Was ist Schwerelosigkeit?

BLOG: Zündspannung

Blick über den Plasmarand
Zündspannung

Ich werde nächstes Semester ein Seminar über “Physik in der Schwerelosigkeit” halten. Ein spannendes Thema, wie ich finde. Daher werde ich einen Teil des Seminars als Grundlage für eine Serie von Blogbeiträgen verwenden. Heute: Was genau ist eigentlich “Schwerelosigkeit”, und wie entsteht sie (Teil 1)? Jedem sind bei diesem Begriff wohl Bilder wie diese im Kopf, bei denen Astronauten riesige Kisten scheinbar mühelos tragen können.

Astronautin mit Kiste (NASA)Bild: NASA

Wenn man sich an den Physik-Unterricht erinnert, fällt den Lesern vielleicht ein, dass zwischen schwerer Masse und träger Masse unterschieden wird. Die “schwere Masse” drückt eine Waage nach unten, sie hat also ein Gewicht. Die “träge Masse” bietet einen Widerstand gegen Beschleunigung oder Abbremsen. Dass das beides das selbe ist, ist keinesfalls selbstverständlich.

In der Schwerelosigkeit ist dann auch nur das Gewicht Null, nicht aber die Trägheit. Wenn zwei Satelliten gegeneinander stoßen, haben sie noch immer ihre träge Masse und können großen Schaden anrichten, obwohl sie schwerelos sind.

Schwerelos ist man also, wenn das Gewicht Null ist, nicht unbedingt andere Kräfte. Aber was ist die Sonderstellung des Gewichts? Das Gewicht drückt einen Körper auf den Boden:

Gravitation zieht den Körper nach unten

Der Boden drückt sozusagen zurück und übt eine entsprechend große Kraft auf den unteren Teil des Körpers aus, beispielsweise die Füße.

Der Boden drückt zurückDie Füße wiederum lösen interne Kräfte innerhalb des Körpers aus, die Muskeln reagieren, Knochen halten die Beine aufrecht, usw. Es entsteht Druck innerhalb des Körpers, um das Zusammenfallen zu verhindern.

Interne KräfteDiese internen Kräfte gibt es nicht nur innerhalb unseres Körpers, sondern in jedem System, das sich in einem Gravitationsfeld befindet und nicht nach unten fällt. Das macht dieser Film sehr schön deutlich, der während eines Parabelflugs mit Lehrern aufgenommen wurde:

Ohne Gravitation können die Bälle in der Luft miteinander und gegen die Leute und Wände stoßen, und man kann beobachten, was passiert. Sobald die Gravitation wieder einsetzt, fällt alles nach unten. Das System ist extrem stark gestört, es können kaum Stöße untersucht werden. In der Schwerelosigkeit gibt es keine von außen induzierten internen Kräfte. Natürlich wechselwirken die einzelnen Komponenten des Systems noch miteinander, und man kann diese Wechselwirkungen untersuchen.

Warum aber sind die Astronauten im Orbit schwerelos? Dazu werden häufig zwei Vermutungen geäußert: 1) Astronauten seien im Weltraum schwerelos, weil es dort keine Luft gibt. Und 2) Die Astronauten seien schwerelos, weil sie so weit weg von der Erde sind.

Zunächst zu 1). Ich glaube, diese Idee kommt daher, dass das der erste Unterschied zwischen dem Weltraum und der vertrauten Umgebung ist, der den Leuten einfällt. Man kann diese Hypothese allerdings leicht widerlegen, wie zum Beispiel in diesem Video von Rhett Allain: Ein Gewicht an einem Gummisauger wird in einen Behälter getan, der evakuiert wird. Wenn Dinge im Vakuum wirklich schwerelos wären, müsste das Gewicht entweder so hängen bleiben wie vorher oder sogar nach oben schweben.

Aber nein, das Gewicht fällt stattdessen nach unten (das liegt daran, dass die Saugglocke im Vakuum nicht funktioniert – ein anderes Thema). Es ist klar, dass es keinesfalls schwerelos ist. Die Astronauten im Weltraum sind also nicht schwerelos, weil es im Weltraum keine Luft gibt.

Dann liegt die Schwerelosigkeit im Orbit doch sicher daran, dass es im Weltraum keine Gravitation gibt? Da die Erde selbst wird durch die Anziehungskraft der Sonne auf ihrer Umlaufbahn gehalten, also ist klar, dass die Gravitation nicht magisch plötzlich aufhört zu wirken, sobald man nicht mehr auf der Oberfläche der Erde ist. Aber vielleicht ist sie in der Erdumlaufbahn schon so schwach, dass sie vernachlässigter ist?

Man kann leicht ausrechnen, wie stark die Erde Astronauten im Orbit anzieht. Die Anziehungskraft ist gegeben durch die Formel F = G M m / r^2, wobei G die Gravitationskonstante ist, M und m die beiden Massen, also hier die der Erde und die des Astronautens, und r der Abstand der Mittelpunkte der Massen. Der Radius der Erde ist 6371 km, die Gravitationskonstante 6.67 x 10^(-11) Nm^2/kg^2, und die Masse der Erde 5.97 x 10^24 kg. Damit erhält man eine Kraft von 736 N, die auf einen 75 kg schweren Astronauten auf der Erdoberfläche wirkt.

Eine typische Höhe der Internationalen Raumstation ist 400 km über der Erdoberfläche. Das erhöht dann die Entfernung r auf 6771 km, und die Anziehungskraft auf unseren Astronauten ist dann 651 N. Das ist deutlich kleiner als auf der Erdoberfläche, aber immer noch 88%! Die geringere Anziehungskraft der Erde ist also nicht der Grund, warum die Astronauten im Erdorbit schwerelos sind. Das nächste Mal kommen wir dazu, warum sie dennoch durch die Raumstation schweben.

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Erhöht man die Spannung zwischen zwei Elektroden, die ein Gas umgeben, beginnt das Gas irgendwann zu leuchten: Freie Elektronen im Gas haben genug Energie, um die Gasteilchen zu ionisieren und noch mehr Elektronen aus den Atomen zu schlagen. Ein Plasma wurde gezündet, die Zündspannung ist erreicht. Gibt man nun noch zusätzlich Mikrometer große Teilchen in das Plasma, erhält man ein sogenanntes "Komplexes Plasma", mit dem ich mich zunächst als Doktorand und Post-Doc am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und nun an der University of California in Berkeley beschäftige. In diesem Blog möchte ich sowie ein wenig Einblick in den Alltag im Forschungsinstitut bieten, als auch über den (Plasma)-Rand hinaus blicken. Mierk Schwabe

13 Kommentare

  1. Walking and Falling

    Walking and Falling

    You’re walking. And you don’t always realize it,
    but you’re always falling.
    With each step you fall forward slightly.
    And then catch yourself from falling.
    Over and over, you’re falling.
    And then catching yourself from falling.
    And this is how you can be walking and falling
    at the same time.

  2. Me, too.

    Mierk Schwabe schrieb (01. Januar 2013, 23:55):
    > Ich werde nächstes Semester ein Seminar über “Physik in der Schwerelosigkeit” halten. Ein spannendes Thema, wie ich finde.

    Auch.

    > In der Schwerelosigkeit gibt es keine von außen induzierten internen Kräfte. Natürlich wechselwirken die einzelnen Komponenten des Systems [Bälle … Leute und Wände] noch miteinander, und man kann diese Wechselwirkungen untersuchen.

    Und mit welcher Methode wäre zu untersuchen und im konkreten Fall zu entscheiden, ob einer gegebenen/betrachteten Menge von Komponenten “interne Kräfte von außen induziert” waren, oder nicht?

  3. Radius und Fallgeschwindigkeit ausgewogen kombiniert kompensiert Gravitationskräfte.

    Angesichts der kompensation (und nicht aufhebung – da Gravitation nicht verschwindet) frage ich mich, ob radioaktiver Zerfall in Abhängigkeit von Geschwindigkeit überhaupt der Realität entspricht. Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass gar nicht die Geschwindigkeit, sondern der Radius (also Gravitationskraft) hier einflußreich ist?

  4. N gibt es in Erwartung ihres Zerfalls

    schrittmacherm schrieb (02.01.2013, 11:37):
    > […] ob radioaktiver Zerfall in Abhängigkeit von […]

    Eine wesentlich Größe zur Charakterisierung radioaktiver Zerfälle ist die

    “(durchschnittliche) Zerfallsrate (oder Aktivität)” einer gegebenen Probe,

    (durchschnittliche) Aktivität :=
    Anzahl der Zerfälle in der Probe /
    Dauer der Probe von Beginn bis Ende der Zählung
    .

    Sicherlich gibt es zahlreiche weitere Größen, die dazu kompatibel sind, also ebenfalls Zählung für Zählung gemessen werden können; und deren Korrelation zur Aktivität der jeweiligen Probe demnach untersucht werden kann.

  5. kleiner Fehler…

    Die Anziehungskraft ist gegeben durch die Formel F = G M m / r,

    Da hat sich aber ein Fehler eingeschlichen. Das muss doch im Nenner r^2 (r² bzw. r quadrat) heissen, sonst kommt da Unsinn bei heraus.

    Ansonsten sehr schön geschrieben. Bin auf die Fortsetzung gespannt.

  6. Mikrogravitation im Orbit

    Im Space-Shuttle gibt es immer noch mikrogravitative Effekte:Gezeitenkräfte bei ausgedehnten Objekten (erdferne Seite spürt weniger Gravitation), unterschiedliche Zentrifugalkräfte für erdferne und erdnahe Objekte und gravitativ bedingte Relativbewegungen zwischen zwei Objekten, denn jedes Objekt kreist in seiner eigenen Orbitalebene und diese Orbitalebenen schneiden sich gegenseitig. Alles Nachzulesen im Kapitel Mikrogravitation. Je freier man also fällt, umso mehr machen sich solche sonst verborgenen gravitativen Effekte bemerkbar.

  7. Quasiplanares Mondkalb

    Martin Holzherr schrieb (02.01.2013, 23:10):
    > […] jedes Objekt kreist in seiner eigenen Orbitalebene
    > […] Alles Nachzulesen im Kapitel Mikrogravitation. [http://en.wikipedia.org/wiki/Micro-g_environment ]

    Ob und wie überhaupt wenigstens im Prinzip festzustellen wäre, ob das Orbital eines betrachteten Objektes im konkreten Fall „eben“ war, oder inwiefern nicht, erfährt man aus dem genannten „Kapitel“ aber offenbar nicht. Und der entsprechende Begriff „orbital planes“ ist in charakteristisch unenzyklopädischer Weise unverwikilinkt, obwohl ja z.B. das (möglicherweise relevante) „Kapitelhttp://en.wikipedia.org/…_determinants:Planeness
    durchaus (schon/noch) vorhanden ist.

    > […] erdferne und erdnahe Objekte

    Objekte kann und sollte man sicher auch (z.B.) dahingehend unterscheiden, wie deren geometrische Beziehungen zum „Drehimpuls“ oder zu „Spannungen (in)“ der „Erde“ (bzw. deren Bestandteilen) sind; oder auch zu anderen (unterscheidbaren) Beteiligten.

    D.h. man könnte und sollte – sofern die entsprechenden Begriffe definiert/verwikilinkt wären.

    p.s.

    Da war doch noch was:

    r[ B_ret, A ] / (abs[ r[ B_ret, A ] ])^3 …

  8. @Mierk

    Schwerelosigkeit kann es nur in den Gedanken geben – ein Zustand den die Wissenschaft die KEIN Wissen schafft sicher nicht anstrebt 🙂

    “Ich habe mich oft gefragt, ob nicht gerade die Tage, die wir gezwungen sind, müßig zu sein, diejenigen sind, die wir in tiefster Tätigkeit verbringen? Ob nicht unser Handeln selbst, wenn es später kommt, nur der letzte Nachklang einer großen Bewegung ist, die in untätigen Tagen in uns geschieht? Jedenfalls ist es sehr wichtig, mit Vertrauen müßig zu sein, mit Hingabe, womöglich mit Freude.”

    (Rainer Maria Rilke)

  9. @ Frank Wappler N gibt es in Erwartung ihres Zerfalls 02.01.2013, 13:08

    -> Gut rezitiert. Auch mir bekannt, wie das mit dem Zerfall gemessen wird. Wie Geschwindigkeit als Strecke pro zeit, da sei das Zerfall pro zeit beim Radionuklid. Angemerkt aber war von mir eine Abhängigkeit des zerfalles betreffend Gravitation.

    Ich kannmich an einensimplen versuch erinnern, der zwei Atomuhren aufwadnte, wobei eine am Boden stand und die Andere mit einem Flugzeug um die Erde flog (in etwa 10000 Meter Höhe). Dabei wurde eine gewisse Differenz in der Zeitmessung beider Uhren abgelesen. Nach Einsteins Theorie sei dass wegen der Geschwindigkeit, mit der die eine Atomuhr sich gegenüber der anderen bewegt hatte, nur ein logisches Resultat.

    Ist es dass aber wirklich? Oder kann es sein, dass Geschwindigkeit kein Einflußfaktor sei, sondern Gravitation?

  10. https://scilogs.spektrum.de/…gravitative-rotverwirrung

    Hier steht wie auf Bestellung, wie das mit der Gravitation in etwa zusammenhängen soll.

    Mir wird aber noch nicht klar, warum Geschwindigkeit trotzdem ein Faktor sei. Bei allen Erklärungen war immer nur eine theoretische umgebung beschrieben, die ich nicht mit realen Begebenheiten assoziieren kann.
    ´
    Und ob hier radioaktiver Zerfall eine in den Grundlagen der/in RT beschriebenen Hauptereignisse sei, oder es sich dabei um eine anders bedingende Erscheinung sei, die irgendwie “zufällig” oder über andere Gesetzmässigkeiten ihre Verbindung finden.

  11. Kapselriss

    schrittmacherm schrieb (05.01.2013, 00:15):
    > […] Auch mir bekannt, wie das mit dem Zerfall gemessen wird.
    > […] Ich kann mich an einen simplen versuch erinnern, der zwei Atomuhren aufwadnte, wobei eine am Boden stand und die Andere mit einem Flugzeug um die Erde flog (in etwa 10000 Meter Höhe).

    Na wenn du es sogar als einen “simplem Versuch” einschätzt, beurteilen zu sollen, ob der Flug eines bestimmten Flugzeugs “höher” oder “niedriger” oder “neben” dem Aufenthalt eines bestimmten Bodens gewesen wäre,
    dann ist “wie das mit dem Zerfall gemessen wird” ja ganz sicherlich ein Klacks für dich.

    Und dann du bist bei Joachim Schulz’s “Gravitativer Rotverwirrung” doch bestens aufgehoben.

    (Mich selbst verwirrt an dessen SciLog-Beiträgen im allgemeinen, und am genannten neuesten seit gestern Nachmittag auch im Besonderen, ja sogar schon, dass seine (prompten) Antworten auf eingereichte Kommentare, nämlich

    Leider kann Ihr Kommentar nicht bearbeitet werden.

    mit “Leider” beginnen …

    Es bleibt ja hier noch genug Seminararbeit mit jenen, denen manches Wichtige (noch) nicht ganz so simpel vorkommt bzw. bekannt ist.

  12. @ Frank Wappler Kapselriss 05.01.2013, 22:59

    Zitat:

    “Bla blabla, blablablaba, blabla,… bla!”

    -> Ich glaube er hat recht… ! Oder was war die Botschaft?

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