagen, 2008, 144-150.

  3. … und unserer hatte auch keine Reste von Leine, Schnur oder Stoff 🙁
    Lässt sich noch klären, aus welchem Material die Innen”auskleidung” war?
    Ach, ich bin so gespannt, was die Auswertungen ergeben!!!

    • @ Ines Teubel Peru, die Slawen…nur archäologische Beispiele von sogenannten „Sonderbestattungen“ von Hunden. Und zu Leine, Stoff etc: wir haben von allen auffälligen Schichten Proben genommen und hoffen, dass hier im Labor Ergebnisse herauskommen. Das würde eine Datierung eingrenzen und unseren Hund in der Kiste eine deutlichere Geschichte erzählen lassen. Warten wir ab!

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