Auf den Outer Banks (+ Update)

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Die ausgedehnten Marschgebiete der Outer Banks von Carolina bieten ideale Bedingungen, um die Geheimnisse der früheren Meeresspiegelentwicklung zu entschlüsseln. Ein kleiner Bericht von der Feldarbeit.

altDie Outer Banks von Carolina sind gegenüber Meeresspiegelanstieg und Küstenerosion besonders anfällig, zumal das Land dort von Natur aus absinkt und die Nehrung sich landeinwärts bewegt. An der Seeseite geht kontinuierlich Land verloren.

Um 11.20 Uhr kommt ein Funkspruch vom Forschungsschiff Stanley Riggs, das einige Dutzend Meter entfernt von uns ankert: wenige Meter hinter uns sei ein Hai, den sie vom Schiff aus mit dem Fernglas beobachten. Wir haben nichts bemerkt und drehen uns um. Wir stehen auf einem kleinen Vorsprung, umgeben an drei Seiten von Wasser, und ziehen gerade einen Bohrkern aus dem Torf. Uns kann ein Hai nichts anhaben, aber auf dem Schiff sorgt man sich um unsere beiden Taucher, die gleich ins Wasser sollen. Ray, einer der Doktoranden, sieht gerade noch die Flosse unter Wasser verschwinden, dann ist der Hai weg. Später sehen wir nur noch Schlangen, die elegant durchs Wasser gleiten, und ein paar Krabben, die als lokale Delikatesse gelten.

altDie Stanley Riggs landet unser Team am Sand Point an.

Für unsere Ufercrew wären Alligatoren wesentlich interessanter als Haie – in der Vorwoche wurde unweit unseres Forschungsgebietes ein Mann von einem Alligator verletzt. Aber die Kollegen beruhigen mich: eine Alligator-Attacke sei in der Regel gar kein Problem, man müsse lediglich schneller rennen als der Langsamste der Gruppe. In Wahrheit bietet sich uns heute aber ein idyllisches Bild, die Sonne glitzert auf dem Pamlico Sound, ab und zu zieht ein Trupp Pelikane über unseren Köpfen vorbei, und am Horizont brodeln konvektive Wolken, aus denen manchmal ein Donner herübergrollt, aber es bleibt trocken. Gänzlich anders als am Vortag, als kalter Wind und Dauernieseln uns zu schaffen machten und mit der Technik so ziemlich alles schief ging, was nur schiefgehen kann. Der einzige gewonnene Bohrkern erwies sich am Ende als Niete, sodass ein ganzer Tag Arbeit  von einem Dutzend Leuten umsonst war.

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Gleich bei meiner Ankunft wurde ich mit der Nachricht empfangen, das Hurrikanzentrum hätte eine 50:50 Chance gemeldet, dass sich vor der Küste von South Carolina ein Tropensturm bildet. Noch am selben Abend wurde der erste Tropensturm der Saison ausgerufen: Sturm Alberto. Und das Mitte Mai – obwohl die Tropensturmsaison im Nordatlantik offiziell erst im Juni beginnt, und meist erst im Juli die ersten Stürme in den Carolinas auftauchen. Die Outer Banks sind extrem exponiert: schon mehrfach wurde die Sandbarriere in den letzten Jahrzehnten durch einen Hurrikan durchbrochen und dabei die Straße weggespült, die die einzige Verbindung zum Festland ist. Zum Glück driftete Alberto von der Küste weg und zog in den folgenden Tagen weit draußen nach Norden, ohne uns bei der Arbeit zu behelligen.

altAndy Kemp (rechts) mit den Doktoranden Ray und Hanna.

Wir sind wegen der mehrere Meter dicken Torfschicht hier, die sich hinter den Sandbarrieren, den Outer Banks, im Laufe der letzten Jahrtausende abgelagert hat. Durch das Verschwinden der riesigen Eisschilde am Ende der letzten Eiszeit senkt sich das Land in dieser Gegend ab, denn sie liegt (ähnlich übrigens wie unsere deutschen Küsten) am Rande der damaligen Eismassen, dort wo das Land etwas angehoben wurde, weil nebendran das Eis eine tiefe Delle in den Untergrund drückte. Diese nacheiszeitliche Landabsenkung führt dazu, dass der Meeresspiegel relativ zum Land während der letzten Jahrtausende stetig angestiegen ist, um rund einen Millimeter pro Jahr. Die regelmäßig durch Gezeiten überschwemmte Salzwiese wächst bei einem solchen Anstieg mit nach oben – so entsteht pro Jahrtausend etwa eine einen Meter dicke Torfschicht.

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Unsere bisherigen Forschungsergebnisse mit dem US-Team um Ben Horton von der University of Pennsilvania habe ich bereits bei KlimaLounge geschildert: es gelang, die Meeresspiegelentwicklung über die letzten zwei Jahrtausende zu rekonstruieren und für das letzte Jahrtausend auch mit der globalen Temperaturentwicklung zu erklären. Jetzt geht es um die spannende Frage, ob wir noch ältere Torfablagerungen finden können – zu Land oder auch in der Lagune, daher der Einsatz des Forschungsschiffes der East Carolina University. Einiges deutet darauf hin, dass gerade die ältesten Torfablagerungen aufgrund der zunehmenden Küstenerosion inzwischen überflutet wurden. Nach mehr als einer Woche Arbeit ist die Torfausbeute durchaus vielversprechend, d.h. aus größeren Tiefen als die früheren Bohrkerne. Doch erst monatelange Arbeit im Labor wird zeigen, ob sie zur Meeresspiegelrekonstruktion taugen.

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Am letzten Tag hielten wir noch einen sogenannten Stakeholder Workshop in Nag’s Head – die US-Behörde für Ozean und Atmosphäre NOAA, die unser Projekt finanziert (übrigens durchaus ungewöhnlich, dass sie dabei auch einen Doktoranden im deutschen Ausland bezahlt), verlangt diesen direkten Dialog mit möglichen Nutzern der wissenschaftlichen Ergebnisse. Das sind zum Beispiel Vertreter der Planungs- und Umweltbehörden und andere Gruppen, die sich für Küstenschutz und Meeresspiegel interessieren. Das Thema ist in North Carolina gerade hoch brisant, obwohl der Bundesstaat bislang eine gute vorausschauende Küstenschutzpolitik gemacht hat. Kontrovers ist das alles erst in letzter Zeit mit dem Aufkommen der Tea-Party-Bewegung geworden (einem fundamentalistischen Flügel der Republikaner), die Klimawandel, Meeresspiegelanstieg und dergleichen für Humbug oder Betrug halten. Eine Interessengruppe, die durch Küstenschutz die Wirtschaft gefährdet sieht, hat in North Carolina einen Gesetzentwurf eingebracht, durch den explizit verboten werden soll, Szenarien eines beschleunigten Meeresspiegelanstiegs zu verwenden. Obwohl der Meeresspiegelanstieg sich im Zuge der globalen Erwärmung bereits beschleunigt (das zeigen auch die Daten aus North Carolina klar), und sich ziemlich sicher weiter beschleunigen wird. Denn Landeis schmilzt schneller und die Ozeane heizen sich rascher auf, je wärmer es wird. Anders gesagt: die Realität darf bei der Planung nicht berücksichtigt werden.

altDunkle Wolken ziehen sich über dem Strand bei Jennette’s Pier zusammen, wo wir unseren Stakeholder Workshop abhalten. Später entlädt sich das Gewitter. Der breite Strand ist künstlich: Ergebnis einer Sandvorspülung im Vorjahr für $ 36 Millionen. Umweltschützer sehen solche Sandvorspülungen sehr kritisch.

Getoppt wurde dies jetzt noch durch einen Senator aus dem nördlichen Nachbarstaat Virginia, nach dessen Ansicht schon das Wort “Meeresspiegelanstieg” aus dem politisch linken Lager stammt (“sea-level rise is a left-wing term”) und daher im Küstenschutzbericht des Staates nicht verwendet werden sollte.

altDer Autor auf der Stanley Riggs. Im Hintergrund ragt das Bohrgestänge aus dem Wasser der Lagune. (Foto: Andy Kemp. Alle anderen Fotos (c) S. Rahmstorf.)

P.s. zur globalen Temperatur: Der abgelaufene Mai war sowohl in der globalen Landtemperatur als auch der Temperatur der Nordhalbkugel der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1880. In der globalen Temperatur insgesamt (Land+Meer) war es der zweitwärmste Mai, übertroffen nur vom Mai 2010. Mehr dazu siehe NOAA.

Update 25. Juni: Gestern sind zwei relevante Papers erschienen bei Nature Climate Change – dabei eines von uns mit neuen Meeresspiegel-Projektionen, in dem auch die Daten aus North Carolina zur Eichung des Modells verwendet wurden. Mehr dazu in diesem Artikel bei Realclimate, einer etwas erweiterten Fassung des obigen Forschungsberichts. Auch noch dazu:

Interview mit mir im Deutschlandfunk

Bericht bei Spiegel Online

Süddeutsche Zeitung: Vor uns die Sintflut

Weblinks

Mehr Bilder finden Sie in meinem US Atlantic Coast set auf Flickr 

Denying Sea-Level Rise – spannende Analyse der Meeresspiegeldebatte in North Carolina von zwei Forschern

Meeresspiegelseiten des PIK

KlimaLounge: Was lässt den Meeresspiegel steigen?

Für Comedy-Freunde: die Colbert-Show aus den USA macht sich über das Meeresspiegel-Gesetz lustig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

8 Kommentare

  1. Gesetzenwürfe und Erinnerungen

    Ich erinnere mich dunkel an meine Jugendzeit, damals, als Student Anfang der 90ger, in der Klima Arbeitsgruppe von Prof. Bach in Münster. Die Beiträge für die Enquete Kommission “Schutz der Erde” kamen regelmäßig zurück, weil Formulierungen geändert sollten, die aus dem einen oder anderen Grund nicht genehm waren. Ich weiß nicht, wie das heute aussieht, aber ein rein amerikanisches – oder südkarolinisches – Problem ist das sicher nicht. More a matter of degree than principle. Die Wirklichkeit wird in der Politik ja öfter gerne ausgeschlossen. Sie ist so schrecklich unordentlich, diese verflixte Wirklichkeit.

    Ich beneide Sie, daß Sie noch zu echter Feldarbeit Gelegenheit haben und nicht nur vor dem Rechner versauern.

  2. Oberkante Unterlippe

    Stefan Rahmstorf schrieb (18. Juni 2012, 13:20):
    > […] Obwohl der Meeresspiegelanstieg sich im Zuge der globalen Erwärmung bereits beschleunigt (das zeigen auch die Daten aus North Carolina klar), […]

    Allerdings bezieht sich der Text des kürzlich in North Carolina verabschiedeten Gesetzes
    http://www.ncleg.net/…ssion=2011&BillID=H819
    als auch des einschlägig bekannten entsprechenden Gesetzentwurfes
    http://www.nccoast.org/…/CRO/2012-5/SLR-bill.pdf
    an entscheidender Stelle offenbar auf die Rate des Meeresspiegelanstiegs
    (und nicht auf den Meeresspiegelanstieg an sich).

    Was zeigen die Daten (insbesondere North Carolina betreffend) eigentlich hinsichtlich der Rate des Meeresspiegelanstiegs, und in wie fern eine lineare Zunahme des Wertes dieser Rate von (z.B. quadratisch oder exponentiell) beschleunigter Zunahme unterscheidbar ist?

    [Antwort: Ein beschleunigter Anstieg liegt dann vor, wenn die Anstiegsrate zunimmt. Nimmt die Anstiegsrate linear zu, dann steigt der Meeresspiegel quadratisch mit der Zeit. Stefan Rahmstorf]

  3. Danke wieder einmal für den interessanten Artikel! Den Gesetzentwurf kannte ich schon und teils belustigt er mich, teils kann ich es einfach kaum glauben -.-
    Ich stimme Mr. Stolle natürlich zu, dass sea-level-rise extremst links ist (wie auch Krankenversicherungen, die sind zudem kommunistisch) und hätte da ein paar Vorschläge betreffs der Begriffswahl:
    – Negative Meeresspiegelerniedrigung
    – Verkleinerung der Anfahrtwege an touristische Seeerholungsgebiete
    – Durchschnittliche Verringerung der küstennahen sommerlichen Umgebungstemperatur (inkl. Wasser)
    – Habitatvergrößerung für Schelfbiotope (zugegeben, das wäre auch wieder sehr links)

    mit kopfschüttelnden Grüßen,
    J. Hesemann

  4. la nina

    Was Sie in Ihrem P.S. sagen, deutet darauf hin, dass sich la Nina verabschieden soll. Die Texaner dürfte das freuen.

  5. Kindergeburtstag

    Stefan Rahmstorf schrieb (nach 18.06.2012, 14:59):
    > Antwort: Ein beschleunigter Anstieg [des Meeresspiegels] liegt dann vor, wenn die Anstiegsrate zunimmt. Nimmt die Anstiegsrate linear zu, dann steigt der Meeresspiegel quadratisch mit der Zeit [bzgl. Dauer “t”].

    Ja, genau, selbstverständlich; vielen Dank so weit.

    Und? —
    gibt es bitte irgendwelche Empfehlungen betreffs Veröffentlichungen oder sonstige Hinweise zu Ergebnissen von Fits relevanter Daten (bzw. idealer Weise von Fits ein-und-desselben
    relevanten Datensatzes) entsprechend

    (1) dem genannten Modell mit linearer Zunahme der Meeresspiegel-Anstiegsrate (das im Änderungsvorschlag zur Gesetzesvorlage ausdrücklich vorgegeben war, und das auch entsprechend dem verabschiedeten Gesetzestext durchaus relevant bleibt) einerseits,

    im Vergleich zu (im Gesetzestext nach wie vor ausdrücklich erwähnten) Modellen mit

    accelerated rates of sea-level rise

    (d.h. mit “beschleunigten Veränderungen der Meeresspiegel-Anstiegsraten”) andererseits, wie z.B.

    (2) dem Modell mit einem quadratischen Term der Anstiegsrate (also offenbar kubisch bzgl. des Meeresspiegels), oder

    (3) dem Modell exponentiell in der Anstiegsrate (also offenbar ebenfalls exponentiell bzgl. des Meeresspiegels)

    ?

    Interessant wären darüberhinaus sicherlich auch Vergleiche zu Ergebnissen von Fits entsprechend

    (4) dem Modell mit durchweg konstanter Anstiegsrate (also linearem Anstieg des
    Meeresspiegels),

    (5) dem Modell mit Anstiegsrate Null (also konstantem Meeresspiegel),

    oder weiteren (noch besser begründbaren bzw. den Daten entsprechenden) Modellen.
    Nochmals vielen Dank.

  6. Ihr P.S.

    Hallo Herr Rahmstorf,

    der Temperaturrekord im Mai ist bemerkenswert, da zur Zeit nur sehr schwache El Nino-Bedinungen vorherrschen:

    http://www.esrl.noaa.gov/psd/enso/mei/rank.html

    Wie wird sich El Nino im Laufenden Jahr weiter entwickeln? Und wie verlässlich sind solche Prognosen?

    Herzlichen Dank und

    freundliche Grüße
    Timo Langer

  7. That’s gold, Stephen C.! Gold! …

    Stefan Rahmstorf schrieb:
    > Update 25. Juni: […] Mehr dazu in diesem Artikel bei Realclimate

    … der wiederum einen Verweis darauf enthält, wo man eine Darstellung der jährlichen Raten des Meeresspiegelanstiegs finden kann: http://tamino.files.wordpress.com/…/03/rates.jpg

    Dieses Diagramm (das ja sicherlich eine Darstellung nachvollziehbarer Messwerte ist) legt (mir) zumindest nahe, dass das Modell der linearen Veränderung der Rate tatsächlich einen “signifikant schlechteren Fit” ergäbe, als bestimmte Modelle nicht-linearer (beschleunigter) Veränderung der Rate.

    (Und auf so ein Diagramm verweisen zu können, ist sicher entscheidend für jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem o.g. Gesetz.)

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