Angst vor der Frage nach der größten Schwäche

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Wahrheiten als Querdenkerisches verkleidet, von Gunter Dueck
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Fast alle Stellenbewerber haben Angst vor der Gretchenfrage nach ihrer Einschätzung ihrer eige-nen Schwächen und Stärken. Die fast sichere Frage (verklausuliert oder offen) wird lauten: „Was sind Ihre größten Stärken und Ihre größten Schwächen?“ Da muss man sich wohl gebührend glaubhaft loben und nicht zu stark tadeln? Wie aber macht man das?

Im Internet wird vorgeschlagen: „Meine Schwächen? Ungeduld, Perfektionismus und Schokolade.“ Das ist eine neckische Antwort, sie ist vielleicht noch einigermaßen charmant, aber sie suggeriert nur, dass der Bewerber eigentlich sagen möchte, er habe gar keine Schwächen. Er weicht also aus. Komisch, die Frage nach der größten Stärke scheint im Vergleich nicht so sehr zu schrecken. Da bekommt man aber erschreckend stereotype Angaben: „Ich kann mich gut und schnell einarbeiten, was immer es ist. Ich löse gerne Probleme. Ich bin flexibel und unabhängig. Ich bin begeisterungsfähig und engagiert. Ich arbeite gut und sehr gern im Team. Ich kommuniziere gut und sehr gerne.“
Ich habe in Interviews solche Antworten immer gehasst. Dieses Gerede! Das gibt bei mir Minuspunkte in Authentizität und Offenheit, nein eigentlich nicht, ich lasse es als wohl notwendiges Vorgeplänkel über mich ergehen und warte, bis sich der Bewerber beruhigt hat.
Aber das Geschwalle nervt. Ich will deshalb einmal erklären, was eigentlich gefragt ist: Es geht darum, ob der Bewerber eine reflektierte Einstellung sich selbst gegenüber hat – ob er weiß, was er kann und was nicht; ob er weiß, was andere über ihn denken und von ihm halten. Hat er – im Jargon – eine realistische Selbsteinschätzung und eine vertretbar kleine Fremd-Selbstbild-Differenz? Oder im Sinne des Orakels von Delphi: Kennt er sich selbst? DAS ist das Wichtige. Wer sich gut kennt, hat eine wirklich gute Basis für die weitere Entwicklung.
Natürlich wollte ich immer GUTE Bewerber einstellen – nicht einfach Leute, die sich gut kennen! Aber der Zusammenhang zwischen den beiden Größen – Qualifikation und Selbsterkenntnis – ist ziemlich eng. Wer sich selbst kennt, bewirbt sich ja wohl auch an der richtigen Stelle. Er weiß, dass er da einen guten Platz haben wird. Am liebsten hätte ich nur Leute eingestellt, die eine konkrete und realistische Vorstellung haben, was sie in fünf oder zehn Jahren sein wollten – nebst einem guten Plan, dahin zu kommen. Ich hätte gerne Bewerber gehabt, die sich als gutes Startup selbst betreiben und ein Businessmodell und eine Vision von sich haben, die sie lieben. Solche, die einen Vorschlag mitbringen, all das, was sie erstreben, bei der Arbeit verantwortlich in den Dienst des Ganzen zu stellen, also das Eigene und das Gemeinsame zu einer guten Synthese zu bringen…

Na, darum würden meine Fragen kreisen, ist doch klar. Es geht mehr darum, was Bewerber aus sich machen können („Potential“) und was sie wohl mit Energie und Freude tatsächlich im Team verwirklichen werden. Es geht darum, sie persönlich-charakterlich nach ihren Motivationen einzuordnen. Wozu haben sie Lust, was verursacht ihnen Pein? Jedes Team braucht einen Rambo, einen Kreativen, einen Ordentlichen und so weiter. Das steht in jedem Buch. Warum antworten dann aber alle, sie seien in der Lage und willens, jede beliebige befohlene Rolle zu spielen? Habe ich je gesagt, ich will Einheitsroboter aus dem Bewerbungshandbuch? Ich zum Beispiel kann nicht gut schneidig befehlen, jeder merkt sofort, wie Leid mir die jetzt nötige Härte tut, und sie können noch verhandeln. Ich hasse das Führen von Tabellen, weil ich ohne sie bes-ser arbeiten kann; genauer: ich brauche keine, warum sollte ich Listen pflegen? Ich habe zu viel Angst vor Konflikten. Ich walle zu stark auf, wenn ich zu von mir gefühltem Unsinn gezwungen werde, wenn mir Leute ungebeten Hilfe anbieten, die ich nicht brauchen kann; ich mag keine endlosen Meeting um immer so wenig… usw. Ich bin ja zuerst einmal Mathematik-Professor gewesen, da fällt es absolut nicht auf, dass ich alle diese Schwächen habe. Sie kommen beim Nachdenken über Mathe nie zum Tragen! Aber dann als Manager? Ich musste mich ganz neu kennenlernen, als ich die Profession wechselte. Meine Schwächen habe ich beseitigt, nein, sie sind immer noch da. Ich kann das, was ich nicht kann, dann doch, aber ich muss mich zu stark zusammennehmen oder anders ausgedrückt: Ich kann es, aber es kostet zu viel Energie und daher Überwindung. Die gefühlte Arbeitszeit ist beim „ungern Gespielten“ zu lang. Ich fühle mich ausgelaugt und ineffizient. Und da es doch bei Ihnen auch so ist, muss ich wissen, was Sie auslaugt und was in Ihnen Energie entfacht und wie viel davon.

So etwas Analoges würde ich gerne von Ihnen wissen, wenn sie sich bewerben. Ich möchte keine Selbstbewusstseinsdemonstration und auch kein bescheidenes Tiefstapeln, das auf Anerkennung größter Anständigkeit hofft. Tiefstapeln ist auch Lüge und eben nicht anständig. Ich möchte wissen, erstens: Wer sind Sie? Und zweitens: Wissen Sie das?

Ich dachte und denke immer, so sollte es eigentlich bei Bewerbungsgesprächen sein. Ich war dann bei offiziellen Personalinterviews dabei. Da fragen sehr Schwarzgekleidete dann tatsächlich manchmal (nicht immer, es gibt solche und solche, wie bei den Bewerbern) nach den Stärken und Schwächen und versuchen, die aus dem Bewerber detektivisch clever herauszubekommen, um sie in einer Liste einzutragen. Sie führen die gefundenen Schwächen vielleicht sogar triumphierend vor und schicken einen tief gekränkten Bewerber nach Hause, der die dann später vielleicht sogar angebotene Stelle empört ablehnt. Zu einem guten Bewerber gehört auch ein guter Personaler, denke ich bei mir… Aber die Personaler haben ja die Macht, sie müssen die Leitfäden für Interviews nicht so genau nehmen wie die Bewerber, die sie leider zu genau nehmen. Man braucht eben auch gute Leitfäden… Wenn Sie sich also Mühe geben, sich selbst zu kennen, schützt sie das noch nicht vor der restlichen Unbill in der Welt, aber es ist eine Menge getan…

Die größte Schwäche ist, sich nicht selbst zu kennen.
Die haben viele, aber sie kam als Antwort noch nie vor.
Wenn sie dereinst einer geben wird, versteht man ihn nicht.

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www.omnisophie.com

Bei IBM nannten sie mich "Wild Duck", also Querdenker. Ich war dort Chief Technology Officer, so etwas wie "Teil des technologischen Gewissens". Ich habe mich viel um "artgerechte Arbeitsumgebungen" (besonders für Techies) gekümmert und über Innovation und Unternehmenskulturen nachgedacht. Besonders jetzt, nach meiner Versetzung in den Unruhestand, äußere ich mich oft zum täglichen Wahnsinn in Arbeitsumgebungen und bei Bildung und Erziehung ein bisschen polarisierend-satirisch, wo echt predigende Leidenschaft auf Stirnrunzeln träfe. Es geht mir immer um "artgerechte Haltung von Menschen"! Heute bin ich als freier Schriftsteller, Referent und Business-Angel selbstständig und würde gerne etwas zum Anschieben neuer Bildungssysteme beitragen. Ich schreibe also rund um Kinder, Menschen, Manager und Berater - und bitte um Verzeihung, wenn ich das Tägliche auch öfter einmal in Beziehung zu Platon & Co. bringe. Die Beiträge hier stehen auch auf meiner Homepage www.omnisophie.com als pdf-download bereit. Wer sie ordentlich zitiert, mag sie irgendwo hin kopieren. Gunter Dueck

6 Kommentare

  1. “Habe ich je gesagt, ich will Einheitsroboter aus dem Bewerbungshandbuch? ”

    Leider ist das die Realität in weiten Teilen der Arbeitswelt , gefragt sind Leute mit einem Minimum an Leistungsfähigkeit , die ansonsten “qualifiziert” darin sind , die miesen Arbeitsbedingungen und das gewollt schlechte Betriebsklima zu schlucken.
    Ausgesiebt wird , wer den Anschein erweckt , zuviel eigenes Denken mitzubringen , obige Beschreibung klingt schön , trifft aber bestenfalls auf eine Minderheit von Arbeitsumfeldern statt , und das auch in der Regel nur dann , wenn es vergleichsweise wenige Bewerber mit den geforderten Qualifikationen gibt , ist dies nicht der Fall , gilt meistens das Prinzip ” divida et impera”.

  2. Dem Kommentar von DH kann ich mich nur anschließen. Ich würde sogar noch weiter gehen: gewollt sind Dienende, Untertanen und Arbeitsdrohnen und keine Mitarbeiter, die außerdem noch Bürger sind und berufsbedingt vielleicht noch eine fundierte aber kritische Meinung haben.

    Organisationsbedingt kann ich das sogar nachvollziehen – parallelweltliche Regeln und Leistungsniveau haben sich auf einem denkbar niedrigen Niveau eingependelt, welches die Führung nicht gefährden will. Erstrecht nicht gefährden will die Führung aber ihre eigene Machtfülle, Position und das eigene Selbstbild – Leute mit Charakter und Reflektionsvermögen stören da nur und gefährden den Status quo.

    Wie gesagt, aus der ganz engen Binnenperspektive ist das sinnig: Manager die dumme Seite der Macht, Peter-Prinzip, kiv-sicher (kinder-, idioten- und vorstandssicher).
    Von außen, und genau dieses bewirken reflektierende Beschäftigte, ist das freilich Leistung auf Leistungsverweigererniveau.

  3. Die Frage nach Stärken und Schwächen ohne die Erklärung aus diesem Artikel sorgt für die immer gleichen Antworten. Das Problem ist imHo die Art der Fragestellung und nicht die Bewerber.

  4. Bewerbungsgespräche sind Verkaufsgespräche, wobei, wenn man sie ernst nimmt, gelogen werden muss, dass die Schwarte kracht, wenn nach Schwächen des Produkts gefragt wird.
    Insofern ist die Fragestellung nur bedingt ethisch zu rechtfertigen, auch wenn sie “Personalern” womöglich wichtige Rückschlüsse auf die Beugsamkeit des Produkts ermöglicht; insofern sind “Personaler” auch mit Vorsicht zu genießen, bei derartiger Veranstaltung.
    Die Antwort ‘Die größte Schwäche ist, sich nicht selbst zu kennen.’ erscheint übrigens nicht nur standardisiert, sondern auch insofern ungünstig, weil auch die anderen einen nicht wirklich kennen.
    Könnte natürlich ein gelungen erscheinendes Bewerbungsgespräch sozusagen abrunden, np.
    MFG
    Dr. W

  5. Ich habe die Leute grundsätzlich nach einer echten Arbeitsprobe eingestellt.
    Zum einen bekam ich einen Eindruck, wie sie sich unter Beobachtung verhalten und dann, wie sie Probleme lösen. Für mich als Unternehmer waren nie die Papiere entscheidend, sondern immer die Menschen und ihr Auftreten. Meiner Ansicht nach kann man Menschen am besten beim Arbeiten kennenlernen.
    Ich habe oft genug Schaumschläger erlebt und die sind auf die o.g. Fragen oft perfekt vorbereitet. Mir sind unsichere Menschen mit Potential lieber als die teflonbeschichteten Perfektbewerber.

  6. Gunter Dueck schrieb (31. März 2014):
    > Im Internet wird vorgeschlagen: „Meine Schwächen? Ungeduld, Perfektionismus und Schokolade.“
    > […] So etwas Analoges würde ich gerne von Ihnen wissen

    Nach meinen allerneuesten Erkenntnissen habe ich eine besondere Schwäche für

    – Analogien und

    – Nitpickings (z.B. in “endlosen Meetings“).

    – Und: Eulerbrezeln!

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