Einfluss der Sonne auf radioaktiven Zerfall?

BLOG: Zündspannung

Blick über den Plasmarand
Zündspannung

Wer den Film 2012 gesehen hat, dem wird das folgende Szenario bekannt vorkommen: Die Sonne bricht in massiven Eruptionen aus, produziert dadurch eine große Anzahl von Neutrinos, die mit der Erde reagieren und sie fundamental verändern. Was gestern noch wie ein Märchen klang, kann heute Wirklichkeit sein… oder vielleicht doch nicht? Jedenfalls behaupten [1] so etwas ähnliches die Physiker Jere Jenkins und Ephraim Fischbach von der Purdue Universität und Peter Sturrock von Stanford. Sie gehen sogar noch weiter, sie unterstellen den Neutrinos nicht nur eine starke Wirkung, sie sollen auch gleich noch ein weiteres Prinzip der Physik brechen, nämlich dass die Wahrscheinlichkeit von radioaktivem Zerfall konstant ist.

 

Sonneneruption - SOHO
Sonneneruption – SOHO (ESA/NASA)

 

Aber von Anfang an. Neutrinos sind ungeladene, sehr leichte Teilchen, die bei den Kernreaktionen im Inneren der Sonne entstehen. Sie reagieren kaum mit anderen Teilchen und sind daher sehr schwierig nachzuweisen. Um sie überhaupt messen zu können, werden beispielsweise riesige Wassertanks verwendet, beispielsweise 50,000 Liter Tonnen im Fall des Detektors Super-Kamiokande in Japan. Mithilfe dieses Detektors ist es gelungen, ein Bild der Sonne mit Neutrinos aufzunehmen.

 

Bild der Sonne mit Neutrinos - Super-Kamiokande R. Svoboda and K. Gordan (LSU)
Bild der Sonne aufgenommen mit Neutrinos
R. Svoboda and K. Gordan (LSU) via APOD

 

Für diese Aufnahme musste 500 Tage (und Nächte, denn die Neutrinos durchdringen auch die Erde mühelos) lang gemessen werden! Dies zeigt, wie schwach die Neutrinos mit Materie wechselwirken.

Die Wissenschaftler stellen nun die Hypothese auf, dass diese Neutrinos auf bisher unbekannte Weise mit radioaktiven Elementen auf der Erde reagieren und die Zerfallraten verändern (übrigens sehr zur Freude der Kreationisten, die damit die Radiokohlenstoffdatierung unterminieren wollen). Bisher gehen Physiker davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit des radioaktiven Zerfalls eines Atomkerns mit der Zeit konstant ist. Welche Daten legen den Wissenschaftler für ihre spektakuläre Behauptung vor?

Korrelation mit der Entfernung Erde-Sonne?
Jenkins, Fischbach et al. haben alte Daten vom Brookhaven National Laboratory und der Physikalischen Technische Bundesanstalt analysiert, bei denen bisher unerklärte Fluktuationen der Zerfallsraten von radioaktiven Elementen auftraten. Dabei haben sie eine Korrelation mit der Jahreszeit und damit der Entfernung Erde-Sonne festgestellt und gleichzeitig saisonale Einflüsse auf die Messmethode ausgeschlossen [2]. Für die Daten aus Brookhaven wurde das beispielsweise folgendermaßen getan: Der Zerfall von Si32 wurde verglichen mit dem langlebigen Cl36, das eine Halbwertszeit von über 300 000 Jahren hat. Die Zerfallsrate von dem Chlor konnte also als konstant über die Zeit angenommen werden. Trägt man das normalisierte Verhältnis der Anzahl der beiden Elemente gemeinsam mit der Entfernung Erde-Sonne als Funktion der Zeit auf, erhält man den folgenden Graphen:

Korrelation mit der Entfernung Erde-Sonne
Abweichung vom erwartenen Verhältnis der Anzahl der Atome [2]

Es gibt eine eindeutige Korrelation mit der Jahreszeit, was die Autoren als Hinweis darauf werten, dass es eine Korrelation mit der Entfernung der Erde von der Sonne geben müsse.

 

Korrelation mit der Sonnenaktivität?
In einem weiteren Paper [3] berichten Jenkins und Fischbach von einem Experiment an ihrer Universität, bei dem angeblich Änderungen der Zerfallsrate von radioaktivem Mangan durch Sonnenaktivität ausgelöst wurde. Dabei wurde insbesondere ein Sonnenausbruch am 15. Dezember 2006 betrachtet. Der folgende Graph zeigt Fluktuationen im Erdmagnetfeld, die durch Sonnenaktivität ausgelöst werden und den Logarithmus der Zählrate des radioaktiven Zerfalls:

Korrelation mit der Sonnenaktivität
Korrelation der Zerfallsraten mit der Sonnenaktivität [3]

Beachtlich ist dabei, dass der Einfluss auf den Zerfall schon zwei Tage vor einem Effekt auf das Erdmagnetfeld stattfindet. Dies könnte, laut Jenkins et al., zur Warnung von Astronauten verwendet werden.
In dem Paper werden auch andere Messwerte der Sonnenaktivität verwendet, z.B. die Röngtenemission, und mit Fluktuationen in der Zählrate verglichen. Die Autoren haben wieder Einflüsse auf die Messapparatur usw. diskutiert und versucht zu eliminieren, sind aber der Meinung, trotzdem einen eindeutigen Effekt festgestellt zu haben, unter anderem, weil der Effekt teilweise schnell auftrat (etwa 40 min), was zu schnell für Umwelteinflüsse sei.

 

Korrelation mit der Sonnenrotation?
Im Jahr 2008 hat währenddessen Prof. Sturrock von Standford ein kontroverses Paper publiziert, das besagt, dass der Neutrino-Fluss von der Sonne moduliert ist [4]. Er spekuliert, dass dies von einem unsymmetrischen Brennen im Kern der Sonne herrührt, der allerdings langsamer rotieren müsste als die äußeren Bereiche der Sonne. Prof. Sturrock hat danach mit Jenkins und Fischbach zusammengearbeitet und Daten publiziert, laut denen in den Zerfallsdaten eine Periodizität von 33 Tagen vorliegt [1,5], was – falls von Neutrinos verursacht – ebenfalls auf einen langsamer rotierenden Sonnenkern hinweisen würde.

Kritik
Was ist nun von den spektakulären Behauptungen der Wissenschaftler zu halten? Ich sehe eine Menge Kritikpunkte. Gehen wir sie nacheinander durch.

  • Die Daten der Wissenschaftler fluktuieren offensichtlich. Allerdings sind diese Fluktuationen sehr klein und könnten ohne Probleme tatsächlich durch saisonale Effekte oder einfach Rauschen (in Fall der Korrelation mit den Sonneneruptionen) verursacht werden. Hier muss man wirklich sehr vorsichtig und extrem genau und sorgfältig analysieren.
  • Der vorgeschlagene Wirkmechanismus ist extrem ungewöhnlich und widerspricht anderen Messungen und etablierten physikalischen Prinzipien. Neutrinos wechselwirken so schwach mit Materie, dass sie ohne Probleme die Erde durchfliegen können – und nachdem sie die ganze Erde durchquert haben, sollen sie dann gerade mit den radioaktiven Elementen auf der anderen Seite auf eine unbekannte Weise interagieren? Die Autoren schlagen alternativ ein bisher unbekanntes Feld vor – aber das ist noch ungewöhnlicher und sollte mit noch mehr Sorgfalt untersucht werden.
  • Neutrinos entstehen massenhaft im Zentrum der Sonne, es ist nicht einsichtig, warum ihr Vorkommen mit Sonneneruptionen korreliert sein sollte.
  • Wie dem auch sei, selbst wenn man den Wirkmechanismus nicht versteht, Daten sprechen für sich, könnte man sagen. Alle Daten müssen aber von unabhängigen Wissenschaftlern reproduziert werden können, sozusagen im Lackmustest der Daten. Und diese Reproduzierbarkeit ist hier nicht gegeben.

 

Versuche der Reproduktion
Autoren aus Berkeley und vom Lawrence National Laboratory haben selbstgemessene Daten von radioaktiven Zerfälle nach Korrelationen mit der Erde-Sonne-Entfernung durchsucht und keinerlei Korrelationen gefunden, obwohl ihre Experimente laut den von Jenkins et al. publizierten Daten empfindlich genug gewesen wären [6].
Noch interessanter ist eine Analyse von Peter Cooper vom Fermilab [7]. Er hat die Leistung der Generatoren an Bord der Raumsonde Cassini untersucht. Die Sonde wird von drei Generatoren mit Strom beliefert, die jeweils knapp acht Kilogramm radioaktives Plutonium enthalten. Die Wärme, die bei den radioaktiven Zerfall entsteht, wird in elektrischen Strom umgewandelt. Auf ihrem Weg zum Saturn ist Cassini zwei mal an der Venus vorbeigeflogen und hat den Erdorbit ingesamt vier mal durchflogen. Trägt man die gemessene Leistung als Funktion der Zeit auf, erhält man die grüne Linie im folgenden Graphen:

 

Leistung Cassini
Leistung der Generatoren von Cassini [7]

 

Die schwarze Linie ist die Leistung, wenn man den exponentiellen Zerfall des Plutoniums herausrechnet. Würden die Zerfallsraten der Gesetzmäßigkeit von Jenkins et al. gehorchen, müsste die schwarze Linie den Verlauf der roten zeigen! Dies beweist eindeutig, dass auch mit der Cassini-Sonde keine Abhängigkeit der Zerfallsraten von der Entfernung zur Sonne beobachtet wurden.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es keinerlei Grund gibt, sich wegen der Ergebnisse von Jenkins et al. aufzuregen. Sie können weder erklärt noch reproduziert werden und sind daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einfach instrumentenbedingt.

PS: Vielen Dank an Karl Bednarik, der mich auf den Stanford Chronicle Artikel aufmerksam machte.
Edit 01.09.10: kleine Korrektur der Referenzliste – ich hatte die Nummer [6] zwei mal vergeben.


Quellen:
[1] arXiv:1007.3318v1 [hep-ph]
[2] Jenkins et al: Astropart. Phys. 32, 42-46 (2009).
[3] Jenkins und Fischbach, Astropart. Phys. 31, 407-411 (2009).
[4] P. A. Sturrock, ApJ 688, L53 (2008).
[5] Standford Chronicle
[6] Norman et al: Astropart. Phys. 31, 135–137 (2009)
[7] Cooper: Astropart.Phys.31, 267-269 (2009)

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Erhöht man die Spannung zwischen zwei Elektroden, die ein Gas umgeben, beginnt das Gas irgendwann zu leuchten: Freie Elektronen im Gas haben genug Energie, um die Gasteilchen zu ionisieren und noch mehr Elektronen aus den Atomen zu schlagen. Ein Plasma wurde gezündet, die Zündspannung ist erreicht. Gibt man nun noch zusätzlich Mikrometer große Teilchen in das Plasma, erhält man ein sogenanntes "Komplexes Plasma", mit dem ich mich zunächst als Doktorand und Post-Doc am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und nun an der University of California in Berkeley beschäftige. In diesem Blog möchte ich sowie ein wenig Einblick in den Alltag im Forschungsinstitut bieten, als auch über den (Plasma)-Rand hinaus blicken. Mierk Schwabe

16 Kommentare

  1. Die Namen ließen die Glocken klingeln

    Der Artikel aus Stanford hatte bei mir gleich die Alarmglocken klingeln lassen – nicht nur wegen der erstaunlichen Physik, die da behauptet wurde, sondern auch wegen zweier der erwähnten Autoren: Fischbach hatte vor fast 25 Jahren mit dem angeblichen Nachweis einer “fünften Kraft” einigen Rummel verursacht, und Sturrock ist vor allem für seine ‘grenzwissenschaftlichen’ Exkurse, namentlich in unkritische UFO-Kreise, bekannt geworden. Freut mich zu lesen, dass meine daraufhin erfolgte Nichtbeschäftigung mit den Originalpapers offenbar gerechtfertigt war. 🙂

  2. Danke

    Vielen Dank für den ausführlichen Artikel.

    Der beste, den ich seit langem auf SciLogs gelesen habe.

    Ich denke, dass im ersten Graphen ganz sicher systematische Fehler drin sind. Eine Schwankung von Messwerten mit der Jahreszeit lässt sich praktisch nicht vermeiden. So stabil ist keine Klimaanlage. Und die Cassini-Sonde, die ja keine Jahreszeiten kennt, zeigt es dann eindeutig.

  3. Ist ja lustig, aber auf so eine Idee muss man erst mal kommen. Fragt sich, was sich Jenkins/Fischbach davon versprochen haben, die werden doch selbst nicht an so was geglaubt haben.

  4. Neutrinodetektoren sind größer

    Die im Artikel angegebenen 50.000 Liter sind zu wenig, 50.000 Kubikmeter kommen eher hin.

  5. ebenfalls: “schöner Artikel!”

    Mir gefällt er auch, zukünftige ähnlich geschriebene Artikel fände ich wie die vorigen Kommentatoren auch toll.

  6. Bleiben wir neugierig!

    Danke für den informativen Artikel! Ich hatte an anderer Stelle darüber gelesen. Nun suchte ich den Artikel mit Google. Statt dessen landete ich hier, zum Glück. In meinem ursprünglich gesuchten Artikel gab es nämlich keine Vorbehalte. Es las sich so, als sei das Phänomen statistisch gesichert. Man war ratlos bezüglich der Erklärung. Aber messtechnisch und statistisch schien alles berücksichtigt.

    Also ist die statistische Signifikanz doch nicht gegeben, irgendwie schade. Ernst nehmen muss man solche Beobachtungen natürlich trotzdem. Manchmal ist doch etwas dran. Im Moment ist also (noch?) kein Grund für Aufregung. Bei solchen spektakulären Effekten gilt natürlich erst mal die normale Erklärung: Fehler in der Messtechnik oder in der Statistik oder einfach Zufall. Ungewöhnliches braucht auch starke Beweise.

    Für den Forscher stellt sich immer die Frage: Veröffentlichen oder nicht? Wenn ja, wann? Leicht wird aus der “vorläufigen Mitteilung” eine “voreilige Mitteilung”. Der echte Skeptiker glaubt nicht voreilig, lehnt aber auch nicht voreilig ab. Bleiben wir neugierig!

  7. Arxiv 16 Jan 13: Solar => Nuclear Decay

    Gewisse Radionuklide scheinen leichte, aber hochsignifikante Schwankungen in den Zerfallsraten zu zeigen, das zeigt das neueste arxiv-Paper mit dem Titel The Case for a Solar Influence on Certain Nuclear Decay Rates von Peter Surrock, Ephraim Fischbach, Daniel Javorsek, Jere Jenkins und Robert Lee. Sie fanden eine Periodiziät von 12.5 Jahren in den nuklearen Zerfallsraten gewisser Nuklide. Sie erklären sich das mit einem variablen Neutrionflux aufgrund einer Interaktion der Neutrinos mit dem magnetsichen Feld der Sonne, die unter dem Namen Resonant Spin Flavor Precession bekannt ist. Die Schwankungen in den Zerfallsraten sind schwach, aber doch hochsignifikant.
    Sie haben eine detaillierte statistische Analyse von Zerfallsmessungen am Brookhaven National Laboratory und bei der Physikalische-Technischen Bundesanstalt gemacht und kommen zu hohen Signifikanzen was die beobachteten periodischen Peaks anbetrifft ( es gibt mehrere Perioden, wobei diejenige bei 12.5 Jahren am ausgeprägtesten ist). Sie konnten auch bekannte solare Periodizitäten wie die Rieger-Oszillation in ihren Decay-Daten wiederfinden und solare r-mode Oszillationen.

  8. Diese Theorie erklärt den Sachverhalt

    Ich habe fast 50 Jahre auf eine solche Nachricht gewartet. Ich hatte eine Theorie entwickelt die genau das verlangt, dass die radioaktive Zerfallsrate von der Dichte des Neutrinostromes abhängt, denn ein Kern zerfällt nur bei einer Wechselwirkung (Signal) von außen. In diesem Fall ist es das Neutrino, das einen metastabilen Zustand beendet. Ich habe es nie veröffentlicht, weil ich auf Messungen wartete, die im Einklang mit meiner Theorie sind. Jetzt kann man es aber zumindest schon in meiner Website lesen.
    http://wolfhartindustries.com/metast.htm
    Analog zu diesem alten Lehrsatz:
    Ein Körper verharrt so lange im Zustand der Ruhe solange keine äußere Kraft auf ihn wirkt.
    Heißt es jetzt:
    Ein physikalisches System verharrt solange in einem metastabilen Zustand solange nicht ein bestimmter Wert eines frei wählbaren Parameters von außen vorgegeben wird.

    Ich hoffe, dass mehr Messungen (auch mit Raumsonden) gemacht werden, die dies bestätigen oder widerlegen werden.

    Wolfhart Willimczik
    Physicist

  9. Revival

    Hier ein Ausschnitt als Hinweis:

    1. Teil der Serie zur “Falling Walls”-Konferenz
    Kann Atommüll “entschärft” werden?

    Alice Lanzke

    Wenn es um die Radioaktivität von Atommüll geht, wird über kaum vorstellbare Zeiträume diskutiert: Mehrere hunderttausend Jahre kann der giftige Abfall strahlen. Forscher suchen nun nach einem Verfahren, diese Strahlung zu verringern.

    —-

    Beschuss mit Neutronen

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    DANN KLAPPTS AUCH WIEDER MIT DER ATOMKRAFT, bis in den Straßenverkehr, und der Stau-Berater wird zum Gau-Berater 😉 !?

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