Dürftige Studien oder Was ist Charisma?

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Die Philosophen füllen ganze Bibliotheken mit der Frage, was Charisma, Tugend, Arete, Tapferkeit, Liebe oder Schönheit sein mögen. Bei Platon diskutiert Sokrates Auffassungen anderer, hinterfragt sie, stellt sie auf den Kopf oder widerlegt sie glatt. Danach, so denken wir, wäre es doch noch ganz gut, genau zu erfahren, was Charisma, Tugend und so weiter wären. Eine Auflösung, bitte! Die aber gibt Sokrates nicht.

Die Dialoge enden in einer Aporie.

Wikipedia: Unter Aporie (altgriechisch ἡ ἀπορία he aporía „die Ratlosigkeit“, eigentlich „Ausweglosigkeit“, „Weglosigkeit“, von ὁ πόρος ho pόros „der Weg“ mit Alpha privativum: oν ἄπόρος on apόros „ohne Ausweg seiend“, „ausweglos“) versteht man ein in der Sache oder in den zu klärenden Begriffen liegendes Problem oder eine auftretende Schwierigkeit, weil man zu verschiedenen entgegengesetzten und widersprüchlichen Ergebnissen kommt.

Sokrates muss ja nicht den ewigen Schlussstein der Überlegungen bilden. Wir könnten ja hoffen, dass uns doch noch einfällt, was einen Fußballstar, einen genialen Komponisten, einen Picasso, einen Steve Jobs oder einen Einstein ausmacht.
Wenn wir es wüssten, dann würden wir reich. Also suchen wir nach der Erfolgsformel!

Die Ergebnisse sind einigermaßen ernüchternd. Irgendwie scheint den Suchenden die elementare Logik zu fehlen. Die Frage ist doch: „Was sind hinreichende (!) Kriterien für Reichwerden, Charisma etc.?“ Hinreichende Kriterien sind solche, die den Erfolg garantieren. Wer die Kriterien erfüllt, hat das Ziel erreicht. Genau diese Frage wird aber nie gestellt, sie suchen alle nach notwendigen Kriterien oder nach Zusammenhängen. Welche Faktoren hängen mit dem Reichwerden und dem Nobelpreisgewinnen zusammen?
Wir studieren also in endlosen Studien verschiedenste Leute, die wir für Helden halten. Was haben sie gemeinsam? Ganz klar, sie leben für ihre Passion! Aha, man muss sich für das Ziel begeistern. Aus ihrer Begeisterung heraus haben sie natürlich kein Problem, 20 Stunden am Tag daran zu arbeiten. Aha, wir müssen 20 Stunden pro Tag zu arbeiten bereit sein. Hmm, das ist nicht so schön. Sie haben alle ein Ziel vor Augen: Einstein die physikalische Weltformel, Kant die philosophische Weltformel oder Musashi das Geheimnis des Siegens. Aha, wir müssen uns also erst vornehmen, was wir eigentlich als Ziel wählen: wollen wir reich werden, ein Top-Model oder ein Weltmeister? Das ist schwer zu entscheiden, vielleicht arbeiten wir erst einmal 20 Stunden am Tag? Aber woran? Ach, da gibt es wieder andere Studien, die die Gesundheit als wichtigen Faktor für Erfolg ausmachen. Okay, wir werden gesund. Noch andere Studien verlangen seelische Gesundheit. Geistige und seelische Fitness sind unerlässlich. Uiih, so langsam kommen wir vom Hundertsten ins Tausendste.
Sind Künstler denn immer seelisch gesund? Nein, sie sind ein bisschen verrückt, oder? Sind die Reichgewordenen nicht auch immer ein bisschen hypomanisch? Wissen wir denn nicht alle, dass Kant kein einziges Auslandspraktikum absolvierte?

Und wir sehen bei genauer Betrachtung: Die Studien stellen immer nur fest, dass irgendwelche Eigenschaften mit Reichtum, Arete oder Heldentum korreliert sind! Es sind nicht einmal notwendige Voraussetzungen! Die Studien stellen nur „Wünschenswertes“ fest.
Die Studienkonsumenten suchen aber nach einer leicht zu erfüllenden HINREICHENDEN Bedingung für den finalen Erfolg, wobei ich nicht so sicher bin, ob diese Studienkonsumenten das so genau wissen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob die Studienproduzenten so weit denken. Sie wollen ja nur einen Master oder Doktor für die Studie haben, Hauptsache, die Statistik ist signifikant.

Gibt es denn gar keine HINREICHENDEN Bedingungen für den Erfolg? Ja, die gibt es. Im Fußball muss man Meister sein, bei Unternehmen die Welt-Eins, Künstlerbilder sollten über eine Million pro Bild erzielen, das Top-Model sollte auf allen Covers erscheinen. Diese Bedingungen sind zwar hinreichend, aber nur eine trivial-banale Umschreibung des Ziels. Das bedeutet ja nichts.

Und da sind wir wieder am Anfang, in einer Aporie. Wir sitzen auf Tonnen von Studien, die etwas Wünschenswertes herausfinden und dieses als „Schlüssel des Ganzen“ hochjubeln. Wir haben dabei gar keine Ahnung, was wir eigentlich wirklich wollen. Dann machen wir uns daran, wenigstens einen Teil des Wünschenswerten zu erfüllen, und wir hoffen dabei, dass es irgendwie schon das Ganze sein möge. Der Deutschschüler sammelt viele Bullets in einer Stoffsammlung, er fertigt eine Gliederung an, schreibt möglichst intelligente Sätze der geplanten Reihe nach – ach, vielleicht ist es eine gute Story, die einem Dichter zur Ehre gebührt. Das Start-Up-Unternehmen führt Punkt für Punkt den Business Plan der Bank durch, vielleicht ist die erste Milliarde bald sicher.

Wissen Sie, was wirklich wünschenswert wäre? Ja, wenn wir uns zu Sokrates setzen könnten und alles Seiende aus allen Enden betrachten könnten! Geistig gesehen würde wieder und wieder alles in einer Aporie enden, aber wir hätten doch ein instinktives Gefühl oder eine Intuition, was zu tun wäre. Langes Sitzen bei Sokrates mag etwas in uns erzeugen, was über den Verstand geht.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

6 Kommentare

  1. Die ewige Suche nach der Erfolgsformel bedeutet meist nichts anderes als die Suche nach dem Kniff, dem Trick mit dem man Kaninchen aus dem Zylinder hervorzaubern kann.
    Beispiel: Warum auf die Ideen eines Regisseurs vertrauen, wenn es eine Formel für den Box Office Erfolg gibt.

    Übrigens: Wer in der Aporie endet hat keinen Erfolg gehabt und wird ihn vielleicht auch nie haben.

  2. Die Frage ist doch: „Was sind hinreichende (!) Kriterien für Reichwerden, Charisma etc.?“ Hinreichende Kriterien sind solche, die den Erfolg garantieren. Wer die Kriterien erfüllt, hat das Ziel erreicht.

    Wer also sein Ziel erreicht hat, bestimmten Erfolg, war dann wie genau bspw. ‘charismatisch’, ‘tapfer’ oder ‘tugendhaft’?
    MFG
    Dr. W (der auch welche kennt, die ihren angestrebten Erfolg erreicht haben, idR zäh/fleißig waren, zielorientiert und Glück hatten, oft nicht wissen, warum sie Erfolg hatten, nie wirklich genau wissen, warum sie ihn hatten)

  3. Für den einen ist es Charisma, für alle anderen Narzissmus…

    Charisma ist wohl eher eine Sache der Wahrnehmung. Menschen, die ich ich als charismatisch wahrnehme, werden von anderen nicht so wahrgenommen.

    @Martin Holzherr
    In einer Aporie zu enden ist mitnichten ein Zeichen von Erfolglosigkeit. Es gibt nun mal Dinge, die keine eindeutige Lösung haben oder unentscheidbar sind. Dieses zu erkennen ist der eigentliche Erfolg.
    “Immer wenn ich was sage, lüge ich”.

    • Charisma ist wohl eher eine Sache der Wahrnehmung. Menschen, die ich ich als charismatisch wahrnehme, werden von anderen nicht so wahrgenommen.

      Der Artikel scheint sich darum gekümmert zu haben, dass ‘Charisma, Tugend und so weiter’ post festum festgestellt werden (können).
      >:->

      • Insofern…

        Und da sind wir wieder am Anfang, in einer Aporie. Wir sitzen auf Tonnen von Studien, die etwas Wünschenswertes herausfinden und dieses als „Schlüssel des Ganzen“ hochjubeln. Wir haben dabei gar keine Ahnung, was wir eigentlich wirklich wollen.

        …geht es wohl bei diesen persönlichen Eigenschaftsbestimmungen darum vorab irgendwie herauszufinden, ob eine Person auf Grund bestimmter Eigenschaften, Tugenden oder Befähigungen, immer auch das Soziale meinend, besondere Chancen hat erfolgreich zu werden.

        Derartige Versuche der Vorabbestimmung sind aber nichts Ungewöhnliches und bleiben wissenschaftlich greifbar.
        Bemerkenswert vielleicht in diesem Zusammenhang auch die IQ-Geschichte oder sogenannte Hochbegabtenforschung.

        MFG
        Dr. W (dem noch aufgefallen ist, dass der WebLog-Artikel als Ganzer in einem Zitationskontext steht – kreativ!)

  4. Lieber Herr Dueck,

    von der republica eingeladen werden zu einer Keynote und von der Gemeinde im Netz gefeiert für den Humor, wenn das kein Beleg für Charisma ist! Und dann als deutscher Professor im Blog den Titel weglassen. “Der Mann kann es sich leisten”, spricht aus jeder Zeile. Gut so.

    Da hätten Sie auch schon Ihre hinreichende Bedinung für Charisma: Gefolgschaft.

    Es gibt da einen wunderbaren, 4 minütigen TED Talk von Derek Sivers, “How To Start A Movement”
    https://youtu.be/V74AxCqOTvg

    Aussage: zwischen Depp (Narzissmus) und Führungskraft (Charisma) ist nur eine kleine Differenz. Der erste Follower macht den Unterschied.

    Aber Sie fragten ja gar nicht nach dem Nachweis der Existenz, sondern der Bedingung für Gefolgschaft.

    Marina Weisband und Katharina Nocun von den Piraten haben Charisma, finde ich. Auch heute noch. Gilt auch für ihren Kollegen Christoph Lauer. Alle drei sind fotogen, ganz wichtig. Sie sprechen klare, gerade Sätze, aus denen die Überzeugung spricht, auf der richtigen Seite zu sein. Und das lenkt den Blick auf das wichtigste: ihre inneren Werte. Sie haben mit frechem Blick und klaren Worten den Eindruck vermittelt, die digitale Zukunft zu kennen.

    In der Art, wie Sie über die Berliner Politkaste gesprochen haben, wirkten die Piraten, als guckten sie aus dem Jahr 2040 auf die Deppen in Berlin zurück, die blind im Kreis laufen (so ist es ja auch – wir haben eine Bundeskanzlerin, von der mir seit 20 Jahren kein politischer Standpunkt bekannt geworden ist, und ich bin Politikwissenschaftler). Nun gut, 5 Jahre Parlamentarismus später sind die Piraten wieder sehr bodennah unterwegs, wenn nicht sogar unterirdisch gescheitert, leider. Charismatiker, in der Verwaltung von der Wiedervorlage und dem Aktenvortrag entzaubert.

    Ich mache Charisma-Trainings, nach langem Zögern habe ich mich rangetraut, nachdem ich das Modell von Olivia Fox Cabane (http://bit.ly/1P8h0h7) entdeckt habe. Im Training merke ich. Der Löwenmut vor der Gruppe, allen mal langsam in die Augen geschaut zu haben bei einem Vortrag und eine Pause von 2 Sekunden zu machen zwischen zwei Vortragsteilen, diese unendlich lange Stille auszuhalten und auf die eigene Wirkung vertrauen – das lässt die Leute innerlich wachsen. Aber wenn Sie von vorne nur Negativdenken verbreiten (wie letztens ein Aufsichtsrat), hilft das alles nichts. Es muss diese Vision “bigger than life” dazukommen.

    Nur der richtige Blick, der feste Händedruck, die warme Stimme, der gelassene Gang, die kunstvolle Pause bringt nichts – darauf setzt Cabane aber besonders stark. Mag ich nicht.

    tl;dr: Charisma wird erzeugt durch leidenschaftliche Überzeugung in einem Menschen, die im Gegenüber einen Gefühl auslöst von “dieser Mensch sagt nicht nur das Richtige, er traut sich auch danach zu handeln – wow.”

    Schöne Grüße

    Dirk Hannemann

    http://www.dirkhannemann.berlin