Was zuerst reizt, reizt später sehr

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Ein ruhiger Mann heiratet eine Frau, die ihn durch ihre Lebensfreude und Energie anzieht. Sie berauscht ihn, er aber ist für sie der ruhende Pol. Die Jahre vergehen, da findet er sie hektisch und sie ihn lahm. Nun bahnt sich eine Katastrophe an. Was wir im Leben zu Hause sehen, kehrt als allgemeines Motiv überall wieder. Der falsche Umgang miteinander in solchen Situationen zerstört einen großen Teil unser aller Leben.

Der ruhige Mann liebt seine Frau, weil sie Dinge in Schwung bringt, die er nicht von selbst anfangen würde. Er bewundert sie rückhaltlos, wie sie mit Problemen und Widerständen fertig wird. Sie dagegen fängt eigentlich immer viel zu viel auf einmal an und erwartet zu viel. Sie ist dankbar, wenn sie ihr Mann etwas dämpft und sie auf den realen Teppich zurückholt. Denn wenn sie eigentlich fliegen will, sieht er sie eigentlich eher schwimmen.

Die Jahre vergehen, da werden Sie ihrer Rollenverteilung überdrüssig. Die Frau findet, ihr Mann hemmt sie zu sehr. Er könnte doch auch einmal etwas von selbst beginnen! Warum schlägt regelmäßig nur sie vor, wo sie den Urlaub verbringen? Warum stößt ausgerechnet sie den Kauf eines neuen Autos an? Immer öfter kommt ihr der Gedanke, dass sie selbst alle Arbeit macht. Sie kritisiert ihren Mann jetzt öfter, er sei energielos und solle selbst etwas tun. Er hat in den Jahren gelernt, das abzuarbeiten, was sie angefangen hat. Er kauft das Auto zwar nicht, aber er wäscht es ja, wenn sie will, und er bringt es zur Inspektion, wenn sie es anmahnt. Er findet, dass er – bei Lichte besehen – fast alle Arbeit selbst klaglos wie ein Pflugochse verrichtet. Er hat ihr die Freude gelassen, neue Vorhaben anzustoßen. Dann hat er alles Nötige im Hintergrund für sie getan. Die Kritik sieht er nicht ein und sie kränkt ihn tief. Angesichts seiner ruhigen, nachhaltigen Arbeit, die durch die Kritik indirekt herabgewürdigt wird, wird ihm subjektiv langsam klar, dass er ohne Ehe und Liebe besehen eigentlich ihr Diener oder gar Sklave geworden ist – und zwar einer mit einem undankbaren Herrn. Er versucht, aus der Rolle zu entkommen und beginnt nun selbst, etwas Neues vorzuschlagen, damit sie die Energie in ihm würdigt. Er sagt nun, er will in einem neulich entdeckten Restaurant mit ihr essen. Das sticht sie leider sehr, sie ist es nicht gewohnt, auf seine Vorschläge einzugehen. Übernimmt er die Kontrolle? Sie hasst es, dass sie plötzlich nicht bestimmen soll – sie schimpft also mit ihm und lehnt alles ab, was er von sich aus will.

Das geht eine Weile. Seine Versuche werden abgeschmettert. Sie freut sich gar nicht, wenn er Energie entwickelt, sie behandelt es wie Auflehnung, fährt aber fort, ihn wegen Energielosigkeit anzuklagen. Sie bezeichnet ihn jetzt als faul und lahm und hält sich für den einzigen verbliebenen Eckpfeiler der Ehe. Er findet sie herrisch und überkritisch – ihm gegenüber als treuer, liebender Partner. Er murrt und träumt von anderen Frauen. Sie giftet und träumt von anderen Männern. Er wollte doch eine starke Frau! Sie wollte doch einen ruhigen Mann! Jetzt träumen sie vom Gegenteil, aber sie wollen eigentlich nur, dass es wie früher ist – als das Verschiedene noch einen Wert für sie hatte. Jetzt aber führt es zur Scheidung.

Sehen wir uns diese Abwärtskatastrophe woanders an.

Nach welchen Kriterien werden Manager eingestellt? Sie sollen voller Energie sein – die ist ziemlich rar, denn nur wenige haben viel davon. Manager sollen sich durchsetzen können, leiten und Menschen führen. Sie sollen Biss haben und das Ziel erreichen. Die Mitarbeiter helfen dabei als treue Diener.

Verstehen Sie, was ich sagen will? Graut es Sie schon vor dem, was Sie jetzt lesen müssen? Muss ich weiter schreiben, bis Ihnen schlecht wird?

Der Manager ist stolz auf seine Energie. Er bekommt dafür ein besseres Gehalt als die ruhigen Mitarbeiter. Es gibt Zeiten, da geht es der Wirtschaft schlecht. Da geht er an die Grenze seiner Möglichkeiten. In seiner beginnenden Verzweiflung, die Ziele nicht zu erreichen, schaut er immer öfter um Hilfe suchend auf seine Mitarbeiter, die ruhig wie immer treu und ergeben für ihn schuften. Er findet nun, sie könnten mehr tun! Sie könnten neue Projekte vorschlagen und übernehmen, neue Kunden bringen und alten nebenbei etwas verkaufen. Das muss doch gehen! Warum ist er eigentlich allein für alles verantwortlich? Warum er allein?

Darauf war er am Anfang stolz – allein verantwortlich zu sein und treue Mitarbeiter zu haben. Nun macht es ihn böse und er findet in dieser Stimmung die Mitarbeiter schlapp und lahm, ja sogar faul. Das sagt er ihnen gerade heraus oder „ehrlich“, wie er es nennt und auch empfindet. Die Mitarbeiter aber, die alle Tage für ihn schuften, werden nun böse und weisen ihn darauf hin, dass er aus Ungeduld zu viele Projekte beginnt und nicht alle durchziehen kann. Sie schimpfen direkt und noch mehr allein in der Kaffeepause unter sich, dass der Chef böse, überkritisch und überfordernd ist. Und das, obwohl sie treu arbeiten. Um nicht im Hagel von Beschimpfungen unterzugehen, machen die Arbeiter ab und zu etwas von selbst oder schlagen neue Projekte vor. Der Manager ist Kritik nicht gewohnt. Tief im Unterbewusstsein weiß er, dass nur Manager „ehrlich“ sein sollten, keinesfalls Mitarbeiter, die ihn ja dann durch ihre Ehrlichkeit kritisieren. Im Unterbewusstsein will er ja ehrliche Mitarbeiter, aber sie dürfen nicht wirklich ehrlich ihm gegenüber sein! Wenn also die Mitarbeiter nun selbst Projektvorschläge machen, sieht er es als verkappte Kritik oder am Stuhl sägende Ehrlichkeit. Er drischt nun härter auf alle ein, sie sollten nicht denken, sondern arbeiten – ja und eigentlich müssten sie verantwortlicher sein.

Das zerreißt die Mitarbeiter, sie arbeiten nun verbissen stur, wie ihnen gesagt wird und denken nur noch leise für sich. Der Manager sieht nun, dass er als einziger wirklich arbeitet und wütet noch stärker.

Am Anfang wollten die Mitarbeiter einen energiereichen Chef, der sie führt. Am Anfang wollte der Chef treue Mitarbeiter, die brav schuften. Jetzt träumt der Chef, dass er sie feuert. Jetzt suchen die Mitarbeiter in innerer Kündigung eine neue Stelle …

Das, was gut ist, darf nicht zuviel werden. Was zuviel werden will, fordert immer von anderen, dass das, was zuviel werden soll, auch in andern viel wird … Aber das, was zu viel werden will, will dies auch aus Machtgier und aus Eitelkeit. Deshalb will es eigentlich nicht, dass das, was zuviel werden soll, auch in anderen viel wird.

Sehen Sie sich um! Ist jemand bei Ihnen zu Hause gar zu reinlich? Der möchte zuviel Sauberkeit und fordert mehr Penibilität auch in den anderen. Die machen erst gutwillig mit, werden weithin getadelt und leisten passiven Widerstand. Ein Wortkrieg bricht aus, der die Welt sauber in „Drecksäue“ und „Putzteufel“ trennt.

Sehen Sie sich um! Ist da einer, der gescheiter ist als alle anderen und irgendwann will, dass alle gescheit wären, nicht nur er allein? Sie machen ein bisschen mit, werden aber weiter für dumm gehalten. Da trennt sich die Welt in Halbidioten und Klugscheißer…

Das, was zuviel werden will, will eigentlich nicht zuviel werden. Es will von den anderen auf einen immer höheren Thron gehoben werden. Das wird nicht verstanden. Nirgendwo!

Der Mann rettet die Ehe, wenn er die Frau immer mehr wegen ihrer Energie lobt. Die Mitarbeiter retten sich, wenn sie den Chef immerfort anbeten und Gehaltserhöhungen für ihn fordern. Die Bewohner müssen die Sauberkeit jeden Tag laut als angenehm hervorheben und die Dummen den Gescheiten immer um Rat fragen und bewundern. Dadurch bleibt das, was zuviel werden will, immer gleich – aber es wird auf einer immer höheren Thron gehoben. Damit ist es zufrieden und gibt Ruhe.

Ja, aber wollen wir Ruhepole, Mitarbeiter, Schmutzfinken und Dummköpfe das so machen? Ach, es müsste immer so bleiben, wie es in einer halb verliebten Stimmung begann. Wir müssten verstehen, dass die Wertschätzung bestehen bleiben muss.

Und jetzt denken Sie noch kurz an den berühmten Sketch von Loriot, wo die nervös hin und her werkelnde Frau in der Küche immer wieder den im Wohnzimmer sitzenden Gatten auffordert, doch etwas zu unternehmen. „Hermann, was machst du da?“ – „Nichts.“ – „Nichts?“ – „Nein, nichts, ich sitze hier!“ und beteuert ohne Erfolg viele Male: „Ich möchte hier sitzen!“ – „Tu doch, was dir Spaß macht! Hol doch eine Illustrierte!“ – „Ich will hier einfach nur sitzen.“ Das ist die amüsanteste Version der selbstironischen endgültigen Resignation. Ich habe bei Google „Youtube Frau sitzen“ eingegeben und das Wort „Loriot“ vergessen – und trotzdem war der gesuchte Link auf Platz eins. Schauen Sie einmal? Drei Minuten, 24 Sekunden.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

3 Kommentare

  1. Loriot

    “Ich habe bei Google „Youtube Frau sitzen“ eingegeben und das Wort „Loriot“ vergessen – und trotzdem war der gesuchte Link auf Platz eins. Schauen Sie einmal?”

    Das habe ich direkt mal gemacht. An Platz eins ist das Video von Loriot. Knapp darunter dieser Blogbeitrag. Ich habe „Youtube Frau sitzen“ der Einfachheit halber zu google verlinkt.

  2. “Manager sollen sich durchsetzen können, leiten und Menschen führen. Sie sollen Biss haben und das Ziel erreichen.“
    Manager sollen auch über die Eigenschaft verfügen, dass sie schlechte Zeiten frühzeitig erkennen und somit wissen, wann sie vom `Gas`gehen müssen.

  3. Ehen in Deutschland

    Lieber Gunter,

    besonders der erste Teil der Geschichte hat mich dazu veranlasst, hier einen Kommentar zu verfassen.
    Die beiden Ehepartner hatten bereits von Anfang an ein Problem. Dieses liegt aber nicht daran, dass die Beiden nicht zusammen passen, sondern dass Sie sich vermutlich nie richtig ausgesprochen haben.
    Das machen wahrscheinlich die meisten Ehepartner falsch, daher steigt die Zahl der Scheidungen in Deutschland immer weiter…