Überall Nashörner, es werden mehr

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Beim Schreiben meines neuen Buches über grassierende Dummheit fiel mir wieder ein Drama ein, das wir damals in der Schule durchnahmen: Die Nashörner von Eugène Ionesco. Das Drama entstand 1959 nach einer gleichnamigen Erzählung von 1957 – die letztere ist nur 20 Seiten lang, ich las sie gerade wieder einmal.
Da fällt mir ein, dass ich im Jahre 1969 mein Abitur ablegte – da können Sie einmal sehen, welch aktuelle Literatur wir in der Schule besprachen!
Die Handlung ist absurd einfach: nach und nach verwandeln sich alle Menschen in Nashörner und der einzig verbleibende Ich-Held zweifelt zum Schluss immer stärker, ob es nicht besser wäre, ein Nashorn zu sein. Er wünscht sich bald auch „dazuzugehören“ und damit endlich auch normal zu sein wie die anderen. Jeden Morgen prüft er seine Nase, streicht seine schlaffe unpanzrige Menschenhaut…

Das Werk ist original in Französisch geschrieben, wurde aber zuerst in Deutschland aufgeführt. Da mag jede Kultur ihre eigene Interpretation der Erzählung bzw. des Dramas haben: Wie so viele Deutsche zu Nazis umkippen oder wie Patriotismus und Rassismus rund um den damaligen Algerienkrieg aufkamen.

Ionesco wollte wohl eigentlich nur Massenbewegungen ad absurdum führen…

Überall Nashörner:

•    Das Studium war einst ein Teil der Ablösung, Freiheit, Selbstwerdung und Bildung – der Bachelor ist dagegen verschulte gehorsame Berufsvorbereitung. Gegen das letztere wurde immer protestiert, aber immer mehr Leute wuchsen ein oder zwei Hörner, je nachdem, ob man ein afrikanisches oder indisches Nashorn würde.
•    Die Wirtschaft war zum Zwecke des Wohlstands für alle, das sagt sogar Adam Smith, den man verdreht hat und ihn dann zur Begründung des Kapitalismus benutzt. Wir waren für die erste Überzeugung früher einmal in Gewerkschaften aktiv oder streikten auch manchmal für bessere Arbeitsbedingungen, bis man uns von Seiten einiger weniger Nashörner klarmachte, dass das Überleben der Wirtschaft und das Steigern des Unternehmenswertes das wichtigste Ziel sein müsste.
•    Nashörner waren die ersten, die sehr unbezahlte Überstunden ableisteten und bei der Arbeit herumtrampelten, bis sie fast ausbrannten, es wurden immer mehr…
•    Viele Leute hassten es, dass Nashörner erst mobil mit Handys laut unter Menschen telefonierten, dann zu Smartphones übergingen und bei Facebook versanken. Seit einigen Jahren vermehren sich die Nashörner mit Tablets.

Die Menschen schimpfen immer sehr laut über die Nashörner und empören sich. Aber jeden Tag verwandeln sich weitere Menschen. Man hat den Eindruck, dass das Schimpfen der verbliebenen Menschen und ihre Warnung vor einer schrecklichen Zukunft fast schädlich sind und die Verwandlungen noch beschleunigen.
Ich werde mich erheben und Widerstand leisten, wenn ich wieder kann und mein Hautproblem endlich im Griff habe!

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

11 Kommentare

  1. Die Handlung ist absurd einfach: nach und nach verwandeln sich alle Menschen in Nashörner und der einzig verbleibende Ich-Held zweifelt zum Schluss immer stärker, ob es nicht besser wäre, ein Nashorn zu sein.

    Hier könnte eine Urfrage des verständigen Erkenntnissubjekts, aber auch der anderen, liegen:
    Warum sind alle anderen doof [1], nur ich nicht?

    Die übliche Antwort ist, dass auch oder gerade Du doof bist.

    Die Annahme, dass zumindest andere in der Masse doof sind, ist allerdings auch die Grundannahme um besonders leisten zu können.
    Es ist insofern bitter, dass die anderen “Nashörner” sein müssen, um selbst die Chance zu haben keines zu sein, wobei diese Annahme idR falsch ist, aber eben notwendige Voraussetzung, um besonders leisten zu können.

    Liegt diese Grundannahme (“andere en masse Nashörner”) nicht vor, scheint der Artikel-Inhalt unberührt.

    SCNR
    Dr. W (der selbstverständlich auch ‘Widerstand leistet’, im Rahmen der Möglichkeit, “Nashörner” betreffend; der am Rande noch darauf hinweist, dass derartiges Gedankengut – sozial ungefährdet – nur in bestimmten Gesellschaftsformen gepflegt werden kann)

    [1] gemeint im ursprünglichen Bedeutungssinn: ‘harthörig’, im übertragenden Sinn: ‘(vglw.) unverständig’

    • PS:
      Das mit Adam Smith (“unsichtbare Hand” u.a.) kam jetzt nicht so klar rüber.

  2. Der Held ist kein Nashorn geworden, weil er gemerkt hat, dass die anderen Nashörner sind. Wenn er es nicht gemerkt hätte, wäre auch er eines geworden. Nun aber geht es nicht mehr, auch wenn er es sich wünscht. Es ist wie mit dem schwarz-weißen Suchbild mit der Kuh: Wenn man de Kuh einmal erkannt hat, sieht man sie immer. Man hat keine Chance das wieder rückgängig zu machen.

    • Der Held hätte trotz Erkennens der Entwicklung “Nashorn” werden können…

        • ‘Protagonist’ hier das Fachwort, der Protagonist wäre als Nashorn Protagonist geblieben, ‘Held’ wäre eher Interpretation des guten Stücks…

          • Es ist aber doch so, dass die Protagonisten einer Erzählung meisst positiv konnotierte Helden sein sollen, denn sonst wären sie Antihelden, also solche, an denen man sich kein Beispiel nehmen sollte.

    • “Als Frau Ochs das Nashorn näher betrachtet, erkennt sie, dass es sich um ihren Mann handelt und bricht ohnmächtig zusammen.” (Wikipedia) Wird auch Frau Ochs nicht zum Nashorn?