Der „böse Gauck“ und das Netz

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Seit ein paar Tagen schon werden die Vor- und Nachteile eines Bundespräsidenten Gauck in den sozialen Netzwerken intensiv diskutiert. Den Anfang machten diverse Tweets mit Gauck-Zitaten, die am bisher weitgehend positiven Bild des Kandidaten kratzten (auch ich habe solche Tweets geschrieben, ein freundlicher Mensch hat sie hier zusammengetragen.

Gestern gab es nun zwei Kontrapunkt in dieser (zugegebenerweise etwas ziellosen) Diskussion: Erstens entschuldigte sich Julia Seeliger, die auch ein paar Gauck-Zitate getwittert hatte, in ihrem Blog bei Gauck dafür, diese Zitate aus dem Zusammenhang gerissen zu haben, was für sie einer „Desinformation“ gleich kam, von der sie sich distanzieren wollte. 

Zweitens entdeckten die traditionelleren Online-Medien die Diskussion und griffen sie auf, indem sie Seeligers Selbstkritik in überzogener Form auf das Internet im Großen und Ganzen ausdehnten: „Gaucks Gegner sammeln sich im Netz“ meldet Fabian Reinbold auf Spiegel Online, „Die Web-Gemeinde wendet sich gegen ihren einstigen Liebling“. Die Kritik ist hier noch relativ mild, es wird, mit Bezug auf Seeligers Blog, lediglich angedeutet, dass die Zitate möglicherweise nicht Gaucks tatsächliche Positionen wiedergeben. Deutlicher ist Christian Jakubetz im Cicero: „Wie das Netz den bösen Gauck erfand“, titelt er, und gibt dann vor zu zeigen, wie Gaucks Äußerungen im Kontext gar nicht so zu interpretieren seien, wie „das Netz“ das tue.

Nun belegt das Zitieren einzelner Tweets einzelner User/innen natürlich genausowenig die Meinung „der Web-Gemeinde“ oder gar des „Netzes“, wie das Zitieren aus Telefongesprächen die Meinung der „Telefongemeinde“ oder das Zitieren aus Briefen die Meinung der „Postgemeinde“ belegen. Natürlich sind die Gauck-Zitate, die die Runde machen, verkürzt und ohne Kontext zitiert — Tweets sind eben auf 140 Zeichen begrenzt, wer also auf Twitter nach der Meinung der „Web-Gemeinde“ sucht, wird zu jedem Thema eine Vielzahl verkürzter, dekontextualisierter Aussagen finden.

Aber die Tweets, die ich zu dem Thema gesehen — und selbst geschrieben — habe, waren mit Links zu den Interviews und Zeitungsartikeln versehen, aus denen sie zitiert waren. Der Kontext war also nur einen Mausklick entfernt. Es mag sein, dass unter den Twitter-Nutzer/innen einige sind, die auf keinen dieser Links geklickt und keinen der Zusammenhänge betrachtet haben, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass die typisch für die „Web-Gemeinde“ sind. Denn weil sie die „Web-Gemeinde“ sind, haben sie die Netzkompetenz, die nötig ist, um auf Links zu klicken.

Und wenn man auf die Links klickt, stellt man in den meisten Fällen fest, dass der Kontext zwar natürlich dabei hilft, Gaucks Aussagen im Zusammenhang seiner Gedankenwelt zu verstehen, aber gleichzeitig wenig geeignet ist, die Aussagen selbst zu relativieren. Gauck erscheint, wenn man seine Aussagen im Kontext liest, als durchaus komplexer und differenzierender Denker, der selbstverständlich zu Gedanken fähig ist, denen man in 140 Zeichen nur schwer gerecht werden kann. Er erscheint aber auch als Vertreter einer zutiefst konservativen Weltsicht, die sich fast ausschließlich aus den tatsächlichen oder von ihm narrativ konstruierten Leitmotiven seiner eigenen Biographie speist. Er ist deshalb bestenfalls in der Lage, die Herausforderungen der Gegenwart zu erkennen — ernsthafte Ansätze zu ihrer Lösung hat er an keiner Stelle anzubieten. Im Gegenteil.

Ich will das an drei Beispielen deutlich machen. Zwei davon habe auch ich per Twitter in die Runde geworfen: seine Aussagen zu Thilo Sarrazin und zu Harz-IV-Empfänger/innen, die dritte wäre mir nicht in den Sinn gekommen, sie spielt aber in der Diskussion inzwischen eine zentrale Rolle: seine Aussagen zur Vorratsdatenspeicherung. In beiden Fällen würde ich auch bei sorgfältiger Abwägung des Kontextes bei meiner negativen Einschätzung von Gaucks Eignung als Bundespräsident bleiben (und das geht nicht nur mir so).

1. Sarrazin. Hier werden Aussagen aus zwei Quellen zitiert: Einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom Oktober 2010 und einem Artikel im Tagesspiegel vom Dezember 2010. In beiden Quellen attestiert er Sarrazin „Mut“, und in beiden Quellen bescheinigt er ihm, mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ auf ein tatsächliches Problem aufmerksam gemacht zu haben, das von der Politik ignoriert oder verschwiegen würde:

Er ist mutig und er ist natürlich auch einer, der mit der Öffentlichkeit sein Spiel macht, aber das gehört dazu. Er setzt sich dem Missbehagen von Intellektuellen und von Genossen seiner Partei auseinander – darunter werden viele sein, deren Missbilligung er eigentlich nicht möchte. [SZ]

[W]ie ich die Debatte verfolgt habe, gibt es eben einen Teil, wo man sagen muss: Da weist er auf ein Problem hin, das nicht ausreichend gelöst ist. [SZ]

Dem früheren Berliner Finanzsenator und Autor des umstrittenen Sachbuches „Deutschland schafft sich ab“, Thilo Sarrazin, attestierte Gauck, „Mut bewiesen“ zu haben. „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.“ [Tagesspiegel]

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Gauck distanziert sich klar von Sarrazins „biologistischen Herleitungen“ [SZ] und er macht deutlich, dass er das Problem nicht in der Existenz von Migrant/innen sieht, sondern darin, dass zu wenig für die Integration getan worden ist — und zwar sowohl von der deutschen Mehrheitsgesellschaft, als auch von (manchen) Migrant/innen. Sehr klar wird seine Position in der Grundsatzrede, die er bei seiner ersten Bewerbung auf das Präsidentenamt hielt:

Wir wollen eine solidarische Gesellschaft sein, die auch Defizite bei der Integration von Migranten und Zugewanderten abbaut. Wir wollen eine aufnehmende und einladende Gesellschaft sein; jeder weiß, dass wir Zuwanderer schon aus demographischen Gründen brauchen. Vor kurzem war ich tief bewegt, als ich die mangelnde Beheimatung spürte, die viele von ihnen immer noch verspüren, selbst wenn sie hier geboren wurden. In den USA begegneten mir Menschen, die erst zwei, drei Jahre im Land lebten, aber dennoch stolz erklärten: This is my country. Hier aber begegnete mir eine junge Frau, die als Tochter türkischer Eltern hier zur Schule ging, hier als akademisch Gebildete in führender Position im politischen Leben aktiv ist, aber mich dennoch mit großen Augen ansah: „Gehöre ich dazu, wenn Sie sagen: Wir sind ein Volk?“ Offensichtlich haben wir zu lange zu wenige und zu halbherzige Einladungen ausgesprochen und dadurch mit befördert, was uns heute große Probleme bereitet: Ressentiments gegenüber fremden Kulturen auf der einen Seite und mangelnde Integrationsbereitschaft in bestimmten Milieus der Zuwanderer auf der anderen Seite. [Grundsatzrede im Deutschen Theater, Juni 2010]

Unproblematisch ist seine Position auch inhaltlich sicher trotzdem nicht — zu einseitig versteht er Integration als Assimilation der Migrant/innen in die bestehende Werteordnung. Da war Wulffs Aussage „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ ein ganzes Stück progressiver (auch wenn sie leider Kultur mit Religion gleichgesetzt und so kulturelle Vielfalt auf religiöses Nebeneinander reduziert hat). Aber Gaucks Position hat mit der von Sarrazin natürlich nichts gemein.

Das relativiert aber natürlich nicht Gaucks Lob für Sarrazin. Im Gegenteil — der „Mut“ und die korrekte Problemdiagnose, die er Sarrazin bescheinigt, lassen Zweifel daran aufkommen, wie ernst Gauck es mit der Kritik an der deutschen Gesellschaft meint. Es passt schlicht nicht zusammen, auf der einen Seite anzuerkennen, dass von der Mehrheitsgesellschaft „zu wenige und zu halbherzige Einladungen“ zur Integration ausgesprochen wurden, und auf der anderen Seite den Mut einer Person zu loben, die einen Ausgrenzungsdiskurs am Rande der Rassenlehre betreibt. Bei einem Feuilletonisten Gauck mag diese Widersprüchlichkeit akzeptabel sein, bei einem Bundespräsidenten Gauck, der Deutschland inklusive der 10 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund vertreten soll, ist sie ein Zeichen dafür, dass er hinsichtlich von Fragen der Migration, Integration und des damit einhergehenden kulturellen Wandels eine nicht hinnehmbare Gedankenlosigkeit pflegt.

Einen äußerst schalen Beigeschmack hinterlässt auch seine Anerkennung für die Sarrazinsche Rhetorik. Die Süddeutsche stellt im Interview von 2010 diesbezüglich die zentrale Frage: „Macht Sarrazin nicht mit seinen oft polemischen Äußerungen eine nüchterne Debatte unmöglich?“ Natürlich tun sie das, die unsäglichen Diskussionen, die durch Sarrazins Buch losgetreten wurden, haben das nur zu deutlich gezeigt. Aber Gauck sieht offensichtlich nicht, dass die beleidigende und herabwürdigende Sprache Sarrazins ein Hindernis sein könnte:

Zu solchen Debatten gehört die Zuspitzung und auch die populistische Übertreibung. Daran krepiert das Land nicht gleich. [SZ]

Die politische Klasse könne aus dem Erfolg von Sarrazins Buch lernen, dass „ihre Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen“. [Tagesspiegel]

Gauck war eben — so sehr er sich nachträglich als Widerstandskämpfer gegen das DDR-Regime stilisiert hat — nie auf eine Weise ausgegrenzt, die es ihm ermöglichen würde, nachzuvollziehen, was die „mutigen“ und „zugespitzen“ Worte eines Sarrazin bei denjenigen bewirken, gegen die sie gerichtet sind. Das Land krepiert an ihnen vielleicht nicht — das fragile Zugehörigkeitsgefühl der Migrant/innen zerbricht daran sehr wohl.

2. Hartz-IV. Die Hartz-IV-Empfänger/innen existieren bei Gauck in einer merkwürdig stereotypen Vorstellungswelt, die eher aus Doku-Soaps wie „Mitten im Leben“ oder „Familien im Brennpunkt“ zu entstammen scheint, als einem Verständnis für Menschen, die (aus was für Gründen auch immer) am unteren Rand der Wohlstandsgesellschaft existieren müssen. Die SZ stellt hier zugegebenermaßern eine sehr tendenziöse Frage:

Sueddeutsche.de: Wie bringen Sie das den Menschen bei, die Hartz IV empfangen und ihre Kinder nicht jeden Tag zur Schule bringen, weil sie keinen Sinn darin sehen?

Hier wäre eigentlich nachzuhaken, wie verbreitet denn elterlich abgesegnetes Schulschwänzen unter Hartz-IV-Empfänger/innen ist und wenn es denn überhaupt besonders verbreitet ist, inwiefern es dann tatsächlich etwas mit Hartz-IV zu tun hat. Aber Gauck steigt ohne zu zögern auf das RTL-Unterschichtenstereotyp ein:

Gauck: Erst einmal sage ich ihnen, dass es keine Tugend ist, wenn man dort sitzt, den ganzen Tag Zeit hat und den Gören kein Mittag macht. Das darf man auch kritisieren.

Man dürfte es dann kritisieren, wenn es jemand für eine Tugend hielte — was aber noch zu beweisen wäre. Gauck macht dann deutlich, was er von Hartz-IV-Empfänger/innen erwartet:

Neulich erzählte mir mein Fahrer von seinem Cousin, der mit den gesamten Sozialleistungen ungefähr 30 Euro weniger als er hat. Mein Fahrer muss aber fast immer um fünf Uhr aufstehen. Er sei der Dumme in der Familie, aber er sagte mir auch: „Ich kann das nicht, ich kann nicht so dasitzen.“ Da habe ich gesagt, dass er denen erzählen soll, wie gut er sich mit Arbeit fühlt. Wir sehen ja auch in den Kreisen der Hartz-IV-Empfänger Leute, die politisch aktiv sind und auf eine Demonstration gehen. In diesem Moment verändert sich schon ihr Leben. Sie zeigen Haltung. Das ist sehr viel wichtiger, als dafür zu sorgen, dass die Alimentierung immer rundum sicher ist. [SZ]

Diejenigen, die sich trotz einer aussichtslosen wirtschaftlichen Lage mit einem Fahrerjob abplagen, für den sie um fünf Uhr morgens aufstehen müssen, sollen also „denen“ (den Hartz-IV-Empfänger/innen) erzählen, wie gut es sich anfühlt, sich vergeblich abzumühen. Abgesehen von dem Stereotyp des arbeitsfaulen Sozialschmarotzers, das Gauck hier voraussetzt, ist es äußerst befremdlich, dass ihn das fehlende Wohlstandsgefälle zwischen seinem Fahrer und einem Hartz-IV-Empfänger nicht zum Nachdenken darüber bringt, ob sein Fahrer eigentlich angemessen bezahlt wird.

Und demonstrieren sollen die Hartz-IV-Empfänger/innen auch — um „Haltung zu zeigen“. Und dieses Demonstrieren findet Gauck ernsthaft „sehr viel wichtiger“, als die Sicherung eines Existenzminimums (das er abfällig „Alimentierung“ nennt). Aber für wirklich wichtig hält Gauck die Demonstrationen wohl doch nicht, wie diese viel zitierte Aussage aus einem Interview mit der Berliner Zeitung aus dem August 2004 zeigt:

Berliner Zeitung: Heute wird unter dem Titel Montagsdemonstration in Ostdeutschland gegen die Hartz IV-Reformen demonstriert. Wirtschaftsminister Clement findet das eine Beleidigung der Demonstrationen von 1989. Sind Sie beleidigt?

Gauck: Nein, ich bin nicht beleidigt. Ich finde es positiv, wenn die Menschen demonstrieren. Aber ich finde es töricht und geschichtsvergessen, wenn der Protest gegen Sozialreformen unter dem Titel Montagsdemonstration stattfindet. Wer meint, gute Gründe für Demos zu haben, braucht kein falsches Etikett.

Berliner Zeitung: Was ist der Unterschied zu 1989?

Gauck: Damals ging es um eine grundsätzliche Gesellschaftskritik. Es ging um grundlegende Menschen- und Bürgerrechte, um Demokratie und Freiheit, um Rechtsstaatlichkeit.

Was diese Passage wieder klar zeigt, ist, dass Gauck sich in die Menschen, die da auf die Straße gehen, nicht ansatzweise hineinversetzen kann. Dass auch sie für grundlegende Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gegangen sind, kommt ihm nicht einmal in den Sinn. Auch hier zeigt sich, dass Gauck so sehr in seiner eigenen Biografie verhaftet ist, dass er das Leben der Anderen nicht ernst nehmen kann.

3. Vorratsdatenspeicherung. Gaucks Aussagen zur Vorratsdatenspeicherung haben bei der „Web-Gemeinde“ vielleicht die größten Wellen geschlagen. Sie stammen aus einer Fernsehaufzeichnung, deren entscheidende Passagen der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung transkribiert hat:

Was ich bei Herrn Stöbele nicht so richtig nachvollziehen kann ist, dass er im Grunde mit der von mir getragenen Sorge, ob unsere Grundrechte eingeschränkt werden, nicht im Grunde so eine hysterische Welle mit aufbaut, als würde mit der Speicherung von Daten, die möglicherweise meine Grundrechte einschränkt — ein wenig einschränkt –, als wäre dann der Beginn zu dem Spitzelstaat. … Das ist eine ganz tiefsitzende Angst in vielen europäischen Völkern. Ich sehe die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Gefahr, zu einem Spitzelstaat zu werden.

Gauck sagt hier zunächst unmissverständlich, dass er die Vorratsdatenspeicherung, obwohl sie eine Einschränkung der Grundrechte darstellt, für ungefährlich hält. Er macht die (für einen ehemaligen Stasi-Beauftragten gelinde gesagt naive) Aussage, dass mit der Speicherung von Daten über die Bevölkerung keine Gefahr einhergeht, dass die Bundesrepublik zu einem Spitzelstaat würde. Die Empörung, die diese Aussage — völlig zu recht — in bestimmten Kreisen ausgelöst hat, wird an verschiedenen Stellen (z.B. hier kritisiert. Denn tatsächlich spreche sich Gauck ja gegen eine Vorratsdatenspeicherung aus, wie seine nachfolgenden Äußerungen belegten:

Umso mehr müssen die Regierungen dartun — und zwar wirklich mit tragfähigen Belegen –, wieviel mehr Kontrollmöglichkeiten, Speicherungsmöglichkeiten, Fahndungsmöglichkeiten uns tatsächliche Erfolge bringen. Denn sonst würde ich das doch als eine beginnende Gefahr dieses Sicherheitsmantras gegenüber der Freiheitsbotschaft sehen.

Tatsächlich belegen diese Äußerungen nichts dergleichen: Gauck sagt klar, dass die Vorratsdatenspeicherung legitim sei, wenn gezeigt weden kann, dass sie tatsächliche Erfolge bringe.

Schlussgedanken. Das Netz hat keineswegs einen „bösen Gauck“ erfunden. Es hat eher potenzielle Schattenseiten des sonst gerne als Lichtgestalt dargestellten Gauck aufgedeckt. Es mag sein, dass einzelne dabei über das Ziel hinausgeschossen sind und Gauck dämonisiert haben — es ist eben das Internet, da darf zu unser aller großem Glück (noch) jede/r sagen was ihm oder ihr gerade in den Kopf kommt. Aber den meisten Beteiligten an der Diskussion ging es nicht um eine Dämonisierung, sondern darum, zu zeigen, wofür Gauck nun einmal steht: Für eine Gesellschaft, in der man sich anpassen muss, oder eben herausfällt, für eine Sichtweise, nach der die Armen an ihrer Armut selbst Schuld sind und nicht auf die Gesellschaft bauen dürfen, um aus ihrer Armut herauszukommen, für Freiheitsrechte, sie nur solange gelten, wie sie nicht in Konflikt mit Sicherheitsinteressen des Staates geraten.

Das ist ein Gesellschaftsbild, das man ja durchaus teilen kann (und viele von Gaucks Befürwortern teilen es ganz bewusst). Aber ich teile es nicht, und ich hätte mir ein Staatsoberhaupt gewünscht, dem die Herausforderungen der unmittelbaren Zukunft klar sind und der progressive und partizipative Ideen dazu hat, wie wir sie angehen könnten.

Aber natürlich war es eine Illusion, dass uns eine politisch bankrotte Regierung und eine im Moment nur wahltaktisch agierende Opposition ein solches Staatsoberhaupt geben würden. Es wäre ein unverhofftes und unerwartetes Geschenk gewesen, aber im Leben gibt es eben nichts geschenkt. Diejenigen von uns, die ein solches Staatsoberhaupt wollen, werden es uns erarbeiten müssen.

Nach Gauck.

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

152 Kommentare

  1. Seine Lebensgefährtin ist ja Schurrnalisstin, Ressort Innen. Wenn das allerdings die letzten zehn Jahre nichtgeholfen hat …

  2. Die Sache mit dem Fahrer

    ist mir auch ziemlich lange im Kopf geblieben, nachdem ich sie gelesen hatte. Ich persönlich würde ja nicht unbedingt einem Berufskraftfahrer mein Leben anvertrauen wollen, dem ich ein Nettoeinkommen gerade mal 30 Euro über dem Hartz-IV-Niveau zugestehe und der damit schon durch einen kalten Winter, steigende Energiekosten oder längere Krankheit akut von Armut bedroht ist. Bei Arbeitsbeginn um fünf Uhr morgens wird dann nämlich die kurz vorher endende Nachtschicht in eliner Burgerbraterei als Zweitjob allzu verführerisch.

    Abgesehen davon ist auch diese unterschwellige Botschaft “mein Fahrer ist vielleicht nicht wohlhabend aber glücklich weil er Arbeit hat” mehr als befremdlich.

    Und dass ein großer Teil – wenn nicht sogar die überwiegende Mehrheit – der als “alimentiert” verspotteten für diese “Alimente” zuvor ein Berufsleben lang Sozialversicherungsbeiträge gezahlt hat scheint Herrn Gauck ebenfalls nicht wirklich bewusst zu sein.

  3. Alter?

    Würde einen anderes von einem über 70 Jahre alten Mann nicht total überraschen? Wirklich, ich glaube das hat was mit dem Riesenalter zu tun. Weltbild von gestern und zu steif um sich zu ändern.

    Wenn ich 70 bin werde ich auch mit einem altem Weltbild rumlaufen und mich nicht mehr ändern. Reines Glück wenn mein Bild dann noch aktuell sein sollte.

  4. Alternative?

    Auch hier fehlt mir, wie bei den meisten Kommentaren im Netz, nach der (vielleicht berechtigten) Kritik ein Alternativvorschlag, der tatsächlich eine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte/haben würde.
    Ansonsten halte ich die Argumentation und Interpretation der Gauckschen Zitate stellenweise für sehr tendenziös. Wenn ich Zeit finde, werde ich das vielleicht mal näher erläutern. Jedenfalls entspricht obige Sichtweise nicht der alleinigen Deutungsmöglichkeit der Gauckschen Gedanken, gleichwohl liest es sich aber so.

  5. @Will Sagen

    Ich denke schon, dass Klaus Töpfer (u.a. Erfinder des Dosenpfands) oder Petra Roth von der Opposition guten Gewissens hätten mitgetragen werden können und auch bei CDU / CSU / FDP genug Rückhalt gehabt hätten.

  6. Demontage 4: Wendehälsigkeit

    Eine weitere Demontage findet dort statt, wo zuvor honorige Tätigkeiten geortet wurden.
    Sowohl im taz-Kommentar als auch im freitag fällt ihm seine Tätigkeit als Stasi-Jäger auf den Kopf; er wird als opportunistischer Wendehals “enttarnt”. Ein Artikel in der Zeit schaukelte dieses Lafontaine-Argument 2010 schon mal hoch.

    Leider triffts Will Sagen:
    Die Debatte um Kandidaten wurde vermutlich schon aus der Angst ausgespart, da bei dem Casting ohnehin nur ältere Männer mitmachen durfen die nicht zu sehr am Steuer reißen

  7. Abgesehen von dem Stereotyp des arbeitsfaulen Sozialschmarotzers, das Gauck hier voraussetzt, ist es äußerst befremdlich, dass ihn das fehlende Wohlstandsgefälle zwischen seinem Fahrer und einem Hartz-IV-Empfänger nicht zum Nachdenken darüber bringt, ob sein Fahrer eigentlich angemessen bezahlt wird.

    Der Fahrer bekommt 30 EUR mehr. Aber um welches Gehaltsniveau es hier geht wird nicht klar, oder habe ich das überlesen? Wenn ein HartIV-Empfänger beispielsweise viele Kinder hat und damit Anrecht auf eine entsprechend große Wohnung mit entsprechend große Miete etc. dann kommt ganz schön viel Geld zusammen. Ohne diese Anganbe ist das hier ziemlich sinnlos.

  8. Warum der Drang, misszuverstehen?

    Vielen Dank für den sehr interessanten Artikel. Er zeigt meines Erachtens, wie anfällig viele für den Drang sind, ihr Weltbild, ihr Vorurteil um jeden Preis zu stabilisieren.
    Nahezu in jedes Zitat von Gauck, das Sie bringen, lesen Sie eine Einseitigkeit hinein, die dort objektiv nicht zu finden ist.
    Ich bringe Ihnen nur ein Beispiel aus Ihrem Text. Sie zitieren Gauck “Ressentiments gegenüber fremden Kulturen auf der einen Seite und mangelnde Integrationsbereitschaft in bestimmten Milieus der Zuwanderer auf der anderen Seite”
    und schreiben:”zu einseitig versteht er Integration als Assimilation der Migrant/innen in die bestehende Werteordnung”
    Wieso? Er hat doch explizit und ganz ausgewogen *beide* Seiten des Problems dargestellt. Sie beharren, es sei zu einseitig?
    Sehen Sie das nicht?
    Dies ist allerdings eine Diskussion, die sich über den Austausch von Texten und Kommentaren kaum führen lässt. Ich bitte Sie aber dennoch, Ihre Sichtweise noch einmal zu überprüfen.
    Danke aber auf jeden Fall für den stimulierenden Text!

  9. Mal die Kirche im Dorf lassen

    Hallo, ich sehe es so wie mein Vorredner “Will sagen”. Davon mal abgesehen sollte man auch einem Herrn Gauck die Chance geben, sich im Amt zu bewähren, bevor man a priori anfängt jedes Wort aufzuspießen – frei nach dem Motto: Everybody ist unperfekt. Herr Gauck hat die üblichen 100 Tage.

  10. kompliment

    Auf den Punkt gebracht, brillant! Danke, kein Widerspruch. Eine Ergänzung über das Thema im Allg.: Skeptisch macht mich der Pathos mit dem Herr Gauck auftritt. Seine Diskussion über Freiheit überzeugt nicht, denn er selbst verweigert sich der Wahlfreiheit, wo sie zu erweitern wäre, z.B. mit der Diskussion um das Grundeinkommen, oder die Rolle von Frauen in unserer Gesellschaft. Ich selber will keinen Demokratielehrer, der mir die Liebe zu diesem Land erklären will – das ist mir zu trivial, zu mythisch.

  11. Den Mut loben

    Ich habe bisher nirgendwo gelesen, dass Gauck hier den Mut Sarrazins “lobt”, nur dass er ihn als mutig bezeichnet, mit seinem Buch den Diskurs anzuzetteln.
    Mut ist gerade in Zusammenhang der kompletten Aussage erstmal wertlos. Anders, als man das vielleicht im Sozialkundeunterricht gelernt hat.

    Staufenberg war sicherlich mutig Hitler in die Luft jagen zu wollen.
    Genau so ist mutig ist der Versuch einen Intercity mit Muskelkraft zu bremsen.
    Irgendwie mutig sind vielleicht sogar Selbstmordattentäter, die auf ein Leben im Paradies vertrauen.
    Letztere für ihren Mut zu loben, liegt mir aber so fern, wie nur irgendwas. Und genau so wenig hat Gauck meiner Meinung nach Sarrazin für seinen Mut gelobt.

    Ich glaube da existieren zwei im Wert unterschiedliche Definitionen von Mut, die hier zu einem Missverständnis führen, das ein klein wenig an den Haaren gezogen wirkt.

  12. Ich bin überrascht

    [Bitte beachten Sie, dass Kommentare, die keinen Beitrag zur Diskussion leisten, gelöscht werden können. Die Punkte, die Sie ansprechen, sind alle bereits ausführlich diskutiert worden. Die Kommentarregeln finden Sie hier. –A.S.]

  13. Sehr, sehr lesenswerter Text, danke dafür. Ich wäre eh für Georg Schramm – gewesen, muss man ja schon fast sagen, denn die “Wahl” ist ja gelaufen und wird auch in den Medien bereits so kommuniziert, obwohl sie streng genommen noch gar nicht stattgefunden hat. In anderen Ländern finden wir sowas immer furchtbar.

  14. Wer mit “10 Millionen Migranten” als Argument hantiert, sollte sich allerdings auch vor Augen halten, dass weder Wulffs Annäherungsversuch noch Sarrazins rassistisches Buch sich auf alle Migranten konzentriert haben – es geht hier um bestimmte Gruppen von Migranten, deren Integration sich von beiden Seiten allgemein problematischer darstellt als bei anderen.

  15. 30 Euro

    Diese 30 Euro sind mir auch den ganzen Morgen durch den Kopf gegangen. Irgendwas erschien mir daran merkwürdig, und nun ist mir auch eingefallen warum. Ich hatte als arbeitsloser ALG II-Empfänger mit Mietzuschuss ca. 600 Euro, als Vollzeit arbeitender ALG II-Aufstocker ungefähr 800 Euro. Es gibt also drei Möglichkeiten.
    1. Dieser Fahrer hat Schwachsinn geredet.
    2. Er verdient dermaßen wenig, dass er eigentlich aufstocken könnte.
    3. Er hat seinen Lohn mit dem eines arbeitenden Aufstockers verglichen.

    Die Aussage ist also in jedem Fall Blödsinn und zeigt, dass das Unrechtsbewusstsein hier in eine völlig falsche Richtung geht.

  16. Montagsdemos

    Sehr geehrter Hr. Stefanowitsch,
    Ihre Aussage:

    “Dass auch sie für grundlegende Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gegangen sind, kommt ihm nicht einmal in den Sinn.”

    Selbstverständlich nicht. Bürgerrechte haben gar nichts mit sozialen Strukturen innerhalb eines Staates zu tun, Menschenrechte können indirekt damit zu tun haben, allerdings nur mittels einen Prozesses in Karlsruhe. Demokratie, Freiheit? Jeder Kommentar überflüssig. Auch ohne es geprüft zu haben möchte ich wetten, dass 2004 auf keinem Schild “Demokratie jetzt” zu lesen war.

    1989 wurde für die “Freiheit zu demonstrieren” demonstriert. 2004 gegen soziale Sparmaßnahmen. Also das bloße “für und wider” verbietet eigentlich einen direkten Vergleich. Ich selbst würde sogar von Arroganz sprechen, die eigene Sache in das gleiche Licht zu heben wie 89. Das hat etwas von einem Marketing Trick. Übrigens auch in Stuttgart.

    Ihr gesamter Artikel erweckt bei mir beim Lesen folgenden Eindruck:
    “Ja, auch ich habe beim “Gauck Bashing” mitgemacht, aber, nachdem andere die Zitate in den Zusammenhang gerückt haben, sehe ich mich gezwungen meine Fehler zu verteidigen.” Einsicht stünde ihnen besser.

    Abschließend muss ich sagen , dass Vergleiche tendenziell schwierig sind. Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich.

    MfG, M. Breimer

    [Ich habe bei keinem „Gauck-Bashing“ mitgemacht. Ich verteidige auch keine Fehler, ich verteidige die substanzielle Kritik, die an Gauck geäußert wird. Und das werde ich auch weiterhin tun. — A.S.]

  17. Was ist “Mut”?

    Damit, dass Herr Gauck den Herrn Sarrazin mit etwas anderem belegte als mit einer Kanonade aus Schimpfwörtern, ist er für viele, die – wie ich – Sarrazins Buch nicht gelesen haben, bereits zur Persona Non Grata geworden. Da muss ich sagen: Das ist mir zu eindimensional. Sarrazin hat in der Tat Mut bewiesen, seine sichere Stellung als Bundesbanker zu riskieren, indem er ein solch polarisierendes und politisch unkorrektes Buch auf den Markt gebracht hat. Für ihn ist es insofern gut ausgegangen, als er damit viel Geld verdient hat, es ist für ihn aber schlecht ausgegangen, weil er jetzt unter Personensschutz leben muss aus berechtigter Angst vor Menschen, denen die körperliche Unversehrtheit von Menschen mit anderen Meinungen nichts wert ist. Beides war von Sarrazin so nicht vorhersehbar – und ehrlich gesagt bin ich mir auch nicht wirklich sicher, ob Sarrazin das nicht lieber wieder rückgängig machen würde. Mut ist ja nicht gleichzusetzen mit Integrität oder gar Intelligenz.

    Ich glaube, dass Gauck eine gute Besetzung für das Amt ist. Natürlich ist er kein Linker – aber die Linke hat ja nun mal in Deutschland keine Mehrheit, und ein Herr Ströbele mag zwar bei seinen Wählern in Kreuzberg beliebt sein, in weiten Teilen Restdeutschlands ist er es jedoch nicht.

    Ich halte auch nichts davon, das Amt mit einem möglichst jungen Präsidenten zu besetzen. Nach dem Ende der Amtszeit ist die politische Karriere eines Bundespräsidenten beendet – also sollte er dann in einem Alter sein, in dem er keine Karriere mehr braucht. Einige Ansichten von Herrn Gauck teile ich nicht, aber erstens führt er nicht die Regierungsgeschäfte und zweitens gibt es kaum einen Politiker, dessen Ansichten ich alle teile.

    Was ich mir wünschen würde, das wäre, dass unser Land die Zeit die Gauck uns jetzt schenkt, nutzen sollte, um ein paar Sachen zu justieren. Ich habe zum Beispiel keinen Bock mehr drauf, dass Politiker (mit hohen Kosten für die Allgemeinheit) abgesägt werden, weil sie einen Dienstwagen benutzt oder Bonusmeilen verflogen haben. Das macht jeder leitende Angestellte im mittleren Management ganz selbstverständlich und legal. Wenn wir von unseren Politikern viel erwarten, dann sollten wir sie auch nicht so kleinkariert behandeln.

  18. Nein!

    “es ist eben das Internet, da darf zu unser aller großem Glück (noch) jede/r sagen was ihm oder ihr gerade in den Kopf kommt.”

    Wir leben in einem Rechtsstaat. Natürlich ist es NICHT erlaubt, einfach so gerade alles zu sagen, zu schreiben und zu veröffentlichen, was einem in den Kopf kommt. Und das ist auch gut so.

  19. Gauckeleien

    In einem Kommentar hier heißt es: “Würde einen anderes von einem über 70 Jahre alten Mann nicht total überraschen? Wirklich, ich glaube das hat was mit dem Riesenalter zu tun. Weltbild von gestern und zu steif um sich zu ändern.”

    Konservativ zu sein ist nicht unbedingt eine Frage des Alters, es gibt in der Geschichte genügend Beispiele für das Gegenteil. Ich finde es auch nicht von Nachteil, wenn Menschen über eine gewisse Lebenserfahrung verfügen. Leider scheint Herr Gauck immer noch im Jahr 1989 zu leben, denn da war die Wende und nun ist für ihn anscheinend alles gut. Sieht er nicht, dass sich inzwischen einiges geändert hat und auch der “goldene Westen” einige hässliche Fehler aufweist?

    Besonders aufgestoßen ist mir in diesem Zusammenhang das Interview aus der Berliner Zeitung zu den Montagsdemonstrationen, das hier im Artikel verlinkt wurde.
    Herr Stefanowitsch schrieb dazu sehr treffend:
    “Was diese Passage wieder klar zeigt, ist, dass Gauck sich in die Menschen, die da auf die Straße gehen, nicht ansatzweise hineinversetzen kann. Dass auch sie für grundlegende Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gegangen sind, kommt ihm nicht einmal in den Sinn. Auch hier zeigt sich, dass Gauck so sehr in seiner eigenen Biografie verhaftet ist, dass er das Leben der Anderen nicht ernst nehmen kann.”

  20. “zu einseitig versteht er Integration als Assimilation der Migrant/innen in die bestehende Werteordnung.” Wo lesen Sie das konkret heraus?

    Er bescheinigt Sarrazin auch ausdrücklich keine “korrekte Problemdiagnose”, wie Sie schreiben – er bescheinigt ihm, ein wichtiges Problem angesprochen zu haben, dass er Sarrazins Meinung zu den Ursachen nicht teilt, haben Sie selber dargestellt.

    “Es mag sein, dass unter den Twitter-Nutzer/innen einige sind, die auf keinen dieser Links geklickt und keinen der Zusammenhänge betrachtet haben, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass die typisch für die „Web-Gemeinde“ sind. Denn weil sie die „Web-Gemeinde“ sind, haben sie die Netzkompetenz, die nötig ist, um auf Links zu klicken.” Glücklicherweise kann der Zusammenhang trotzdem ignoriert werden bzw. können Dinge reingelesen werden, die nicht drinstehen – wie dieser Blogeintrag hier schön zeigt.

    In einem stimme ich Ihnen aber zu: Die Gauck-kritischen Tweets und sonstigen Beiträge im Internet stehen nicht für “die Web-Gemeinde”, die besteht nicht nur aus Leuten, denen Gauck politisch nicht links genug steht. Es ist selbstverständlich völlig legitim, den Mann wegen seiner politischen Vorstellungen abzulehnen, nur könnte man sich dann auch die Mühe machen, diese einigermaßen akkurat wiederzugeben.

    Und, um noch einen anderen Ihrer Kritikpunkte aufzugreifen: Unabhängig davon, ob man die Hartz-Reformen für richtig oder falsch hält, könnte man doch anerkennen, dass die ein anderes Kaliber sind, als das Betreiben einer Diktatur – und nichts anderes sagt Gauck. Die Demonstrationen an sich lobt Gauck ausdrücklich, so sehr Sie sich auch bemühen, aus seinen Aussagen das Gegenteil herauszulesen.

  21. Undifferenzierter & einseitiger Beitrag

    Sehr undifferenzierter und einseitiger Beitrag. Wirklich enttäuschend so etwas hier zu lesen.

    Zwar sind die Zitate und Hintergründe vom Autor besser recherchiert als was man größtenteils sonst im Netz findet, jedoch findet eine maximal negative und extremst einseitige Interpretation von Gaucks Aussagen statt. Die gebrachten Gauck Zitate hätte man problemlos auch genau andersherum interpretieren können wenn man etwas mehr Kontext betrachtet bzw. nicht voreingenommen an die Sache heran geht.

    Ein interessanter Beitrag zum Thema:
    http://blog.karlshochschule.de/…t-zu-ignorieren/

  22. Gauck hat keine Lösungen, wer hat die?

    Gauck ist sicher ein konservativer Mensch, der vor allem seine eigene Lebensgeschichte zum Thema hat und sicher trifft der Titel im SPON zu: . Jenseits seiner Freiheitslehre, die er widerspruchsfrei beherrscht, bleibt Raum für Interpretation, wenn man wissen will, wofür Gauck steht.

    Gauck spricht ja durchaus Probleme auf mitfühlende Art an, die es beispielsweise in der Integration gibt, wenn er wie oben zitiert sagt:

    Vor kurzem war ich tief bewegt, als ich die mangelnde Beheimatung spürte, die viele von ihnen immer noch verspüren, selbst wenn sie hier geboren wurden. … Hier aber begegnete mir eine junge Frau, die als Tochter türkischer Eltern hier zur Schule ging, hier als akademisch Gebildete in führender Position im politischen Leben aktiv ist, aber mich dennoch mit großen Augen ansah: „Gehöre ich dazu, wenn Sie sagen: Wir sind ein Volk?”

    Diese Aussage entspricht weitgehend dem, was man dem Artikel Immer mehr Türken wollen trotz hoher Integrationsbereitschaft zurück entnehmen kann, dem eine Auswertung von Umfragen unter eingewanderten Türken zugrunde liegt.

    Dass Joachim Gauck Integration vor allem als Assimilation sieht, damit ist er nicht allein, auch über Otto Schily las man: In der “Süddeutschen Zeitung” vor 27.06.2002 erklärte Schily in einem Interview, dass die beste Form von Integration “Assimilierung” sei: Ausländer sollten sich in die deutsche Kultur und Sprache hineinleben.

    Und man muss fragen, was die offizielle deutsche Integrationspolitik ausser Assimilation anzubieten hat. Und dazu kommt noch: Auch assimilierte Türken fühlen sich in Deutschland nicht beheimatet.

    Natürlich gibt es sicher Intellektuelle und Politiker, die schönere Worte anzubieten haben als Assimiliation oder die für mehr eintreten als eine Integration, die vor allem im Erwerb der deutschen Sprache liegt. Mir ist aber niemand bekannt der diese schönen Worte mit einem überzeugenden politischen Programm für die Integration verbindet. Man kann dies auch nicht von Gauck erwarten, einem 70-jährigen, der vor allem von seinen Erinnerungen lebt.

    Das positive an Joachim Gauck ist aber wohl, dass er bei aller Beschränkung seines politischen Meinungsspektrums auf ein Thema mindestens dieses Thema überzeugend vertreten kann: Dass es sich lohnt für seine Freiheit einzustehen. Worin diese Freiheit in der heutigen deutschen Gesellschaft besteht, damit muss Gauck sich noch stärker auseinandersetzen. Viel neues ist da aber wohl nicht zu erwarten.

    Um glaubhaft zu sein genügt es wohl nicht, wenn Gauck nun

    für eine Gesellschaft einträte, in der man sich NICHT anpassen muss, für eine Sichtweise, nach der nicht die Armen für ihre Armut Schuld sind, sondern die Gesellschaft, die nun für die Verbesserung des Schicksals dieser Armen verantwortlich ist, für Freiheitsrechte, die auch und besonders dann gelten, wenn sie in Konflikt mit den Sicherheitsinteressen des Staates geraten.

    Wenn er eine solche Meinung allzu prononciert vetreten würde, würde er wohl in Konflikt mit der Mehrheitsmeinung der Deutschen geraten. Um dies zu belegen zitiere ich hier einige durchaus repräsentative Leserzuschriften zur oben erwähnten Migrationsumfrage

    Leser Europa:
    Die Deutschen sind den Türken schon sehr weit entgegengekommen was das akzeptieren ihrer Kultur an geht.

    Leser gedanke:
    Wenn ich bedenke das 17 Millionen Ossis in die Sozialsysteme eingebrochen sind und heute Rente in Euro bekommen wo sie noch mit Aluchips eingezahlt haben,das wird nicht hinterfragt.
    Das ich einen Soli zahlen muß womit ich heute einen kleinwagen hätte kaufen können.

    Leser 3

    Aha, 47% der Befragten planen eine Rückkehr in die Heimat -allerdings in die Tat umsetzen will man es dann doch nicht ! Wie nun ? Gibt es in der Heimat nicht so ein bequemes Sozialsystem, das einem ein Auskommen ohne Gegenleistung garantiert ?

    Natürlich wird diesen Kommentatoren zur “Türkenfrage” auch widersprochen. Doch diese Meinungen sind wohl weit verbreitet.

    Ein deutscher Bundespräsident, der seine Mitbürger zu besseren Bürgern machen will (durch Reden, mehr darf er ja nicht), das ist wohl nicht zu erwarten. Er hat wohl schon genug damit zu tun, sich selber als guten Bürger rüberzubringen.

  23. Die klare Sprache des Autors …

    … sorgt für Transparenz.
    Die einzige, etwas schwache Argumentation sehe ich in der MigrantInnen Debatte. Im Fall des Fahrers, der sich offensichtlich gerne ausbeuten lässt, wird sich der ALG II Bezug (so heißt es übrigens) ja wohl auf eine einzelne Person beziehen.

    Abgesehen von einigen Details, schafft es der Autor jedenfalls nachvollziehbar die grundsätzliche Haltung Gaucks darzustellen. Einige, der Interview Zitate hatte ich bereits im Original gelesen und war daraufhin irritiert, warum dieser Mann gerade von SPD und Grünen vorgeschlagen wurde. Er passt nahezu vollständig zur FDP-Ideologie.
    Was mich bei Gauck auch immer sehr negativ berührt hat, was aber nie eine Nachfrage des Interviewers zur Folge hatte (auch nicht bei der SZ), ist sein Duktus, immer wieder die USA mit einer Vorbildfunktion zu versehen. Eine so heillos zersplitterte Gesellschaft, mit ihrem üblen Nationalismus, in der ausschließlich Millionäre, aber auch gerne mal religiöse Deppen mit einem geradezu mittelalterlichen Weltbild sich für das Amt des Präsidenten bewerben (und dann auch tatsächlich noch gewählt werden), als irgendwie vorbildlich hinzustellen, zeigt seine eher rückwärts gewandte Grundhaltung.
    Denn eine Ideologie, die sich immer noch auf das freie wirken hirnloser Marktkräfte verlässt, ist für nach vorn denkende Menschen nicht mehr akzeptabel.

    Guter Blog, Herr Stefanowitsch!

  24. Poltiker -oder wie man sich überbewertet

    “Als Präsident will Joachim Gauck zwischen Regierenden und Regierten vermitteln.”

    Wenn das so stimmt, widerspricht es dem Gedanken der Aufklärung. Hier muß nichts vermittelt werden, da der Einzelne aufgrund seiner natürlichen Begabungen in der Lage ist, sich selbst zu führen/beherrschen/regieren. Worauf will ich hinaus? Grundsätzlich halte ich das Amt des Politikers für überholt. Hier die Regierung, dort das Volk. Hier die Regierung, dort _die_ Menschen. Ist das nicht Wahn?

  25. Anerkennung der Westgrenze Polens

    Wie war das noch mal, hat Joachim Gauck gesagt, dass die Anerkennung der Westgrenze Polens ein Fehler war? Ich bitte da um Aufklärung! Wenn es so wäre, was wäre dann bitte seine Alternative? Ich weiß die polnische Öffentlichkeit wird so ein Statement nicht goutieren. Es wäre ein No-GO erster Ordnung.
    Die Politik von Willy Brand und Walter Scheel haben hier die Fundamente gelegt für die Entspannungspolitik, wer das in frage stellt darf und kann nicht Bundespräsident werden. Was hat er genau gesagt?

  26. Wieder einer mehr

    Ein Blogger, angeblich sogar einer mit einem gewissen Ruf im Internet, der Sprachwissenschaft studiert hat und der gegen aus dem Kontext gerissene Zitate ist. Klasse soweit, bis zu der Stelle an dem Sie wieder, das Wort kann man nicht genug betonen, nur einen Teil seiner Aussagen zitieren. Und zwar den Teil der Ihnen zuspielt.

    Die frage auf die Gauck sagt Sarrazin sei mutig, die wäre entscheidend gewesen um sein Kommentar im Kontext erscheinen zu lassen.

    Eine Grundlagenfrage wurde Ihm gestellt, was ist Ihnen lieber? Ein mutiger Politiker oder ein linientreuer? Einer der auch etwas unpopuläres ausspricht oder einer der den Kopf unten hält.

    Sarrazin ist mutig. So falsch er auch liegen mag, er ist mutig. Er sprich aus was seine Meinung ist. Dafür kann man Respekt haben, sollte es sogar! Damit hat Gauck mMn völlig Recht. Solange er sich von den Aussagen distanziert, hat er sich, zumindest auf diesem Feld, nichts vorzuwerfen.

    MfG

    Ernst

  27. Zur grenze

    “Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten.”

    Das hat Gauck gesagt.

  28. Besser hätte ich es nicht formulieren können!

    @ Will Sagen
    Alternativen: Klaus Töpfer, Petra Roth und von mir aus auch Joschka Fischer.

  29. Dass er Pastor ist, spielt keine Rolle.
    Dass er Pastor ist, spielt keine Rolle.
    Dass er Pastor ist, spielt keine Rolle.
    Dass er Pastor ist, spielt keine Rolle.

    Er ist Pastor, was erwartest du?
    D’Oh!

  30. “Er bescheinigt Sarrazin auch ausdrücklich keine “korrekte Problemdiagnose”, wie Sie schreiben – er bescheinigt ihm, ein wichtiges Problem angesprochen zu haben, dass er Sarrazins Meinung zu den Ursachen nicht teilt, haben Sie selber dargestellt.”

    Naja, wenn mir jemand die Kehle durchschneidet kann ich auc hsagen, der killer hat das wichtige Problem der verletzbarkeit von Kehlen angesprochen. Nur tot bin ich halt trotzdem

  31. Nachtrag: Der Dank bezieht sich natürlich auf obigen Artikel, nicht auf das Filterbubble-Geschwurbel.

  32. “Gauck war eben — so sehr er sich nachträglich als Widerstandskämpfer gegen das DDR-Regime stilisiert hat — nie auf eine Weise ausgegrenzt, die es ihm ermöglichen würde, nachzuvollziehen, was die „mutigen“ und „zugespitzen“ Worte eines Sarrazin bei denjenigen bewirken, gegen die sie gerichtet sind.”

    Wann wurde denn der letzte Gastarbeiter in der BRD in ein Arbeitslager verfrachtet, weil er eine türkische Zeitung im Besitz hatte?
    Tut mir sehr Leid, aber Sie fabrizieren einiges an Stuss!

    [Wann wurde denn Gauck in ein Arbeitslager verfrachtet? — A.S.]

  33. Hintergründe/Abgründe

    Nicht unwichtig ist auch die Sozialisation von Gauck. Seine Mutter war schon vor Hitler´s Machtantritt in der NSDAP, sein Vater kurze Zeit später.Insofern sind auch die angeblichen Ungerechtigkeiten gegen seinen Vater nach 45 etwas fragwürdig. Wichtiger ist aber sein Onkel Gerhard Schmitt: dieser Onkel hat Gauck maßgeblich beeinflusst und als Bischof auf die Pastorenschiene geschoben und gefördert, übrigends auch getraut. Schmitt war schon 1931 NSDAP-Mitglied und dann SA-Gruppenführer. Dieses Umfeld hat sicher einen starken Einfluss auf Gauck gehabt, der beim Ungarn-Aufstand als 16jähriger gern mit der Waffe in der Hand gegen die Russen kämpfen wollte. Letztlich entspricht Gauck so gar nicht dem Bild eines Kirchenmannes, eher ähnelt er einem militanten Kämpfer gegen den Kommunismus. Hier unterscheidet er sich doch erheblich von Pabst Johannes Paul II, der niemals -trotz wirklicher Verfolgungen ins einem Leben (aber eben durch die deutschen Besatzer)- niemals die Art von Gauck bei der Auseinandersetzung aufwies.

  34. Die Legenden über die Hartz-IV-Empfäger, die fast ebenso viel bekommen wie Geringverdiener, stammen schon aus Vor-Hartz-Zeiten (damals mit wesentlich mehr Berechtingung als heute, weil es in der klassische Sozialhilfe noch eine 100-%-Anrechnung eigener Einkommen gab).

  35. Eitelkeit

    Interessant, wie andere sich ein Bild über Gauck machen und aus was sich so ein Bild über einen Menschen zusammentwittert.
    Da lobe ich mir das gute alte Vorurteil, das, immerhin, ist von mir:

    Er ist ein eitler Pfau (der fast an A.S. heranreicht)

  36. Definition über DDR-Hass

    Ich habe den Eindruck, dass sich Herr Gauck vor allem über seinen Hass auf die DDR definiert. Dabei bejubelt er völlig unkritisch jedes Vorgehen, dass sich von dem damals in der DDR üblichen unterscheidet.

  37. 30 Euro

    Jennifer weiter oben
    https://scilogs.spektrum.de/…nd-das-netz#comment-36864

    “Es gibt also drei Möglichkeiten.
    1. Dieser Fahrer hat Schwachsinn geredet.
    2. Er verdient dermaßen wenig, dass er eigentlich aufstocken könnte.
    3. Er hat seinen Lohn mit dem eines arbeitenden Aufstockers verglichen.”

    Es gibt natürlich noch eine vierte Möglichkeit: Gauck hat Blödsinn geredet.

  38. Der gute Fahrer

    Man kann zu Gaucks Äußerungen stehen wie man mag. Viel interessanter stellt sich seine Weltsicht am Beispiel des Fahrers dar. Ist es nicht sonderbar, dass dieser für Herrn Gauck fährt und lediglich 30 Euro mehr erhält als der Bezieher von Transferleistungen und ist es nicht eher Herrn Gauck anzulasten, dass er ein derartiges Arbeitsverhältnis für angemessen hält und “aus”nutzt? Hier wird sein Mangel an gemeinwohl-konformem Denken viel offensichtlicher als in allen anderen Punkten. Allerdings ist er hier kein Einzelfall, indem er Menschen zugunsten seiner Freiheit oder seines Vorteils gegeneinander aus einer Machtposition heraus ausspielt. Aus diesem Grund kann er auch kein Präsident aller Bundesbürger sein.

  39. VIelen Dank für Ihren Beitrag, der sicherlich qualitativer als 90% der entstandenen (journalistischen) Berichterstattung (recherchiert) ist.

    Ebenso wie einige Vor-Poster bin ich dagegen auch der Meinung, dass Ihre Interpretation der Gauck’schen Aussagen zu einseitig ist und der Beitrag leider im ganzen letztendlich nicht das inhaltliche Level neu definieren kann, dass die kritisierte Journaille aufbringt.

    Schade.

  40. Stefanowitsch for president

    Danke, danke, danke! Danke, danke! Das ist das Beste, was es bisher zum Thema gibt.

    Sie präsentieren Zitate in einem einigermaßen ausführlichen Kontext und erläutern anschließend deren Interpretation. Dass es Leser gibt, denen jene Erläuterung nicht zum Verständnis der Kritikpunkte ausreicht (oder die trotz oder wegen seiner herausgearbeiteten Positionierungen befürworfen) muss Sie nicht grämen.

    Ich werde Ihren Text unter meinen Freunden in der Offline-Welt verbreiten, die Gauck (noch) für eine gute Wahl halten.

    Ein paar inhaltlich beipflichtende Ergänzungen werde ich heute selbst bloggen.

    Ich gebe ja zu, dass die Anforderungen an Bundespräsidentschaftskandidaten derzeit sehr niedrig gehängt sind – aber wären Sie bereit, sich wählen zu lassen, wenn die Bundesversammlung doch noch zu der Einsicht gelangt, dass Sie besser als Gauck (1.) mit Sprache umgehen können, (2.) Brücken des Verständnisses bauen statt Gräben aufzureißen und (3.) für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit eintreten?

  41. Montagsdemos

    In Sachen “Montagsdemos” kann ich Gauck nur beipflichten. Gegen die Höhe des Hartz IV-Regelsatzes zu demonstrieren ist sicherlich ein legitimer Beitrag zum demokratischen Diskurs und kann – je nach persönlicher Sicht der Dinge – ganz sicher auch als Eintreten für mehr Gerechtigkeit oder auch gesellschaftliche Partizipation betrachtet werden. Die Namensgebung “Montagsdemo” fand ich aber auch damals schon ziemlich geschichtsvergessen und unpassend, schließlich ist die vollkommen ungefährliche Teilnahme an einer genehmigten Demonstration im demokratischen Deutschland in keiner Weise mit einer illegalen Demonstration in einer Diktatur zu vergleichen, in der Menschen vom Geheimdienst “zersetzt” und an der Grenze erschossen wurden und in der es Foltergefängnisse und geheime Hinrichtungen gegeben hat. Das Risiko und der persönliche Mut der Teilnehmer sind hier doch ganz anders zu bewerten. Die Parallele, die durch die Namensgebung gezogen wird, ist demnach eine unpassende.

    Als “Wahl-Ossi” kann ich mich noch gut daran erinnern, wie hier 2004 bekannte ehemalige SED-Parteigänger, die heute in der Linkspartei aktiv sind, auf ihren “Montagsdemos” unter anderem “Wir sind das Volk” skandierten. Das fand schon ich ziemlich geschmacklos – und dass sich jemand wie Gauck, der die DDR-Diktatur persönlich miterlebt hat, negativ zu so etwas äußert, kann man ihm meinem Erachten nach nun wirklich nicht verübeln…

  42. Eigentlich alles wie immer

    Ich habe Angst vor dem Tag, an dem ALLE einen einzigen Politiker toll finden. Es gab auch heftige Gegenwehr gegen Weizsäcker (damals noch ohne Netz) und trotzdem hat er seinen Job gut gemacht.

    Und ansonsten: so lange ein Präsident legitim gewählt wurde und keinen Dreck am Stecken hat, sollten wir alle froh sein. Ich freue mich, dass Gauck unerwartet doch noch einmal die Chance bekommt, sich der Aufgabe als würdig zu erweisen. Das ist heute wichtiger denn je, nach zwei so charakterschwachen, wachsweichen Präsidenten. Und so viel Zeit muss man ihm bitteschön auch lassen.

  43. Ja, mich würde auch mal interessieren, inwiefern die Hartz-IV-Demos für Demokratie stritten. Die Leute haben wie jeder andere Demonstrant auch ihr demokratisches Recht wahrgenommen und niemand wollte es ihnen verwehren. Die Hartz-IV-Demonstraten haben nicht für die Demokratie protestiert, sie haben gegen ein Gesetz protestiert, das ihnen nicht passte.

  44. Danke!

    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch, vielen Dank für Ihren erhellenden Artikel. Mein bisheriges Gauck-Bild war zu naiv.

    Eine kritische Beurteilung des Kandidaten findet man überraschenderweise auch bei Eva Herman. Sie hat zwiespältige Gefühle. Vom Kapitalismusfreund Gauck sei, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, keinerlei ESM-Kritik zu erwarten. http://tinyurl.com/7z24p7t

  45. Autobahn-Eva beschwört die DDR 2.0 herauf und endet mit einem Bibelzitat. Hat ja zumindest Unterhaltungswert.

  46. Schöner Text und sehr gut meiner Meinung nach wesentliche Details herausgearbeitet.

    Ich finde eigentlich, dass man nicht unbedingt in allen Dingen mit dem Bundespräsidenten oder sonstwem einer Meinung sein muss. Bei Gauck gibt es aber einige Dinge, durch die ich ernsthaft an seiner Eignung als guter Bundespräsident zweifle.

    Da wäre zum Einen der völlige Mangel an Empathie, was Du gut herausgearbeitet hast. Egal ob Migranten, Arbeitslose oder Demonstranten -> die kürzeste Lösung ist immer, dass sie selbst schuld sind und sich besser anpassen sollen. Die Gesellschaft an sich dagegen ist total super. Hier fehlt mir auch die Bereitschaft, überhaupt mal nachzudenken, wie andere Menschen ihre Situation empfinden und dass diese vielleicht weniger previligiert sind als er und seine Bekannten.
    Und das, wo ich Empathie eigentlich als wichtigste Eigenschaft für so ein Amt empfinde.

    Das zweite ist seine Verhaftung in der Vergangenheit und seiner eigenen Geschichte.
    Es wirkt als ob er meint, alle Welt müsste froh und dankbar sein, dass die BRD nicht die DDR ist und deswegen sollte man nicht allzu kritisch sein.
    Und wer doch Aspekte kritisiert oder gar in Frage stellt, steht sofort in Verdacht die DDR haben zu wollen.
    Das erklärt sich natürlich aus seiner Vergangenheit, ich komme aber aus dem Westen und bin 85 geboren. Für mich ist die DDR totale Geschichte und diese Sichtweise daher reichlich abstrus.
    Und es ist natürlich reichlich undemokratisch, jegliche Kritik damit abzubürsten, dass es ja nicht so schlimm sein kann, schließlich sind wir nicht in der DDR.

  47. Cicero

    Danke für den Artikel.

    Ein Aspekt hätte ich noch: Ich finde es ist kein Zufall, dass ein solcher Verteidigungsartikel bei Cicero erschienen ist. Gauck ist ja Mitglied der Atlantik-Brücke. Der Chefredakteur von Cicero ist Michael Naumann, Ehegatte der Enkelin des Gründers der Atlantik-Brücke. Es gefällt dem Lobbyistenclub wohl nicht wie Gauck Stück für Stück in seiner unmenschlichen Art enttarnt wird….

  48. Zutreffende Analyse

    Danke für diese zutreffende Analyse. Mich erinnert Gauck an die Sozialkundelehrer einer bayerischen Realschule in den 80er Jahren: Schwarzweißmalerei, Warnung vor dem Feind im Osten und Antikommunismus.

    Als Bundespräsidentin hätte ich als Kommunalpolitiker mir Petra Roth gewünscht, aber das wurde ja nicht mehr diskutiert. Die Entscheidung für Gauck war eine wenig ausgereifte Hauruckaktion.

  49. Gauck

    AS 210212
    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,
    mit meinen 71-Jahren habe ich mich im Zusammenhang mit der Berufung zum Bundespräsidenten und deren Aufgaben und Pflichten tiefgründiger mit dem PC und Internet beschäftigt.
    Seit 2008 habe ich eine Homepage (www.Friedensunion.de) im Netz. Bitte nehmen Sie sich die Zeit, dort rein zusehen. Daher beteilige ich mich auch am dialog-ueber-deutschland, wobei ich erfahren musste, dass weder mein Vorschlag, meine Frage oder Beitrag veröffentlicht wurde.
    Allerdings hat der Hickhack um Herrn Wulff und nunmehr um Herrn Gauck, mich ein wenig aus mein Konzept gebracht. Ich selbst wurde am 14.02.1964 in der DDR exmatrikuliert, da ich den Winterkrieg 1939 (Sowjetunion ./. Finnland) scharf verurteilte und nicht zu einem Widerruf, auch unter Druck von MfS, Gewerkschaft und SED, bereit war. Bis 1970 galt ich in Wittenberg als staatsfeindlich eingestellt, obwohl meine Lebensweise durchaus Staatskonform war. Trotzdem habe ich mich nicht als Opfer gefühlt, da ich „Marx“ nicht nur gelesen hatte, sondern tiefgründig zu Herzen genommen hatte und daher derartige Repressalien als Auswüchse und für überwindbar gehalten habe.
    1989/1990 sagte ich immer zu meiner Frau: wenn der Klassenfeind (ich denke Sie verstehen mich) Einzug hält, hast Du einen Arbeitslosen zum Ehemann. Dann kam alles ganz anders. Heute lebe ich in einem bescheidenen Wohlstand und habe nach vielen Erfahrungen kapiert, dass unsere Demokratie sehr wohl erhaltenswert ist. Oft habe ich den Eindruck, dass die „Entscheidungsträger“ und das „Volk“ nicht ausreichend zur Kenntnis nehmen, wie gut es der deutschen Nation eigentlich geht.
    Und nun muss man vor laufender Kamera erleben, dass 0,5% entscheiden: Gauck ist der neue Bundespräsident! Toll, ganz wie zu DDR-Zeiten. Die Parteiführung selektiert und in der Parteiversammlung heben alle den Arm!
    Ist das die neue Demokratie? Warum dann noch die Bundesversammlung?
    Infolgedessen beschäftige ich mich mit diesem innerdeutschen Thema. So kam ich zum politischen Internet. Hier habe ich dann festgestellt; ja es gibt noch Stimmen, kritische Stimmen und nicht nur Nörgler. Bei den „Links“ kam ich zu Ihrer Seite. Da ich dem Präsidenten des Bundestages gestern einen Brief schrieb, erlaube ich mir diesen einzuschieben, in der Hoffnung Ihre Meinung zu erfahren.

    AS 200212
    Sehr geehrter Herr Präsident des Bundestages,
    die letzten Wochen waren eine echte Zumutung. Man konnte fast annehmen, dass die Regierungsgewalt von den Medien ausgeübt wird. Nichts gegen Pressefreiheit, aber auch hier sollte gegen Anarchie vorgegangen werden. Wer die Kampagnen verfolgt hat, und dies haben viele Internetnutzer, dem ist der Appetit vergangen. Kommentieren muss ich die Tatsachen Ihnen gegenüber sicher nicht.
    Ich lasse mich davon leiten, dass unsere Entscheidungsträger auf dieser Ebene wissen was Sie tun und wünsche mir, dass Sie die, über Sie gemachten Aufzeichnungen, selbst nachträglich in Augenschein nehmen.
    Da wird für alle überraschend ein Kandidat gefunden. Ein aufgewärmter Kandidat. Wir (damit meine ich, diejenigen, mit denen ich spreche) waren alle geschockt, geschockt über den mangelnden Stolz des Herrn Gauck. Dies soll ein Repräsentant unseres Staates werden? Heute am 20.02.2012 habe ich gegen 18:00 Uhr Meinungen und Kommentare Querbeet studiert und war erschüttert, was da alles zu finden war! Schätze mal so über den Daumen ~90% nur negatives. Da diese Meinungen kaum manipuliert sein dürften: hört ihr da oben auf die Stimme des Volkes!
    Und die Regierenden meinen damit aus dem Schneider zu sein; wie man so formuliert.
    Nach unserem Grundgesetz, kann jeder, der die 40 vollendet hat und das Wahlrecht besitzt zum Bundespräsidenten gewählt werden.
    Aber, da sind sich einige Wenige einig, basta! Solls das gewesen sein? Dann kann man ja die Bundesversammlung zu Hause lassen! Oder sollte doch noch eine Wahl stattfinden, zumindest der Form halber? Die DDR lässt grüßen!
    Falls es an Kandidaten mangelt: ich stelle mich zur Verfügung und bewerbe mich hiermit. Falls Sie noch weitere Informationen von mir benötigen, bitte ich um Nachricht.
    Ein kleines Programm in Stichpunkten kann ich schon anbieten:
    Auszug: Zuarbeit dialog-ueber-deutschland
    19.02.2012
    Ich habe mir die Kommentare angesehen und feststellen müssen, dass meiner Meinung nach nicht erkannt wird, dass wir (das Volk) tatsächlich mal mitreden (ob mitwirken-wird sich zeigen) dürfen; und schon gibt es Zweifler und Besserwisser. Für die MA der Redaktion eine große Herausforderung. Viel Glück bei diesem Pilotprojekt.
    Eine kurze Auflistung:
    (überwältigende Mehrheit der Parteilosen ~99,~%/Kriegsrüstung/Bildung/Anteil an Solidarbeiträgen/Straßenbauundausbausatzungen/dto.Abwasser/Betriebskostenabrechnungen und deren Nachweis/Mietspiegel/Grundwassergebühren/Verkehrsrecht/Anliegerkosten für Gewässer/Gesundheitswesen/all-gemeiner Werteverfall materiell und gesellschaftliches Zusammen-leben/Arbeitslose/Suppenküchen/Obdachlose/Grundgesetz Würde des Menschen und Wahl des Bundespräsidenten/ff/
    der mir spontan einfallenden vorhandenen Probleme, die zwingend und in absehbarer Zeit zu erledigen sind.
    Diese Aufzählung ist bei weitem nicht komplett und ist aus der Sicht eines Uneingeweihten notiert worden. Aber zu all den genannten hätte ich ausreichend Kommentare, so dass ich mir bereits im Vorfeld die Frage stellen muss: Was machen die dafür bezahlten (übrigens schlecht bezahlten) Politiker.
    Allein in meinem Umfeld gibt ausreichend Beispiele, die belegen, dass die Meinung des Volkes, die Meinung der Mehrheit, sehr oft als störend empfunden wird. Statt den Wählern/innen zwischendurch “aufs Maul” >Goethe< zu schauen, herrscht Ignoranz der momentanen Entscheidungsträgern.
    Mit freundlichen Grüßen
    gez. Horst Wallisch
    Entschuldigen Sie, dass ich Sie so weitschweifig behellige, hoffe aber auf Ihr Verständnis. Es geht ja auch nicht nur um Deutschland, es geht um die Erhaltung der Menschheit und die fängt beim Individium an, geht über die Familie, dem Staat bis zur Staatengemeinschaft, die seltsamerweise längst erkannt hat (besser hätte erkennen müssen), dass die Rüstungsindustrie die größte Idiotie, die schlimmste Verschwendung von Ressourcen (diesen Begriff habe wahrscheinlich ich als erster in meiner Diplomarbeit 1972 verwendet), die ohnehin sehr rar sind.
    Mit freundlichen Grüßen
    gez. Horst Wallisch Dipl. BWL (FH)
    den Titel nutze ich auch erstmalig in bundesdeutscher Fassung

  50. nett….

    geschrieben, aber leider falsch interpretiert. Auch ich werde, wenn ich Zeit finde, mal versuchen ausführlicher z erklären welchen und warum in diesem Text falsche Schlüsse getroffen wurden.

  51. montagsemos…

    jemand schrieb:
    “1989 wurde für die “Freiheit zu demonstrieren” demonstriert. 2004 gegen soziale Sparmaßnahmen. Also das bloße “für und wider” verbietet eigentlich einen direkten Vergleich. Ich selbst würde sogar von Arroganz sprechen, die eigene Sache in das gleiche Licht zu heben wie 89. Das hat etwas von einem Marketing Trick. Übrigens auch in Stuttgart.”

    das ist wohl tatsächlich die linie gaucks. und es enthält genau den miesen trick, den die neoliberalen gaucks dieser welt so gerne aus dem hut zaubern: Du darfst für allerlei demonstrieren, ausser für das, was du zum leben brauchst. ideelle werte einfordern (“Freiheit”) – kein problem. Aber materielles zum Überleben – nein, sowas gehört sich nicht.

    Wenn es etwas gibt, für dass es sich WIRKLICH zu kämpfen lohnt, dann doch wohl die materielle versorgung und der wohlstand, der einem zusteht!

    “weil der mensch ein mensch ist/ braucht er was zu fressen bittesehr/ es macht ihn geschwätz nicht satt/ das schafft kein essen her” (Bertolt Brecht)

  52. @S.Köster:

    Wunderbar, wie es Ihnen gelingt, Ihr Mißfallen über diesen Artikel ohne jeden Beleg zum Ausdruck zu bringen, um sich im Anschluß dezent zu verdrücken… 😉

    “Weaseling out of things is important to learn. It’s what separates us from the animals… except the weasel.” – Homer Simpson.

  53. Du darfst für allerlei demonstrieren, ausser für das, was du zum leben brauchst. ideelle werte einfordern (“Freiheit”) – kein problem. Aber materielles zum Überleben – nein, sowas gehört sich nicht.

    Sie müssen differenzieren. Niemand hat den Hartz-IV-Demonstranten hier bisher das Demonstrationsrecht abgesprochen. Es geht um den Vergleich mit der Situation der Montagsdemonstranten vor der Wende. Damals protestierte man unter Einsatz der eigenen Freiheit für Demokratie in einer totalitären Diktatur. Vor ein paar Jahren dann demonstrierte man rechtmäßig und ungestört für eine Anhebung des Regelsatzes für Arbeitlose bzw. eine Beibehaltung des Status Quo.

  54. So?

    @Gurkenkaiser: Warum gleich steht einem leistungsloser Wohlstand zu? Klar sind die HartzIV Sätze zu niedrig, aber Wohlstand muss daraus nun wirklich nicht entstehen. Und fürs rein materielle Überleben reichts mehr als aus, es beinhaltet sogar nicht nur das reine Überleben, es beinhaltet auch noch eigenen Wohnraum. Die, die jetzt immernoch arbeitslos sind, hatten auch mit der alten Sozialhilfe nicht mehr in der Hand. Allerdings gibt es noch ganz andere Dinge an dem Hartzsystem zu bemängeln die viel gravierender sind, als die reine Geldmenge. Daran nun die Kritik an Gauck festmachen ist was schwach. Ich halte Gauck auch nicht für die idealbesetzung des Amtes, Lammert wäre mir lieber gewesen, aber den shitstorm hat er für keine seiner Äusserungen verdient.

  55. Contra @ TheGurkenkaiser

    Antisthenes:

    Armut und Reichtum wohnen nicht im Hause, sondern im Herzen der Menschen. Man darf wohl die Lust erstreben, die hinter der Anstrengung liegt, aber nicht die, welche davor liegt. Ich besitze nichts, damit ich nicht besessen werde.

    Nietzsche:

    Seht mir doch diese Überflüssigen! Reichthümer erwerben sie und werden ärmer damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, viel Geld, — diese Unvermögenden! Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern über einander hinweg und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe. Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es, — als ob das Glück auf dem Throne sässe! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron — und oft auch der Thron auf dem Schlamme. Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Überheisse. Übel riecht mir ihr Götze, das kalte Unthier: übel riechen sie mir alle zusammen, diese Götzendiener. Meine Brüder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Mäuler und Begierden! Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt in’s Freie! Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der Götzendienerei der Überflüssigen! Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem Dampfe dieser Menschenopfer! Frei steht grossen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch viele Sitze für Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere weht. Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig besitzt, wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armuth!

  56. Ist es nicht eigenlich egal?

    Der Posten des Bundespräsidenten ist doch im großen und ganzen sinnfrei. Daher ist es mir relativ egal, wer ihn inne hat.
    Über Ursula von der Leyen als Präsidentin hätte ich mich allerdings gefreut. Sie wäre dann politisch am Karriereende angekommen und ich bräuchte mir keine Sorgen machen, daß sie mal Kanzlerin werden könnte.

  57. Gauks Kritik an Sarrazin

    Das vollständigere Zitat der SZ lautet:

    “Er ist mutig und er ist natürlich auch einer, der mit der Öffentlichkeit sein Spiel macht, aber das gehört dazu. Er setzt sich dem Missbehagen von Intellektuellen und von Genossen seiner Partei auseinander – darunter werden viele sein, deren Missbilligung er eigentlich nicht möchte. Nicht mutig ist er, wenn er genau wusste, einen Punkt zu benennen, bei dem er sehr viel Zustimmung bekommen wird.”

    Das ist ein klassische Form der Kritik, die nicht gleich mit dem Holzhammer kommt. Genau vor dem entscheiden Satz verkürzt Anatol Stefanowitsch aber auch hier wieder und tut doch so, als sei er dieses Mal ehrlicher und weniger manipulativ.

    Warum macht er aus einer offensichtlichen Sarrazin-Kritik ein Sarrazin-Lob?

    Diese Frage sollte er sich sich ganz selbstkritisch stellen. Dienen all diese viel zu vielen Worte nicht dazu, seinen fragwürdigen Umgang mit Zitaten nur noch einmal zu vernebeln und zu relativieren?

  58. @ AlleSonst

    “Über Ursula von der Leyen als Präsidentin hätte ich mich allerdings gefreut. Sie wäre dann politisch am Karriereende angekommen und ich bräuchte mir keine Sorgen machen, daß sie mal Kanzlerin werden könnte.”

    Das hätte glatt von der Merkel sein können. Vom Dicken hat sie gelernt, wie man unter Blinden als Einäugige Königin sein kann.

  59. Danke…

    …für diesen herrlichen Blödsinn.

    Ihren Schlussgedanken nach kommt Herr Gauck ja gleich nach Honecker und Breshnew.

    Ich finde es gut, dass wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben, in der jeder seine Gedanken frei äußern kann (so wie Sie und alle anderen hier), ohne dass er um sein Leben fürchten muss. Wenn ich mich nicht täusche, hat Herr Gauck einen Großteil seines Lebens damit verbracht, dafür zu kämpfen. Ihm also zu unterstellen, er würde für eine Gesellschaft kämpfen, in der sich jeder anpassen soll, ist so abstrus, dass Sie sich dadurch komplett disqualifizieren.

  60. Viel interessanter als die Diskussion um die Personalie Gauck empfinde ich das unlängst in diesem Zusammenhang aufgetauchte Bild mit Herrn Maschmeyer. Ich teile nicht die Befürchtung einiger, dass es sich hier wiedder um eine “ungünstige” Verquickung handeln könnte, sondern finde es spannend, wie weit gewisse Menschen ihr soziales Netz auswerfen. Es scheint fast so, als würden manche immer auf der Gewinnerseite stehen.

    mfG

  61. viel zu vielen Worte

    “Dienen all diese viel zu vielen Worte nicht dazu, seinen fragwürdigen Umgang mit Zitaten nur noch einmal zu vernebeln und zu relativieren?”

    Viel zu viele Worte machen Aua im Kopf.

    Daher empfehlen Mediziner, keine Blogs zu lesen, und erst recht keine Kommentare.

    Noch mehr böse Worte über unmenschliche Weltbilder gibt’s unter: http://erbloggtes.wordpress.com/…che-weltbilder/
    Allen empfohlen, die Gauck toll finden und denen Lesen Schmerzen bereitet.

  62. Viel Ehr, viel Feind

    Ich schließe mich all denen an, die für diesen sehr inhaltsreichen Blog gedankt haben.

    Ich muß gestehen, daß ich über Joachim Gauck, abgesehen von seiner Rolle in der DDR und als Leiter der “Stasiunterlagenbehörde”, sehr wenig gewußt habe.

    Nach dem Lesen dieses aufschußreichen Beitrags ist mir Gauck jetzt aber wirklich sympathisch geworden.

    [Nörgler, hören Sie endlich auf, hier den Dummen zu spielen, sonst werden Sie hier in Zukunft nicht mehr kommentieren. — A.S.]

  63. @Erbloggtes

    @Erbloggtes: Die manipulativen Methoden mit denen Anatol Stefanowitsch hier Zitate verdreht, gehören für mich ins Gruselkabinett der deutschen Geschichte in Ost und West.

    Wenn Sie trotzdem bereit sind ihm dafür zu huldigen, dann frage ich Sie, wem Sie wohl 1933 für solche Methoden gehuldigt hätten.

    Wer da nicht protestiert, der ist es nicht wert. Hier heiligt der Zweck nicht die Mittel.

  64. Godwin’s Law

    @Andreas Anders
    Herzlichen Glückwunsch! Ich verleihe Ihnen 1 Godwin-Punkt! Die Antwort auf Ihre rhetorische Frage kann ja nur “Hitler” lauten. Demnach wendet Anatol Stefanowitsch Methoden an, die mit denen Hitlers vergleichbar sind – vielleicht doch nur mit denen von Goebbels?

    Ach was, das gibt gleich 10 Godwin-Punkte. Hat eigentlich schon jemand Gauck mit Hitler verglichen?

  65. Sarrazin, Biologie, Gedankenlosigkeit

    Im ersten Teil des SZ-Interviews vom Oktober 2010 gibt es noch zwei nacheinander folgenden Fragen und Antworten, die viel über Gauck sagen.

    Zuerst gibt er zu, Sarrazins Buch nicht gelesen zu haben, nur habe er die Debatte verfolgt. Nach einer vagen Aussage über “seine biologistischen Herleitungen” präzisiert der Fragesteller, dass Sarrazin über “erblich weniger intelligenten Kindern bei bestimmten Gruppen” sprach. Dann sagt Gauck, “Wenn er das so behauptet”, und wird plötzlich kritisch. Die viel zitierte klare Distanzierung von Sarrazins biologischen Thesen folgt nur einige Fragen und Antworten später.

    Für mich bedeutet das, dass Gauck sich vor dem SZ-Interview nur sehr oberflächlich über Sarrazins Thesen informiert hatte, um dann in den Medien Gedankenlos seine Meinung zu sagen; und dass er sich während des SZ-Interviews wendete.

  66. zu abschnitt 2,speziell die montagsdemos

    ich finde, dass das da ungünstig abgekürzt wurde. nach “Es ging um grundlegende Menschen- und Bürgerrechte, um Demokratie und Freiheit, um Rechtsstaatlichkeit.” geht es weiter mit “Die gab es in Ostdeutschland seit 1933 nicht mehr. Wir wollten ein verkrustetes, bürgerfeindliches System überwinden. Das war gefährlich, und wir hatten viel Angst auszustehen, denn die SED-Machthaber schreckten nicht vor Gewalt zurück. Es ging um einen fundamentalen Protest, der schließlich zu einer revolutionären Bewegung wurde. Heute geht es im Rahmen eines demokratischen Systems darum, mit welchen Methoden die Sozialsysteme verändert werden müssen. Das ist etwas anderes, nämlich Opposition. 1989 war es fundamentaler Widerstand.”
    gauck wertet dabei in keinster weise, dass das eine besser oder berechtigter als das andere sei. er zeigt auf, dass das eine widerstand und das andere opposition ist, und damit hat er doch recht.
    dass er das wieder mal in mehr als einem satz erklären muss, und niemand lust hat, aus mehr als einem satz n vernünftiges zitat zu stricken, ist natürlich etwas tragisch.

    wichtig finde ich auch noch “Ich finde es angemessen, wenn die Menschen gegen eine als falsch empfundene Politik demonstrieren. Das ist mir lieber als stillschweigende Duldung. Ich erwarte aber von den Anführern solcher Proteste, dass sie die Alternativen formulieren und sagen, wofür sie eintreten.”
    das ist doch das, was er so “unangemessen” und “töricht und geschichtsvergessen” findet: dass man einfach irgendein label dadrauf drückt. “montagsdemos”. warum? wahrscheinlich, weil die demos – so wie die eigentlichen montagsdemos – im osten stattfinden. das ist ein scheißargument für dieses label.

    man muss gauck trotzdem nicht sympathisch finden, ich denke auch, dass seine haltung zur linken aufgrund seiner ddr-geschichte (da mal zu ” so sehr er sich nachträglich als Widerstandskämpfer gegen das DDR-Regime stilisiert hat “: sein vater wurde nach sibirien geschickt, ohne das die familie davon wusste. steht zumindest bzw sogar bei wikipedia. da muss man sich glaub ich nicht zu irgendwas stilisieren.) ein bisschen sehr viel von “gebranntes kind scheut das feuer” hat und das problematisch ist. und bei manchen seiner ansichten denk ich auch einfach nur, dass sie etwas verknöchert sind – alt eben.
    dennoch sollte man in der lage sein, das mit der berechtigten (!) kritik ordentlich hinzukriegen. wirklich. auch wenn der mann immer etwas sehr ausführlich labert und da viele mistige zitate draus basteln kann.

  67. Rainers Meinung

    Ich bin der Meinung, dass man die Sache einfach nur schnell abschließen wollte und selbst nicht so viel Ernsthaftigkeit an den Tag gelegt hat, wie so manch ein Beobachter. So wichtig ist das Amt des Vorlagenunterschreibers ja doch nicht.

  68. Analysen

    Treffend formuliert und vollste Zustimmung meinerseits. Natürlich ist es unzulässig und sogar verzerrend, seine Aussagen nur verkürzt wiederzugeben. Aber gerade anhand Mut-Aussage kann man wunderbar belegen, wo das eigentliche Problem liegt. Mut könnte man Sarrazin unterstellen, wenn er den Bullshit drumherum nicht verzapft hätte. Mut wäre es gewesen zu sagen, dass es Probleme welcher Art auch immer mit/durch Migranten gibt (und sinnvolle Vorschläge zu deren Lösung zu präsentieren), während die Gesellschaft mit aller Macht wegguckt. Es ist jedoch keinesfalls mutig diese Probleme einseitig und effektheischend auf die Migranten und eine migrantische “Erbsünde” zu schieben. Das ist einfach nur schäbig, tiefbraun und zerstörerisch.

    Und so wird an dieser Stelle kritisiert, was Gauck selbst getan hat: Entweder er findet alles was Sarrazin in und mit seinem Buch gemacht hat mutig oder er verkürzt ihn und seine getätigten Aussagen unzulässig und sinnentstellend. Keine der beiden Varianten spricht für Gauck.

  69. VDS

    zur Sache mit der Vorratsdatenspeicherung:
    Ich denke hier ist die Definition von “Spitzelstaat” der Knackpunkt. Gauck scheint nach wie vor das Bild der DDR vor Augen zu haben, in der die Spitzelei einigermaßen große Teile der Bevölkerung einband (durch offizielle und inoffizielle Stasi-Mitarbeiter). Dadurch war die Überwachung auch im zwischenmenschlichen Bereich spürbar und man kann Spitzelstaat – übertrieben – gleichsetzen mit “Staat, bestehend aus Spitzeln”.
    Durch die heutigen technischen Möglichkeiten braucht der Staatsapparat aber die Hilfe der Bevölkerung nicht mehr, sondern nur noch sehr eingeschränkte Teile davon (eben alle, die an Speicherung und Auswertung der Daten beteiligt sind). Im täglichen Leben wäre diese Art der Überwachung nicht spürbar und man hätte im Gegensatz zur DDR keinen Grund seinen direkten Mitmenschen zu misstrauen. In genau diesem Sinne würde die VDS also nicht zu einem Spitzelstaat führen. Könnte man ja glatt als Fortschritt verkaufen 😉
    Tut nur nichts zur Sache, denn in den _Überwachungsstaat_ würde die VDS trotzdem führen. Ich hoffe diesen Schluss zieht er auch noch.

  70. Steuersparmodel Gauck

    Ich verstehe nicht warum Herr Gauck IMMER noch auf
    Papier verheiratet ist wenn nicht die Steuern wären , nannte man das nicht Wolffen ????

  71. Politisch korrekt? Inkorrekt?

    Hallo,

    erstmal – ich bin nicht pro Sarazin und empfinde seinen Stil auch als verletzend (o.ä.).
    Aber – wir leben immer mehr in einer Kultur der “politischen Korrektheit”, die schon lange nichts mehr mit Politik zu tun hat.
    Wir ertragen nichts mehr, sind überempfindlich und paranoid geworden.

    Unsere sogenannte Toleranz hat sich schon lange wieder in eine Intoleranz gegenüber anderen gewendet, denen die Akzeptanz zumindest abgesprochen werden könnte.

    In diesem Zitat hat Gauck doch völlig recht:
    “Zu solchen Debatten gehört die Zuspitzung und auch die populistische Übertreibung. Daran krepiert das Land nicht gleich.”

    Und auch in dem darauf folgenden hat Gauck mit seinem Hinweis recht:
    “Die politische Klasse könne aus dem Erfolg von Sarrazins Buch lernen, dass „ihre Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen“.” [Tagesspiegel]

    Durch unsere immer stärker werdende und stärker kontrollierte “Korrektheit”, die immer stärker zu sanktioniernde “Unkorrektheit” wird unter anderem von Problemen abgelenkt.
    Sie werden häufig nicht mehr beim Namen genannt – weder gut oder schlecht.

    Die Streitkultur unserer Gesellschaft geht in meinen Augen langsam den Bach runter.

    Was den Tenor zu Gauck angeht … da kann ich dem Artikel nur zustimmen.
    Ich bin nicht glücklich über Gauck als Bundespräsident und bin mir nicht sicher, wenn wir da wirklich ins Amt heben lassen.

    Aber, da ich nichts daran ändern kann, weder durch korrekte noch unkorrekte Äußerungen und Proteste werde ich gespannt seiner Arbeit folgen.

    Und letztendlich glaube ich, dass er kaum das Zünglein an der Waage der Geschichte, sondern nur wieder eine hoffentlich nicht zu unschöne Episode in der Geschichte Deutschlands sein wird.

  72. Vorge Gau(c)k elt

    … 2010 wurde Wulff BuPrä, Merkels Entscheidung – gerade, da sie mit Ihm einen “medienmodernen” sprich trés chic Sprechblasenproduzenten engagiert zu haben glaubte.
    2012 war Wulff weg, es kam Gauck – dem eine Pickelhaube geradezu aufs Haupt designt zu sein scheint.

    Die Analyse hier ist sehr sachlich, geradezu klinisch sauber und korrekt.

    Leute, wenn wir uns wie Oberprimaner benehmen, brav, wissend und sprachlich korrekt, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn einige von uns in 20 Jahren Ihre Gewinne abholen und der Rest seinen Intellekt in die Tonne treten kann, da er unerkäuflich ist.

    Spanien lässt grüßen.

    Was da am Sonntag in Berlin abging war die perfekt inszenierte Muppets-Show, eine beleidigte Missy-Piggy als Krönung.

    Die FDP kann jetzt in SchlHost mit über 5% rechnen, wird vielleicht sogar das Provinzparlament in Saarbrücken weiter bevölkern dürfen – 70% der Bürger (ok – k.A. ob es wirklich so schlimm ist…) – freuen sich auf den Pfaffen – und manche bedanken sich jetzt bei der Silvana Klicke – egal – wir sind 80 Mio in Deutschland und 7 Mrd. Weltweit – ca. 1 Promille dieser Menschenmasse sind aktive Alphatierchen, wahrscheinlich sind denen 6 Mrd komplett egal, solange sie nur brav mitlaufen – wenn sie maulen – gibts einen Panzer vor die Nase oder eine Drohne über das Haupt – 1 Mrd reicht denen locker.

    Apropos Fahrer, einen Teufel würd ich tun, um fünf Uhr aufstehen um die Brut durch die Lande zu kurven – es leben alle klugen Hartz IV Empfänger, auf dass sie sich mehren und die Fallmanager so richtig schön auflaufen lassen!

    Der Fahrer wenn er schon fahren muss, sollte die Kohle vom Gast verdienen – der darf schließlich mit seinem Geist arbeiten und muss nicht als Bioroboter sein Leben fristen – hohe Löhne für Drecksarbeit, Aufwandsentschädigung für Lebensberufungsarbeit dass wäre die richtige Relation – Geld ist eine Entschädigung für Aufwand!

    Ich arbeite mit Hauptschülern, von denen sind mindestens die Hälfte klüger als alle Gymnasiasten die ich so kenne – nur, sie kriegen nichts, sie werden benutzt und verarscht, man will Hiwis, man züchtet Hiwis und man pisst auf Hiwis, wenn man zuviele von ihnen gezüchtet hat.

    I´m a looser baby – yes – darling – i will kill you.

  73. Fahrer

    Vielleicht sollte der gute Herr Gauck seinen Fahrer mal anständig bezahlen damit der nicht nur 30 EUR mehr hat als ein HatrzIV-Empfänger? Unglaublich, und sowas will Bundespräsident werden.

  74. Wofür Joachim Gauck (angeblich) steht

    Danke für die klare und sorgfältige Darlegung dieser kritischen Position gegenüber Äußerungen von Joachim Gauck. Der Artikel ist hier tatsächlich als vorbildlich zu loben.

    Dennoch scheinen mir die darin zum Ausdruck gebrachten Ansichten selbst kritikwürdig. So wird Joachim Gaucks (vorgebliche oder tatsächliche, das ist letztlich gleichgültig) Position wie folgt kritisch zusammengefasst: Er stehe

    “[f]ür eine Gesellschaft, in der man sich anpassen muss, oder eben herausfällt, […] für Freiheitsrechte, [d]ie nur solange gelten, wie sie nicht in Konflikt mit Sicherheitsinteressen des Staates geraten.”

    Ist es nicht das legitime Interesse einer jeden Gesellschaft, die in ihr lebenden Mitglieder zur Anpassung an die (im weitesten Sinne) sittlichen Normen anzuhalten? Hier gibt es freilich erhebliche Unterschiede zwischen den Gesellschaften, welches Maß an Freiheit man dem Individuum zugesteht: Deutschland und die übrigen westlichen Länder stehen hier auf einem extrem hohen Niveau persönlicher Freiheit, in bspw. Saudi-Arabien, Iran und Nord-Korea vertritt man diesbezüglich eine extrem restriktive Haltung. Doch ungeachtet unserer in Deutschland bestehenden Freiheiten bleibt der Anspruch auf Anpassung – auch im nicht-strafrechtlichen Sinne – durchaus bestehen. Gleiches gilt selbstverständlich auch für die Einschränkung der Freiheitsrechte: es ist erstaunlich, welch absurder Vorstellung hier das Wort geredet wird: als wäre die Einschränkung der Freiheitsrechte bei Bedrohung der staatlichen Sicherheitsinteressen verwerflich. Schließlich müssen – wie man, bei aller berechtigten Kritik hinsichtlich des Versagens der Sicherheitsbehörden am aktuellen Bsp. der NSU sieht – die Freiheiten und der Staat, der sie gewährt, geschützt und verteidigt werden.

    Joachim Gauck hat einen tatsächlich restriktiv-totalitären Staat erlebt und hat sich dort für die Einsetzung von bürgerlichen (!) Freiheiten eingesetzt. Zurecht kritisiert er die auf Grundlage einer verzerrten Perspektive geborenen Ansicht, Deutschland wäre auf dem Weg zu einem solchen Staat, indem es seine legitimen Eigeninteressen (und damit eben genau die bürgerlichen Freiheiten) schützt.

    Bsp. Vorratsdatenhaltung: niemand wird ernsthaft die Pflicht, sein Auto mittels eines Nummernschilds kenntlich zu machen, kritisieren. Im Fall von Vergehen im Straßenverkehr wird so eine Ermittlung des Halters, und auf diesem Wege in den meisten Fällen des Verantwortlichen, ermöglicht – was im Interessen jedes Einzelnen ist. Warum eine vergleichbare Regelung nicht auch für das Internet gelten soll, ist nicht wirklich zu nachvollziehbar (solange keine umfassenden Bewegungsprofile ermöglicht werden, was keinesfalls notwendig der Fall sein muss). Hier scheint mir noch eine Reihe (bewusst forcierter?) Missverständnisse vorzuliegen. Joachim Gauck steht (gemäß des im Text angeführten Zitats) für eine solche Ermittlungsmöglichkeit, die ebenso legitim ist, wie die Pflicht zur Führung von Kfz-Kennzeichen – nicht indes für die Erstellung von Bewegungsprofilen im Netz.

    Ganz vorsichtig kann man hier wohl einen Dissens zwischen einer bürgerlich-konservativen Position der sich nicht über das Netz definierenden Bürger (offline ist ja heute beinahe niemand mehr) und einer nicht-(anti-?)bürgerlich-progressiven Position der “Netzgemeinde” sprechen. Und in diesem Fall steht Joachim Gauck, wie eine Vielzahl der Deutschen, dem bürgerlichen Lager deutlich näher – was man von einem deutschen Bundespräsidenten wohl auch erwarten darf.

  75. Sehr guter Artikel

    Dieser Artikel stellt endlich mal eine differenzierte Kritik dar.

    Viel Dank dafür.

    Nebenbei gesagt finde ich ihn sprachlich sehr gelungen.

  76. VDS 2

    @Sophrosynos: Über die Vorratsdatenspeicherung wurde inhaltlich nun schon lang und breit diskutiert. Am besten Du informierst Dich darüber (z.B. hier: http://www.vorratsdatenspeicherung.de/…/lang,de/) und siehst dann vermutlich, wieso der Autokennzeichen-Vergleich ziemlich schief ist.

  77. Wulff & Gauck, wie Tünnes & Scheel

    Danke allen und dem Autor, für diese umfangreiche Diskussion.

    Wäre ich doch Lehrer, ich würde meinen Deutschkurs auffordern an Hand dieser Quelle zum Thema Stellung zu beziehen und mir zu begründen, wieso wir unbedingt im 21 Jahrhundert einen Bundespräsidenten brauchen und ob dies ein klassischer Männerberuf ist, wie der des Straßenbaumeister und fragen welchen Umgang wir mit Texten und den geistigen Erzeugnissen unserer Zeitgenossen pflegen sollen. Mich würde dabei insbesondere Interessieren, wie die Schüler die Entwicklung dieser Diskussion in diesem Blog bewerten?

    Seid Sonntagabend streiten wir über die Nominierung eines Kandidaten, der uns noch vor 20 Monaten, als die gute Alternative zu dem, uns von der Regierungskoalition vorgesetzten Kandidaten Christian Wulff erschienen ist. Im Vergleich punktete Joachim Gauck unzweifelhaft. Und heute, können wir mangels Gegenkandidaten, bis dato nur Gauck mit sich selbst vergleichen und da glänzt er lange nicht mehr so, wie vor 20 Monaten. Jetzt sind wir auf ihn selbst konzentriert, auf das was und wie er denkt. Wir erinnern uns an seine Statements z.B. zur Westgrenze Polens (Schwarzbuch des Kommunismus 1998) und zu allen andern hier ja nun ausführlich diskutierten Themenkomplexen. Die einen sagen er sei bisweilen reaktionär, die anderen sagen ihr miss versteht ihn und attestieren ihm ein lupenreiner Vorzeige-Demokrat, gar ein Demokratielehrer (Merkel) zu sein.
    Andere sagen lasst ihm Zeit, seid nicht so vorschnell (Hajo Schuhmacher), er wird ein guter Präsident.

    Aber brauchen wir einen BP der als Demokratielehrer durch die Republik fährt? Wer hat die Deutungshoheit über seine politischen Statements? Ist die Nominierung Gaucks alternativlos? Macht ihn die Nominierung der 5 Parteienkoalition schon unantastbar?

    Und über die Person hinaus stellt sich die Frage wie (modal) im Netz kommuniziert werden darf! Oder anders gefragt: Darf es jenseits des Autors oder des Rezipienten eine sich selbst generierende III. Realität geben? Gibt es Benimregeln fürs Zitieren im Netz und wenn ja welche (akademischer Diskurs?) , wie sie Mr. SocialMedia 2.0, Oberlehrer Sascha Lobo fordert? Wie treu am Kontext dürfen u. müssen wir zitieren?

    Für mich ist Twitter, nicht mehr und nicht weniger, als ein virtuelle Stammtisch, wo argumentiert, gebrüllt, geholzt, geschmunzelt und hin und wieder auch durch Nachdenkliches Kontemplation erzeugt wird. Polemik und Sarkasmus heißt dann bashing, es gibt Pro & Contra, Exoten und Leute die sich gelangweilt abwenden. Ich habe die deftige Gasthausszene eines Peter Breughels vor Augen, aber leider sitzen wir alle abgeschirmt und isoliert in unseren eigenen Klausen, reduziert auf ein digitalisiertes Fenster starrend.

    Ich kann Trittin zu stimmen, der Kandidat Gauck polarisiert und punktet im Vergleich mit Wulff ganz unzweifelhaft. Die Kombination beider erweckt Diskussionsfreude, die mich auch über Sinn und Unsinn dieses Amtes nachdenken lässt und eben auch über Alternativen. Interessant ist wie gesagt der dramaturgische Ansatz, denn für mich liegt der Reiz in dem Duo Wulff und Gauck, wie bei den Kölschen Figuren Tünnes und Scheel, wie bei Dick und Doof, einer wirkt nicht ohne den andern, einer steigert den Charakter des anderen, ist Ergänzung und Gegenentwurf.

    Was bleibt mir an Erkenntniszugewinn:
    1.Das Amt ist überflüssig und könnte eingespart werden.
    2.Ich brauche keinen Demokratielehrer.
    3.Ein Kandidat für das Amt des BP, der die Geschichte der Westgrenze Polens als Ergebnis kommunistischer Diktatur umdeutet ist für das Amt des Bundespräsidenten nur zweite Wahl.

  78. Ich finde den Artikel interessant, schon weil ich dadurch Herrn Gauck etwas besser kennen lernen konnte. Aber ich weiß nicht, ob man Herrn Gauck deswegen gleich als Bundespräsident ausschließen sollte. Nicht immer kann man, aufgrund von einzelnen Aussagen, auf die Denkweise eines ganzen Menschen schließen. Auch werden wir keinen Bundespräsidenten bekommen, der alle Ansichten vertritt, die wir vertreten. Den wird es nie geben.
    Deswegen bin ich der Meinung, wir sollten Herrn Gauck wenigstens eine Chance geben, auch wenn sich meine Ansichten von seinen zu 90 Prozent unterscheiden.

  79. Mut

    Hier wird “Mut” zu einseitig gesehen.

    Ich vermute, dass Gauck mit “Mut” eher “Kühnheit” gemeint hat.

    Mut muss nicht immer positiv sein.

    viele Grüße

  80. Danke für diese

    ausführliche Zusammenstellung. Die Nominierung von G. und die damit einhergehende Panegyrik über den “Demokratielehrer”, Bürgerrechtshelden usw. haben etwas Hindenburgartiges. G. ist ein Fossil aus den Zeiten den Kalten Krieges, dem das Sensorium dafür abgeht, dass die Gefahren für die Demokratie heute aus ganz anderen Richtungen kommen, vor allem aus derjenigen, die er anpreist. Es ist eine Farce, kann letztlich aber wenig verwundern, dass ein Gutteil des Publikums in diesen Zeiten zu einem deutschen Pendant der Tea Party Zuflucht nimmt. G. wird das Ansehen des Bundespräsidenten weiter herunterbringen, weil vollends auf Pöbel-Niveau ziehen. Nicht umsonst ist es die Gossenpresse, die am stärksten für ihn eintritt und ihn erst aufs Tapet gebracht hat. Vorwärts geht nimmer, rückwärts geht immer.

  81. Zitat: Diejenigen, die sich trotz einer aussichtslosen wirtschaftlichen Lage mit einem Fahrerjob abplagen, für den sie um fünf Uhr morgens aufstehen müssen, sollen also „denen“ (den Hartz-IV-Empfänger/innen) erzählen, wie gut es sich anfühlt, sich vergeblich abzumühen.Zitat Ende

    Was ist das für ein bekloppter Satz. Wieso vergeblich abzumühen? Wozu dient Arbeit? Um reich zu werden oder überleben zu können? Das erzähl mal einen Inder, der unter einer Plane haust und Drecksarbeit macht. Die bekommen da als Sozialleistung eine Decke für die Nacht und das war`s. Aber durch die Drecksarbeit kann er seine familie durchbringen und der sieht diese Arbeit dann auch nicht als vergeblich an.

  82. Danke

    für die präzise und umfassende Analyse Gauckscher Positionen. Sie hat mir geholfen, mein eigenes Bild von Gauck zu schärfen.

    Ein alter Mann, der seine Erfahrung für die Essenz einer Gesellschaft halten darf, weil die Mächtigen dies momentan für angebracht halten.
    Der Mann musste sich nie in Andere hineinversetzen. Es wäre einem BStU-Chef sicher hinderlich gewesen.
    Mir waren die Frühstücksdirektoren der BRD immer wurst. Den Kommenden halte ich für ein grobes Ärgernis.

  83. seh ich tv in der Nacht
    so bin ich um den schalf gebracht
    ich bin harz-iv – so gönn ich’s mir
    ich bin der dreck, so sieh doch weg

    du lebst im Licht, im Glanz, bei Tag
    dir egal was ich hier sag
    dein Wort allein bestimmt zur Macht
    so machst du den Tag zur Nacht

  84. Eloquenter Mitläufer

    Gauck ist betriebsblind, schwimmt mit dem Strom, will, daß ihm die Mächtigen auf die Schulter klopfen. Also ein ganz normaler Präsident. Die Gründe sind für mich nicht von Interesse.

    Mein Alternativvorschlag wäre Lafontaine oder Flassbeck gewesen. 1. weil diese Personen nicht betriebsblind sind sondern über etwas so ungewöhnliches und “linksradikales” wie Sachverstand verfügen, und 2. weil sie 1998 von der Wählermehrheit gewählt wurden. (Aber letzteres zählt ja nur in einer Volksdemokratie, nicht in einer Marktdemokratie.)
    Mangels Verfügbarkeit der Beiden wäre natürlich auch Georg Schramm akzeptabel. 😉

    Die Betriebsblindheit Gaucks wird z.B. am Nachplappern der Demografie-Parole offensichtlich. In Skandinavien ist die Staatsquote höher und die Bevölkerungsdichte viel viel viel niedriger als in Deutschland, bei ähnlicher Altersstruktur. Die “Probleme” müssten dort also in weltbedrohender Ausprägung zu besichtigen sein. Sind sie aber nicht. In Wirklichkeit werden wir in Deutschland auch noch in 100 Jahren Über- statt Unterbevölkerung haben. In Wirklichkeit wächst die Produktivität viel schneller als das Durchschnittsalter. Eine funktionierende und sachkundige Lohnpolitik würde mit Leichtigkeit erreichen, daß der Erwerbstätige in Zukunft einen immer kleineren Teil seines Einkommens zum Durchfüttern von immer mehr Rentnern aufwenden muss.

  85. sehr schöner beitrag

    differenziert und gut ausgeführt und nachvollziehbar lässt er einem langsam begreifen das gauck mehr als konservative ansichten hat ..und das er sich in die lage anderer nicht hineinversetzen kann

  86. Gauck, der Freiheitskämpfer??

    Was einem zu denken geben sollte, ist die Tatsache, dass er in den Medien (gerade Springer) dargestellt wird, als hätte er allein die Mauer niedergerissen, wäre der furchtlose Oppositionelle gewesen, der wie einst Moses das “DDR Volk” aus der Sklaverei geführt hat.

    Es ist nicht besonders schwer herauszufinden, dass nichts davon wahr ist.
    Denn zur politischen Opposition in der DDR hat Gauck nicht gezählt. In den systemkritischen Friedens- und Umweltgruppen im Umfeld der Evangelischen Kirchen trat er nicht in Erscheinung. Im Netzwerk der Oppositionsgruppen war er nicht vertreten. An der Oekumenischen Versammlung, die 1988 und 1989 die wichtigsten Freiheitstexte gegen die SED und ihre Politik veröffentlichte, hat Gauck nicht teilgenommen.
    Es gibt keinen Text von Joachim Gauck, der in der DDR von Hand zu Hand gereicht wurde. In den Publikationen, die in der DDR von kritischen Gruppen illegal herausgegeben wurden, taucht der Name Gauck als Verfasser nicht auf. Joachim Gauck hat sich im Oktober 1989 in Rostock dem “Neuen Forum” angeschlossen. Vorher ist ein politisches Engagement gegen den repressiven Staat nicht auszumachen. Im Kontext der Oppositions-Geschichte der DDR ist Joachim Gauck ein Bürgerrechtler der letzten Stunde.
    Nun mag es ja nicht gerade ein Verbrechen sein, sich seine Vita zu schönen. Es ist aber schon ein fragwürdiger Charakterzug sich in seiner geschönten Vita zu gefallen.
    Ein Bundespräsident der Herzen? Ein Präsident, der eint? Ich gebe ja nicht viel auf Umfragen. Aber in der Ostseezeitung (Ausgabe Rostock, seine Heimatstadt) ist er nun zweimal durchgefallen. Beim MDR wurde wie sicher bekannt eine Umfrage einfach abgesetzt. Angeblich von Gauck Gegnern gehackt.

    Ein Kandidat für das höchste Amt, der über Gebühr von der BILD gehypt wird, sollte immer kritisch hinterfragt werden.

  87. Leider sehr voreingenommen

    Ihre Darstellung ist leider so tendenziös und voreingenommen, dass ich fast jede analytische Schlussfolgerung nicht nachvollziehen kann.

    Um es nicht zu lang werden zu lassen möchte ich daher nur auf Ihre Schlussgedanken eingehen.
    Gauck steht also für eine Gesellschaft in der man sich anpassen muss. Gegenfrage: In welcher Gesellschaft auf dieser Welt kann man einen sicheren Platz finden, wenn man sich nicht an die Spielregeln hält und sich anpasst? Über die die Definition der Spielregeln kann man ja streiten und diskutieren. Die verändern sich auch im Laufe der Zeit und sind nie starr. Aber ein Eskimo muss sich an die Gewohnheiten in seinem Stamm anpassen, ein Chinese muss sich an seine Gesellschafts- und Wirtschaftsform anpassen und in Deutschland muss man das auch. Zumindest wenn man integriert sein will gesellschaftlich, ökonomisch, sozial. Ich muss mich auch an meine Frau anpassen und sie sich an mich. Wie schrecklich.
    Also stelle ich fest: Sie kritisieren mit Gauck eine Grundtatsache jeder Gesellschaft, weil sie Ihnen persönlich nicht gefällt. Das kann ich nicht ernst nehmen.

    Gauck steht für eine Gesellschaft, in der die Armen an ihrer Armut selbst schuld sind. Ich kann auch nach mehrfachem Lesen in Ihrem Text kein Zitat finden, dass diesen Schluss rechtfertigt. Sicherlich ist es ein häufiges Problem, dass viele Leute Vollzeit arbeiten und der arbeitslose Nachbar hat nicht, wie in dem Beispiel 30 EUR weniger, sondern viele EUR mehr am Monatsende. Wirkliche ARMUT finden Sie in Afrika, in Indien oder in den Slums in Lateinamerika. Ich bin da gewesen und weiß wovon ich rede (in Lateinamerika noch nicht). Deutsche „Harzer“ sind im Vergleich dazu nicht arm. Viele entscheiden sich unter dem Gesichtspunkt Einkommen/Aufwand für diesen Weg. Wer soll es ihnen verdenken? Die Gesellschaft soll, so implizieren es Ihre Ausführungen, mehr tun. Wir haben fast Vollbeschäftigung und in vielen Regionen herrscht ein Mangel an Arbeitskräften. 40% aller verfügbaren Einkommen sind Sozialtransfers. Und immer noch reicht es nicht. Die Gesellschaft soll mehr tun. Die Politik soll mehr tun. Die Wirtschaft soll mehr tun. Der Bundespräsident soll mehr tun. Nur nicht der einzelne, das wäre ja neoliberal, wo kommen wir denn da hin.

    Der letzte Punkt betrifft die Freiheitsrechte. Der böse Gauck plädiert dafür dass Freiheitsrechte dort ihre Grenze finden, wo die Sicherheitsinteressen des Staates berührt werden. Der Staat, das sind wir alle. Ob Sie das nun akzeptieren, oder ob Sie rhetorisch eine Grenze ziehen zwischen sich und den Staat ist in der Realität bedeutungslos. Meine Meinung ist, dass in der Tat meine und unsere Sicherheit Vorrang hat vor unbegrenzter Freiheit. Aber die Grenze zwischen Sicherheitsinteressen und Freiheit ist immer wieder neu auszuhandeln, beide Seiten haben ja durchaus legitime Interessen. Sie schreiben jedoch: „Gauck sagt klar, dass die Vorratsdatenspeicherung legitim sei, wenn gezeigt werden kann, dass sie tatsächliche Erfolge bringe.“ Mit anderen Worten, Sie sind der Meinung, dass auch eine nachweisbar unserer Sicherheit nützende Maßnahme aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen sei. Und benutzen diese MEINUNG um jemanden, der offensichtlich eine andere Meinung hat, wie Herr Gauck, abzuqualifizieren. Ich sehe nur dass Sie sich mit dieser Argumentationslinie (Meinung statt Argumente) selbst disqualifizieren.

  88. gauck sarrazin

    mal um zu verdeutliche wie gefährlich es ist gauck in die nähe von sarrazin zu stecken: grinsend und froh sprach mich vorhin ein sarrazin – fan an: – na was sagste jetzt, auch der bundesspäsident findet sarrazin klasse, die wahrheit über das ausländer-pack wird sich schon durchsetzen. Na klasse ihr eckensteller!!!!!!!

    [Blame the messenger, much? — A.S.]

  89. @Rainer Weint

    Es sind die Profitrekord-Großbetriebe, die immer mehr Sozialhilfe beanspruchen weil sie die von ihnen genutzte Arbeitskraft immer weniger selbst bezahlen wollen. Wenn dieses System (Arbeitnehmer bezahlt Arbeitgeber) weiterhin funktionieren soll, dann müssen diejenigen Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer noch selbst bezahlen, zwangsläufig die Löhne erhöhen.

    Warum sind Sie eigentlich nicht in den Slums geblieben? Bei den genialen Arbeitskosten dort müsste man doch VW & Co. in Grund und Boden konkurrieren können.

  90. Mißverständnisse

    Ich habe micht alle Kommentare gelesen – komme erst jetzt hier rein – aber ich bin doch erstaunt über die vielen scheinbaren Mißverständlichkeiten, die hier in den Kommentaren auftauchen.
    Nur einige Beispiele…

    Beispiele 1:
    30.-EUR mehr als H4
    Wie kann man das Mißverstehen?
    Es gibt einen klaren ges. pauschalisierten H4-Satz, der liegt, wenn ich nicht irre, zur Zeit bei 374,-EUR. (Lebenshaltungskosten)
    Man addiere hierzu 30.-EUR – et voila.
    (Mietzuschuß max. ca. 370.- EUR. kann man aber nicht Essen!)

    Etwaige Differenzen zu diesem Betrag (374.- EUR) entstehen selbstverständlich durch besondere Gegebenheiten (Kinder, Ehegemeinschaft … usw.)
    Die stehen hier aber offenbar nicht zur Debatte, sonst wäre natürlich explizit darauf hingewiesen.

    Beispiel 2:
    Saraziens “Mut”
    Es geht hier nicht um eine Differenzierung, ob er er “bei allem Mut” letztlich ja doch gegen Saraziens Thesen steht.
    Es geht hier um die “grundsätzliche Belobigung” (Mut), rassistische Ideen zu verbreiten, wie seine Aussage (Mutig) eindeutig impliziert!
    Der einfachen Logik folgend, sind dann auch NPD Thesen “Mutig”.
    Merke: Der Begriff des “Mutes” ist positiv besetzt. Was “Mutig” ist, ist folglich immer auch nachahmenswert (!)

    “Freiheit” existiert nicht “ansich”, sondern wie alle Dinge im richtigen Leben, nur “in Bezug auf…”
    Aufgrund von historischer Erfahrung und Erkenntnis, gibt es bestimmte Werte, die nicht mehr die Freiheit haben dürfen, sich als Gesellschaftliches Modell zu verbreiten. Dazu gehören z.B. rassistische Thesen.

    Beispiel 3:
    “Montagsdemo”
    Spätestens, wer einmal die Lebenssituation eines H4lers erfahren durfte, begreift sehr schnell, was dieser Zustand mit Demokratie, Menschenrechte, Menschenwürde und Freiheit zu tun hat.

    Für den Bürger ist es nicht maßgeblich, von welchem Staatsgebilde er domestiziert und entrechtet wird, sondern allein DAS er entrechtet wird!

    Der Zusammenhang ist hier folglich absolut 1:1
    Ihn zu leugnen oder Mißzuverstehen spricht lediglich für fehlendes Demokratieverständnis oder fehlender Phantasie/Empathie – letztlich einem nicht-begreifen des demokratischen Sozialstaates im Sinne des GG.

    Unter dem Strich ist Verkürzung des Gauckschen Weltbildes auf die berüchtigten Satzauszüge legitim und treffend, weil sie sein Weltbild tatsächlich in seinem Wesen spiegeln.

    In der Theaterarbeit werden beispielsweise Texte, bzw. Textpassagen analysiert und auf möglichst nur einen Satz komprimiert – diesen nennt man dann die “Fabel” des Textes – dessen “Wesentliches”.

    Genau dieses Wesentliche des Gauckschen Weltbildes werden in den bekannten Sätzen abgebildet.

    Sein Weltverständnis in seinem Wesen anders interpretieren zu wollen, bedarf es schon einer hohen Kreativität bzw. erstaunlicher Ausblendungsfähigkeiten.

    Ansonsten – Danke für diesen Artikel ;ö)

  91. betreffs Ausgenzungsdebatte (Punkt 1)

    Lieber Herr Professor!

    Ich bin im großen und ganzen mit ihren Ausführungen einverstanden, finde aber, daß Gauck nicht nur die ungünstigen Wirkungen der antimuslimischen Ausgrenzungsdebatte übersieht, sondern sie auch selbst betreibt. Er feiert also nicht nur die Meinungsfreiheit des Herrn Sarrazin. Till Westermaier hat das schön ausgeführt:

    http://blog.till-westermayer.de/…-der-goldwaage/

  92. Für den Bürger ist es nicht maßgeblich, von welchem Staatsgebilde er domestiziert und entrechtet wird, sondern allein DAS er entrechtet wird!

    Erstens ist Hartz IV keine “Entrechtung des Bürgers” und selbst wenn hier jemandem sein Recht vorenthalten würde, gäbe es immer noch Unterschiede zwischen “weniger Geld” und “Leben in einem totalitären Staat”. Manche tun hier so, als wäre die Einführung von Hartz IV auf derselben Stufe wie die Menschenrechtslage in Weißrussland.

  93. Vorratsdatenspeicherung

    Ich lese da etwas anderes heraus als:
    “Er macht die Aussage, dass mit der Speicherung von Daten über die Bevölkerung keine Gefahr einhergeht, dass die Bundesrepublik zu einem Spitzelstaat würde.”
    Er trennt diese 2 Dinge. Also er sagt, dass die VDS möglicherweise Grundrechte einschränkt. Allerdings sieht er nicht die Gefahr eines Spitzelstaates weil wir seiner Auffasung nach offenbar so weit davon entfernt sind, dass weitere Überwachung nicht kategorisch ausgeschlossen werden muss.
    Das ist meiner Ansicht nach ein Unterschied.
    Während für die Gegner der VDS also schon jetzt das Maximum erreicht oder überschritten ist, sieht er noch Spielraum.
    Das geht auch aus der gesamten Diskussion hervor.
    Bei dieser Diskussion ist übrigens auch gut sichtbar, dass Gauck herzlich wenig Ahnung davon hat. Schily kommt mit seinem Vergleich mit der Telefonabrechnung unwidersprochen durch. Dabei wird die Verbindungsübersicht auch ohne VDS Gesetz ohnehin auf lange Zeit gespeichert. Der Umfang der gesammelten Daten scheint den Diskussionsteilnehmern entweder nicht klar zu sein oder sie wollen ihn bewusst herunterspielen.

  94. erschreckend stichhaltig

    Wie wohltuend doch dieser Beitrag ist. Da mögen andere sich mit oberflächlicher Kritik an der (Gauck-)Kritik abgeben. Beispielhaft die Stichhaltigkeit der Skepsis gegenüber dem Kandidaten herausgearbeitet zu haben ist des Verdienst dieses Beitrags. Gratulation. Ich werde ihn weiter empfehlen.

  95. Besser als Merkels Marionette

    Gauck ist immer noch das kleinere Übel im Vergleich zu Merkels Marionette. (siehe Website-Link) Ich finde es schon sehr seltsam, dass sich jetzt Würdenträger vor Ihrem 1. Tag im Amt für Ihre gesamte Historie und alle Äußerungen rechtfertigen müssen. Der Reflex zur Kritik ist in Deutschland extrem stark ausgeprägt und unterminiert viele Entwicklungschancen. Lasst ihn sich doch erst mal beweisen. An seien Taten sollten wir ihn messen, nicht an den Reden vergangener Tage.

  96. Copyright

    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,

    bereiten Sie sich bitte auf eine Urheberrechts-Klage vor, denn Sie haben in diesem Artikel schamlos meine Gedanken kopiert.

  97. Guter Beitrag

    Lieber Herr A.S.,

    im Großen und Ganzen ein recht ordentlicher Beitrag! Mehr noch überrascht mich das für einen Blog relativ hohe Diskussionsniveau der Kommentierenden; vor allem die Zusatzinfo zu Gaucks Sozialisation sind Klasse.

    Weiter so!!

  98. Wir brauchen keinen Bundespräsidenten

    Eigentlich brauchen wir gar keinen Bundespräsidenten.

    Der ist so überflüssig wie die Königing von
    England!

    Aber Deutschland ist ein Land, welches nur extrem langsam reagiert.
    Und wenn es mal schnell und überraschend geht (z.b. bei der Energiewende), dann sind die Entscheidungen meistens äußerst schlecht!

    Also: Gauck for Bundespräsident + Bundespräsident abschaffen ab 2222 😉

  99. Sprache ist wichtig

    Wer sich mehr als einmal dafür entscheidet, auf Sarrazin´s angeblichen „Mut“ hinzuweisen, der kommuniziert damit etwas.
    Hitler, Stalin: das waren zweifelsfrei mutige, ja verwegene Bursche… ausdrücklich betonen muss man das aber nicht. (Nein, das ist nicht als Gleichsetzung zu verstehen. Aber als Abgrenzung zu all den Aussagen der Art: „Ja, hatadochauchrecht! Banale Tatsache, mutig war er doch!“

    Die Aussagen zu Occupy und Demonstationen, zur Vorratsdatenspeicherung, zu Hartz-IV-Empfängern: sind auch mit Kenntnis des Kontext nicht so ohne Weiteres hinzunehmen.
    Der intellektuelle Wert von Gaucks beiträgen hält sich in Grenzen, und sprachlich sensibel sieht auch anders aus.

    Dass insgesamt soviel Potential für Missverständnisse vorhanden ist, hat doch zumindest als Indiz dafür zu gelten, dass Gauck, wenn schon nicht reaktionär und verbohrt, dann auf jeden Fall ein eher mässig begabter Kommunikator ist.

  100. Bei all der Aufregung frage ich mich unter anderem auch, warum Kanzlerin Merkel diesen Mann, der doch eigentlich nach ihrem Gusto sein müsste, so partout nicht wollte. Vielleicht gibt es eine Erklärung:
    http://www.ybersinn.de/…te-merkel-was-mit-gauck/

  101. Bürgerrechte und Sozialstruktur

    Zur Einlassung von Michael Breimer: “Bürgerrechte haben gar nichts mit sozialen Strukturen innerhalb eines Staates zu tun, Menschenrechte können indirekt damit zu tun haben, allerdings nur mittels einen Prozesses in Karlsruhe.”

    Möglicherweise wäre es sinnvoll, wenn Sie sich einmal die Artikel 1 – 20 sowie den Artikel 79 Abs. 3 des GG durchlesen, dann werden Sie nämlich feststellen, daß Bürgerrechte und Sozialstrukturen (insbesondere wegen des Sozialstaatsgebots in Art. 20 Abs. 1) sehr wohl etwas miteinander zu tun haben. MfG

  102. Der „böse Gauck“ und das Netz

    Chapeau, Herr Stefanowitsch.
    Eine hervorragend geschriebene und sehr differenzierte Betrachtung zu Gauck; ich wünschte nur man könnte dergleichen auch mal in unseren Leitmedien lesen oder hören.

  103. Vorratsdatenspeicherung

    Hallo Herr Stefanowitsch

    #Tatsächlich belegen diese Äußerungen nichts dergleichen: Gauck sagt klar, dass die Vorratsdatenspeicherung legitim sei, wenn gezeigt weden kann, dass sie tatsächliche Erfolge bringe.#

    Ich teile Ihre Position nicht. Herr Gauck sagt,

    #das kann gerechtfertigt sein, es muss aber verhältnismäßig sein.#

    dann sagt er:

    #Umso mehr müssen die Regierungen dartun – und zwar wirklich mit tragfähigen Belegen -, wieviel mehr Kontrollmöglichkeiten, Speicherungsmöglichkeiten, Fahndungsmöglichkeiten uns tatsächliche Erfolge bringen. Denn sonst würde ich das doch als eine beginnende Gefahr dieses Sicherheitsmantras gegenüber der Freiheitsbotschaft sehen. #

    Also ihm fehlt die Abwägung der Sicherheitsfanatiker, “und zwar WIRKLICH mit tragfähigen Belegen” (was bislang nicht geschehen ist). Das ist für mich eher eine Kritik, als eine Zustimmung.

    #Wir haben nicht Zugriff auf das absolut Richtige, sondern wir handeln das Richtige aus im ständigen Gespräch mit der Rechtsordnung und unseren Verfassungen.”#

    Und aus diesem Grund teile ich Ihre Meinung, dass die VDS nach Gauck legitim #sei# nicht, sondern lediglich, dass sie legitim #sein könnte# nach Abwägung, die aber noch durchzuführen sei und bislang noch nicht erfolgt ist.

    In sofern komme ich eher zu einer gegenteiligen Einschätzung, als Sie.

  104. Ein ganz hervorragender Beitrag, der auf eine präzise Analyse setzt, die in der gegenwärtigen Debatte ansonsten schmerzlich vermisst wird. In jedem einzelnen Punkt gehe ich d’accord! Und mutig ist der Beitrag obendrein, weil er gegen den Mainstream des parteiübergreifenden (vermeintlichen!) Konsenses anschreibt. Wir benötigen mehr denn je wache und aufmerksame Menschen, die sich sich nicht von der medialen Oberfläche täuschen lassen. Ihre Studenten, Herr Prof. Stefanowitsch, können sich glücklich schätzen, einen derart hellsichtigen akademischen Lehrer zu haben. Bravo!

  105. Ein wohltuend …

    … präziser Beitrag zur polemischen Zitate-Kritik von Breitenbach et al.

    Aber, mit wem wollen Sie an einem Nach-Gauck arbeiten?

    Es ist keine unglückliche Wahltaktik der Oppostion, für die Grünen ist es der Abschied von ernstzunehmender Gesellschaftskritik. Sie werden Gauck künftig wie einen Mühlstein um ihren Hals tragen.

  106. Bundespräsident Gauck

    Er wird am 18. März auch Ihr Bundespräsident werden, Herr Stefanowitsch.

  107. @ Bastian Himberger

    “Er wird am 18. März auch Ihr Bundespräsident werden, Herr Stefanowitsch.”

    Ich nehme das mal als Aufhänger, um darauf etwas zu schreiben; auch wenn ich diesen Thread bereits als tot empfinde und freilich nicht weiß, ob Herr Stefanowitsch sich nicht bereits innerlich verabschiedet hat.

    http://www.uni-potsdam.de/…xte/kant/aufklaer.htm

    Was will ich damit sagen? Streng genommen gibt es keine Politiker oder religiöse Führer, die in irgendeiner Weise “mein” sein könnten. Warum? Sind sie mit anderen Organen ausgestattet, die ich nicht habe?

  108. „Mein Präsident?“

    @Bastian Himberger: Ihre Untertanenphantasien seien Ihnen unbenommen, aber wer „mein“ Präsident ist, entscheiden nicht Sie. Gauck wird Präsident des Landes, dessen Staatsbürgerschaft ich besitze — eine dünne Grundlage für das Herumwerfen von Possessivpronomen (@Dietmar Hilsebein, danke für den Hinweis).

  109. A.S.

    Wie praktisch, dass es moralische Instanzen gibt, die genau wissen, was ein Bundespräsident über Sarrazins Buch und andere Fragen denken und sagen darf und was nicht.

    Die “Gesellschaft, in der man sich anpassen muss,” schaffen nicht Gauck oder Sarrazin, sondern Tugendwächter wie Sie, denen ein Hinweis auf Sarrazins Mut schon Indiz für die falsche Gesinnung ist.

    Sie würden einen hervorragenden Jakobiner abgeben.

  110. @Ferdinand Knauß:

    Wie praktisch, dass es moralische Instanzen gibt, die genau wissen, was irgendjemand, ein Blogger zum Beispiel, über einen Bundespräsidenten und seine Äußerungen zu Sarrazins Buch und andere Fragen denken und sagen darf und was nicht.

    Die “Gesellschaft, in der man sich anpassen muss,” schaffen nicht Gauck oder Sarrazin oder Stefanowitsch, sondern Tugendwächter wie Sie, denen eine andere Meinung schon Indiz für die falsche Gesinnung ist.

    (Ach ja, ich ja auch, wenn ich Ihnen das vorwerfe.)

  111. “Weil du meine Meinung nicht lobst…

    …bist du ein Feind der Meinungsfreiheit.”

    “Au contraire! Weil du es nicht lobst, daß ich deine Meinung nicht lobe, bist du der wahre Feind der Meinungsfreiheit.”

    “Aber nein, mein Freund! Weil du es nicht lobst, daß ich es nicht lobe, daß du meine Meinung nicht lobst, bist du der wahre Feind der Meinungsfreiheit!”

    “Gerade das Gegenteil ist wahr. Denn weil du es nicht lobst, daß ich es nicht lobe, daß du es nicht lobst, daß ich deine Meinung nicht lobe, bist du der wahre Feind der Meinungsfreiheit.”

    (Gewonnen hat, wer bei Anbruch des jüngsten Gerichts als letzter das Wort hatte.)

    Verzeihung, Erbloggtes, daß ich das Wesentliche Deines Kommentars wiederkäue, aber es kann wohl nie klar genug dargestellt werden, wie gefährlich es sein kann, von endlichen Mitteln unendlichen Gebrauch zu machen.

    Zum Abschluß zitiere ich dann noch den Hausherrn, womit mir die Substanzlosigkeit meines Beitrages hoffentlich verziehen sei, und verweise außerdem auf den von Dietmar Hilsebein verlinkten Text, der mir fürs Erste ganz brauchbar erscheint.

    A.S.

    Das ist ein Gesellschaftsbild, das man ja durchaus teilen kann (und viele von Gaucks Befürwortern teilen es ganz bewusst). Aber ich teile es nicht, und ich hätte mir ein Staatsoberhaupt gewünscht, dem die Herausforderungen der unmittelbaren Zukunft klar sind und der progressive und partizipative Ideen dazu hat, wie wir sie angehen könnten.

  112. Rechtsstaat geht vor Sozialstaat

    Als jemand, der das zweifelhafte Vergnügen hatte, die ersten 26 Jahre seines Lebens in der DDR zu verbringen, kann ich mich über die Mehrheit der Kommentare auf dieser Seite nur wundern. So verächtlich von der Freiheit zu reden, kann nur jemand, der ihrer noch nie beraubt worden ist.

    Obgleich ich starke Vorbehalte gegenüber Theologen habe, bin ich mit der Wahl von Joachim Gauck doch sehr glücklich. Er weiß Prioritäten zu setzen. Er weiß, dass der Rechtsstaat vor dem Sozialstaat kommt, und dass Freiheit vor Sicherheit geht.

    Ich bin im Moment selbst auf Hartz IV. Angesichts der Tatsache, dass man von diesen Sozialleistungen eher schlecht als recht leben kann, könnte ich versucht sein, mich nach der DDR zurück zu sehnen, in der meine Miete nur 25 Mark betrug und mich das Brötchen lediglich 5 Pfennig kostete. Doch dies würde mir nicht im Traum einfallen!

    Warum nicht? Weil ich mich noch zu gut daran erinnern kann, wie es war, als ich nicht in Länder reisen durfte, in die ich reisen wollte; nicht die Bücher lesen durfte, die ich lesen wollte; nicht die Filme sehen durfte, die ich sehen wollte; nicht die Musik hören durfte, die ich hören wollte; nicht studieren durfte, was ich studieren wollte; und vor allem nicht sagen durfte, was ich sagen wollte.

    Ein Rechtsstaat schließt einen Sozialstaat nicht aus. Wenn Gauck an die Freiheit appelliert, ignoriert er nicht die Sicherheit. Doch er gemahnt uns daran, dass die Freiheit vor der Sicherheit kommt.

    Um ein Wort von Arthur Schopenhauer zu paraphrasieren: Freiheit ist nicht alles, doch ohne Freiheit ist alles nichts.

  113. “Montagsdemonstrationen”

    Noch eine kurze Bemerkung zu den “Montagsdemonstrationen”.

    “‘Berliner Zeitung: Heute wird unter dem Titel Montagsdemonstration in Ostdeutschland gegen die Hartz IV-Reformen demonstriert. Wirtschaftsminister Clement findet das eine Beleidigung der Demonstrationen von 1989. Sind Sie beleidigt?

    Gauck: Nein, ich bin nicht beleidigt. Ich finde es positiv, wenn die Menschen demonstrieren. Aber ich finde es töricht und geschichtsvergessen, wenn der Protest gegen Sozialreformen unter dem Titel Montagsdemonstration stattfindet. Wer meint, gute Gründe für Demos zu haben, braucht kein falsches Etikett.

    Berliner Zeitung: Was ist der Unterschied zu 1989?

    Gauck: Damals ging es um eine grundsätzliche Gesellschaftskritik. Es ging um grundlegende Menschen- und Bürgerrechte, um Demokratie und Freiheit, um Rechtsstaatlichkeit.’

    Was diese Passage wieder klar zeigt, ist, dass Gauck sich in die Menschen, die da auf die Straße gehen, nicht ansatzweise hineinversetzen kann. Dass auch sie für grundlegende Menschen- und Bürgerrechte, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gegangen sind, kommt ihm nicht einmal in den Sinn.”

    Das zeigt diese Passage in keiner Weise. Gauck erkennt an, dass beide Anliegen legitim sind. Doch er wagt daran zu erinnern, dass es selbstverständlich zwei vollkommen verschiedene Dinge sind, ob man gegen Kürzungen im Sozialstaat oder für die Errichtung eines Rechtsstaates demonstriert.

    Die Menschen in der DDR haben gegen eine Diktatur protestiert, in der es möglich war, dass vermeintliche Staatsfeinde nachts aus dem Bett gerissen, in ein Auto geprügelt und ohne Prozess für Jahre in ein Zuchthaus gesperrt werden konnten.

  114. Freiheit

    “…und vor allem nicht sagen durfte, was ich sagen wollte.”

    Da wäre es doch schön, wenn auch andere ihre Meinung sagen könnten ohne gleich den Hinweis zu bekommen, dass in der ehemaligen DDR alles so viel schlechter war. Muss man sich da jetzt immer am untersten Level orientieren oder was? Wir Wessis haben unsere eigene DEMOKRATISCHE Geschichte und sehen Freiheit darum auch etwas nuancenreicher.

  115. @ – Mona

    Ich bin auf Deinen nuancenreicheren Begriff von Freiheit gespannt. Bis dahin lass mich doch einige Kommentatoren, die die Freiheit beispielsweise als einen rein “ideelen Wert” abtun, noch einmal an den durchaus elementaren Wert der Freiheit erinnern.

  116. @ Edgar Dahl

    Ich spreche weder Ihnen noch Joachim Gauck das Recht ab, die eigenen Erfahrungen für wichtiger zu halten als die anderer. Ich spreche auch keinem von Ihnen beiden das Recht ab, aus Ihrer Biografie heraus bestimmte Prioritäten in Ihrem Wertesystem zu setzen und dieses Wertesystem öffentlich zu diskutieren. Deswegen muss ich aber weder Joachim Gauck noch Sie für geeignet halten, das heutige Deutschland als Bundespräsident zu repräsentieren. Und natürlich muss ich weder Ihr Wertesystem noch die darin vorhandenen Prioritätensetzungen akzeptieren. Gaucks Biografie, und auch Ihre, entbindet keinen von Ihnen davon, Ihre ethischen oder moralischen Positionen (oder auch Ihren Freiheitsbegriff) aus allgemein nachvollziehbaren Prinzipien heraus zu begründen. Dass die DDR starke demokratische und rechtsstaatliche Defizite hatte, ist für eine Diskussion über die soziale Gerechtigkeit (oder den Mangel daran) in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts völlig irrelevant.

  117. Wer hat diesen Zusammenhang hergestellt?

    A.S. schreibt:
    “Dass die DDR starke demokratische und rechtsstaatliche Defizite hatte, ist für eine Diskussion über die soziale Gerechtigkeit (oder den Mangel daran) in der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts völlig irrelevant.”

    Da stimme ich Ihnen weitestgehend zu. Und deshalb würde ich – sollte ich einmal eine Demonstration gegen Sozialreformen des 21. Jahrhunderts organisieren – hierfür niemals einen Begriff wählen, unter dem gegen die Diktatur und das Unrechtssystem der DDR demonstriert wurde. Genau auf diese Geschichtsvergessenheit – man könnte auch strenger sagen: Geschichtsusurpation – hat doch Gauck kritisch hingewiesen – OHNE den Protest gegen die Agenda 2010 als solchen zu diskreditieren.

    Ich freue mich auf einen intelligenten, sprachmächtigen, unbequeme Wahrheiten aussprechenden Bundespräsidenten.Die Lösung der sozialen Frage verspreche ich mir nicht von ihm.

  118. @ – A. S.

    Mein erster Kommentar mit dem Plädoyer für die Freiheit war gar nicht gegen Sie, sondern gegen einige der Kommentatoren gerichtet, die den Wert der Freiheit geringschätzen und ihn buchstäblich als einen bloß “ideelen” Wert abtun.

    Der zweite Kommentar war dagegen explizit gegen Sie gerichtet. Sie unterstellen Joachim Gauck ein Unverständnis für das Anliegen sozial Benachteiligter. Davon kann jedoch überhaupt keine Rede sein. In dem von Ihnen zitierten Interview erkennt er dieses Anliegen durchaus an. Auf die Frage, was die Montagsdemonstrationen unterscheidet, weist er lediglich darauf hin, dass es 1989 nicht um Kürzungen des Sozialstaates, sondern um den Aufbau eines Rechtsstaates ging. Ihre “Schlussfolgerung”, dass Gauck unfähig sei, sich in die Lage derer zu versetzen, die gegen die Streichung von Sozialleistungen demonstrieren, ist im besten Falle inkorrekt, im schlimmsten dagegen rein denunziatorisch.

  119. @Edgar Dahl

    Ob Gauck sich in die Lage von Demonstranten versetzen könne, darauf kommt es überhaupt nicht an.
    Für einen Bundespräsidenten fände ich wichtiger, dass er sich auch in die Lage jener Menschen versetzen kann, die von Sozialleistungen abhängig sind. Zu den sozialen Bedingungen von Freiheit siehe den oben, 11:38h, verlinkten Text.
    Dasselbe gilt für Empathie mit Menschen, die von den im Blogpost diskutierten Punkten 1. Sarrazin und 3. Vorratsdatenspeicherung am meisten betroffen sind/benachteiligt werden.
    Gauck hat da bisher nichts erhoffen lassen. Er wird gewiss der Präsident von Pfarrern und anderen gutbürgerlich-christlich-staatsorientierten Menschen. Wulff hat es immerhin geschafft, mit seiner Islam-Rede zusätzlich der Präsident vieler Muslime zu werden. (Und der Präsident der Bestechungsfreunde war er auch.)
    Dass man von Gauck mehr erhoffen muss als von Wulff, kann doch wohl niemand bestreiten, so niedrig liegt die Messlatte. Aber dass Gauck die überspringt, da kann man weiterhin skeptisch sein.

  120. @ Edgar Dahl

    Sie sind (mit Gauck) der Meinung, eine Trennung zwischen „Rechtsstaat“ und „Sozialstaat“ sei nicht nur möglich, sondern so selbstverständlich, dass sie nicht weiter begründet werden muss. Diese Meinung teile ich nicht, und dass Gauck sie vertritt, ist eben einer meiner Kritikpunkte. Gaucks (und ihre) eindimensionale Definition von „Freiheit“ als „Abwesenheit von offener staatlicher Repression“ (zumindest bei Gauck sogar eher „direkte Abwesenheit kommunistisch/sozialistisch begründeter repressiver Maßnahmen, denn andere Arten der Repression scheinen ihn nicht zu interessieren) teile ich ebenfalls nicht, und auch diese Eindimensionalität ist einer der Kritikpunkte, die dieser Tage gegen Gauck vorgebracht werden. Ihre (und Gaucks) undifferenzierte und weitgehend ahistorische Sicht der DDR (die Sie an anderen Stellen durch merkwürdig überdifferenzierte, aber gleichermaßen ahistorische Perspektiven auf frühere Phasen der deutschen Geschichte ausgleichen) ist aus Ihrer persönlichen Biografie vielleicht nachzuvollziehen, aber wie gesagt, persönliche Biografien taugen nur dann als Diskussionsgrundlage, wenn sie allen Beteiligten zugestanden werden. Dass Gauck ein Bundespräsident nach Ihrem Geschmack ist, kann nun wirklich niemanden überraschen, der Ihre Blogbeiträge kennt, aber das gibt Ihnen (und anderen Gauck-Fanboys) nicht das Recht, seinen Kritikern Denunziantentum und ähnliches vorzuwerfen. Wenn Sie sonst nichts zu bieten haben, dann werde ich diese (ohnehin weitgehend abgefrühstückte) Diskussion hier nicht weiterführen. Sie haben ja ein eigenes Blog, um sich darin auszutoben.

  121. Zitate und deren Interpretation

    Ich persönlich finde, dass eine Diskussion, welche auf lediglich einem Zitat von Gauck aufbaut generell sinnvoll. Sie als Blogger unterstellen den Demonstranten, der “Montagsdemonstrationen” im Jahre 2004 einen Kampf für den Rechtsstaat, die Menschenrechte und weitere große Themen einer Demokratie. Gauck ist (nach ihrer Auffassung) der Meinung, sie würden nur gegen die Kürzungen im Sozialstaat demonstrieren, hätten also keinerlei Anrecht darauf, diese Demonstration “Montagsdemonstrationen” zu nennen, da sie ja keinerlei Ähnlichkeit mit denen des Jahres 1989 zu tun hätten.

    Klar kann man der Meinung sein, dass die Hartz IV-Empfänger, welche auf die Straße gehen, auch für die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte kämpfen. Ich kann allerdings auch unterstellen, dass ein großer Teil dieser Demonstranten lediglich für das bis dahin noch höhere Arbeitslosengeld demonstrieren, rein egoistisch und nicht für die ideologischen Themen wie Freiheit etc.

    Für mich ist Gauck ein guter Kandidat. Er mag nicht perfekt sein und hat wie jeder andere Mensch auch – wie sie schon in ihrem Blog erwähnen – seine Schattenseiten. Lösungen für die alle aktuellen Probleme und Krisen hat kein Mensch, nur einige (weit links oder rechts orientierte) Politiker meinen, *den* Weg ins Paradies gefunden zu haben. Da habe ich lieber einen Gauck, mit all seinen Stärken und Schwächen, als einen neuen politischen Windbeutel, der auch nur politisch korrekt dahersalbadert, wie so viele anderen auch.

    Und an den Blogger selbst: Wer ist denn der Mann/die Frau, der sich wesentlich von Gauck absetzt? Sowohl in seinen Lösungen für alle Probleme Deutschlands, Europas und der Welt und mit einer blütenweißen Historie…

    Gruß
    Uli

  122. Glaubwürdigkeit aus Bio ablesbar

    Von einigen Kommentatoren wurde vom neuen Bundespräsidenten Empathie eingefordert z.B. mit Menschen, die von den im Blogpost diskutierten Punkten 1. Sarrazin und 3. Vorratsdatenspeicherung am meisten betroffen sind/benachteiligt werden.

    Das bedeutet wohl, dass Empathie für diese Menschen in den Reden des Bundespräsidenten spürbar sein soll. Meiner Ansicht nach kann das aber nur dann glaubwürdig sein, wenn es mit der Persönlichkeit des Sprechers in Übereinstimmung ist und irgendwie aus seiner Biographie ablesbar ist.

    Doch wer hat Wulff seinen Satz Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland
    abgenommen und vor allem was bedeutet dieser Satz überhaupt. Wulff wollte in der Rede, in der dieser Satz gefallen ist, die Muslime ermutigen sich dazugehörig zu fühlen. Das ist sicher positiv. Doch für mich lässt dieser Satz im Zusammenhang mit dem früheren Bundespräsidenten viele Fragen offen, vor allem aber die, wie glaubwürdig dieser Satz im Munde des Sprechers ist.

  123. Menschenrechte & Sozialstaat

    @Leute, die Rechtsstaat, Menschenrechte, Freiheit und Demokratie dem Sozialstaat gegenüberstellen (und das eine für wichtiger als das andere halten):
    Offenbar ist die Bedeutung der Begriffe Rechtsstaat, Menschenrechte, Freiheit und Demokratie nicht allgemein bekannt. Da besteht dringender Bildungsbedarf. Vielleicht erklärt das mal jemand in einem Blog. Hier nur ein paar Stichpunkte:
    – “Rechtsstaatlichkeit bedeutet, daß die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig ist.” (K. Stern: Das Staatsrecht der BRD…, 2. Aufl., S. 781)
    – Menschenrechte sind insbesondere in den UN-Pakten von 1966 “über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte” (CESCR) und” über bürgerliche und politische Rechte” (CCPR) konkretisiert. Die kann man nicht gegeneinander ausspielen und sagen 1989 sei für das eine demonstriert worden, 2004 für das andere.
    – Freiheit wird unterschieden in negative und positive Freiheit. Negative ist die Abwesenheit von äußerem Zwang. Positive Freiheit ist die Möglichkeit zur Selbstbestimmung (Autonomie). Niemand möchte auf positive Freiheit verzichten, doch daran sind Bedingungen geknüpft, darunter verwirklichte Menschenrechte und Demokratie.
    – Demokratie ist politische Willensbildung von unten nach oben; und auch sie ist an Bedingungen geknüpft, die in den Menschenrechten konkretisiert sind (s.o.).

    @Martin Holzherr:
    Ich habe mich auch gewundert, dass Wulffs Rede ihm von einigen als persönliche Überzeugung abgenommen wurde. Aber vielleicht ist das gar nicht das Entscheidende. Offenbar entwickelt eine Präsidentenrede mit der Zeit eine eigenständige Bedeutung, unabhängig von der persönlichen Integrität des Redners. Mehrere Muslime haben in der Presse betont, dass ihnen Wulffs Rede heute noch wichtig ist.

  124. Retrospektive

    Wenn ich an Gauck denke, fällt mir ein: Asche im Mund.

    Gauck zwingt zu Ungerechtigkeit, Verkürzung und Verflachung in einem anachronistischen Diskurs, der – und das ist leider wahr – nicht geführt wurde, als es nötig war.

    Er wurde (und hat sich selbst) überreich entschädigt, aber es ist zu wenig.

    Fast zwangsläufig enden (nicht nur) Gaucks Gedanken zum Thema im Stupiden: Rot=Braun. Sein Freiheitsbegriff bleibt dafür Vehikel.

    Deswegen misstraue ich Gaucks Freiheit zutiefst – auch als Ossi, dem Freiheit elementar wichtig ist.

  125. @Erbloggtes

    Es mag ja sein, dass verschiedene Gesetzestexte Verschiedenes aussagen. Trotzdem kann man Gauck nicht das Recht absprechen, zu sagen, dass die 89er Montagsdemonstrationen einen ganz anderen Stellenwert hatten als die 2004er “Montags”-Demos. Die Menschen, die damals in einer Diktatur lebten kämpften für überhaupt eine Freiheit, da sie bisher unglaubliche Eingriffe in ihr Leben hinnehmen mussten. 2004 ging es “lediglich” um eine Kürzung der Sozialausgaben im Rahmen der Agenda 2010.

    Ich persönlich finde es absurd, den beiden Veranstaltungen nur aufgrund ihrer geposteten Texte den selben Stellenwert zu geben. Wenn sie das auch nicht tun, dann stellt sich die Frage, wieso sie Gauck als einen Menschen darstellen, der keinerlei Empathie für sozial Schwächergestellte hat.

    Mir wird hier viel zu viel pauschalisiert und generell finde ich die Aussage, der Blog von Anatol Stefanowitsch wäre differenziert geschrieben etwa anmaßend. Mit Vorurteilen gegen einen Menschen eine Argumentation zu starten (das unterstelle ich jetzt einfach) ist generell keine gute Vorraussetzung. Wenn dann aber immer noch Zitate gekürzt werden, obwohl eigentlich bewießen werden soll, dass die Zitate auch in ihrem vollen Kontext negativ auslegbar sind, dann zweifle ich doch stark an der Differenziertheit.

    Gruß
    Uli

  126. @ – A. S.

    Jetzt haben Sie dankenswerter Weise das zweite Mal auf einen Kommentar geantwortet, sind aber beide Male dem Kritikpunkt ausgewichen: Aus dem von Ihnen zitierten Abschnitt des Interviews lässt sich in KEINER Weise schließen, dass Joachim Gauck für die Sorgen und Nöte der sozial Schwachen blind ist. Dies ist schlicht und einfach eine Unterstellung von Ihnen!

    Als ebenso unfair empfinde ich Ihre Insinuation, dass Gauck und Sarrazin Geistesverwandte seien, nur weil ersterer das Buch des letzteren als “mutig” bezeichnete. Da Sie sehr wohl wissen, dass “mutig” nicht “richtig” impliziert, erscheint dies wie eine weiterer Versuch, Joachim Gauck moralisch zu diskreditieren.

  127. Joachim Gauck diskreditieren?

    Möchte gerne etwas Grundsätzliches zu der hervorragenden Gauck-Analyse loswerden.
    Wäre die Motivation des Textes auch nur in einem Punkt diskreditierenden Tons oder von vorsätzlich herabwürdigendem Charakter, hätte ich ihn in die Kategorie Parteilichkeit gepackt und mich nicht weiter dafür interessiert. Aufgrund der Kommentare und vereinzelten Vorwürfe gegenüber dem Autor, hier würde es um diskreditierende Motivation gehen, habe ich noch mal gelesen und kann mich nur wundern: ich finde kein einziges Zitat das in der Auslegung aus dem Zusammenhang gerissen wäre und/oder die Absicht eines absichtlich falschen Kontextes hinterließe.
    Deutschland könnte gut einen großherzigen und klugen Kopf als protokollarischen Repräsentanten gebrauchen – und ich vermute mal, das sieht Anatol Stefanowitsch ähnlich [könnte jedenfalls ein möglicher Grund für den Blog-Artikel gewesen sein]. Joachim Gauck ist das meiner Meinung nach nicht und auch ist er nicht der, für den er sich hält oder für den ihn viele kritische Geistern halten. Und er ist auch nicht der, als den er sich selber gerne sehen würde.
    Ich behaupte, der Artikel hat in seiner glasklaren Auslegung kassandrisches Format.

  128. gauck!

    keiner weiss was sie fuer diesen artikel bekommen – doch eines ist klar wir brauchen keinen wende-GAUCK und keine wende-MERKEL!!! ZUM ABSCHLUSS, wir werden egal wie sie heissen moegen von oben nur belogen, betrogen und missbraucht – das ganze system ist korrupt und leider leiden immer etremer die menschlichen werte weil nur noch nach MACHT und FINANZIELLER UNSAETTIGUNG gerungen wird und dies ohne ruecksicht auf MENSCHLICHE verluste!!! das ist unser LEID!!!

  129. Danke, ein wichtiger Text, der den mangelnden Kontextvorwürfen den Wind aus den Segeln nimmt.
    Für mich entscheidend ist, dass die Rückwärtsgewandtheit von Gauck deutlich wird, weil er die kritischen Strömungen belächelt und wegen seiner konservativen Haltung nicht nachvollziehen kann.

  130. Nichts Neues unter der Sonne

    Integrationsdebatten gab es auch in der Vergangenheit. Vorzugsweise in Krisenzeiten.

    Der Mut, den Gauck Sarrazin bescheinigt, unterscheidet sich auf verblüffende Weise nicht von jenem Mut, den Heinrich von Treitschke vor 130 Jahren im Berliner Antisemitismusstreit zeigte, bewundert vom Hofprediger des Kaisers, Adolf Stoecker.

    Wie Sarrazin entwirft Treitschke ein düsteres Zukunftsszenario. Die Bedrohung für den gesunden Volkskörper kam schon für Treitschke aus dem Osten.

    Die Protagonisten sind bei Sarrazin andere, wenngleich auch sie Orientale: Deutschland fest in islamischer Hand, statt Kirchen Minarette. In diesem Deutschland will Sarrazin nicht leben.

    Gauck spricht von Freiheit. Er müsste für eine freie Religionsausübung Partei ergreifen, selbst dann, wenn die „eigene“ Religion konkurrieren muss . Er widerspricht Sarrazin auch in diesem Punkt nicht.

    Wo gibt es einen echten Dissens zwischen Sarrazin und Gauck? Die Beschränkung auf hochqualifizierte, integrierbare Zuwanderung ist auch nichts anderes als Eugenik.

  131. @ – Roderic

    “Die Beschränkung auf hochqualifizierte, integrierbare Zuwanderung ist auch nichts anderes als Eugenik.”

    Eine stärkere Selektion unter den Immigranten ist der einzige Punkt, in dem ich Sarrazin recht gebe. Sie mögen dies Eugenik nennen; doch dies ist natürlich noch längst kein Einwand. Auch Kanada, Australien und Amerika betreiben eine selektive Immigration. Und warum sollten sie es auch nicht tun? Es ist nur vernünftig, dass ein Staat lediglich diejenigen Arbeitskräfte anheuert, für die er wirklich Verwendung hat. Haben Philosophen, Philologen oder Germanisten ein Recht, sich zu beschweren, wenn Australien lediglich Ingenieure einwandern lässt?

  132. @ Edgar Dahl

    Nun, lassen Sie mich Ihnen dieses eine Mal direkt antworten, obwohl das Thema nicht Sarrazin selbst ist, sondern die Einordnung der Gauckzitate in den Sarrazin-Kontext (vgl. Punkt 1).
    Und Gauck will ja bekanntlich nicht Präsident Kanadas oder Australiens werden.

    Es ist natürlich erst recht kein Einwand, wenn Sie vorbringen, Selektion wäre gängige Praxis. Eugenik war nie (selbst in finstersten Zeiten) nur eine deutsche Veranstaltung. Das ändert nichts am Problem.

    Insofern ist Ihr Beispiel Australien aber mehrfach interessant. Die Grundannahme von Gauck/Sarrazin, der Zuwandernde habe sich zu integrieren, ist in Australien noch im 20. Jhd. (in dem wir beide geboren wurden) in diametraler Weise umgekehrt worden: Ureinwohner hatten sich den zivilisatorischen Vorstellungen der Zuwanderer und ihrer Kindeskinder anzupassen, auf zum Teil barbarische Weise (Zwangsadoptionen usw.).

    Dagegen war die “Zuwanderung” von Europäern, beginnend mit Sträflingskolonien, alles andere als eine Selektion hochqualifizierten oder integrationswilligen Personals.

    Daran gemessen wurde daraus(aus westlich-zivilisatorischer Perspektive) trotzdem eine Erfolgsstory. Was Sarrazin/Gauck ein weiteres Mal widerlegt.

  133. @ Edgar Dahl

    Nun, lassen Sie mich Ihnen dieses eine Mal direkt antworten, obwohl das Thema nicht Sarrazin selbst ist, sondern die Einordnung der Gauckzitate in den Sarrazin-Kontext (vgl. Punkt 1).
    Und Gauck will ja bekanntlich nicht Präsident Kanadas oder Australiens werden.

    Es ist natürlich erst recht kein Einwand, wenn Sie vorbringen, Selektion wäre gängige Praxis. Eugenik war nie (selbst in finstersten Zeiten) nur eine deutsche Veranstaltung. Das ändert nichts am Problem.

    Insofern ist Ihr Beispiel Australien aber mehrfach interessant. Die Grundannahme von Gauck/Sarrazin, der Zuwandernde habe sich zu integrieren, ist in Australien noch im 20. Jhd. (in dem wir beide geboren wurden) in diametraler Weise umgekehrt worden: Ureinwohner hatten sich den zivilisatorischen Vorstellungen der Zuwanderer und ihrer Kindeskinder anzupassen, auf zum Teil barbarische Weise (Zwangsadoptionen usw.).

    Dagegen war die “Zuwanderung” von Europäern, beginnend mit Sträflingskolonien, alles andere als eine Selektion hochqualifizierten oder integrationswilligen Personals.

    Daran gemessen wurde daraus (aus westlich-zivilisatorischer Perspektive) trotzdem eine Erfolgsstory. Was Sarrazin/Gauck ein weiteres Mal widerlegt.

  134. @ – Roderic

    Ich spreche natürlich nicht von den “Prisoners of His Majesty” als den Zuwanderern. Verbrecher, die an Ketten in eine Strafkolonie verschifft wurden, sind schließlich keine Immigranten in dem uns interessierenden Sinne des Wortes.

    Die Zuwanderungspolitik, die ich meine, ist die Zuwanderungspolitik, die sich Länder wie Australien, Neuseeland, Kanada oder die USA in den letzten 30 oder 40 Jahren zu eigen gemacht haben.

    Und natürlich hat es Vorteile für einen Land, wenn es ausschließlich solche Menschen einwandern lässt und zu Staatsbürgern macht, die zum Reichtum dieses Landes beitragen.

    Die einzig offene Frage ist die, ob es legitim für einen Staat ist, eine derartige Selektion unter den Einwanderungswilligen vorzunehmen. Ich selbst habe nicht den geringsten Zweifel an der Legitimität dieser Immigrationspolitik. Neben den Immigranten, die man aus egoistischen Gründen aufnimmt, nimmt man ja auch noch Asylanten aus altruistischen Gründen auf.

  135. Wo bleiben die christlichen Werte?

    Ein ehemaliger Pfarrer zieht mit seiner Konkubine ins Schloss Bellevue und macht diese zur Firstlady Deutschlands. Ehe unf Familie gehören wohl nun nicht mehr zu den Werten, die Deutschland als angeblich christlich orientiertes Land repräsenziert?
    Hat es denn beim “Kommunistenjäger” nicht mal zu einer ordentlichen Scheidung gereicht? Oder will Herr Gauck als immernoch verheirateter die Vorteile des deutschen Steuerrechts unberechtigt weiter nutzen? Ich verstehe es nicht!!!

  136. Im Zentrum des Wertekanons eines Freundes von mir stehen Faustfick, Hexenritual und Bohnenfurz, und es ist an der Zeit, daß jemand auch diese Werte einmal gepflegt repräsentiere, anstatt weiter die heilige Langeweile zu perpetuieren, welche nur allzu oft fälschlich für ein edel Wesen gehalten worden.

    Das tut Gauck zwar auch nicht, ist aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung!

  137. Gauckeleien

    Danke für die viele Mühe, sie steckt nicht nur im Text, sie schreit auch heraus.
    Das ist zwar – angesichts von Fakten – erforderlich, kommt aber auf nur einem Bein daher – mit verschämt umgeschnallten ObjektivitätsProthesenMantel.
    Nur der reicht nicht.
    Kennst du den Gauck?
    Ich ja.
    Ich teile seine grundsätzlichen Positionen an keiner Stelle, besonders nicht in seinen Kontexten, halte ihn jedoch für einen akzeptablen Präs.
    Akzeptabler als der “IslamPrediger” Wulf, der öffentlich Islam predigt und heimlich maschmeiert. Das war Schmierenkommödie, mehr nicht, und nicht nur sprachlich sondern auch in jeder Geste, eben gemaschmeiert durch und durch.
    Was mich bei einem offensichtlichem Fachman (das meint dich) verwundert, ist das brilliante saubere linguistische und unsaubere logistische Strickmuster dieses Textes: Voller dezenter Zurückhaltung, fein und elegant einleuchtend, ja erleuchtend – beschreibst du die Unfähigkeiten, die Gauckeleien des Gauck.
    Dabei geht fast unter, daß ihm ja wohl bei so viel Zustimmung auch etlich Positives zuzurechnen sein muß, kommt das in deiner 2.Folge, in der Fortsetzung, oder findest du soetwas gegen die große Mehrheit nicht?
    Das wäre schade, es halbiert den Wert dieser deiner Darstellung – was mir überhaupt nicht paßt (gemeint ist die “Halbierung” deiner Kuschelkritik).
    Wer diese Gauckeleien auf das reduziert, was du schreibst, ohne sein Potential exakt in gleicher Akrebie mit zu beschreiben, verkennt völlig die gegenwärtige Lage in unserer Gesellschaft, und das, wo du doch dich auch als Sozialwissenschaftler verstehst, wie ich las.
    Es ist nicht “der Gauck”, dem das zufällt, was du zweifelnd beschreibst, es ist DERARTIGE GAUCKELEI, die unsere Gesellschaft ergriffen und umarmt hat und ihn erst ermöglichte, ja förmlich ansaugte.
    Er wird “sauber” wie bisher sein Amt ausfüllen, besser: erstmal(s) füllen, warten wir es ab!
    Nur wie, das sagte nicht er, das hat Gesellschaft ihm nun aufgetragen, und das sind bekanntlich auch wir, du und ich mittendrin.
    Es wird nicht leicht, sinnvoll UND brauchbar diesen Weg zu gehen, denke mal,
    auch ein Gauck benötigt gelegentlich auch mal diese, oder jene oder überhaupt “Stütze”, damit nichts “daneben” gerät.
    Vor vielen Jahren war rein zufällig ich mal an solch einer brisanten Stelle kurzzeitig neben ihm und konnte (ihn) durchgreifend etwas “stützen” und Unsägliches verhindern helfen, nur wer wird es heute sein?
    Auch ein Präs hat nicht alles in der (seiner) Hand.
    Nie vergessen: Der kann nicht nur reden, man kann auch mit ihm reden, besser aber nicht über Freiheit, das wird so nix.
    (Zur Erinnerung: “Die -Freiheit- gehört zu Deutschland” – ?)
    Da war doch was …