ICPDP – Interdisziplinäre komplexe Plasmen

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Blick über den Plasmarand
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ICPDP 6

Die Konfernz-Saison hat wieder begonnen. Dieses Jahr findet die größte Fachtagung für meinen Fachbereich statt, die ICPDP – International Conference on the Physics of Dusty Plasmas. Uns hat es heuer nach Garmisch-Patenkirchen an den Fuß der Zugspitze verschlage – eine spektakuläre Umgebung, die im Moment durch die tiefhängenden Wolken noch mysteriöser wirkt.
 
Heute ist der erste Tag der Konfernz mit Vorträgen. Es ging los mit einem Übersichtsvortrag von meinem Doktorvater, Prof. Gregor Morfill, den ich hier kurz als Einführung in die Physik staubiger Plasmen wiedergeben möchte.
 
Gregor Morfill: Komplexe Plasmen, ein interdisziplinäres Forschungsfeld
 
Komplexe Plasmen, also ionisierte Gase mit eingebettenten "Staub"teilchen, sind ein eigenes Forschungsfeld. Allerdings ist es auch interdiszipliär, d.h., es gibt viele fundamentale ungelöste Probleme zu deren Lösung komplexe Plasmen beitragen können. Zunächst: komplexe Plasmen gibt es überall, allein schon deshalb müssen sie interdisziplinär sein. Sie bieten dabei die Forschungsmöglichkeit auf dem Level einzelner Teilchen, die leicht zu kontrollieren und zu manipulieren sind. Es können physikalische Effekte in einer, zwei oder drei Dimensionen untersucht werden, so wie beispielsweise die Anfänge kooperativer Phänomene. Die Geschwindigkeit, mit der diese Effekte auftreten, sind dabei so verlangsamt im Vergleich zu ‘normalen’ Systemen, dass sie gut beobachtet werden können. Überlappungen mit anderen Forschungsbereichen gibt es viele, so beispielsweise in der Astro- und der Atmosphärenphysik, Hochreinheitsräumen, der kinetischen Theorie der Materie, Wellen, Oberflächenphysik, Membranen, der Nanophysik, kritische und nichtlineare Phänomene, Kolloide, Plasmamedizin, usw.
 
Im folgenden einige Beispiele im Detail [ich lasse der Übersichtlichkeit halber einige weg, die Prof. Morfill auch erwähnt hat: Elektrorheologische Plasmen, Scherfluss, Selbstorganisation, Polare Mesosphärische Sommerechos, Staub in Fusionsreaktioren]:
 
Die Physik des Kritischen Punkts
 
In einem System mit nur einer Komponente muss es eine anziehende Kraft zwischen den Teilchen geben, damit es einen Phasenübergang zwischen der Flüssigkeit und dem Gas geben kann. Mit komplexen Plasmen kann man diesen Phasenübergang auf dem Lebel einzelner Teilchen untersuchen und beobachten, was auf immer kleiner werdenden Skalen passiert.
 
Phasenseparation
 
Hierbei geht es um Versuche wie beispielsweise Öl in Wasser – das Öl und das Wasser trennen sich selbstständig voneinander. Eine offene Frage, die beispielsweise mit komplexen Plasmen untersucht werden kann, ist es, wie klein diese Systeme werden dürfen, damit diese Phasenseparation noch auftreten kann. Mit komplexen Plasmen wurde dazu ein Versuch in unserem Experiment auf der Internationalen Raumstation durchgeführt:  kleinere Teilchen wurden in eine Wolke mit großen Teilchen injiziert. Dabei haben sich die kleinen Teilchen in einen Tropfen in der Mitte der Kammer zusammengezogen, der nur aus einigen tausend Teilchen bestand – soweit wir wissen, das Phasenseparationsexperiment mit den wenigstens Teilchen.
 
Instabilitäten
 
Es gibt diverse Instabilitäten, die mit komplexen Plasmen untersucht werden können, so beispielsweise Instabilitäten im Plasma oder in Flüssigkeiten wie die Kelvin-Helmholtz und Rayleigh-Taylor-Instabilitäten. Auch hier kann man untersuchen, was passiert, wenn das System kleiner und kleiner wird. Ein Beispiel, das häufig in komplexen Plasmen auftritt, ist die Zwei-Strom-Instabilität: Dabei durchströmen sich zwei Teilchenarten und produzieren Wellen.
 
Phasenübergang zwischen Flüssigkeit und Festkörper
 
Dieser Phasenübergang ist uns allen altbekannt, er tritt zum Beispiel dann auf, wenn Wasser gefriert. Wie genau sich einzelne Teilchen während der Kristallisation allerdings bewegen, kann mit Wasser nicht untersucht werden. Mit komplexen Plasmen ist dies möglich, und ebenso kann die Struktur des Kristall genau bestimmt werden.
 
Fundamentale Stabilitätsprinzipien der Materie
 
Eines der Hauptgebiete der Physik der kondensierten Materie ist die Frage, warum es überhaupt einen flüssigen Zustand der Materie gibt. Es wäre genauso vorstellbar, dass die kristallinen Bereiche eines Systems direkt übergehen in den Gaszustand. Mit komplexen Plasmen kann man Flüssigkeiten detailliert untersuchen, so wie es mein Kollege Martin Fink in seiner Doktorarbeit getan hat. Er hat gezeigt, dass auch in einem fließenden komplexen Plasma noch Hexagone vorkommen (die Kristallstruktur ist ebenfalls hexagonal). Dabei gibt es Fehlstellen in der Flüssigkeit, die sich bewegen.
 
Sternenentstehung
 
Pillars of creationEines der klassischen Gebiete der Physik staubiger Plasmen ist die Sternentstehung. Staub ist dabei erst in den Sternen der ersten Generator entstanden (beim Big Bang gab es keine Materie, die zu Staub zusammenklumpen könnte). Das Ausgangsmaterial des Staubs wurde dann in diesen ersten Sternen im Sonnenwind in das interstellare Medium gepustet. Wenn der Sonnenwind abgekühlt ist, konnte der Staub zusammenklumpen und sich in Wolken ansammeln. Dabei spielt er eine große Rolle bei der Kühlung dieser Wolken, denn er strahlt im infraroten Wellenlängenbereich ab, wofür die Wolken durchlässig sind. Aus diesen Wolken entstehen dann neue Sterne, und aus dem übrigen Staub Planeten. Das Bild, aufgenommen vom Hubble Space Telescope, zeigt ein solches Sternentstehungsgebiet (die berühmten Pillars of Creation).
 
Bei unserem ersten Experiment auf der ISS gab es dazu ein Experiment, das eigentlich durch einen Fehler des Kosmonauten entstanden ist: Es wurden Teilchen in die Kammer injiziert, bevor das Plasma gestartet war. Die Teilchen haben sich durch die Reibung mit dem Gas trotzdem aufgelasen und haben sich innerhalb kürzester Zeit zu recht großen Klumpen zusammengeballt. Eine genaue Auswertung hat gezeigt, dass diese Koagulation 100 000 mal schneller ist als die rein geometrische. Dies beschleunigt die Planetenbildung enorm.
 
Dieses Experiment hätte übrigens nicht auf der Erde durchgeführt werden können, denn diese Teilchen wären durch die Schwerkraft viel zu schnell runtergefallen!

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Erhöht man die Spannung zwischen zwei Elektroden, die ein Gas umgeben, beginnt das Gas irgendwann zu leuchten: Freie Elektronen im Gas haben genug Energie, um die Gasteilchen zu ionisieren und noch mehr Elektronen aus den Atomen zu schlagen. Ein Plasma wurde gezündet, die Zündspannung ist erreicht. Gibt man nun noch zusätzlich Mikrometer große Teilchen in das Plasma, erhält man ein sogenanntes "Komplexes Plasma", mit dem ich mich zunächst als Doktorand und Post-Doc am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und nun an der University of California in Berkeley beschäftige. In diesem Blog möchte ich sowie ein wenig Einblick in den Alltag im Forschungsinstitut bieten, als auch über den (Plasma)-Rand hinaus blicken. Mierk Schwabe

1 Kommentar

  1. Als ich anfing zu lesen, dachte ich mir, das ist aber ein sehr spezielles Thema, was aus ein paar Spezialisten nur wenige interessieren dürfte. Aber das änderte sich dann bei den Beispielen. Da sind ja Themen mit dabei, die auch für die Verfahrenstechnik mal interessant werden können.

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