Vorstellung

BLOG: 3G

Gehirn · Geist · Gott
3G

Bitte stellen Sie sich eine geschlossene rosa Holzkiste in einem völlig dunklen Raum vor, in der sich ein buntes Spielzeug-Osterhäschen befindet. – Ich vermute, Sie alle haben damit überhaupt kein Problem. – Aber sollten Sie nicht eigentlich nur – schwarz sehen? Nichts? Der Raum ist doch völlig dunkel! Und die Kiste ist außerdem geschlossen!

Vorstellung (engl. imagery) ist ein äußerst interessantes Phänomen, ohne das wir weder Psychopathologie noch Wissenschaft noch Religion verstehen können – Vorstellung ist essentiell für das menschliche Leben und Überleben im Allgemeinen und das Seelenleben im Besonderen.

Die Achtsamkeitsmeditation wird religiös-spirituell meines Erachtens weit überschätzt, aber man kann ihr eines nicht absprechen: Sie ermöglicht vielen Menschen, zum ersten Mal die Tätigkeit ihrer Aufmerksamkeit zu bemerken und die Unterscheidung zwischen Empfindung einerseits und Vorstellung bzw. Gedanke andererseits überhaupt kennenzulernen und näher zu erforschen. Psychologisch bzw. neuropsychologisch lässt sich die hierbei übliche Anleitung so umformulieren: Bleibe mit Deiner Aufmerksamkeit bei den frühen, sensorischen Stadien der Wahrnehmung – die wir im Folgenden zur Unterscheidung von alltäglichen Wahrnehmungen Empfindungen nennen werden. Beispiel: Man hört den Knall einer Tür, die zugeschlagen wird – denkt nun aber nicht über Tür, zuschlagen, wer könnte das warum gemacht haben, welche Tür könnte das sein, usw. nach (wobei dieses Nach-Denken ein Nachhängen in Gedanken, eine gedankliche Analyse einer vorausgegangenen kompletten Wahrnehmung ist) – sondern man bleibt stets auf der Höhe des Jetzt und hört umgehend weiter auf die eintreffenden Geräusche jetzt, und jetzt, und jetzt, und jetzt. Kurz: Man fokussiert weiterhin auf die tatsächlichen unmittelbaren auditorischen Empfindungen. Analog auch für visuelle, propriozeptive, kinästhetische, usw. Empfindungen. Wenn es einem gelingt, die Aufmerksamkeit bei diesen frühen Empfindungsstadien zu halten – d.h. möglichst keine Aufmerksamkeit auf die nachgeschaltete konzeptuelle Interpretation dieser Empfindungen abzuzweigen – entfällt bald auch die Unterscheidung in verschiedene Sinnessysteme. Es resultiert ein einziges komplexes Erlebensfeld. Interessanterweise stellt man dann fest, dass man diesem Feld nicht mehr als Beobachter getrennt gegenübersteht: Das von den wahrgenommenen Objekten getrennte beobachtende Ich verschwindet im Feld unmittelbarer Empfindungen mit den Objekten (und kehrt später auch gemeinsam mit diesen wieder zurück). Wenn Sie dieses Erlebensfeld einmal gefunden haben, können Sie es jederzeit wieder aufrufen – wie bei den berühmten 3D-Druckbildern: wenn Sie den Trick einmal kapiert haben, brauchen Sie dann nur noch wenige Sekunden für jedes Bild. Die reine Präsenz dieses Erlebens ist faszinierend. Nichts wiederholt sich (dies zu erkennen, impliziert jedoch, immer noch zu vergleichen …). Somit entzieht sich dieses Feld vollständig jeglicher Beschreibung bzw. Konzeptualisierung. Um zu Konzepten, Begriffen, Mustern, Urteilen usw. zu gelangen, müssen wir vom unmittelbaren Erleben abstrahieren, uns davon entfernen, die weiteren Stadien der Wahrnehmung und des Erkennens und Beurteilens durchlaufen (was wir in der Meditation vermeiden).

Alles, was nicht unmittelbare Empfindung ist, findet “nur” in unserer Vorstellung bzw. in unseren Gedanken statt. Ich wiederhole diese zentrale Einsicht aus der Achtsamkeitsmeditation: Alles, was nicht unmittelbare Empfindung ist, findet “nur” in unserer Vorstellung bzw. in unseren Gedanken statt, beruht also auf Abstraktion und hat eine komplexe konzeptuell-semantische Interpretation und Einordnung erfahren: Es bedeutet etwas, es erfüllt eine Funktion, es hat einen Sinn, wir erkennen und verstehen es. (Reine Empfindung bedeutet hingegen absolut nichts und ist für absolut nichts gut – die Quelle der Paradoxien im Zen.)

Praxistipp: Auch Vorstellungen und Gedanken nehmen wir “irgendwie” wahr. Sie können daher ebenso wie je jetzige Empfindungen betrachtet werden; sie stören die Meditation dann nicht mehr.

Biologisch betrachtet, handelt es sich beim kenshō (dem Erleben reiner vorsprachlicher Gegenwart) sicher nicht um einen höheren Bewusstseinszustand – denn wir hätten keine Chance zu überleben, wenn wir wie Babies oder schwer demente oder geistig behinderte Personen nicht über die Fähigkeit zur konzeptuellen Interpretation unserer Empfindungen verfügen würden, wenn wir weder Vorstellungen noch Gedanken hätten. Selbst der Bodhisattwa, der 9 Jahre meditierend gegen die Wand seiner Höhle gestarrt und still in der Gegenwart verweilend dagesessen hat, musste mal was essen, musste mal zur Toilette – und irgendwer musste das für ihn organisieren. Wir Menschen leben nicht in einer Welt unmittelbarer Empfindungen und reiner Sinnesdaten, sondern in einer vielfach semantisch-konzeptuell interpretierten, evaluierten und kognitiv aufgeladenen Wirklichkeit. Das gilt im Prinzip für alle Lebewesen: Der Organismus interpretiert eintreffende “Sinnesdaten” und kann dann, abhängig von zahlreichen Bedingungen, sinnvoll reagieren. Das Phänomen der Konditionierung beweist, dass Stimuli psychologisch “aufgeladen” werden können mit “Bedeutung”.

[Epistemologische Randnotiz: Die sensualistische bzw. idealistische Einsicht, dass sich unser Welterleben primär aus sinnlichen Empfindungen und Gedanken bzw. Vorstellungen zusammensetzt, ist kaum zu widerlegen. Das Konzept einer physischen, materiellen Realität, die außerhalb unserer Empfindungen und Wahrnehmungen und unabhängig davon besteht, ist hingegen eine Vorstellung. Dies schließt jedoch keinesfalls aus, dass es sich um eine zutreffende Vorstellung handelt!]

Wir Menschen besitzen die Möglichkeit, unsere Aufmerksamkeit auf einen Aspekt unseres Erlebens zu richten, der über die unmittelbaren Empfindungen klar hinausgeht oder sogar praktisch unabhängig von den “realen” Empfindungen existiert (z.B. das Vorstellungsbild von der rosa Holzkiste); wir verfügen über eine eigene Gedankenwelt, über Fantasie und Fiktion. Der dabei jeweils erlebte Bezug zur Realität oder zu einer möglichen bzw. denkbaren Realität kann stark variieren. Beispielsweise erleben wir bei einer Erinnerung zugleich, dass es sich um das Wiedererleben einer früher bereits tatsächlich erlebten Szene handelt – wir könnten uns dieselbe Szene aber auch vorstellen ohne jeglichen Realitätsbezug (dann ist sie keine Erinnerung mehr). Ein Kinofilm kann dokumentarisch sein und viel originales Filmmaterial enthalten – er kann aber auch völlig fiktiv sein und real Unmögliches zeigen. Wir können die Vorstellung auf ganz eigene Art “schwebend” über unserer aktuellen Wahrnehmung der realen Umgebung aufbauen und dann wie eine zweite Bewusstseinsebene erleben – wir können aber auch völlig von unseren Vorstellungen absorbiert werden, sodass wir alles andere rings um uns herum vergessen. Dieser Zustand der Absorption entspricht einer Trance (oder auch: Tagtraum, dreamy state), unabhängig davon, ob wir die Vorstellung selbst in uns aufbauen (auf ganz traditionelle Weise), oder ob wir sie durch Medien vermittelt erleben. Nachts nennen wir diesen Zustand: Traum. Beim Lesen – also beim Medium Buch – bauen wir eine Vorstellung selbst auf, während wir den visuellen Input der Buchstaben fast nicht mehr wahrnehmen. Bei einem Film erleben wir die zweidimensionalen Objekte auf der Kinoleinwand oder dem Display des Handys, vergessen aber vollständig, dass wir auf eine Kinoleinwand oder ein Display schauen, sondern haben das Gefühl, die dort gezeigten Dinge selbst unmittelbar wahrzunehmen. Man könnte hier von Wahrnehmungen zweiter Ordnungen sprechen, die das Vorstellungsvermögen vollständig kapern können. (Selbstredend können wir während eines Kinofilms in Gedanken und Vorstellungen abschweifen und ganz anderen Ideen nachhängen.) Untersuchungen zum Mind Wandering legen nahe, dass wir einen großen Teil unserer bewusst und wach erlebten Zeit in Gedanken sind; deren Bezug zur jeweils gegebenen Realität kann stark schwanken (vgl. Mind Wandering als gedankliches Abschweifen).

[Weitere Randnotiz: Beim Lesen eines fantastischen Romans lesen wir die Buchstaben automatisch, sie werden bewusst kaum mehr wahrgenommen; das bewusste Erleben ist absorbiert von den beschriebenen Fiktionen – das wäre jedenfalls das ideale Leseerlebnis. Die visuelle Wahrnehmung beim Lesen ist in diesen Fällen sehr schwer zu beschreiben: Wir sehen die Buchstaben, und sehen sie doch nicht. Man benötigt sogar Bewusstsein zum Lesen – aber trotzdem erhält der Lesevorgang selbst so gut wie keine Aufmerksamkeit mehr; wir lesen unterbewusst bzw. vorbewusst. Das Lesen zieht dann keine Aufmerksamkeit vom Erleben der beschriebenen Fiktionen mehr ab; es holt uns auch nicht mehr zurück in die Realität. Ein einziger kleiner Rechtschreibfehler kann diese fantastische Absorption jedoch unterbrechen. Das Thema Sprache (bzw. Symbole) und Vorstellungen verdient einen eigenen Essay.]

Ich komme noch einmal zurück zu unserem Eingangsbeispiel, der verschlossenen rosa Holzkiste in einem stockdunklen Raum. Was geschieht hier? Wir stellen uns die Szene taghell vor und denken uns dann dazu, dass es dunkel sei; wir machen quasi in der Vorstellung das Licht aus – und doch “sehen” wir die Kiste weiterhin: sie ist immer noch da! – Aber ist “Sehen” hier wirklich die richtige Beschreibung? Müssten wir nicht ehrlicherweise sagen: Wir wissen, dass die Kiste immer noch da ist? Der Philosoph Gilbert Ryle charakterisierte Vorstellungen als “Wahrnehmungserwartungen”; dies scheint mir ein sehr interessanter Gedanke zu sein. Die Vorstellung in diesem Beispiel – und im Grunde jede Vorstellung – enthält einen Konjunktiv: Wäre ich in diesem Raum und würde jemand das Licht anschalten, dann sähe ich die rosa Holzkiste; und würde dann jemand den Deckel hochheben, dann erblickte ich darin das bunte Stoffhäschen. Dasselbe für die Szene im Kino – wäre ich wirklich an diesem (fantastischen) Ort, dann sähe ich dort dies und jenes. Und genau so auch für unsere Erinnerungen: Könnte ich noch einmal in der Zeit zurückreisen und befände mich wieder an jenem Ort zu jener Zeit, dann würde sich folgende Szene vor meinen Augen abspielen (die sich jetzt nur vor meinem “inneren Auge” abspielt). Vorstellungen sind Wahrnehmungserwartungen bzw. Vorbereitungen einer antizipierten Wahrnehmung.

Sehen (Hören, Fühlen, etc.)  oder Wissen – was ist Vorstellung (imagery) denn nun? Ich möchte noch zwei andere einschlägige Beispiel anführen: Schach und Billard. Beim Schach spielt man die möglichen Zugvarianten in der Vorstellung durch. Aber sieht der Spieler dabei wirklich das konkrete Schachbrett vor seinem inneren Auge, an dem er gerade spielt? Ich spiele selbst kein Schach (mehr), aber ich würde behaupten, dass hier ausschließlich konzeptuell vorgestellt wird. Dass etwa der Springer nach drei Zügen auf a4 stehen wird, ist eine abstrakte Vorstellung – keinesfalls stellt man sich die konkrete Springerfigur in einer bestimmten räumlichen Ausrichtung auf einer exakten Position samt Schattenwurf etc. auf dem Feld a4 vor: Der Spieler weiß einfach, dass der Springer auf a4 steht. Sicherlich könnte er dazu ein quasi-visuelles Vorstellungsbild, eine Wahrnehmungserwartung generieren, aber dazu besteht keinerlei Notwendigkeit; denn sensorische Details sind irrelevant. Der Schachspieler spielt also Schach in Gedanken, und zwar mit zu 100% auf das Relevante verdichteten, hochabstrakten Repräsentationen der Figuren, ihrer Positionen auf dem Feld und ihrer daraus resultierenden Beziehungen zueinander (z.B. Springer a4 greift Bauer b2 an). Dies nennen wir eine propositionale Repräsentation. – Und wie sieht es beim Billard aus (meiner großen Leidenschaft)? Viele Trainer betonen, wie wichtig die vorherige Visualisierung des geplanten Stoßes sei; die Visualisierung sei so etwas wie die präzise unterbewusste Programmierung des gesamten visuomotorischen Stoßvorgangs. Dieser werde letztlich nicht bewusst kontrolliert, sondern vermittels einer solchen unterbewussten Vorstellung gesteuert (z.B. Tempogefühl). Auch viele Spieler würden sagen, dass sie vor dem Stoß “sehen”, wie die Weiße die Objektkugel trifft und von dort weiterläuft an diesen bestimmten Punkt der Bande und von dort weiter bis an diesen bestimmten Punkt auf dem Tisch (mit perfekter Stellung zur nächsten zu spielenden Kugel). Aber ist dies wirklich ein “Sehen”? Wenn überhaupt, dann ist es eine quasi-visuelle Wahrnehmungserwartung, also eine ziemlich präzise Vorstellung davon, was jetzt passieren soll und was auch passieren muss, was man also gleich sehen wird, wenn der Stoß erfolgreich ist. Es kommt einem dabei so vor, als würde man die Weiße an den verschiedenen kritischen Punkten “sehen” (z.B. am richtigen Kontaktpunkt an der Bande). Man weiß, dass die Weiße so und so laufen wird, wenn man sie auf die vorgestellte Weise anstößt. Ich würde auch hier behaupten, dass man die Weiße in dieser Vorstellung nicht in all ihren visuellen Details sieht, d.h. ihren Schatten oder die Glanzpunkte auf der Kugel oder ihre exakte Größe; man “sieht” sie abstrakt. Und ich würde behaupten, dass der bei dieser Antizipation erlebte sensorische (visuelle) Anteil von Spieler zu Spieler variieren kann; anders formuliert: Ich glaube, dass Aphantasten, denen jedes visuelle Erleben bei ihren Vorstellungen komplett abgeht, keinerlei Probleme haben würden, exzellente Billardspieler zu werden; denn sie könnten die Vorgänge abstrakt repräsentieren und planen!

Der Vollständigkeit halber möchte ich anmerken, dass die hier erörterten Fragen in der Psychologie über mehrere Jahrzehnte zwischen Stephen Kosslyn (*1948), einem US-amerikanischen Psychologen, – quasi-sensorische Konzeption von Vorstellung/imagery, Stichwort: mentale Rotation – und Zenon Walter Pylyshyn (1937-2022), einem kanadischen Kognitionswissenschaftler und Philosophen, – Vorstellungen als propositionale Repräsentationen – debattiert wurden. Funktionelle Bildgebungsstudien scheinen heute Kosslyn final Recht zu geben: Bei visuellen mentalen Vorstellungen werden Bereiche des sekundären visuellen Cortex aktiviert, bei auditorischen Vorstellungen Bereiche des sekundären auditorischen Cortex usw.; Aktivierung der primären sensorischen Areale ist dagegen von realen Wahrnehmungen abhängig.

Eigenlob: Wir selbst konnten in einer Jahrhundertarbeit – die ganze 7 mal zitiert wurde, also noch ihrer Entdeckung durch das Nobelkomitee harrt – zeigen, dass höhere auditorische Areale unter bestimmten Bedingungen durch visuelle (!) Reize stark aktiviert werden können (stärker als durch auditorische Reize!), nämlich wenn sie in einem cross-modalen Design durch visuellen (!) Input getriggert auditorische Wahrnehmungserwartungen aufbauen [Hoppe et al 2014 Brain and Cognition]. Ganz grundsätzlich sehen wir in den Aktivierungsmustern des Gehirns vermutlich wesentlich stärker die Effekte von Antizipation und Wahrnehmungserwartungen als die Effekte der tatsächlichen Stimulation.

Wir sind noch nicht fertig! Das Spannendste kommt natürlich zum Schluss!

In der Psychologie bezeichnet der Begriff “ideomotorisches Prinzip”, auch bekannt als Carpenter-Effekt, den Effekt, dass eine Vorstellung (“ideo”) sich unterbewusst und kaum merklich in motorische Aktivität übersetzt. Nehmen Sie ein Pendel, lassen Sie das Gewicht hängen; halten Sie alles ganz still. Stellen Sie sich dann vor, wie das Gewicht unten im Uhrzeigersinn zu kreisen beginnt, sehen (antizipieren) Sie dies vor Ihrem inneren Auge – es dauert nicht lange und das Pendel wird in der gewünschten Richtung zu kreisen beginnen. Stellen Sie sich dann eine Bewegung im Gegenuhrzeigersinn vor (während Sie das Pendel weiterhin ganz still halten) – und das Pendel wird ganz ruhig in die umgekehrte Bewegung übergehen. Ihre Vorstellung realisiert sich mittels Ihnen unbewusster Mikrobewegungen Ihrer Hand und Ihrer Finger, die durch die Vorstellung, auf die Sie sich fortlaufend konzentrieren, ausgelöst und gesteuert werden. Es findet quasi ein ständiges Feedback zwischen Ihrer Vorstellung als einer Wahrnehmungserwartung und der tatsächlichen Wahrnehmung statt; die unterbewussten Vorgänge werden verstärkt, wenn sich die Wahrnehmung der Erwartung annähert. Die Vorstellung setzt sich quasi “von allein”, “aus sich heraus” in die Realität um; Sie müssen sich dabei nur auf die Vorstellung konzentrieren und das Pendel im Blick behalten. Der Carpenter-Effekt gilt heute als psychologischer Schlüsselmechanismus zur Erklärung vermeintlich paranormaler Phänomenen beim sogenannten Tische rücken bzw. beim “Spiel” mit dem Ouija-Board. Den Teilnehmern einer Séance mag es zwar so vorkommen als wären hier geisterhafte Kräfte am Werke, sodass sich der Tisch beweget. Tatsächlich sind jedoch die Teilnehmer selbst unterbewusst Urheber dieser Bewegung, nämlich vermittels von Vorstellungen einzelner Teilnehmer, die sich motorisch durchsetzen, wie es das ideomotorische Prinzip beschreibt.

Es gibt auch das ideo-sensorische Prinzip: Vorstellungen von bestimmten Empfindungen realisieren sich in Form genau dieser Empfindungen. Das beste Beispiel hierfür ist das Autogene Training, Sie wissen schon: Der Arm ist schwer. Die Hand ist warm. Die Stirn ist kühl usw. Man braucht ein wenig Talent – genauer: psycho-somatische Durchlässigkeit – und etwas Training, dann gelingt es bald, innerhalb weniger Sekunden mit Hilfe der Vorstellung die entsprechende Empfindung tatsächlich aufzurufen. Dies zu können, ist eine wichtige psychologische Ressource, gerade auch in psychischen Krisen. Das eigene Befinden (Stimmung) und Empfinden kann erstaunlich stark mittels geeigneter körpernaher (z.B. propriozeptiver oder kinästhetischer) Vorstellungen in die gewünschte Richtung verändert werden; wir können uns tatsächlich ganz bewusst und absichtlich in Zustände hineinversetzen, in denen wir wesentlich eher in der Lage sind, z.B. ein Problem oder eine schwierige emotionale Situation zu lösen, als in dem Zustand, in den uns unsere Automatismen angesichts bestimmter situativer Trigger üblicherweise versetzen.

Ja, und Sie liegen auch richtig, wenn Sie jetzt vermuten, dass das Phänomen der Hypnose (hier: Fremdhypnose) entscheidend mit dem ideomotorischen bzw. ideosensorischen – zusammengefasst: dem ideodynamischen Prinzip – zusammenhängt und dass die Hypnose eine Anwendung dieses faszinierenden Prinzips darstellt. Dies kann dann sogar kognitive Prozesse betreffen: Sie stellen sich lebhaft vor, dass Sie die Zahl “4” vergessen haben – und dann vergessen Sie tatsächlich die Zahl “4”. Oder Ihren eigenen Namen. Oder die Erinnerung an die ganze Hypnosesitzung. Oder soziale Regeln darüber, welches Verhalten in der Öffentlichkeit angemessen ist. Usw. Gehen Sie davon aus, dass mindestens ein Drittel aller Menschen sehr gut hypnotisierbar ist – also über die für einen ausgeprägten ideodynamischen Effekt erforderliche psycho-somatische Durchlässigkeit verfügt. Dies kann dann bereits eine hinreichende kritische Masse dafür sein, dass sich weitere “Mitläufer” ebenfalls einbilden, zu fühlen, zu sehen, zu hören, was diese Hypnotisierten “tatsächlich” fühlen, sehen, hören.

Es dürfte kaum faszinierendere Phänomene an der Grenze zwischen Vorstellung und Realität geben als die ideodynamischen psychologischen Effekte. Ich werde das in einem nachfolgenden Beitrag noch näher ausführen, aber es erscheint mir ziemlich offensichtlich, dass die meisten Phänomene in der Psychopathologie mit dieser kritischen Grenze, mit diesem kritischen Übergang zwischen Realität, Empfindung und Vorstellung zu tun haben. Ganz besonders gilt das für die sogenannten dissoziativen Störungen, bei denen die Symptomatik häufig aus dominanten Vorstellungen besteht, die sich in tatsächlichen Empfindungen und Bewegungen manifestieren, und die interessanterweise einer suggestiven Beeinflussung gegenüber offen sind (z.B. suggestiv auslösbar sind oder bei Ablenkung verschwinden). Die Betroffenen haben das Gefühl, ihr Körper mache bestimmte Dinge von ganz alleine – aber letztlich sind sie selbst der Urheber dieser Phänomene, vermittels mächtiger Vorstellungen, die sich ideomotorisch realisieren.

Ebenso lassen sich viele vermeintlich übernatürliche, religiöse Phänomene innerhalb des konzeptuellen Rahmens des ideodynamischen Prinzips sehr gut beschreiben (z.B. Glossolalie/Zungenreden, Heilungswunder bei dissoziativen Störungen, übernatürliche Erlebnisse, usw.).

PS. Beim Pool-Billard können Sie unter Anwendung des ideomotorischen Prinzips (nicht visuell, sondern propriozeptiv) Ihre Senkquote drastisch verbessern, vorausgesetzt Sie wissen und erkennen am Tisch, wo genau Sie die Objektkugel mit der Weißen anspielen müssen, damit diese in die Tasche läuft (Stichwort: “gerader Stoß”).

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Christian Hoppe ist habilitierter klinischer Neuropsychologe an der Klinik und Poliklinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn. Nach seinem Studium der katholischen Theologie (1987-1993) und der Psychologie (1991-1997) sowie einem Jahr an der Tagesklinik für Kognitive Neurologie der Universität Leipzig sowie dem Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung (jetzt Max Planck Institute of Cognitive Neuroscience) ist er bereits seit 1998 in Bonn tätig. Promotion 2004 an der Universität Bielefeld (Prof. Dr. W. Hartje). Seine Schwerpunkte sind klinisch die interventionelle Neuropsychologie (u.a. Patientengespräche), wissenschaftlich die psychiatrie/psychotherapie-nahen Themen der Neuropsychologie (Depression bei Epilepsie, psychogene nichtepileptische Anfälle/dissoziative Störungen), aber auch das Gedächtnis, und in Lehre und Wissenschaftskommunikation Fragen rund um Geist und Gehirn (z.B. auch Nahtoderfahrungen) und ein wenig Statistik. Seine große Leidenschaft ist das Billard. (Profilbild by Lennart Walger) Wichtiger Hinweis - eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Kommentare und Antworten auf Kommentare bitte max. 500 Wörter und strikt "on topic"! Danke!

20 Kommentare

  1. Immer wenn wir etwas (z.B. andere Menschen und deren Verhalten) beobachten oder wenn wir über etwas nachdenken, dann werden sofort zu dieser gesehenen/gedachten Situation passende eigene Erfahrungen reaktiviert. (Fachbegriff: predictive coding/processing.) Dies ist unser allerwichtigster Überlebensmechanismus, da damit eine sofortige schnellste Reaktion möglich ist.

    Eine ´Erfahrung´ besteht in unterschiedlichen Anteilen aus den Komponenten a) Faktenwissen, b) Körper-Reaktion, c) Sinnes-Reaktion, d) Immunsystem-Reaktion und e) Emotionen.
    UND – alle unsere Erfahrungen werden in der zeitlichen Gegenwartsform erlebt, im Gedächtnis gespeichert und genau so wieder reaktiviert/Erinnert. D.h. Erinnern ist ein Wieder-Erleben.

    Diese Vorgehensweise ist die Grundlage des Carpenter-Effekts und anderer Reaktionen. z.B. reicht es aus, dass wir in einem Video Menschen mit Erkältungssymtomen sehen, damit bei uns eine Immunantwort ausgelöst wird, welche auch erfolgt, wenn wir selbst erkältet sind:
    DOI: 10.1016/j.bbi.2025.01.016 Visual cues of respiratory contagion: Their impact on neuroimmune activation and mucosal immune responses in humans

    Ein sehr schönes Beispiel zu dieser Arbeitsweise kennen alle Eltern, welche schon einmal ein Baby mit dem ersten Brei gefüttert haben. Wenn die Eltern dabei den Mund weit aufmachen, dann macht das Baby dies nach – und SCHWUPP kann man ihm ein Löffelchen mit Brei in den Mund schieben.

    Übrigens: Ein Begriff wie ´außergewöhnlicher´ bzw. ´höherer´ Bewusstseinszustand ist Unsinn – der in der Esoterik oft verwendet wird, um Leute zu manipulieren. Wenn wir in einem Zustand sind, wo bewusstes Erleben möglich ist (d.h. wenn wir in der Lage sind, von unseren Erfahrungen zu berichten) – dann ist dies unser Normalzustand.

    • Richard Kinseher, zu Vorstellung
      “Dies ist unser allerwichtigster Überlebensmechanismus,”

      Dazu ein Erlebnis: Feier in einem Kindergarten. Unter den Besuchern sind zwei Polizisten. Ein Luftballon platzt. Die erste Reaktion des Polizisten neben mir, er zuckt zusammen und greift nach seiner Pistole.

      Ein anderer Fall. Ein Vierjähriger erzählt uns, aus seinem Wasserhahn kommt Blut raus. Wir dachten, das arme Kind. (Seine Mutter war drogensüchtig).
      Ein paar Jahre später läuft aus unserem Wasserhahn rotes Wasser.
      (Wenn der Haupthahn abgesperrt worden war, kann das passieren, wenn sich der Rost in der alten Wasserleitung löst) Eisenoxid ist rot.
      War der Junge also gar nicht gestört, er hat rotes Wasser gesehen !

      Es kommt also auf die Umstände an wie wir eine Situation wahrnehmen.

  2. @Mussi

    Ja, Du hast recht

    Wenn wir wahrnehmen, was andere Menschen sagen, dann reaktiviert unser Gehirn immer sofort vergleichbare Sprachinhalte aus dem Gedächtnis.

    Diese Arbeitsweise kann man sehr schön beim Witze-Erzählen erleben: Denn der ´Witz´ besteht oft darin, dass dabei etwas gesagt wird, was nicht der Erwartung entspricht

  3. Wow …,das ist die wohl beste und präziseste Erklärung über innerpsychische Prozesse, die ich je gelesen habe. Verständlich beschrieben, auch für Laien. Danke, Herr Hoppe!

    Insbesondere für DIS Betroffene bspw. o. Ä., ist es wichtig zu verstehen, wie sie ihre mentalen Vorgänge erkennen und selbst steuern können, um etwas leichter durchs Leben zu kommen.

    Freue mich schon auf Ihren nächsten Blog Post!

  4. Christian Hoppe,
    “Wir Menschen leben nicht in einer Welt unmittelbarer Empfindungen und reiner Sinnesdaten, sondern in einer vielfach semantisch-konzeptuell interpretierten und kognitiv aufgeladenen Wirklichkeit. ”

    Das scheint mir das Zentrum der gesammelten Gedanken zu “Vorstellung” zu sein.
    Und die kognitiv aufgeladene Wirklichkeit ist bei vielen Menschen ein Ergebnis ihrer Erlebnisse und der daraus gezogenen Schlüsse. Und dabei bleiben Fragen offen, die nicht beantwortet werden können.
    Eine dieser Fragen betrifft das WARUM.

    Und so sind wir an die Grenze der Psychologie gekommen.

  5. Ich würde vermuten, es gibt auch so etwas wie „sekundäre Empfindungen“. Selbst wenn man die eher „Gefühle“ bezeichnen sollte. Letztlich wären es auch Empfindungen.

    Es setzt voraus, dass man akzeptiert, das empfindungsfähige sensorische Zellen nicht nur z.B. an der Körperhaut, oder der Netzhaut (Zapfen, Stäbchen) auftreten, sondern auch im Bereich von inneren, z.B. „Hirnhäuten“ bzw. „Abgrenzungen“ zwischen Hirnorganen.

    Das würde einerseits mit hoher Wahrscheinlichkeit bedeuten, dass Empfindungen direkt in den empfindenden sensorischen Zellen (z.B. Netzhaut) auftreten.

    Aber nach einer neuronalen Verarbeitung könnten auch „sekundär“ auf sensorischen Zellen an inneren (gekrümmten), flachen (hautartigen) Strukturen, nicht nur die „Abbildung“ von Information (Hirnkino) sondern auch „Gefühlsempfindungen“ auftreten. Die können auch indirekt, ohne primäre Abbildungen/Empfindungen, wahrgenommen werden.

    Das würde bedeuten, die vielen „Punktweisen“ Empfindungen „emergieren“ insgesamt, hauptsächlich nahe flächiger hautartiger Strukturen, zum „Bewusstsein“.

    So etwas wie „sprachliche“ Empfindungen, dürften in der bekannten Verarbeitungskette vom Trommelfell ausgehend, letztlich über „Haarzellen“ in Nervenimpulse umgesetzt werden, und beim „verbalen Denken“ zusätzlich??? auf anderen flächigen Strukturen zur Wahrnehmung kommen.

    Ich würde also davon ausgehen, dass Input an Sensoriken die an definierten Stellen „angebracht“ sind, in Empfindungen und in elektrische Signale umgewandelt werden, die zwecks Lokalisierung und Auswertung in neuronale Netzwerke eingebunden werden.

    Ergebnisse bzw. Zwischenergebnisse werden im Bereich der o.a. Strukturen zur weiteren Abbildung (im mathematischen Sinne) gebracht um örtliche und zeitliche Beziehungen zwischen den „Muster bildenden Objekten“ herstellen zu können.

    Wenn letztlich alles im Sinne von G. Tononi „integriert“ ist, entsteht der vollständige Bewusstseinseindruck. Aus Punktmustern „entstehen“ Bildmuster, letztlich, nach mehreren „Verarbeitungsschritten“ wird z.B. auf verschiedenen „Kinoleinwänden“ erkennbar, dass die Oma vor ihrem Haus auf einer Bank sitzt, daneben ihr Hund, der den Briefträger gebissen hat. Bedeutet, man spürt sogar das „Unbehagen“ was der Hundebiss gekostet hat….

    Fehlt eigentlich nur noch die Bemerkung, dass das „Empfindungsphänomen“ (könnte man im Sinne von C. Koch auch als „Psychismus“ bezeichnen), mit „Musterdynamiken“ von „Teilchen“ auf molekularer, atomarer, allenfalls als “Quantenfluktuationen” korrelieren sollten.

    „Psychismus“ wäre die potentielle Fähigkeit von (bestimmter) Materie, nach einem „Anstoß“ Empfindungen und elektrische Signale zu generieren.

    • Elektroniker,
      Betrachtet man den Menschen als einen biologischen Computer, bei dem sich viele sinnesfähigen Sensoren zum Bewußtsein zusammenschließen, dann ist das ein brauchbarer Ansatz.
      Als Ergänzung sei Arthur Schopenhauer genannt mit seinem Werk “Die Welt als Wille und Vorstellung”.
      Als Gutsel ein Zitat von ihm: „Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand. “ „Glauben und Wissen verhalten sich wie die zwei Schalen einer Waage: in dem Maße, als die eine steigt, sinkt die andere.
      Du merkst, ein provokanter Mensch.

  6. @ N 09.02.2025, 09:01 Uhr

    Zitat: „Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand. Glauben und Wissen verhalten sich wie die zwei Schalen einer Waage: in dem Maße, als die eine steigt, sinkt die andere.“

    Diese Aussagen sind mir heutzutage, im Zeitalter der KI, viel zu „oberflächlich“. Ein „idealer Zugang“ zum Wissen kann den natürlichen Verstand ersetzen. Ganz einfach deswegen, weil die „Nuancen des natürlichen Verstandes“, abhängig davon sind, ob einer „Professor“, „Schauspieler“, „Arbeiter“, oder „Zuhälter“ ist, und die heutzutage bestens verstanden werden.

    Es beruht auf das assoziative Denken, das individuell „Personen abhängig“ ist. Psychologen haben das schon immer „erahnt“. Informatiker haben einen tollen Algorithmus ausgeheckt, um das Geschehen nachzubilden und so haben wir heutzutage KI Programme wie ChatGPT….

    Das Wort „Schöpfung“ bedeutet (zumindest für mich), aus dem „Nichts“ entstand „irgend etwas“, z.B. die „Geldschöpfung“ (ich denke immer zuerst an Geld) oder „die Welt“. Beides kann man als Fakt sehen. Das Wissen über die Welt hat sich evolutionär entwickelt, wie die Welt selbst. Selbstverständlich gibt es Probleme mit der „Wahrheit“ weil man ihr bestenfalls nur „näher“ kommen kann.

    Am Widerspruch, dass wir „Gott“ übertrieben Menschen ähnlich sehen, sind wir selber schuld. Wir Menschen sind davon ausgegangen, dass nur Menschen intelligent sein können und Intelligenz eine Voraussetzung für die Weltentstehung wäre….

    Meiner Meinung nach reichen hauptsächlich Gesetzmäßigkeiten, Mechanismen und Prozesse….. Menschen haben zweifellos auch, zumindest so nebenbei, mitgemischt.

    Ich habe nicht die geringsten Probleme diese Mechanismen mit “Gott” zu bezeichnen, wie es mich auch nicht stört, wenn B. Gates sein Textverarbeitungsprogramm “Word” bezeichnet.

    Die Theologen haben sich nach dem „Flachweltdesaster“ von der Wissenschaft „abgeseilt“. Sie überlassen die Sache mit den „stündlichen Updates“ gerne den Wissenschaftlern. Die „Schäfchen“ würden verrückt werden, müssten sie ernsthaft beim „Update Desaster“ der Wissenschaftler mitmachen…. Wenn die „Schäfchen“ mitmachen wollen, so hindert sie keiner (mehr) daran….

    Die Theologen scheinen nur noch die Einhaltung verbindliche Regeln zu empfehlen, weil sonst ein verrücktes Chaos eintreten würde. Ich sehe das genau so.

    Das Metapher mit den zwei Schalen einer Waage: „In dem Maße, als die eine steigt, sinkt die andere“, würde ich „beerdigen“.

    • Realo,
      Schopenhauer war ein provokativer Mensch, heutzutage hätte er einen Job bei der BILD Zeitung.
      Es klemmt beim Begriff “Verstand”. Bei google findet man diese Begriffsbestimmung:
      Der Verstand ist in der Philosophie das Vermögen, Begriffe zu bilden und diese zu Urteilen zu verbinden. Die heutige Verwendung des Begriffes wurde maßgeblich von Immanuel Kant geprägt.

      Selbst eine Putzfrau kann Begriffe bilden, wenn sie einen Mann einen Faulenzer nennt, der nicht arbeiten will. Es kommt letztlich auf das Urteil an, das bei einem verwendeten Begriff gefällt wird.

      Und wieder sind wir beim Begriff Vorstellung. Das sind die Gedanken, die uns bei einer Person überkommen, der wir begegnen. Es ist also die Vorstellung die Menschen verbindet oder die Menschen von einander trennt.

      Und…..die ersten drei Sekunden entscheiden über den Eindruck , den ein fremder Menschen auf uns macht.
      Ob jetzt “Eindruck” und “Vorstellung” das gleiche sind.??

  7. Wenn man sich – so wie bei der Achtsamkeitsmeditation – sehr stark auf aktuelles Erleben/Handeln konzentriert, dann bewirkt man durch diese Fokussierung der Gedanken, dass andere Reize ausgeblendet/ignoriert werden.

    Ein vergleichbares Beispiel dazu ist der Chorgesang – denn dabei muss man sich nicht nur auf den Gesang, sondern auch auf die anderen Chormitglieder konzentrieren. Ein Experiment mit Krebskranken und deren Betreuern zeigte, dass bereits eine Stunde Chorgesang ausreicht um ein Absenkung von Stresshormaonen und einen deutlichen Anstieg von positiv wirkenden Immun-Botenstoffen zu bewirken.
    DOI: 10.3332/ecancer.2026.631 Singing modulates mood, stress, cortisol, cytocine and neuropeptide activity in cancer patients and carers

  8. @ N 09.02.2025, 12:08 Uhr

    Ich bin kein „Linguist“. War beruflich fast schon das Gegenteil. Elektroniker mussten sich immer „Neues ausdenken“. Was es noch nicht gab und wofür auch noch keine Begriffe existierten.

    „Quick and dirty“ war das Konzept und noch mehr die Sprache.

    Zitat: „Ob jetzt “Eindruck” und “Vorstellung” das gleiche sind.??“

    Ich meine, “Vorstellung” ist eher ein allgemeiner Begriff, ein “Eindruck”, eher etwas Individuelles.

    “Vorstellung” ist eine Art von „objektiver Abbildung“ (mathematisch), aber auf der „Psyche“ (und nicht auf mathematischen Strukturen, z.B. „Datenfelder“).

    Der „Eindruck“ wird eher von vorgelagerten individuellen „Filtern“ bestimmt.

    • Realo,
      Danke für den Beitrag, an die Mathematik hatte ich noch gar nicht gedacht.
      Also, ein Versuch von mir, “Eindruck ” ist etwas, das/den man gewinnt, “Vorstellung ” ist etwas, das/den man schon hat.
      Dieser Satz von dir ist schon bildhaft:
      Der „Eindruck“ wird eher von vorgelagerten individuellen „Filtern“ bestimmt.”
      Und ein Filter ist die Vorstellung.

      Und……die Bildzeitung arbeitet mit solchen Filtern.
      Bei uns wurde eine Kassiererin von Aldi an der Kasse ermordet.
      Der Täter wurde schnell ermittelt und er behauptete, es sei eine Beziehungstat gewesen.
      Am nächsten Tag druckte die Bildzeitung auf der ersten Seite, der Täter hätte eine Beziehung zu der Ermordeten gehabt. (bei dieser Vorstellung schwingt noch Verständnis mit)
      Die Polizei hat dann klargestellt, es war keine Beziehungstat, es war ein gewöhnlicher Raubmord. (und futsch ist das Mitgefühl) , der Täter wollte nur Geld.

      Wie doch die Vorstellung die Realität in einem anderen Lichte erscheinen lässt.

  9. @ N

    Ergänzung zu „Verstand und Vernunft“:

    Für diese beiden Begriffe habe ich mich (eher locker) interessiert. Besonders in der Interpretation von Karl Marx. Eigentlich habe ich sie früher für zweckmäßig gehalten, fast schon daran geglaubt (soweit bei mir das überhaupt möglich ist).

    Aber seit die Ideologie von Karl Marx (Kommunismus), zumindest bei der westlichen Mentalität und im westlichen „Wettbewerbssystem“, krachend gescheitert ist, sind die beiden Begriffe für mich „Wischiwaschi“….

  10. @ N 10.02.2025, 09:25 Uhr

    Danke für die Antwort. Ich meine, „Filter“ entstehen durch die individuellen Erfahrungen.

    Bild nutzt natürlich die Neugier der Leser aus. Es verhält sich wie Du es siehst. Klaut oder raubt einer einen Geldbeutel, ist das nicht besonders interessant.

    Auf Beziehungen sind die Leser allerdings neugierig, die Yellow Press lebt davon. Die Journalisten denken sich einfach Stories aus, die Wahrheit ist ihnen egal.

    Für die Leserinnen sind es „Abenteuer im Kopf“ und dafür zahlen sie gerne einige Euro jede Woche…..

    • Realo,
      “Für die Leserinnen sind es „Abenteuer im Kopf“
      so ist es, wer sich Videos ansieht, wer in der Zeitung liest oder etwas anspruchsvoller ,einen Roman der Weltliteratur liest, der lebt ein Leben “aus zweiter Hand.”.
      Tipp: von Jane Austen: Stolz und Vorurteil, darin geht es um Menschen, die die Gefangenen ihrer Vorurteile und Wertvorstellungen sind.

      Herr Hoppe
      Sie haben den Begriff “Vorstellung” nicht definiert, sondern konstruiert, unser Mitleser enoon hat die Vorstellung als innerpsychischen Prozess bezeichnet.
      Und das wiederum bedeutet, daß Vorstellung nicht statisch ist, sondern sich verändern kann und sollte. Die Entwicklungspsychologie zeigt das ja anhand der Entwicklung von Kleinkindern, die die Phase des magischen Denkens durchlaufen.

      Erwachsene sind von der Dynamik der Vorstellung nicht ausgeschlossen. Der Gottesglaube bzw. die Gottesvorstellung verfestigt sich im Alter, weil der ältere Mensch mit dem “Unausweichlichen” konfrontiert wird . Und das Unausweichliche, ich spreche es jetzt mal aus, der eigene Tod, der ist ein Factum.
      Fazit: ein junger Mensch hat eine andere Einstellung zum Glauben als ein älterer Mensch, nur nebenbei, ich bin fast 80.

    • Realo.
      ergänzend zu Verstand, Vernunft und Anschauung.

      Die Begriffe „Vorstellung“, Verstand und Vernunft kann man auf zwei verschiedene Arten bearbeiten.
      1. deduktiv
      2. induktiv, konstruktiv

      Die bessere Methode ist die konstruktive Methode, die anschaulich und einsichtig bleibt.
      Und bei dieser Methode gerät man auch nicht sofort in den Universalienkonflikt.
      Im Universalienstreit des Mittelalters ging es darum, ob einem abstrakten Begriff eine eigene Existenz zukommt. In unserem Falle wären das die Begriffe der Vorstellung, des Verstandes und der Vernunft als notwendige Maßstäbe für die Vorstellung.
      Begründer dieser Denkweise war Platon, der von Ideen sprach, deren Wesen es ist zeitlos zu sein und zu bleiben.
      Wenn also die Vorstellung vernünftig ist, dann ist sie “gesund”.
      Wenn eine Vorstellung unvernünftig ist, dann ist, dann geht es in Richtung Krankheit.

  11. Was ist “die Vorstellung” denn anderes als ein innerpsychischer Prozess, der sich aus Fantasie, Wünschen, Verlangen, Erwartungen und auch aus Angst als eine Art Flucht vor der Realität generiert?!

    Eben weil Mensch sich das unermessliche NICHTS nicht vorstellen kann, hat er Angst vor dem Tod und erfindet allerlei Glaubenskonstrukte, die Furchtbares und Wunderschönes hervorgebracht haben.

    Ob eine Vorstellung vernünftig ist oder nicht, zeigt sich doch erst in der Realität, … wenn sie denn auch umgesetzt werden kann oder wird.
    Eine “kranke Vorstellung” resultiert aus was(?), und wenn sie nur eine Vorstellung bleibt, ist ja alles gut … für Nichtbetroffene.

    • enoon
      “Eine “kranke Vorstellung” resultiert aus was(?), und wenn sie nur eine Vorstellung bleibt, ist ja alles gut … für Nichtbetroffene.”

      Für einen Psychater oder einen Arzt ist die Beschäftigung mit Vorstellungen das tägliche Brot. Wenn es gelingt, einem Patienten Hoffnung zu geben, dann ist das schon mal ein guter Anfang.

      Kirche gibt den Menschen Hoffnung. In jedem Gottesdienst wird die Liebe Gottes
      zu den Menschen besungen.

      In einem anderen blog wurde ja die Frage aufgeworfen ob denn die Kirche noch zu retten sei. Solange es Mensch gibt, solange wird es auch Kirche geben.
      Der Mensch will auch gerettet werden.